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Liebe Vollidioten!

Liebe Vollidioten!

Vor dem G20-Gipfel in Hamburg mal so richtig Dampf ablassen.

Im Allgemeinen werden solche Schimpfworte in „sozialen Medien“ als Auftakt von Hate Speech und Beleidigungen verstanden und mit neuen und alten Strafgesetzgebungen verfolgt.
In einem solchen Fall sprechen die „Leitmedien“ von einem Missbrauch, von der Vergiftung der Meinungsfreiheit, die sehr schnell in Gewalt umschlagen können.
In diesem Fall ist dasselbe etwas ganz Anderes, insbesondere dann, wenn es im bezahlten Mediensektor abgeht, ganz konkret in der Zeitung „BILD“.

Endlich will auch die BILD-Zeitung einmal so richtig „Dampf ablassen“ und es alle Welt wissen lassen.
Es handelt sich dabei um den BILD-Redakteur Hans-Jörg Vehlewald, dem dafür eine ganze Kolumne zur Verfügung gestellt wird.
Er kommt mächtig in Fahrt und schlägt mit seinem tastengesteuerter Baseballschläger wild um sich. Da ist von „G20-Randalierern“, von einem lächerlichen „Häufchen gewaltgeiler Polit-Hooligans“ die Rede, die er „so nervtötend, dumm und anmaßend“ findet, um sich an Ende seiner Wutrede selbst ins Finale zu schießen:

„Ob linker oder rechter Mob – tut einmal in eurem Leben was Nützliches und haltet die Klappe.“ (BILD vom 21.6.2017)

Anlass für diese Hassbotschaft in der Haltung eines Gefängnisaufsehers ist nicht der G20-Gipfel in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017, sondern die Proteste dagegen.
Natürlich würde man BILD und anderen Demokratiewächtern unrecht tun, wenn sie Protest ganz und überhaupt verbieten lassen würden.
In den 90er Jahren war „BILD“ ganz vorne, in der ersten Reihe der „Straßenkrawalle“, als Flüchtlingsheime belagert, angegriffen und angezündet wurden. Damals rief „BILD“ nicht: Haltet die Klappe! Im Gegenteil: Man machte sich zum Versteher, zum Dolmetscher dieser rassistischen Pogrome: Man verurteilte natürlich schmallippig die Mittel, aber noch mehr verstand man die „berechtigten Sorgen“, die „verständliche Wut“ „verunsicherter“ Bürger über die von BILD selbst generierte „Asylantenflut“. Erinnert sich BILD noch daran?
Es geht hier also nicht um Protest, der auch mal drastisch sein darf. Es geht darum, gegen wen sich dieser Protest richtet!

Dieses Mal geht es eben nicht um Flüchtlingsheime, um einer „Überfremdung“ BILD-gerecht Herr zu werden. Jetzt geht um das um den Globus tanzende Kapital und seine politische Boygroup, die sich in Hamburg trifft und auf jeden Fall … nicht gestört, schon gar nicht aufgehalten werden möchte.
Deshalb wurde eine 38 Quadratkilometer große Versammlungsverbotszonen rund um den Tagungsort erlassen. Von BILD bis zum SPD-Innensenator Andy Grote wird man dazu eines und vereint hören: Wir respektieren bis zum Abwinken das Demonstrationsrecht. Aber wo sinn- und gehörlos demonstriert werden darf, bestimmen immer noch jene, denen der Protest gilt. Wir sind Demokratie und wir machen Demokratie – und zwar so, wie sie uns gefällt.
Dass die Einrichtung zugeteilter Demonstrationszonen die TeilnehmerInnen zur aktiven Selbstdemütigung, zu Statisten ihres eigenen Anliegen macht, gefällt den Demokratiehütern.
Und ganz egal ist ihnen, wenn die faktische Suspendierung des Demonstrationsrechts bereits mehrmals von Gerichten für rechtswidrig erklärt wurde. Genau das ist passiert, als die in Heiligendamm 2007 und rund um den Tagungsort Schloss Elmau 2015 verhängten Verbotszonen als Rechtsbruch erkannt wurden.
Aber was juckt die Schützer des Rechtstaates das Recht, wenn es sich einmal an ihrem Bein verbeißt? Gar nicht, denn diese Urteile kamen allesamt, als der Rechtsbruch längst seine Dienst geleistet hatte, also alles vorbei war. Man muss also nicht weiter ausholen, um fairerweise festzuhalten:
Der organisierte Rechtsbruch ist weder quantitativ noch qualitativ eine Domäne des Protestes.

