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Merkels Raute

Merkels Raute

In der Ära Merkel entwickelte sich eine Einheitspartei, die nun mit Corona unübersehbar zum Vorschein kommt. Teil 1/2.

Ganz und gar nicht souverän erscheint er, der Souverän. Kein Sprechen mehr. Kein Augenblicken mehr. Kaum Lachen noch. Fratzen hinter dem Maulkorb und reichlich Leere. Schlafwandeln stattdessen, schläferisches, aber auf Abstand bedachtes Taumeln und allenthalben nebulöse Ratlosigkeit und viel Angst bei uns Zeitgenossen. Seit Monaten, seit beinahe einem Jahr nun schon. Da will es dann mit dem Aufwachen nicht so reibungslos klappen. Eine Narkose zeigt mitunter unerwünschte Nachwirkungen. Die Narkosen der frühen Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts konnten es in sich haben.

Ich erinnere noch gut einige Backpfeifen, die meinen Aufwachprozess nach einer medizinisch notwendigen Einschläferung unterstützen sollten. Doch vielleicht täten ein paar solcher Backpfeifen gut, um dieser Tage aufzuwachen, zumal unsere aktuelle Einschläferung keiner Notwendigkeit entsprang, auch wenn politische Einimpfung sie noch immer unterstellt. Man darf sie sich auch selbst verabreichen, gern morgens vor dem Spiegel, um festzustellen, man ist wieder oder überhaupt einigermaßen bei Bewusstsein. Dabei könnte man dann gar bemerken, etwas hat sich verändert.

Diese Veränderung vor Augen lässt Oskar Roehler in seinem jüngsten Roman Selbstverfickung in Anlehnung an Franz Kafka schreiben:

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, stellte er fest, dass er nicht mehr linksliberal war. Und das war in dieser Gesellschaft schlimmer, als sich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt zu haben.“

Nicht jede Linksflucht ist aber ein Rechtsruck!

Staatlich verordneter Schlaf nun führt zu diffusen Unruhezuständen. „Es ist alles verrottet“, schrieb bereits am 24. April 2013 der französische Publizist Olivier Guez mit Blick nicht allein auf die französische Situation in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung — „Es liegt was in der Pariser Luft“ — und legte nach, „die politische Klasse (sei) diskreditiert“, habe sich vor allem aber „als unfähig erwiesen“.

Diese Beobachtung hatte vielleicht nicht zuletzt damit zu tun, dass sich länger schon eine allgemeine Schläfrigkeit über die Bürger der einzelnen europäischen Staaten legte, weil europäische Politiker es unternahmen, alles Politische aus der Gesellschaft zu verbannen. Unpolitischer Schlaf ist ja schließlich gesund und eignet dann hervorragend, das Wahlvolk hinsichtlich des Desinteresses zu brandmarken — als gesinnungslos, politikverdrossen, demokratiefeindlich, hochgefährlich.

Von Albträumen und Wünschen

Wundert man sich somit ob der politischen Heuchelei über ungute Traumsequenzen? Bilder einer völlig verlotterten und enthemmten Politikerkaste steigen auf. Wie die berühmte Made im gelobten Speck lebt diese Gesellschaft, denn es lebt sich gut von unserem Steuergeld. Und was noch übrig bleibt von den Dukaten, so fügt sich der Gedankensplitter albtraumhaft, wird hinausgetragen nach Brüssel oder sonst in der weiten Welt verschenkt.

Offensichtlich genügte das unseren Volksvertretern noch immer nicht, etwas mehr Gerechtigkeit sollte es noch sein, so luden sie die ganze Welt ein, ins Land zu kommen, um das Geld zu verprassen, hier vor Ort. Ein Albtraum eben. Ist man dann richtig erwacht, gewärtigt man sich vielleicht überdies einer Aussage des damaligen Premiers von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, und erkennt, seine Vision ist zur bitteren Realität geworden:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter — Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Ein bedrückendes Ahnen steigt auf, der Bürger könne als Untertan mißbraucht werden, von denen, die Politik zu ihrer Sache (v)erklärten:

Der eigentliche Souverän degeneriert zum Botschafts- und Befehlsempfänger.

