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Menschliches, Allzumenschliches

Menschliches, Allzumenschliches

Muster der Empörung und Diffamierung finden sich auch in der Kritik an den Machtverhältnissen.

Zweifelsohne haben nicht wenige die Repression westlicher Demokratien erkannt. Das verwundert nicht sonderlich, kamen diese in Coronazeiten doch in einem Ausmaß daher, dass es nur linken und grünen Kreisen möglich war, sich darin wohlig einzunisten. Indes, ich habe lange genug in „dissidenten“ Texten gelesen, präzise genug zugehört, bei Diskussionen, „alternativen“ Gesprächsrunden und wo auch immer, um sie auch da nicht zu verkennen: die Muster, die „uns“ schneller einholen, als „uns“ lieb ist. Menschliches, Allzumenschliches. Gerne auch mit „Faschistisches“ zu übersetzen. Indes, man kann diese Übersetzung vollziehen, man kann sie getrost lassen, an der Wirklichkeit selbst ändert das nichts.

Nun, wenn ich dieses Menschlich-Allzumenschliche auch in dissidenten Kreisen antreffe, so nicht nur bei jenen („diese“ und „jene“ und „solche!“ ― ich komme darauf zurück), die mit der Umstellung der Maschinerie vom Virusmodus auf Blau-Gelb wieder dabei sind beim großen Wir und dessen Gebrüll. Ich treffe es auch da, wo im Glauben agiert wird, gegen die Maschinerie anzugehen. Und das ist der Auslöser für diesen Text.

Storytelling

Dieses Antreffen an scheinbar überraschender Stelle hat zunächst bestimmt einmal mit der Arglosigkeit einiger Muster zu tun, allem voran dem Storytelling. Storytelling gut gemacht: Mensch, Daniel, ist doch zu begrüßen! Diese Haltung herrscht nicht nur beim WDR. Auch die Kritischen wollen gelesen, gesehen werden, wollen ankommen. Nein, zu begrüßen ist das eben nicht. Aber wie das erklären, wenn es schnell gehen muss?

Storytelling als mediale „Geistesfigur“ ― ein Widerspruch in sich, ich weiß ― hat diese Kultur geprägt. Dem TV sei Dank. So geprägt, dass ― darauf bauend, Bauklotz für Bauklotz ― Folgemuster wie Empörung und Diffamierung nahtlos greifen können. Wirklichkeiten, die in Strukturen stecken wie etwa institutionalisierte Gewalt dagegen, bleiben außen vor. Storytelling ist nicht auf institutionalisierte Gewalt aus und Machtverschleierung geht mit Storytelling, dem barrierefreien Geplauder von Mensch zu Mensch und ihrem syntaktisch-kognitiven Kahlschlag in gehirntechnischer Hinsicht, Hand in Hand.

Schaust du noch Fernsehen? Hörst du Radio? Welche Sendungen schaust du dir an? So ungefähr ― ich habe aus mehreren Beispielen zusammengetragen ― beginnt eine kritische Sendung zum Journalismus auf einem alternativen Kanal. Die Fragen allein machen klar, was einen erwartet. „Kritische Sätze“ mal da, mal dort. Unaufgeregt. Das alles in einem machtpolitisch aufgeräumten Feld, dem erlaubten Korridor. Die Sätze markieren: Es geht von Mensch zu Mensch und nimmt Grundmuster des Rankings auf: Ich finde, du findest, mir gefällt, gefällt nicht. Menschlich-allzumenschlich eben. Die Substrukturen solcher Sätze stellen sicher: Da passiert nichts Böses, nichts Abartiges und die Macht findet sich von allem Anfang an gebettet und verschleiert. Bekenntnisse, Bekundungen. Wie war das bei dir? Was denkst du? Und wie ist das mit der smarten Welt? Mit dem bargeldlosen Bezahlen?

