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Mediale Glaubenskrieger

Mediale Glaubenskrieger

Die Systemmedien bilden einen argumentativen Schutzwall um die herrschende Ordnung und Politik. Exklusivabdruck aus „Sabotierte Wirklichkeit“. Teil 2/3.

Diskussion: Über Zensur, Gatekeeper, die Schere im Kopf und die innere Pressefreiheit

„Er objektiviert, allgemein gesagt, die Halter des Monopols auf öffentliche Objektivierung. Er macht die Macht — und den Machtmissbrauch — sichtbar, indem er diese Macht durch eine einfache Strategie des Zeigens, gegen denjenigen wendet, der sie ausübt. Er macht die journalistische Macht sichtbar, indem er der journalistischen Macht die Macht entgegenstellt, die der Journalismus jeden Tag gegen uns gebraucht“ (1) — Pierre Bourdieu über Karl Kraus.

Im Vorfeld dieses Buches, bei diversen Gesprächen mit Freunden, Kollegen und Bekannten, gab es neben der Zustimmung, dass wir es mit einer Zensur in der Berichterstattung zu tun haben, auch Kritik. Zensur? Muss es denn wirklich dieser Begriff sein? Wäre es nicht besser, von der „Schere im Kopf“ zu reden, die bei Journalisten öfter mal zum Einsatz kommt? Oder: Warum nicht einfach, altbekannt, von Journalisten als „Gatekeeper“ sprechen, also von „Torwächtern“, die bestimmte Filter anwenden und aufpassen, welche Informationen in ihren Medien veröffentlicht werden. Oder: Wie wäre es, mit dem Begriff der inneren Pressefreiheit zu arbeiten? Schließlich sei Zensur ein ziemlich weitreichender Begriff er passe doch nicht zu einer Medienlandschaft, deren Freiheit durch das Grundgesetz garantiert ist. Außerdem: Der Begriff sei historisch geprägt. Man könne ihn nicht einfach anders definieren. So in etwa lautete der Tenor der Kritik.

Die Probleme, die sich in der Berichterstattung ergeben, wenn mal wieder die „Schere im Kopf“ Anwendung findet, Journalisten also aus unterschiedlichen Gründen sich selbst „zensieren“, erfassen das Phänomen der Zensur, so wie es existiert und wir es beschrieben haben, nicht. Genauso die Herausforderungen, die sich für eine freie Presse ergeben, wenn die innere Pressefreiheit, etwa durch die politische Meinung der Chefredaktion, bestimmte „Redaktionslinien“ und so weiter bedroht ist, sprich abweichende Ansichten nicht zugelassen werden, sind nicht als Zensur zu werten.

Die Schere im Kopf und eine eingeschränkte innere Pressefreiheit, sind zunächst einmal als singuläres Problem zu erkennen. Wenn die Schere im Kopf bei einzelnen Journalisten zum Einsatz kommt oder wenn einzelne Redaktionen Probleme damit haben, eine freie Berichterstattung zuzulassen und Ansichten genügend Raum zu geben, die den eigenen Meinungen widersprechen, dann sind die Auswirkung durch dieses Verhalten in der Regel begrenzt. Umgangssprachlich formuliert, lässt sich natürlich schnell „Zensur!“ rufen, doch ist diese Form der Informationsunterdrückung eben nicht im Sinne einer allumfassenden Zensur zu verstehen.

In den Bereich der Zensur kommen wir allerdings dann, wenn die Schere im Kopf bei einer Vielzahl von Journalisten medienübergreifend und dauerhaft bei bestimmten Themen Anwendung findet. Denn dann wird aus dem singulären ein kollektives Verhalten, das eine viel weitreichendere Auswirkung hat, als es bei den Handlungen eines einzelnen Akteures der Fall ist. Eine Zensurkraft entsteht, die die einzelnen Subjekte durch ihre kollektiven Handlungen — basierend auf ihren sehr ähnlichen Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsschemata — erzeugen.

Der Begriff Gatekeeper lässt sich sicherlich im zensurhaften Sinn verstehen. Journalisten können laut Forschung als „Torwächter“ und „Schleusenwärter“ verstanden werden, die nicht mehr nach journalistischen Selektionskriterien filtern, sondern andere, fragwürdige Kriterien bei der Auswahl von Informationen anwenden, sprich: Informationen, die ihnen nicht „passen“, unterdrücken. Da der Begriff aber auch eine positive Dimension hat — das heißt: Gatekeeper als Journalisten verstanden werden können, die sauber nach journalistischen Prinzipien Informationen filtern und somit Unwichtiges von Wichtigem trennen — lassen wir ihn außen vor. Zudem wäre auch hier zu unterscheiden zwischen „Torwächtern“, die individuell unterschiedlich ausfiltern oder aber kollektiv einheitlich bei bestimmten Themen und Informationen entgegen den journalistischen Selektionskriterien handeln.