Aber vielleicht ist auch einfach nur mit dem Souverän nicht viel los und er will eben seine Ruhe haben. Lisa Eckhart weist nachdrücklich darauf hin:

„Nun gibt es aber neben solchen, welche schlichtweg zu intelligent sind, um sich manipulieren zu lassen, auch solche, welche schlichtweg zu schlicht sind.“

Vielleicht ist sogar bei solchen ein unbestimmtes Bauchgefühl noch immer in seinen Tiefen verborgen und es grummelt hin und wieder, doch die Komplexität der Welt, das zunehmend erwachsende Ohnmachtsgefühl verstört und ängstigt.

Es gewinnt damit an Plausibilität, wenn der Historiker Volker Reinhardt vermutet:

„Offenbar ist der Mensch so organisiert, dass er einem übergeordneten Rechtgläubigkeitsverband angehören will. Das müssen gar keine Religionen sein. Er möchte einer Gemeinschaft angehören, die die Welt richtig sieht.“

Deshalb lacht der windige Bürger nicht mehr, nimmt eine Greta Thunberg das Wort „Wissenschaft“ in den Mund, das wagt nur noch eine Minderheit. Man bläst wie von selbst ins rot-grün-schwarze Horn der selbsternannten und vermeintlichen Weltverbesserer, die zu einem exzessiven Sozialexperiment bereit sind, erfreut sich am Klang der alten russischen Revolutionsparole „Der Mensch wird umgebaut“ und gibt sich der Annahme hin, es sei ja persönliche Überzeugung.

Längst sind Argumente der Losung gewichen, das Denken wurde durch das Fühlen verabschiedet. Das ist lächerlich. Das ist tragisch. Das ist jedoch real geworden im Jahre 2021. Sir Karl Popper war bereits im Jahre 1971 in einem ARD-Streitgespräch mit Herbert Marcuse überaus klar:

„Von allen politischen Ideen ist der Wunsch, die Menschen vollkommen und glücklich zu machen, vielleicht am gefährlichsten. Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle.“

Fingerübungen einer Physikerin

Brandaktuell ist der Satz des Marquis von Posa, gesprochen zu einem Monarchen: „Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde.“ Ob sich die Bundeskanzlerin des Schiller- oder des Juncker-Satzes erinnerte und er ihr zur Tat verhalf, ist nicht sicher. Eine erste Einübung des politischen Alleinganges wird dann der „Vatermord“ (Norbert Bolz) sein. Maßloses Erstaunen in den Parteien von CDU/CSU, als die ehemalige FDJ-Funktionärin aus der brandenburgischen Provinz es unternahm, sich ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl, der „der Partei Schaden zugefügt“ hat, zu entledigen, der „Vatermord“ damals schon ein Akt „alternativloser“ Aufklärung.

Doch sie wird sich der Federzug-Geste weiter bedienen. Drei dieser „Federzüge“ sind besonders imposant: 2011 etwa der Str(e)ich, der den Auftakt zur „Energiewende“ bedeutete. Der „Sachverstand der Physikerin“ ließ sie zur „Atomkanzlerin“ werden, im „Laufzeitverlängerungs-Handstreich“ betrieb sie den Ausstieg vom heftig umkämpften rot-grünen Atomausstieg und sperrte das Land „noch einmal in das nukleare Gefängnis“, hatte sich die „gelernte Physikerin“ doch überzeugt, das verbleibende Restrisiko bei Nutzung der Atomenergie sei trotz Tschernobyl hinnehmbar.

„Wir wollen eine Energiepolitik, die eben nicht Kernkraftwerke abschaltet, wenn sie noch bestens geeignet sind und Strom liefern, sondern die diesen Ausstieg aus der Kernenergie stoppt, meine Damen und Herren“, so Merkel.

Dann kam der 11. März 2011, mit ihm die Reaktorkatastrophe im fernen Japan und das Erweckungserlebnis der Kanzlerin. Die noch immer „gelernte Physikerin“ erklärte vor dem Bundestag: „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie geändert“ (9. Juni 2011). Das vorher so sorgsam berechnete Restrisiko hatte sich über Nacht dramatisch erhöht. Eine Erklärung wurde weder gegeben noch verlangt, die Macht der Bilder sorgte — wieder einmal — für die notwendige Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die „Energiewende“ war geboren. Und wer Einspruch wagte, fand sich kurzerhand im Lager der Klimaleugner wieder, galt und gilt sogar als psychisch abnorm, wenn nicht krank.