Man kann die Geschichte nicht zurückdrehen, wird gesagt ― ich bin wieder auf der Beispielebene. Das ist gesichert mit den ersten Fragen des Moderators, die an nichts herumdrehen und schon gar nicht zurück. Bin ich hier beim ZDF? So auch vom Design her mein erster Eindruck. Nein, man kann nicht zurückdrehen. Wird in der Mitte des „Gesprächs“ also gesagt, wo es um Technologie geht. Technologie als Schwester der Diktatur: Das war eine Erkenntnis von Gilles Deleuze. Aber wer war schon Gilles Deleuze und zurückdrehen, wie gesagt, will keiner, nicht mal in Gedanken, schon gar nicht in Gedanken.

Indes, der Satz mit dem „Nichtzurückdrehen“ ― und ungesagt: dem, was man dadurch alles schluckt ― stand zu Beginn der Sendung fest, denn die Sendung selbst dreht nicht zurück, sondern mit. Man will das Publikum erreichen (will ich das nicht auch?, bloß mit welchen Mitteln?...).

Nur wie einer ― ich bin noch immer in einer aus Beispielen konstruierten Gesprächssendung ― sagt, da seien Eliten am Werke, die das Ganze steuern, weil es nämlich Handlungen brauche, damit etwas zustande käme, und die Dinge nicht einfach vom Himmel fielen, wie einer also das sagt und das Wort „Eliten“ in den Mund nimmt ― ein alter Hase, der noch an Ursache und Wirkung glaubt statt an Korrelation und Excel-Tabellen ―, wie der sagt, dass das Verschwinden des Mittelstandes kein magischer Vorgang sei, sondern ein herbeigeführter Prozess, muss kurz eingegriffen werden. Dass der Mittelstand mit Corona bald verschwunden sei und die Konzerne astronomische Gewinne erzielten: okay, stimmt. Dass aber Eliten dahinter stünden, das sei dann vielleicht doch das „Verschwörungstheoretische“ daran. Auf einem „alternativen Kanal“ das alles und von bunt-dezenten Farben ausgeleuchtet und von einem ebenso artig klatschenden Publikum schemenartig gerahmt.

Die anthropologischen Konstanten werden deutlich ― allein in der Ästhetik, die auch in diesem Studio ein Design ist: Auch das, nein, vor allem das kann man nicht zurückdrehen. Schon durch die Dramaturgie, die szenische Aufteilung von Sprechenden und Klatschenden und die Weise, wie in die Kamera geguckt wird, sind die Konstanten sichtbar. ZDF mit etwas weniger Geld, aber doch fast ZDF und als wärs auch Ziel, ZDF zu sein.

Aufzuzeigen ― hier nur als Spekulation angeführt ― wäre noch, dass die gleichen Konstanten auch am Werk sind, wenn die Polizei gegen Demonstranten durchgreift (kann man auch nicht zurückdrehen). Am Ende sogar eine ähnliche Designpräferenz. Nur anlassbezogen inverse. Aber zugegeben: Das ist ein weiter Bogen, erkenntnistheoretisch gesehen, und die Anlage ― Wie ist das bei dir gewesen, bei dir und deiner kritischen Einstellung zum Mainstream? Wann und wie wurde dir mitgeteilt, dass du gehen musst? Wie war das, als du zum letzten Mal beim Sender warst? Wie haben Kollegen reagiert? Wann hast du zum ersten Mal also nicht Sex gehabt, sondern gemerkt, dass etwas nicht stimmt mit dem Journalismus? ― Die Anlage also, Storytelling von Mensch zu Mensch, stellt sicher, dass die Verbindung von den Mustern im alternativen und ans ZDF erinnernde Studio zum Polizeieinsatz nicht gezogen werden. Einfach ausgeschlossen. Repression kann lächeln. Repression soll auch lächeln.

Storytelling geht von Mensch zu Mensch. Und mehr noch: Es ist alles ganz menschlich dabei. Nicht hirnlastig, sondern ehrlich. Es geht von dir aus, von mir. Und wenn einer das kritisiert (ich habe mich mal getraut bei einem Treffen kritischer Autoren), dann heißt es: So mach es doch besser.

