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Populismus für Fortgeschrittene

Populismus für Fortgeschrittene

Von bedrohlichen Migranten, „Volkserziehern“ und „Sagen-was-ist“-Realisten.

Albert Einstein hat einmal auf folgenden Zusammenhang hingewiesen:

„Wenn es sich um Wahrheit und Gerechtigkeit handelt, gibt es nicht die Unterscheidung zwischen kleinen und grossen (sic) Problemen. Denn die allgemeinen Gesichtspunkte, die das Handeln der Menschen betreffen, sind unteilbar. Wer es in kleinen Dingen mit der Wahrheit nicht ernst nimmt, dem kann man auch in grossen (sic) Dingen nicht vertrauen…“

Die Kontroverse um No-Go-Areas, die sich am Artikel „Leben im Teufelskreis“ entzündet hat, mag sich um kleine Probleme und terminologische Fragen drehen. Aber sie betrifft allgemeine Gesichtspunkte. Daher muss Klarheit herrschen, um was es genau geht.

Meine Kritik an der dort formulierten No-Go-Area-These aufgrund von „Parallelgesellschaften“ wird in der Replik des Autors nicht nur als unbegründet zurückgewiesen. Es wird zudem betont, dass sie den Zugang zu Wahrheit und Gerechtigkeit geradezu behindert:

„Journalisten und Wissenschaftler als Volkserzieher, die nicht zu berichten beziehungsweise zu erklären haben, was ‚ist‘, sondern darzulegen und zu beeinflussen haben, wie das vermeintlich intellektuell beschränkte und von Vorurteilen und stigmatisierenden Positionen geprägte Volk zu denken hat.“

Dem wird der Analytiker gegenüber gestellt, der „sagt, was ist“ anstatt die Probleme schön- und klein zu reden. Schauen wir uns also an, was vom „Sagen-was-ist“-Realismus gegenüber Zuwanderern und Flüchtlingen, den „volkserziehenden Journalisten“ und dem „beschränkten“ Volk zu halten ist, das die Volkserzieher umerziehen wollen. Dabei sollte klar werden, dass es nicht um terminologische Feinheiten, sondern um Grundsätzliches geht: eben um Wahrheit und Gerechtigkeit.

Die Kernaussagen zu No-Go-Areas (NGAs) in Deutschland lassen sich, gemäß des Artikels und der Replik, so zusammenfassen: In „Leben im Teufelskreis“ werden NGAs als öffentliche Plätze definiert, auf die man „keinen Fuß setzen“ kann, da damit die „körperliche Unversehrtheit bedroht“ würde. Grund für die Entstehung von NGAs sind Migranten (Deutsche werden weder in der vorgestellten These zu NGAs noch im ganzen Artikel erwähnt), die „Eindringlinge“ (überwiegend deutsche Normalbevölkerung) physisch bedrohen. Auf Nachfrage wird in der Replik festgestellt, dass diese NGAs nicht konkretisiert werden können. Man kann daher nicht sagen, wo und wie viele NGAs in Deutschland existieren. Später im Text wird jedoch festgestellt, dass es „(allzu) viele Orte in Deutschland“ gibt, die „No-Go-Areas“ seien. Es bleibt unklar, wie diese beiden Aussagen zusammenzubringen sind.

Es wird aber eingewendet, dass sich NGAs dadurch belegen lassen, dass einige befragte deutsche Jugendliche in einer Studie zum Ausdruck gebracht haben, dass sie Spielhallen, Internetcafés oder Wettbüros in Duisburg-Marxloh meiden, weil sie sich dort nicht willkommen fühlen und es zu Konflikten mit Migranten kommen könnte. Weiter gibt ein Mädchen zu Protokoll, dass sie es als „deutsches Mädchen“ nicht „g‘rad angenehm“ findet, sich in Duisburg-Marxloh aufzuhalten. Ergänzt wird, dass es weitere solcher Aussagen gäbe, die die Existenz von NGAs damit belegen würden. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Sicherheitslage in „Brennpunkten“ problematisch sei. Das könne man bei der Polizei nachfragen.

Darüber hinaus wird der Vorwurf zurückgewiesen, dass der Text NGAs auf ein Migrantenproblem eingeschränkt habe. In dem Artikel sei nirgends die Existenz von NGAs „etwa in den neuen Bundesländern“ geleugnet, „in denen nicht Integrationsprobleme und deren Folgen die entscheidende Schwierigkeit“ seien. Aber es sei nun einmal so, dass die „Problematik fehlender Integration“ nun einmal „an vielen Orten“ noch eine „Schwierigkeit ‚oben drauf‘“ setze. Die „volkserziehenden Journalisten“ würden diese Probleme aber klein- und schönreden, während sie dabei den Kontakt zum „Volk“ komplett verloren hätten.