Die grundsätzliche Überlegung jedenfalls, den Zensurbegriff weiter zu fassen, also unser Zensurverständnis aus der enggewobenen Auffassung, Zensur bedeute immer das Vorhandensein eines externen Zensors, einer vom Staat aus angeordneten Kontrolle der Medien, zu lösen, existiert in der Wissenschaft schon länger. Bereits Anfang der 2000er-Jahre verweist Beate Müller auf ein sich verändertes und erweitertes Zensurverständnis.

Noch bis vor 20 Jahren, führt Müller aus, sei die „dominante Untersuchungsperspektive“ (2) gewesen, sich auf „die Rekonstruktion einzelner Fälle staatlicher oder kirchlicher Zensur anhand von Quellen, die Beschreibung zensorischer Institutionen“ (3) zu stützen. Damals habe man überwiegend „Zensurpolitik in einer bestimmten geschichtlichen Epoche“ (4) analysiert. Und obwohl dieser Ansatz noch immer „bestimmend für weite Teile der Zensurforschung“ sei, könne „in jüngerer Zeit eine Akzentverschiebung“ (5) festgestellt werden (6). Zensur werde vielmehr auch als „Kulturphänomen“ betrachtet (7).

„Das Zensurkonzept“ (8) führt Müller fort, „hat aufgrund dieser Erweiterung effektiv eine Neubewertung, ja in gewisser Weise eine Aufwertung erfahren.“ (9) Mittlerweile existiere die Auffassung, „Zensur gebe es in jeder Gesellschaft, und zwar nicht nur als mehr oder minder regelwidrige, zumindest illegitime, autoritäre Praxis, sondern als — unter Umständen sogar konstitutiver — Teil komplexer gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse“ (10). Müller verweist darauf, dass durch ein verändertes Zensurverständnis eine „Reaktualisierung der Zensur als Forschungsgegenstand“ /11) eingesetzt hat.

Müller steht der von ihr skizzierten Entwicklung aber skeptisch gegenüber. Sie ist der Auffassung: „In letzter Konsequenz läuft diese starke Ausweitung des Zensurbegriffs auf jegliche Form von Diskurskontrolle auf eine Aufweichung des Zensurkonzepts hinaus. Christoph Guggenbühl konstatiert zu Recht, daß ein solcherart überdehnter Zensurbegriff auf die Gleichsetzung oder Verwechslung von Zensur mit sozialer Kontrolle hinauslaufe“ (12).

Müller plädiert daher für einen engeren Zensurbegriff (13). Sie findet: „Wer überall Zensur wittert, beraubt sich selbst wichtiger analytischer Differenzierungen“ (14), womit sie meint, dass Akte „echter“ (staatlicher) Zensur — die eben besonders schwer wiegen und weitreichend sind — verharmlost werden, wenn ein erweitertes Zensurverständnis veranschlagt werde. Zugespitzt: Jeden Akt der „Einschränkung“ — sie bringt das Beispiel einer Mutter, die ihrem Kind den Mund verbietet — könnte man dann als Zensur bezeichnen (15).

Müller findet, dass „obwohl Zensur immer Diskurs- und Kommunikationskontrolle“ (16) impliziere, könne umgekehrt „längst nicht jeder Akt solcher Kontrolle auch als Zensur gelten“ (17). Schließlich kommt sie zu der Auffassung, dass die „von Bourdieu beschriebenen Steuerungsprozesse eines diskursiven Feldes“ sich selbst regulieren würden. Damit meint sie: „Was als wissenschaftlicher Diskurs gelten darf und was nicht, bestimmen die Wissenschaftler letztlich selbst“ (18). Und: Es bedürfte, weil „typisch für Zensur“ (19), eine „Diskurskontrolle vonseiten solcher Mächte, die selber außerhalb der beabsichtigten Kommunikation stehen“ (20).

Müller, das ist eindeutig, möchte an einem enggefassten Zensurbegriff festhalten, um die Auswirkungen einer „echten“, „staatlichen Zensur“ nicht zu relativieren. Sie bleibt verhaftet in dem Konzept einer Zensur, die „von außen“, wie sie sagt: „von einer dritten Kraft zur autoritären Regelung eines Senders beziehungsweise seiner Botschaft zu einem öffentlichen Publikum (…)“ (21) ausgeht. Man kann für diese Positionierung Verständnis aufbringen, wenn es darum geht, die Brutalität staatlicher Zensurmechanismen nicht zu relativieren — einerseits. Andererseits: Ein starres Zensurverständnis, das eine von oben verordnete staatliche Zensur als alleinige, „echte“ Zensurform versteht, relativiert letztlich auch jene aus dem journalistischen Feld entstehende sozialstrukturell ausgeformte Zensur so weit, dass die weitreichenden Auswirkungen, die sich aus ihr ergeben, nicht der Tragweite gemäß erfasst werden kann.