Storytelling meidet die komplexe Syntax. Es verwendet die Sprache, die Menschen verstehen. Die Wir verstehen. Bin ich im alternativen Fernsehstudio, bin ich bei einem Wir gelandet. Und die Moderation spricht auch explizit von Wir und rechnet noch ein euch mit hinein. Zu glauben, es gäbe in dieser Konstellation die Anderen nicht, die Ab-fallenden, wäre allerdings ein Irrtum. Bei jedem Begehren anzukommen, dabei zu sein, ein Publikum zu erreichen, nicht einsam zu sein, fallen einige ab. Notgedrungen.

Machenschaften, Umtriebe

Ich verlasse das Harmlose, gehe zu schärferen Formen über. Ausgangspunkt der Repression bleibt aber das Wir. Eine Gruppe, ein Bund, eine Masse, in der Sprecher und Adressaten auf mythische Weise zusammenfinden. Ingeborg Bachmann nennt diese Zusammenkunft „Das blaue Wild jagen“. Eine der schärfsten Metaphern der ganzen Literaturgeschichte. Dieses Wir ist nicht hintergehbar und bleibt ― weil mythisch ― unscharf, dubios, kollektiv und am Ende ohne Verantwortung. Das einzig inhaltlich Konkrete an diesem Bund ist seine fortwährende Setzung der Gegengruppe, die Setzung der Aus-geschlossenen, Aus-gegrenzten, des Anderen, des Ab-falls.

Bei dieser Setzung nicht auf die Seite das Ab-falls zu liegen zu kommen, ist die Lebenskunst und Voraussetzung zur Teilnahme am Wir. Es ist der negative Ab-fall, was der Sprechinstanz die moralische Legitimation und alle denkbaren Berechtigungen zuschreibt für die darauf gründenden Handlungen bis hin zur Exekution dessen, was das Wir als fremd, anders, nicht es selbst seiend begreift. Die Liebe zur Exekutive ist ein vorrangiges Merkmal.

Als Fundament fungiert bei der Setzung des Ab-falls durch das Wir ― und also beim Wir durch den Ab-fall ― die Empörung: Das ist die anthropologische Konstante. Sie funktioniert immer, funktioniert schnell, eilt jeder rationalen Reflexion voraus und lässt sich niemals einholen. Und sie funktioniert auf der Grundlage einer Moral ― ohne Moral keine Empörung ― bestehend aus einem einfachen Verhaltenskodex, der zur Hauptsache in seiner „inversen“ Form der Abweichung interessiert: Skandale. Und die Zersetzung der darin Verknüpften fungiert als Trost für jene, die brav bleiben. Sedativum.

Mit dieser einfachen Anlage lässt sich trefflich spielen, vor allem wenn das Ganze in concreto auf Sexualität zielt. Aber auch Drogen und andere Formen, sich einer ab-fallenden Wirklichkeit zu verschreiben, taugen, wenn gut aufbereitet (dass Drogen selbst ebenso als Sedativum und also machtstabilisierend wirken können, ist evident, hier aber nicht das Thema). So ist neben dem sexuellen der politische Unhold dazugekommen. Begriffe wie Verschwörungstheoretiker, Nazi und Querdenker entwickeln ihre Schlagkraft daraus.

Die negative Kennzeichnung lässt sich sodann über Kontaktschuld potenzieren, damit dem Bund ― dem Wir ― eine genügend große Gefahr entgegensteht. Zahlenmäßig zu groß soll die zwar nicht sein, weil ansonsten plötzlich zur Norm, zum neuen Kodex werdend ― so wurde die Zahl der Demonstranten an den Augustdemonstrationen in Berlin 2020 vom Mainstream auf ein vertretbares Maß gesetzt ―, aber groß genug, um Repression und Exekution ins Licht der Notwendigkeit zu rücken. Schutz und Sicherheit der Artigen.

Seinen Höhepunkt erreicht dieser „anthropologische Mechanismus“ in der Diffamierung qua Attacke ad personam und ihrer Kennzeichnung, also der Stempelung. Diesem ganzen Prozess liegt durchgehend ein personalisiertes „Denken“ zugrunde ― in Absetzung von einem Denken in Strukturen ― und die kleine Schwesterfigur dazu ist das Storytelling, welche die Erziehung zu strukturfremdem „Denken“ über menschlich-allzumenschliche Formen auf ganz arglose und sympathische Weise vorformt und sicherstellt. Von du zu du, geglättet, barrierefrei. Über diesen Mechanismus wurden Hexen geschaffen und entsorgt, Juden natürlich auch. Gleiches gilt für manch andere in Schubladen Gegengebündelte, deren Stigmatisierung der Massensteuerung dient beziehungsweise der Produktion korrekter Urteile und Haltungen.