Aber zurück zum eigentlichen Anlass, den BILD bis SPD durch „Krawalle“ überschattet sieht. Wie ein Erstklässler, der gefragt wird: Was ist denn ein G20-Gipfel? antwortet der BILD-Reporter, mit einem Spickzettel unter der Bank:

„Am 7. und 8. Juli treffen sich die Staatsführer der wichtigsten und erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt zum G20-Gipfel in Hamburg. Sie vertreten zwei Drittel der Weltbevölkerung. 80 Prozent des Welthandels. 90 Prozent der Wirtschaftskraft unseres Planeten. Sie reden über die Bekämpfung von Armut und Klimawandel.“

Brav, Hans-Jörg, du kannst dich setzen.

Aber vielleicht war der Bub auch ganz schlau, als er sein Wissen über den G20-Gipfel in die Tasten haute: Sie reden über die Bekämpfung von Armut und Klimawandel. Und machen etwas ganz anderes: Als Schutzpatrone über 400 Billionen Euro in Form von Derivaten, als getarnte Staatschefs, also „Wasserträger, Gehilfen und Ausführer der Interessen der Konzerne“ (Jean Ziegler), als Produzenten von 50 Millionen Menschen auf der Flucht und 24.000 an Hunger sterbenden Menschen täglich, als Brandleger dauerhafter Kriegs- und Ausnahmezustände, als Beschützer und Garanten von Diktaturen, die ihnen nützlich sind.
Nun, man sollte dem BILD-Reporter nicht unterstellen, dass er das nicht alles weiß. Er hat ja nur gesagt, worüber die G20-Staatsführer reden.
Natürlich erkennt der BILD-Reporter Bandstifter und Brandleger – eben nicht dort, wo 80 Prozent des Welthandels, 90 Prozent der Wirtschaftskraft unseres Planeten als Raubgut zusammenkommen.
Mit ganzem Körpereinsatz verweist er auf „bundesweit ein gutes Dutzend Brandsätze gegen Regionalzüge der Bahn – das umweltfreundlichste Verkehrsmittel des Landes“.
Rührend, wie sich ein BILD-Reporter für die Umwelt einsetzt. Dass das Ziel dieser Sabotageaktionen nicht dem „umweltfreundlichsten Verkehrsmittel“ galt, sondern den dort verlegten Kabelsträngen, weiß der BILD-Reporter, aber nur dann, wenn es ihm passt:

„Eure Anführer faseln von der ‚Unterbrechung der kapitalistischen Logistik’ – und meinen damit nichts weniger als Sabotage, Brandsätze und Pflastersteine.“

War der BILD-Reporter auch noch undercover unterwegs, um uns zu verraten, wer in den politisch sehr verschiedenen Protesten gegen den G20-Gipfel „Anführer“ ist?
Ich bin sehr gespannt, was der unerschrockene BILD-Reporter herausbekommt, wenn er seine Undercover-Kenntnisse über die G20-Führer preisgibt – also nicht das, was allen zu den Ohren herauskommt, sondern das, was sie tatsächlich machen und weiterhin machen werden.
Man kann eines jedoch ganz sicher festhalten: Wenn der Protest so „friedlich“ sein darf wie die, die diese „friedliche“ Weltordnung beherrschen, dann hätte der BILD-Reporter einen echten Grund, „Dampf abzulassen“.

Noch ein letzter Tipp zur Fortbildung von BILD-Redakteuren:
„Ob linker oder rechter Mob – tut einmal in eurem Leben was Nützliches und haltet die Klappe.“ (BILD vom 21.6.2017)
Dieses Gleichnis stammt von Ihnen, Herr Vehlewald.
Ohne Sie geschichtlich zu überfordern: Gehen Sie einfach mal in ihr hauseigenes Archiv, um nachzuschauen, wer Nazi-Verbrechern eine Bleibe, ein Fortkommen und einen politischen Schutzraum gegeben hat.
Dann bekommen Sie eine leise Ahnung, wie dreist es ist, Kapitalismuskritik und Antikapitalismus mit Neonazismus in eine Sammelzelle zu stecken.


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