Müller ist insofern zuzustimmen, dass es natürlich im Hinblick auf eine „Aufweichung“ des Zensurverständnisses problematisch wäre, jeden Akt der Einschränkung als Zensur zu verstehen. Gerade im Hinblick auf die Berichterstattung der Medien ist es aus analytischer Sicht wenig hilfreich, einzelne Entscheidungen von Journalisten, die aus fragwürdigen Gründen Perspektiven und Themen ausschließen, als Zensur zu bezeichnen — das haben wir an anderer Stelle im Buch schon angesprochen.

Müllers Aussage hingegen, wonach Wissenschaftler selbst bestimmten, was als wissenschaftlicher Diskurs gelten dürfe — wir können das auch auf die Medien übertragen und sagen: Journalisten bestimmen selbst, was sie senden. Also findet auch keine Zensur statt —, ist wohlfeil, ignoriert aber die Tatsachen, dass sich unter der leicht getätigten Aussage der „Selbstbestimmung“ ein ganzer Komplex an (sozialen) Einflussfaktoren verbirgt, der nicht beleuchtet wird.

Wer so argumentiert, ignoriert die äußeren, also die wirtschaftlichen und politischen Einflüsse, die sich bisweilen in der Forschung bemerkbar machen — Forschungsgelder, beispielsweise, fallen nicht vom Himmel, sie müssen beantragt werden. Und diejenigen Gruppen, Organisationen, Institutionen, die Forschungsgelder bereitstellen, sind nicht frei von Interessen (22). Und er ignoriert auch die inneren Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die in einem Feld herrschen und den freien Diskurs massiv behindern und ja, auch zensieren können, denn: Wer sind denn „die“ Wissenschaftler — oder „die“ Journalisten), die bestimmen, „was als Diskurs gelten darf und was nicht“? Es sind eben jene Akteure und Gruppen, die aufgrund ihrer dominierenden Positionen innerhalb ihres Feldes über Bestimmungsmacht — und implizite Zensurmacht — verfügen.

Anders gesagt: Nein, wir sollten uns nicht einem enggefassten Zensurverständnis anschließen. Denn das würde bedeuten, die Augen vor den massiven negativen Auswirkungen einer Zensur zu verschließen, die wir nur durch ein erweitertes Begriffsverständnis erfassen können. Es geht hier nicht darum, staatliche Zensur gegen die Zensur aus dem Innern des journalistischen Feldes auszuspielen. Beide Erscheinungsformen der Zensur sind auf ihre eigene Weise weitreichend.

Während eine von außen, von oben verordnete Zensur in einer Diktatur oft mit direkten, harten Repression verbunden ist, wirkt die soziale Zensur vordergründig sanft, mild — sie trägt aber auch eine eigene Gewalt in sich. Dazu gleich mehr. Niemand wird, weil er etwas veröffentlicht, was außerhalb des etablierten Diskurses steht — sofern er nicht gegen bestehende Gesetze verstößt — von einem Gericht angeklagt und verurteilt. Faktisch kann nahezu alles gesagt, geschrieben und gesendet werden. Aber: Unliebsame Äußerungen werden von diesem Zensursystem in der Regel nur am Rand des Gesamtmediensystems geduldet. Im Grunde genommen völlig legitime Wirklichkeitsauffassungen, die nicht in Einklang zu bringen sind mit den Wirklichkeitsvorstellungen in den großen Medien, wird die Koexistenz nur weit entfernt von den Diskurszentren gestattet.

Zum Abschluss der Diskussion sei an dieser Stelle erneut das Zitat von Michel Foucault angeführt: „Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln der diskursiven ‚›Polizei‘ gehorcht (…)“ (23). Das ist der springende Punkt: Diese Zensur erlaubt zwar die Existenz von Diskursräumen, die außerhalb des von ihr geschützten Diskurses stehen. Eine diskursive „Polizei“ — welch ein wunderbar treffender Ausdruck — existiert und wacht darüber, dass nicht alles, was gesagt wird und gehört werden sollte, auch Eingang in den großen, von den Mainstreammedien erzeugten öffentlichen Diskurs halten kann.