Handlungen Ad-personam-Attackierter werden durchgehend ins Irrationale verschoben und mit entsprechenden Begriffen, etwa „Machenschaften“ oder „Umtriebe“, gefasst. Diese Begriffe eröffnen allein durch ihre semantische Unschärfe Projektionszonen für Bedrohungen, die aus dem Tun der Ausgegrenzten hervorgehen.

„Machenschaften“ und „Umtriebe“, etwa von Reichsbürgern ― und mögen es nur 15 Stück sein auf eine Nation mit 80 Millionen ―, sind gefährlich und rufen wie von selbst nach Sicherheit und exekutivem Durchgreifen.

Dem Wir als Pronomen des Bundes, von dem die Ausgrenzung ausgeht (Lateinisch „fascis“ = Rute, Bund, Bündel), kommen keine präzisen Merkmale zu. Das Wir, das die Bösen gegenbündelt und dergestalt Norm- und Ab-Norm kennzeichnet ― und sich notabene durch diese Kennzeichnung von Diffamierten und deren Vermehrung über Kontaktschuld (ein wichtiges Submuster) in einem fort erschafft und an der Macht hält ―, ist in sich selbst diffus und unklar. Und das muss so sein, auf dass dieses Wir nicht zu fassen und keiner Verantwortung zu überführen wäre.

Etwas aber ist an diesem Wir klar, nämlich das Selbstverständnis, aus dem heraus es agiert. Und das ist so ziemlich genau „der gesunde Menschverstand“ beziehungsweise „das Gesunde“ überhaupt, von dem dann „ganz natürlich“ das Un-gesunde, Ab-artige und Ent-artete abfällt. Wer nicht im Wir ist, im Bund, ist zwangsläufig im Kranken. Dieses Grundmuster war nicht nur paradigmatisch abzulesen bei der ganzen Nazipropaganda, es ist vielmehr jene tradierte, jeder Propaganda vorausgehende anthropologische Anlage, auf die Empörungsbewirtschaftung verlässlich bauen kann und die auch beim Coronadurchgriff lehrbuchmäßig zum Anschlag gekommen ist, gesteigert daselbst durch die digitale Ausweitung der Prozesse bis hinein ins Gehirnphysiologische. Gleichwohl, Steigerungen sind auch weiter möglich, der durchorchestrierte blau-gelbe Kriegsgeifer zeigt es eindrücklich: Das Russenbild in den deutschen Medien und in der deutschen Politik ― Geschichtsklitterung inklusive ― ist vom Russenbild Adolf Hitlers in nichts zu unterscheiden, ja, toppt dieses mitunter gar.

Nur beim Mainstream?

Dass Jeffrey Epstein ― er fungiert in meinem Text als Modell ― in kritischen Analysen zuhauf anzutreffen war und ist, versteht sich. Epstein hatte strukturelle Bedeutung hinsichtlich bestimmter Kapitaltransaktionen, in die auch Entscheidungsträger mit erheblicher Kapital- und politischer Macht involviert waren. Was ich aber im Fokus stehend antraf, war nicht strukturelle Analyse, sondern Epstein als „framende Story“ zum Zwecke der Empörungserzeugung. Nur waren es daselbst nicht Machenschaften und Umtriebe von Reichsbürgern und Querdenkern, sondern „pädophile Machenschaften und Umtriebe“. Und so fand ich die der Empörungsentfaltung zuspielende Schwammigkeit der Semantik also in die Sprache der Machtkritik selbst verlegt und die Tür für Konnotationen im „schmutzigen“, amoralischen Bereich ― von Moral und Amoral ist auch in der Dissidenz viel die Rede ― weit aufgestoßen.