Dazu kann man feststellen:

Erstens:

Die NGAs sind folglich Orte, wo befragte Personen ähnliche Aussagen machen wie die angeführten. Ich gehe davon aus, dass exemplarische und starke Aussagen ausgewählt wurden, um die These zu untermauern. Ich übergehe hier, dass die Einschätzungen der Jugendlichen aus diversen Gründen Sanders These nicht belegen können. Sie sind weit davon entfernt repräsentativ und verallgemeinerbar zu sein; es handelt sich zudem um subjektive Einschätzungen, die nicht durch Recherchen vor Ort (Nachfragen bei den Wettbüros, Befragung der Migranten vor Ort, Informationen von Behörden, Sozialarbeitern über die jeweiligen „gefährlichen Orte“) unterfüttert sind. Zudem sind „gefährliche Orte“ wie Wettbüros und Internetcafés gar keine öffentlichen Räume. Das ist aber Kernbestandteil von NGAs. Wenn Flüchtlinge nicht in Discos gelassen werden, sind die Discos ja nicht deswegen NGAs.

Wenn aber die angeführten Belege als Kriterium für No-Go-Areas genommen werden (in starker Abweichung von der eigentlichen Definition von NGAs als „öffentlichen Orten“, auf die deutsche Normalbürger keinen „Fuß setzen können“ wegen der manifesten Gefährdungen), folgt daraus logisch, dass es in Deutschland massenhaft No-Go-Areas gibt, wobei eine klare Abgrenzung wegen der vagen, niedrigschwelligen Definition kaum möglich ist.

Jede Rockerkneipe, von Neonazis dominierte Stadtviertel und Straßenzüge, rechtsradikale Treffpunkte, Discos mit dubiosem Publikum, Reichbürger-Zonen, in denen Staatsbeamte bedroht werden, NPD- oder fremdenfeindliche Aufmärsche auf öffentlichen Plätzen, Hooligan-Treffs, Innenstädte, die von saufenden und randalierenden Fußball-Fans besetzt werden, Straßenstriche, Bordell-Gegenden, Partyzonen, die Gegend rund um die Drogenszene und so weiter sind danach „No-Go-Areas“. Auch diese Orte meiden viele Personen wegen der sich dort aufhaltenden Gruppen (erhöhte Kriminalität, gefühlte Unsicherheit, Risiken). Dieses Soft-Kriterium für NGAs bringe ich allerdings nicht mehr zusammen mit der Sperrzonen-Definition von NGAs als Orte, auf die man „keinen Fuß setzen“ kann, da damit die „körperliche Unversehrtheit“ bedroht werde. Dass NGAs ein ausschließliches „Migrantenproblem“ sein sollen, wie behauptet, erscheint nun vollkommen absurd.

„Heute Nacht kriegen wir sie“

Es werden auch keine Belege dafür angeführt, in welcher Dimension, um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben, im „sozialen Brennpunkt“ Duisburg-Marxloh auch Türken, Araber und Afrikaner Angst haben, bestimmte Orte, wo deutsche Heranwachsende abhängen, aufzusuchen, weil sie befürchten, dort Stress zu bekommen. Es wird lediglich auf einen Fall hingewiesen, wo auch ein „Schwarzer“ betroffen gewesen sein soll. Da keine Angaben dazu gemacht werden, kann man sich nur mutmaßend dem Verhältnis zwischen den Kategorien: „Deutsche: Täter/Migranten: Opfer“ und „Migranten: Täter/Deutsche: Opfer“ annähern.

Meine Vermutung ist, dass in Deutschland nach dem angeführten Kriterium Deutsche weit stärker NGAs für Migranten erzeugen als anders herum. Denn wenn man die niedrigschwelligen Belege nimmt, die für NGAs verursacht von Migranten angesetzt werden („gefährliche Orte“ wegen Unsicherheitsgefühlen und Vermeidungsstrategien von Interviewten, inklusive nicht-öffentlicher Orte), sind mutmaßlich vor allem Migranten von dem Phänomen NGA betroffen, da sie auf vielen von Deutschengruppen „okkupierten Territorien“ nicht willkommen sind, sich unsicher fühlen müssen und realen Gefahren ausgesetzt sind, wenn sie nicht direkt ausgeschlossen werden.
So heißt es beispielsweise in einer Stadtreportage der Zeit:„30 Rechte stehen in kleinen Gruppen beisammen und beraten sich. ‚Wir haben zwei Späherteams ausgeschickt, eins zum Postplatz, eins zum Fleischmarkt‘, sagt der eine. ‚Heute Nacht kriegen wir sie‘, sagt der andere und lacht. Als Mehdi und ein Freund, der auf seinem Fahrrad sitzt, auf der anderen Seite des Kornmarkts auftauchen, schwillt der Hass in der Gruppe an. Da, ein Neger auf dem Rad. Verpisst euch aus dem Osten! Ekelhaft, wie die Dickhaut sich bewegt. Mohammed, du kriegst das Maul fett! Wir sind das Volk!‘“

Und weiter: „Mitten in Deutschland machen Jugendliche Jagd auf Flüchtlinge – und wenn man sich in der Stadt umhört, fällt mehr als einmal der Satz: ‚Endlich tut mal jemand was.‘"

Auf die direkte Frage, ob es auch NGAs für Migranten wegen deutscher Bedrohung gäbe, wird lediglich eingestanden, dass es NGAs etwa „in den neuen Bundesländern“ gäbe, wo die Ursache weniger bei „Integrationsproblemen“ liegen würde, sondern „eher mit sozioökonomischen Zusammenhängen“ zu tun habe. Damit wird verschnörkelt gesagt – während die Bezeichnung „Deutsche“ vermieden wird – dass auch Nicht-Migranten wegen der „sozioökonomischen Zusammenhänge“ NGAs verursachen können.