Wer gehört zu dieser diskursiven Polizei? All jene, die aufgrund ihrer Positions- und Kapitalvorteile (zum Bourdieu‘schen Kapitalbegriff, siehe Kapitel 1.4) die Grenzen des als legitim betrachteten Diskurses abstecken. Und dazu gehören neben Politikern vor allem Vertreter großer Medien. Sie sind in der Lage, den Diskursraum zu öffnen oder zu verengen. Und ähnlich der echten Polizei verfügen auch sie über allerlei Möglichkeiten der Repression — von der sie auch Gebrauch machen (siehe dazu Kapitel 3.2).

Sobald es Akteuren einmal gelingt, nicht akzeptierte Diskursinhalte in Richtung Zentrum des Mainstreamdiskurses zu bewegen, greift die diskursive Polizei ein. Eine Zensurgewalt entlädt sich, die über die bloße symbolische Gewalt des Ignorierens hinausgeht. Die Abweichler vom etablierten Diskurs werden, je nach Umständen, mit harten publizistischen Bandagen bekämpft, ihnen wird der Glaubwürdigkeitsstatus abgesprochen und Akteuren, die sich innerhalb des Mainstreams bewegen, aber sich inhaltlich gegen ihn positionieren, droht die Exkommunikation. Wer sich ein klein wenig mit der Bedeutung des öffentlichen Diskurses, wie ihn die großen Medien erzeugen, aus machttheoretischer Sicht beschäftigt, wird schnell erkennen, dass in einer Demokratie der öffentliche Diskurs einer Arena gleichkommt, in der um die politische und soziale Wirklichkeit gekämpft wird.

Bei aller Bedeutung, die mittlerweile alternativen Medienformaten zukommt: Die — für Institutionen — verbindliche soziale und politische Wirklichkeit wird nach wie vor nicht auf einem alternativen Blog ausgehandelt, sondern innerhalb der Diskursplätze in den großen Medien. Das, was die großen Leitartikler in ihren Zeitungen schreiben, das, was am Abend in den großen Polit-Talkshows gesagt wird, lädt in einem komplexen Wechselspiel mit den Reaktionen und Entscheidungen aus dem politischen Feld „Herrschaftswirklichkeit“ auf. Anders gesagt: Was innerhalb dieser wirklichkeitserzeugenden Diskursarenen nicht vorkommt — nicht nur, aber auch: das Zensierte! —, kann nicht (oder allenfalls — unter bestimmten Bedingungen — und nur über sehr verschlungene Wege, und dann oft auch nicht effektiv genug) in den Prozess der sozialen und politischen Wirklichkeitsausformung einfließen.

Für ein demokratisches System, das Medien so gerne vorgeben zu schützen, ist dieser Ausschluss jener Ansichten, die nicht mainstreamkompatibel sind, pures Gift. Wenn Medien kollektiv und dauerhaft unliebsame Meinungen vonseiten der Bevölkerung aus der Berichterstattung raushalten, dann pervertieren sie eine ihrer Kernaufgaben, nämlich einen demokratischen Diskurs zu erzeugen und abzubilden. Die Stimme der Bürger — und jener Experten, die den Bürgern und nicht den Eliten zugeneigt sind —, die sich in einer lebendigen Demokratie auch auf den zentralen Plätzen der Medienöffentlichkeit in ihrer Vielfalt wiederfinden muss, ist als politisches Korrektiv ausgeschaltet. Die Auswirkungen dieser Realität sehen wir länderübergreifend in vielen westlichen Demokratien.

Die bisher in diesem Buch diskutierten sozialen Einflüsse aus denen heraus Zensur entsteht, greifen alle ineinander. Eine für sich betrachtet, kann bereits eine enorme Zensurkraft entwickeln. In ihrem Zusammenspiel führen sie zu jenem Zustand, der heute im journalistischen Feld vorherrscht. Ihr Zusammenwirken lässt weitreichende Zensur entstehen, welche Medienkritiker von einer „Gleichschaltung“ oder einer „ferngesteuerten Presse“ sprechen lässt. Wenn Bourdieu im Hinblick auf Felder von einer „Ding gewordenen Geschichte“ gesprochen hat, kann man hier auch von einem journalistischen Feld sprechen, dass Ding gewordene Zensur ist.