Erzeugung einer „gesunden“ Empörung über „derartige Machenschaften“ zwecks Erzeugung einer Empfänglichkeit für die eigentliche Kritik: So muss ich das deuten. Denn es kann Kritikern, die einem globalen Totalitarismus entgegentreten, ja nicht um das Leben und Wirken eines Jeffrey Epsteins als solchen gehen. Dass diese „Strategie“ ― wenn es denn eine ist und nicht vielmehr ein nichtreflektierter Durchschlag der postulierten anthropologischen Konstante ― nicht aufgeht, ist evident, werden dabei doch die Machtmuster bedient und tradiert, mit denen die Kritik selbst mundtot gemacht worden ist und wird.

Und ich rede, wenn ich solche Muster nun aufseiten der Kritik ausmache, nicht von Visionen über Tausende von Bunkern weltweit, in denen Kinder als Sexsklaven von den Eliten gehalten würden. ― Als Metapher übrigens ist das vielleicht ernst zu nehmen: Es lässt sich ja in der Tat strukturell fragen, ob Kinder in einer digitalen Zivilisation nicht versklavt seien. ― Ich rede auch nicht von Pizzagate und dem Speiseplan der Clintons, auf dem regelmäßig Kinder als Bestandteil fungieren sollen ― ich schließe nichts a prio aus, bloß: Auch nur eine glaubwürdige Quelle für diese Art der Elitendekonstruktion ist mir weder begegnet noch gereicht worden. Ich rede von Texten, die eigentlich seriöse Machtanalyse betreiben und diese Analyse ― beispielsweise der flächendeckenden Steuerung der Massen über Medien und Unterhaltungsindustrie durch CIA, Pentagon und den militärisch-industriellen Komplex ― einbetten eben in Skandale, in Ab-artiges, Ent-artetes, in Muster, die zuverlässig Empörung evozieren und die bei dieser Einbettung übrigens nicht selten die gleichen Quellen unhinterfragt benutzen wie die Leitmedien, so etwa Referenzen auf MeToo, als wäre das eine machtkritische Instanz und nicht eine mustergültige Kampagne der Macht selbst.

Ich stelle fest: Es gibt keine Beziehung in der Sache zwischen MeToo-Skandalen oder Epsteins Mädchen- und Fraueninsel einerseits und der Massensteuerung durch CIA und militärisch-industriellen Komplex des Westens andrerseits.

Das Diktat dieses Komplexes ist mit oder ohne Epstein, mit oder ohne Prinz Andrews Sexpräferenzen, mit oder ohne MeToo-Skandalen gänzlich dasselbe. Fallen die Skandale, fallen die „Machenschaften“ weg, so ändert sich an der Steuerung auch nicht das Geringste. Der Versuch, das totalitäre Handeln beziehungsweise die Massenmanipulation mit Empörungstriggern zu „framen“, bedeutet zu Ende gedacht nichts anderes, als eine Verharmlosung dieses Handelns und damit des Totalitarismus selbst. Skandalisierungen ziehen wie nichts Kritik von den Zentren der Macht ab und leiten auf Storys über, auf Gesichter, Personen, die austauschbar sind, und deren „Opferung“ ― alte weiße Männer eignen sich momentan gut, wenn sie nicht gerade Soros, Bezos oder Gates heißen ― die Kapitalmacht stabilisiert. Der Machtgebrauch rückt so aus dem Zentrum, die Emotion übernimmt. Das Handeln von Personen erzeugt Empörung, die Verhältnisse bleiben unangetastet. Banal. Das ist der Sinn von Moral.

Wer so vorgeht, kopiert das Vorgehen der Coronisten, mit dem gewichtigen Unterschied, dass der Einsatz aus Sicht jener ― verstanden als Marionetten der Macht ― durchaus Sinn machte, weil Macht alles Interesse hat, keine Machtverhältnisse anzuzeigen und stattdessen Emotionen zu bedienen, Emotionen, die sich gezielt ― mit weiteren Sedativa ― behandeln beziehungsweise kontrollieren lassen.