Vor Jahrzehnten waren die Ein- und Widersprechenden noch Kritiker und Dissidenten, jedenfalls solange sie dem anderen politischen System entstammten. Großartig verstand man es, sich zu blähen und die Aufklärung zu fördern: „Wie Abweichler zu Irren gestempelt werden“, schrieb man in der ZEIT und verortete die Akteure „im Dienste der Partei“. Keine neue Strategie ist es somit, der sich Politik und Medien in diesen Tagen bedienen, sondern lediglich die Neuauflage der alten Muster. Genossin Saskia Esken wird die Kritiker der Corona-Maßnahmen „Covidioten“ titulieren, verharmlosend wird „Merkels Spritzpistole“ — vormals das „Sturmgeschütz der Demokratie“ — es als eine „unkluge Beleidigung“ abtun. Nicht so Die Linke; der kommt die dümmste Einlassung noch gerade recht, um die gesellschaftlichen Verwerfungen voranzubringen:

„Am 29. August 2020 wollen noch mehr Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungserzählungen, Rassistinnen und Rassisten, Islamfeindinnen und Islamfeinde, Antisemitinnen und Antisemiten, Holocaustleugnerinnen und Holocaustleugner sowie extreme Rechte von AfD, NPD bis hin zu Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern, III. Weg und Nazihools nach Berlin kommen und die Gelegenheit eines ungeahnt großen Publikums nutzen.“

Albrecht Müller wird hingegen sehr richtig anmerken: „Heute wissen wir zwar, dass unter den neuen Demonstranten viele Sympathisanten, Anhänger und Mitglieder von SPD, Grünen, Linken sind. Aber offiziell?“ Offiziell darf es so eben nicht sein. Es soll nicht unerwähnt bleiben — die mit Vehemenz gepriesene und gelungene Energiewende verweist „ein neues wissenschaftliches Gutachten ins Reich der Märchen“, und Daniel Wetzel unterstreicht: „Die Taktik von Bundeskanzlerin Merkel erweist sich erneut als verantwortungslos.“ Es soll ebenfalls nicht unerwähnt bleiben — diese sich permanent darstellende politische Verantwortungslosigkeit wird gewählt, von uns, vom Bürger.

Die „Flamme der reinen Gesinnung“

Träumt man es nun immer noch oder war da nicht Merkwürdiges — dieses Merkwürdige eben, unbedingt als gesellschaftliches Erwarten, als staatsbürgerliches Wünschen — zu lesen, damals im Jahre 2012? Und nicht etwa bei der Partei, die sich als Alternative zur Alternativlosigkeit ins Spiel brachte? Diese Sätze ließen und lassen sich lesen im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU:

  • „Deutschland muss Zuwanderung stärker steuern und begrenzen als bisher. Zuwanderung kann kein Ausweg aus den demografischen Veränderungen in Deutschland sein.“
  • „Verstärkte Zuwanderung würde den inneren Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub leisten.“
  • „Die von Rot-Grün betriebene Umgestaltung in eine multikulturelle Einwanderergesellschaft lehnen wir ab.“
  • „Deutschland hat keinen Mangel an Zuwanderung, sondern an Integration. In den Großstädten bilden sich bereits Parallelgesellschaften.“
  • „Die Außengrenzen der Europäischen Union müssen gegen illegale Zuwanderung und organisierte Einschleusung gesichert werden.“
  • „Identität Deutschlands bewahren (…) Zusammengehörigkeitsgefühl und ein aufgeklärter Patriotismus, also ein positives Verhältnis zur Nation, sind eine Grundlage, auf die für die gemeinsame Gestaltung einer guten Zukunft nicht verzichtet werden kann.“

„Kaum einer kann sich doch verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion sofort in eine rechte Ecke zu stellen“, hieß es bereits von der Bundesvorsitzenden der CDU Angela Merkel auf dem 17. Parteitag der CDU in Leipzig (2003) und ferner:

„Man muss natürlich darüber sprechen, dass es den Missbrauch des Asylrechts gibt. Man muss natürlich sagen: Die Folge können nur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung sein. Alles andere wird in der Bevölkerung keine Akzeptanz finden. Deshalb kämpfen wir (…) für unseren Weg, ganz hart und ganz entschieden.“

Die „Flüchtlingswelle“, unter Preisgabe der Grenzen eines Landes, wird zum Kennzeichen des Jahres 2015 und markiert einen neuerlichen markanten Handstr(e)ich. Merkel entzündet die „Flamme der reinen Gesinnung“ (Max Weber), mit der von ihr „humanitär“ begründeten Grenzöffnung am 4. September 2015, und wird diese Flamme am Köcheln halten.