Die Zensur, die das gesamte journalistische Feld durchdringt, ist, wie vorne schon angesprochen, zwar einerseits so unübersehbar, man hat sie förmlich direkt vor Augen, aber, da nicht von einem Regime, von einem Zensor ausgehend, entzieht sie sich immer wieder geschickt dem Zugriff. Wenn man sie „packen“ will, zerfließt sie förmlich in den Händen. Bourdieu stellt fest:

„Kein Diskurs (wissenschaftliche Analyse, politisches Manifest und so weiter), keine Aktion (Demonstration, Streik usw.), die nicht, um überhaupt öffentlich diskutierbar zu werden, die Probe der journalistischen Auswahl bestehen müssten — das heißt eine erbarmungslose Zensur, die die Journalisten ausüben, ohne es überhaupt zu wissen, und bei der nur durchschlüpft, was in der Lage ist, sie zu interessieren, ihre ‚Aufmerksamkeit zu wecken‘, das heißt ihren Kategorien, ihrem Wahrnehmungsschema zu entsprechen, und bei der sie als unbedeutend oder gleichgültig symbolische Äußerungen zurückweisen, die es verdienen würden, alle zu erreichen“ (24).

Das journalistische Feld und die Akteure, die sich in ihm bewegen, senden die Impulse, die diese Zensur entstehen lassen, immer und immer wieder selbst aus — freiwillig. Sie prägen durch ihre sozialen Einflüsse den zensurhaften Moment und sie sind zugleich auch von ihm selbstgeprägt. Eine tief verinnerlichte Zensur entsteht, die von Journalisten, die sie ausüben, nicht erkannt, ja gar verleugnet wird.

Die journalistische Einordnung und Bewertung von Informationen und Sachverhalten gerät zu einer weltbildhaft unterworfenen Praxis. Eine zensurhafte Berichterstattung entsteht, die nach einer Art „höherem Schaltplan“ funktioniert. Und dieser Schaltplan liegt nicht ¬irgendwo bei einem Verleger, bei hochrangigen Politikern, bei Chefredakteuren oder einem Elitezirkel in der Schublade. Nein, Journalisten, die diesem Schaltplan folgen, haben ihn nicht ein einziges Mal in der Hand gehalten, denn er existiert nicht in physischer Form. Er ist vielmehr Teil einer durch Sozialisation erfolgten ›inneren Programmierung‹, die handlungsleitend im journalistischen Feld ist. Lassen wir abschließend noch einmal Bourdieu zu Wort kommen:

„Die Journalisten, die im Übrigen viele Gemeinsamkeiten aufweisen, solche der beruflichen Voraussetzungen, aber auch der Herkunft und Ausbildung, lesen einander, sehen einander, begegnen sich bei Debatten, bei denen man immer auf dieselben Gesichter trifft, und all das führt zu einer Geschlossenheit des Milieus und — scheuen wir uns nicht, es auszusprechen — zu einer Zensur, die ebenso wirksam ist wie die einer zentralen Bürokratie, eines förmlichen politischen Eingriffs, ja wirksamer noch, weil unauffälliger“ (25).



Quellen und Anmerkungen:

(1) Bourdieu, Pierre: Interventionen. 1961 bis 2001. Band 3 und 4., Hamburg 2004, Seiten 168 bis 169.
(2) Müller, Beate (Herausgeber): Zensur im modernen deutschen Kulturraum, Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Band 94, Berlin 2003, Seite 2.
(3) Ebenda.
(4) Ebenda.
(5) Ebenda.
(6) Ebenda.
(7) Ebenda.
(8) Ebenda.
(9) Ebenda.
(10) Ebenda.
(11) Müller 2003, Seite 3.
(12) Müller 2003, Seite 4.
(13) Ebenda.
(14) Müller 2003, Seite 5.
(15) Ebenda.
(16) Müller 2003, Seite 6.
(17) Ebenda.
(18) Ebenda.
(19) Ebenda.
(20) Ebenda.
(21) Ebenda.
(22) „Auch in Deutschland werden Forschungsgelder aus der freien Wirtschaft immer wichtiger. Laut Hochschulwatch.de fließen jährlich rund 1,4 Milliarden Euro aus der Wirtschaft an deutsche Hochschulen. Drittmittelakquise ist geforderter Standard, nicht zuletzt für die eigene wissenschaftliche Karriere. Diese Abgabe öffentlicher Forschung durch Orientierung an wirtschaftlichen Interessen schafft damit auch in Deutschland Wissenschaftsräume, die eben nur eine wirtschaftlich und politisch anwendbare Art der Forschung unterstützen.“ Tröger, Mandy: „Google sucht Dich“. US-Technologiekonzerne und die Talentenjagd an deutschen Unis, in: Michael Meyen (Herausgeber), Medienrealität 2019. https://medienblog.hypotheses.org/5417 (Zugriff: 10. April 2019).
(23) Foucault, Michael: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 1991, Seite 25.
(24) Bourdieu 1998, Seite 67.
(25) Ebenda Seite 33 ff.


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