Sexuelle Attribute

Ein etwas genauerer Blick auf das Empörungsparadigma im Verbund mit „abartiger“ Sexualität ist noch zu werfen. Epstein ― ich verhandle ihn weiterhin Pars pro Toto ― fiel durch die Stempelung mit dem Attribut „pädophil“ aus dem Kodex der Gesunden und nicht durch das Kapital, das er angehäuft hat (viele Kritiker der Coronamaßnahmen waren und blieben ja auch immer naive Verfechter des Kapitalismus, diesen mit freiem Markt verwechselnd). Über diese „Attributisierung“ wurde er stereotyp zu einem „solchen“, über den das Urteil, weil in dieser Kategorie gelandet, per se und im Grunde irreversibel gesprochen ist. Aus dem Kodex der Gesunden fielen auch die Hexen und auch bei ihnen spielte beim Ab-fall in vielen belegten Fällen Sexualität mindestens mit eine Rolle: abartige Sinnlichkeit, Verführungskünste ― zuweilen auch Kinder betreffend. Auch das Attribut „schwul“ war und ist stellenweise noch immer ein sexuell konnotiertes Aussortierungsattribut.

Sexualität, über verschiedene Kulturen und Zeiten hinweg, ist ein guter, wenn nicht der beste Nährboden für Moral und Empörung. Nichts zieht diese so leicht auf sich wie die „Abartigkeit“ in erotischer beziehungsweise sexueller Hinsicht, und gänzlich leicht ergibt sich daraus die Schublade, die ― in der Argumentation, in der sie Anwendung findet ― keiner weiteren Erklärung bedarf. Mit „diese“, „jene“, „solche“, kurz: mit der Schublade selbst ― die Abgrenzung vollzieht sich durch das Aussprechen ―, ist alles gesagt und jede Gegenrede steckt den, der sie führt, mit in die Schublade hinein. Der darauffolgende Pranger aber wird ausgekostet, als müsste das Einhalten der Normen in diesem Feld besonders hoch „ent-schädigt“ werden.

Und gar schnell ist man in diesem Bereich über das Muster der Kontaktschuld mit bei den Diffamierten. Ja, es ging reichlich zügig auch bei der Covidioten-Gegenbündelung: Entdeckten die Kameras der Öffentlich-Rechtlichen eine einzige Reichsbürgerflagge an einer Demonstration ― und dass die schnell entdeckt war, dafür sorgte mit Verlass das Arrangement ―, so rückten alle Anwesenden in Nazinähe.

Indes, vergleichbar nahtlos wurden in etwelchen dissidenten Texten ― allein durch den sprachlichen Kontext ― all jene zu Beteiligten an „pädophilen Machenschaften“, die mit Epstein auf die Insel oder gar überhaupt nur mit ihm geflogen sind. Namenslistungen, ohne Belege, stellten das sicher. Und wenn eine Hannah Arendt im Bestreben, ihr und mit ihr pars-pro-totomäßig linken Intellektuellen generell eine Schuld an der Entwicklung hin zu totalitären Strukturen zu geben, ohne jeden Zusammenhang in der Sache als Heidegger-Geliebte „geframt“ wird, so zeigt dieses hier bloß ergänzend eingestreute Beispiel, dass das Muster der Kontaktschuld im Zusammenhang mit Sexualität auch abseits von Epstein bedient wird, erst noch in einer Verschränkung mit Nazinähe. Wie gesagt, ich füge das an dieser Stelle als Randvermerk an und greife es vertieft in einem separaten Text auf, der sich mit Elementen reaktionärer Ideologien in der Coronakritik beschäftigt.

Nun, selbst wenn für einen Teil derjenigen, die sich über das Muster der Kontaktschuld bezüglich Epstein gelistet und gestempelt sehen, der Vorwurf der Gewaltanwendung gegenüber jungen Frauen und Jugendlichen auf Epsteins Insel zuträfe, selbst dann entzöge die Verwendung menschlich-allzumenschlicher Muster im Sinne der Empörungsbewirtschaftung der Kritik an der Macht ihren eigenen Boden. Es bedeutet, ich wiederhole mich: Da wird mit gleichen Mitteln vorgegangen. Und wechseln Machtverhältnisse, so bleiben die Muster stabil. Und mit ihnen die Macht. Boris Reitschuster als Bundeskanzler ― was wäre gewonnen?