Im Fokus steht dabei immer die historische Schuld, die es abzutragen gilt, und so wird Deutschland durch die Kanzlerin in die Paraderolle der „offenen Gesellschaft“ geführt, in der es keine „Obergrenze“ mehr geben darf. Angesichts der offenen Gesellschaft sollte aber erinnert werden, dass dieser zum Propagandakampfbegriff mutierte Ausdruck bei Karl Popper keine offenen Grenzen meinte, sondern den offenen Lernprozess einer Gesellschaft beschrieb.

„Wir schaffen das“ klingt es dann im Duktus interessierter Dilettanten und begabter Heimwerker. Betroffenheit aber ist keine Politik, auch wenn Medien und „Kulturschaffende“ — ein seit Jahren wieder in Mode kommender Begriff — verzückten Applaus spendieren: „Rote Rosen für Merkel: Künstler bedanken sich für ,Wir schaffen das‘.“ Weiter liest man:

„‚Wir wollen Frau Merkel in ihrer Haltung bestärken‘, erklärten Filmproduzentin Regina Ziegler und Regisseur Volker Schlöndorff. Zu Merkels ‚Wir schaffen das‘ gebe (sic) es keine Alternative. Die Kanzlerin habe mit diesem einen Satz das Bild Deutschlands im Ausland verändert.“

Doch die Kanzlerin drohte ja auch zuvor mit dem „freundlichen Gesicht“ und überhaupt: „Dann ist das nicht mein Land!“ Basta! Diese Liebesbekundung ist jedenfalls nicht vergessen, weiß die Bundeshofjournaille ZEIT zu berichten: „Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Kulturbranche angesichts der wochenlangen Zwangspause wegen der Coronakrise weitere Unterstützung zugesichert.“

Das „Wir“ allein bedürfte der Explikation, die Hypermoral, das eigentümliche Rechtsverständnis allemal. „Subjektive und individuelle Vorstellungen von Solidarität und Hilfsbereitschaft können nicht an die Stelle des Gesetzes treten, sonst macht sich Chaos breit“, resümiert Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, es ist die Rede von der „klaren Kapitulation des Rechtsstaats“. Rupert Scholz, Verfassungsrechtler, einstiger Bundesminister hält fest:

„Aber in einem Staat, in dem eine Gesellschaft zusammenlebt, können nur das Gesetz und die Verfassung die maßgebende Linie sein. Keine sogenannte Moral darf sich darüber hinwegsetzen. Andernfalls ist der Rechtsstaat zu Ende (…). Die Migrationsentscheidung vom Herbst 2015 war verfassungswidrig und europarechtswidrig.“

Zornig und bayerisch zünftig polterte Horst Seehofer:

„Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung (…). Es ist eine Herrschaft des Unrechts. Wenn wir politisch die Wiederherstellung von Recht und Ordnung nicht erreichen, dann müssen wir das eben juristisch angehen.“

Dem Ausbruch folgte die Raute und ihr die Ruhe, die von der CSU angedrohte Verfassungsklage unterblieb. Aus Seehofer wurde der volksmundliche „Drehhofer“ und schließlich der Bundesminister für die Heimat eben.

Wenn Schreckgespenster lebendig werden

Der nun hoffentlich letzte Handstreich verdankt sich der sogenannten Corona-Welle 2020, führt zum öffentlichen und wirtschaftlichen Stillstand der Bundesrepublik Deutschland und kennzeichnet den bisherigen Höhepunkt regierungspolitischen Handelns der Ära Merkel. Wahlprogramme sind von Stunde an obsolet, das demokratische Parlament befindet sich fortan im Modus der Schockstarre.

Das ganze Land folgte dem „Federzug“ in den Tiefschlaf, rasch verbreitete sich die Erzählung vom nationalen Notstand, allein das nackte Leben zählte noch. Heiligt nicht ohnehin der Zweck die Mittel?

Machiavelli ging davon aus, der Jesuitenorden folgte dieser Handlungsmaxime. Angela Merkel ging vielleicht auch der Fürnberg-Partei-Schlager durch den Kopf, in dem es heißt:

„Denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht (…). Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht. Wer die Menschheit verteidigt, hat immer recht.“

Somit ist der politische Kitsch des untergegangenen Systems zugleich der neue. Jeder Kritiker, jeder Protestler, jeder Abweichler galt in der untergegangenen DDR als ein staatszersetzendes und feindliches Element faschistischer, revanchistischer und imperialistischer Kräfte, das verschaffte ihr über Jahrzehnte Stabilität. Dieses Schreckgespenst zelebriert mit der Regentschaft Angela Merkels seine machtvolle Wiederauferstehung.