Prüderie als Basis der Kritik

Die in manch kritischen Texten vorgefundenen Verweise auf „Sündenpfuhls“ (so gelesen), auf „wilde Orgien“, auf VIP-Sex-Clubs und Drogenexzesse zur Kennzeichnung der Macht ― Hunter Biden ist ein weiterer Namen, der fragen lässt: Wird Macht dekonstruiert oder wird in Skandalen gewühlt? ― bestätigen Prüderie als moralische Vorzugsbasis für Empörungsbewirtschaftung. So ist der „Mechanismus“, Empörung ausgehend von einer „gesunden“ und naturgemäß auf ihre destruktiven Seiten hin niemals reflektierten Moral zu erzeugen, in weiteren Themenkomplexen beziehungsweise weiteren Kritikfeldern anzutreffen.

Bei der Kritik am Genderismus, die ich hierfür stellvertretend kurz beleuchte, wird ― weil auf Empörung zielend ― der konzerntechnologisch-imperialistische und anti-emanzipative Kern verkannt und stattdessen der „kritische Fokus“ auf äußere Erscheinungsformen gelegt ― da schließt sich der Kreis zur Epstein-Verwendung ―, bei denen Sex und Kinder in „ungesunder Weise“ ― im Urteil der moralisierenden Kritik ― zusammenkommen. Die Empörung darüber, dass elfjährigen Mädchen oder Knaben eine Geschlechtsumwandlung nahegelegt oder dass mit ihnen über die „Anoperation“ eines Penis gesprochen wird, ergibt sich ― vorgetragen aus besagter Prüderie heraus ― nicht, weil institutionell in eine individuelle Entwicklung und generell in die Biologie eingegriffen, nicht weil durch diesen institutionellen Einfall die Autorenschaft in Bezug auf Körper und Sexualität entrissen, nicht weil hier über die technizistische Ideologie der Machbarkeit eine existenzielle, pharmazeutische Abhängigkeit implementiert würde ― Smartphones mit einem vergleichbaren Ausmaß an Autonomieverlust werden den Kindern bedenkenlos „anvertraut“ ―, sondern weil eben Elfjährige mit Sex doch nichts zu tun haben sollten.

Der Genderpropaganda qua ideologisch-konkretem Übergriff wird ― ich rede weiterhin von einem nicht unbedeutenden Segment der Kritik am Globalismus und vermute gar, es handle sich um den überwiegenden Teil ― sodann ein tradiertes Familienbild entgegengestellt, als hätte es Unterdrückung und Gewalt in der kleinbürgerlichen Familie nie gegeben. Die problematische Instanz einer tradierten Familie, das versteht sich, ist in keiner Weise ein Argument für den viel monströseren Durchgriff einer von Traditionen gesäuberten Kapitalexekutive, die jeden familiären Despotismus in den Schatten stellt. Gleichwohl bleibt eine Kritik basierend auf einer kleinbürgerlichen Moral und auf Empörung auslösende äußere Formen des Genderismus gerichtet selbst einem reaktionären und zu Ende gedacht totalitären Rahmen eingeschrieben.

Der gleiche reaktionäre Kern, wenngleich nicht über einen primär sinnesfeindlichen Sexualkodex ausgelöst (Sigmund Freund würde das zwar behaupten ...) zeigt sich teilweise ebenso, wenn gegen die Tilgung von Nationalstaaten durch eine korporatistische „World Governance“ angedacht wird. Dabei wird ― vergleichbar mit dem Herausstellen der Familie als heile Instanz, bloß eine Ordnungsebene höher sozusagen― gerne vergessen, wie despotisch Nationalstaaten gegen Menschen beziehungsweise ganze Bevölkerungsgruppen, Schichten und Klassen vorgegangen sind ― ich erinnere nur an Zwangssterilisierungen von Jenischen im Europa Mitte im 20. Jahrhundert. Nationalstaaten sind allein deshalb, weil sie augenblicklich dabei sind, von globalen Instanzen ausgelöscht zu werden, nicht „gut“. Ihre Gegnerschaft zum Globalismus macht sie in der Substanz nicht besser. Das gilt auch dann, wenn man keine andere Größe zur Verfügung zu haben meint, die man diesem Globalismus entgegenstellen kann. Selbstredend gibt es gute strategische Gründe, dem Nationalstaat gegenüber einem globaltechnizistischen Überwachungsstaat den Vorzug zu geben, doch sollte der strategische Charakter einer solchen Argumentation ausdrücklich offengelegt werden. Die zahlreichen verheerenden und monströsen Ungeheuerlichkeiten von Nationalstaaten ― die übrigens ebenso munter drauflos digitalisieren ― und überhaupt von Staaten, Staatsstrukturen und institutionalisierter Gewalt darf jedenfalls nicht ausgewischt werden.