Es kann doch gar nicht anders sein — ein richtiges, ein in sich gutes Ziel rechtfertigt den Einsatz aller Maßnahmen und Mittel, die sich alternativlos ergeben. Denn dieses Alternativlose bedeutet, „niemals Lösungen zu suchen, sondern ohne Umschweife zu einer Notlösung zu greifen“; wer sich auskennt „mit Politik (…), weiß: Lösungen sind keine Lösung“ (Lisa Eckhart). Das zu Erweisende wird dogmatisch vorausgesetzt, die Wissenschaft wird willfährig zur Hand sein. Unbegriffen, unbeachtet bleibt die ethische Problematik des Tuns und der Folgen.

Dass man lieber dem Dogma folgt und seine Dialogunwilligkeit hervorhebt, statt sich den Fragen der Verantwortlichkeit, des Fehlerhaften zu stellen, unterstreicht das regierungsberatende Robert Koch-Institut (RKI). Eine einladende Anfrage zur Stellungnahme vor der Stiftung Corona Ausschuss wurde am 18. August rundweg abgelehnt: „Das RKI steht nicht zur Verfügung“, heißt es lapidar durch die stellvertretende Pressesprecherin dieser Bundesbehörde. Gibt es sie also nicht mehr, die doppelte Verantwortung des einzelnen Menschen, des Politikers, des Wissenschaftlers? Wäre somit nicht länger grundsätzlich zu prüfen, ob das, was für rechtens erklärt oder behauptet wird, tatsächlich rechtens ist? Wäre zweitens ebenfalls nicht länger zu prüfen, ob das Rechte mit rechten Mitteln angestrengt wird?

Die Entwertung des Grundgesetzstaates

„Sie kennen mich“, entfuhr es Angela Merkel 2013 im sogenannten TV-Duell der Kanzlerkandidaten, ob beabsichtigt oder nicht spielt keine Rolle. Es war heraus. Ein Schlusswort damals zugleich. Dem Wähler genügte es, Merkel reichte es. Das Amt blieb gesichert. 34,1 Prozent Zustimmung, zuzüglich 7,4 Prozent für die CSU, die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent. Die Macht der Gewohnheit ist den Deutschen unverdächtig und Adenauers Wahlkampfplakatierung aus dem Jahre 1957 — „Keine Experimente!“ — weiterhin wirkmächtig.

Die Neigung zum Vertrauten hat aber Tücken. Lernen musste dies an diesem 23. September 2013, dem Wahlabend, neben dem damaligen CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die gesamte deutsche Bevölkerung. Gröhe, berauscht und in Siegerlaune, griff zur Nationalflagge, kaum in der Hand, wurde sie ihm entrissen und schäbig entsorgt. Ein Paradigmenwechsel vollzog sich auf offener Bühne — hier sei daran erinnert. Voller Verächtlichkeit flog die Fahne und mit ihr das Symbol eines demokratischen Landes in den Staub, „nicht mein Land eben“. Das „freundliche Gesicht“ wurde kenntlich. Für die „großen“, die „klassischen“ Medien gibt es keinen Grund, dies abzubilden, wenngleich doch drei Jahre später neu festgestellt wird:

„Die Videos haben eine erstaunliche Kraft entwickelt, obwohl sie in großen Fernsehsendern oder Zeitungen gar kein Thema sind.“

Für den damaligen, inzwischen wieder abgetretenen CDU-Generalsekretär Peter Tauber zählt Merkels Entsorgung zu den „Themen, die eine erhebliche Resonanz haben, aber in den klassischen Medien nicht oder fast nicht auftauchen“. Hier aber vollzog sich der sichtbare Beweis für den politischen Paradigmenwechsel: die Entwertung des Grundgesetzstaates. Anfügen wird der CDU-General noch:

„Wer Merkel ein bisschen kennt, weiß, wie das gemeint war: Sie ist stark von ihrer Erfahrung in der DDR geprägt.“

Natürlich: Hier wedelte einer mit der falschen Fahne, denn der fehlten die entscheidenden Insignien des realen deutschen Sozialismus — Hammer, Sichel und Ährenkranz. Könnte es also sein, dass Merkel ihren Satz auch damals nur etwas verstolperte, sich verhaspelte. Hätte er nicht besser lauten müssen: „Sie kennen mich nicht?“ Konstant bleibt ihre offene Verschlossenheit.


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