Lösung als Teil des Problems

Beim Versuch, den desaströsen Lauf der Dinge zu bremsen, wird oft ― ich komme zum Schluss dieses Essays ― auf Errungenschaften und Leistungen unserer Zivilisation wie Staat, Wirtschaft, Technologie, Wissenschaft, Kultur verwiesen, um eben „bewusst zu machen“, was gerade dabei sei, unwiederbringlich verloren zu gehen. Auch wenn das mindestens in dieser Hinsicht stimmt, als diese westliche Kultur einiges an emanzipativen und machtkritischen Traditionen kreiert hat, die vom Technoglobalismus ausgelöscht werden und schon ausgelöscht worden sind, so muss ein kritischer Blick ebenso darauf verweisen, dass bedeutende Muster der Vernichtung exakt diesen Errungenschaften, besonders auch der Technologie, bereits mit eingeschrieben waren. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) und seine technizistischen wie imperialistischen (und bübischen) „One-World-Visionen“ ― in der Konkretion auch der Coronadurchgriff ― sind eben nicht aus ein paar „technoskeptischen Nudisten“ (wird als Argument tatsächlich geführt; auch dazu mehr in einem separaten Text, der sich mit reaktionären Ideologien beschäftigt) hervorgegangen, sondern vielmehr im Kapital selbst und in der ihr zugehörigen Technologie strukturell und inhaltlich angelegt.

Dieses „Angelegtsein des Desasters“ in dem, was man nur allzu gerne der globalen Technokratur und also dem Desaster entgegengestellt ― Familie, Nationalstaat, zivilisatorische Errungenschaften und nicht zuletzt Moral ―, spiegelt sich beim „Argumentieren“, das ich in der „Dissidenz“ vorgefunden habe: Auch da werden Muster kolportiert, welche von der Macht just auf die Kritik selbst angewandt werden. Die Empörungsbewirtschaftung, Hauptfokus dieses Beitrags, legt das gänzlich frei. Empörung und Erkenntnis passen schlecht zusammen. Empörung und Macht hingegen gut.

Dieser Beitrag ist nicht darauf aus, in „jener“ oder „dieser“ Kritik menschlich-allzumenschliche ― und also, falls man die Übersetzung zulässt, faschistische ― Muster freizulegen. Ich habe deshalb bewusst die mir bekannten Beispiele zu Modellbeispielen umgeformt, ohne Quellen anzugeben. Das kann man kritisieren. Dieser Text, in dieser Form, indes unterstellt keiner Person und keiner Instanz irgendein Handeln oder einen bestimmten Inhalt und will das auch nicht. Auch deshalb nicht, weil ich davon ausgehe, dass sich die Parallelen bei der Argumentation, aufgezeigt in diesem Essay, weitgehend ohne Bewusstsein und ohne bewusst gesetzten ideologischen Hintergrund ergeben und stattdessen als anthropologische Konstanten einzustufen sind.

Der Text versteht sich in diesem Sinne als reiner Gedankentext, nicht als Recherche oder Ähnliches. Sollten Leser zum Schluss kommen, dass die hier herausgearbeiteten Muster, als Beispiele modelliert, die Wirklichkeit nicht treffen, die ihnen bei der Rezeption von Machtkritik begegnet, so wäre dem nichts weiter beizufügen. Sollte aber ein gegenteiliger Schluss erfolgen, so ginge es in der Folge darum, sich diesen Mustern zu stellen und zu fragen, wie sie zu ändern wären, und nicht darum, eine Suche nach den die Modellbeispiele motivierenden Einzelfällen auszulösen.


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