Aber vor allem wird die eigentliche Frage übersprungen, ob Migranten und Flüchtlinge auf von Biodeutschen besetzte Territorien „keinen Fuß setzen können“, weil sie von ihnen bedroht werden. Daher muss ich davon ausgehen, dass solche Zonen nicht gesehen werden oder darüber nicht geredet werden soll. Es war ja eine klar formulierte Frage, auf die auch in der Replik direkt eingegangen wird („Gibt es Ihrer Meinung nach keine ‚No-Go-Areas‘, die auf die Präsenz von Deutschen ohne Migrationshintergrund zurückgehen? Wie ordnen Sie vor diesem Hintergrund zum Beispiel die erschreckenden Zahlen von fremdenfeindlicher Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland und Europa ein?“ Und weiter: „Warum werden nichtdeutsche Migranten ur- und hauptsächlich in die Tätergruppe und Deutsche in die Opfergruppe einsortiert?“).

Zudem ist es der zentrale, „redundant“ formulierte Vorwurf, an dem ich die Pseudokritik des Textes festgemacht habe. Auch habe ich damit die präsentierte Konzeption von NGAs (wie sie im Mainstream dominiert) als ideologisch und stigmatisierend eingeordnet. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Es hätte ein großes Interesse daran bestehen müssen, diesen Vorwurf aus der Welt zu räumen.

Auf die Frage gibt es aber nur zwei Antworten. Es kann weiter geleugnet werden, dass es NGAs für Migranten aufgrund der Bedrohung von Biodeutschen gibt (komplette Realitätsverweigerung). Oder sie hätten eingeräumt werden können (und die These revidiert werden müssen). Die Argumentation der Replik beschreitet einen anderen Weg, ignoriert den Einwand, um nicht sagen zu müssen: Ja, es gibt Gebiete, die Migranten aus Angst wegen der Bedrohung durch Biodeutsche nicht betreten oder vermeiden.

Die logische Frage, die sich daraus ergibt und von mir ja auch erfragt wurde, ist: Wie ist das Verhältnis zwischen den jeweiligen unterschiedlichen Opfer- und Tätergruppen in Hinsicht auf die NGAs in Deutschland gemäß ihrer Definition? Meine Vermutung ist wie oben beschrieben. Aber dazu wird nichts mitgeteilt. Aus gutem Grund. Denn wenn Migranten die Hauptopfer und Deutsche die Haupttäter wären, dann würde sich die NGA-These ins Gegenteil verkehren. Die Replik wählt die „gezielte Ignoranz“ als Ausweg aus dem Dilemma, um die getätigten Aussagen nicht revidieren zu müssen.

Dann wird festgestellt, dass man im Artikel „Das Leben im Teufelskreis“ „nirgends eine Aussage“ finden könne, „die die Existenz solcher Gebiete“ negieren würde. Das ist aber doch nicht der Punkt. Niemand behauptet, dass der Text realitätsblind oder offen rassistisch ist. Ich sage nur, dass er ideologisch operiert. Er hat nämlich „solche Gebiete“ – nicht nur die jetzt verschnörkelt eingeräumten, sondern auch die weiter ignorierten – in der Definition der NGAs, aber auch durch die Entfaltung der These grundsätzlich ausgeblendet und negiert.

In dem Artikel wird ja nicht gesagt: „Na ja, es gibt da NGAs, aber es wird jetzt nur über bestimmte NGAs geredet“. Sondern die Ausgangsfrage ist, ob es sinnvoll ist, überhaupt über NGAs in Deutschland zu sprechen, was schließlich bejaht wird. Dann wird entfaltet, in welchem Sinn es NGAs in Deutschland gibt und was die Gründe ihrer Entstehung sind, also die Eigenarten von Migranten-Communities.

Es gibt zwei erkenntnisfördernde Wege auf kritische Einwände. Entweder zeigt und belegt man, dass die verwendete Begrifflichkeit und die aufgestellten Thesen gedeckt sind. Oder man stellt in der Prüfung fest, dass das nicht der Fall ist und Korrekturen notwendig sind. Die Replik „Augen auf!“ windet sich jedoch heraus, weicht den Fragen aus, tut aber so, als ob sie die Fragen beantwortet und die Einwände entkräftet. Es bleibt daher unklar, warum die NGA-Existenz auf Migranten-Gewalt beziehungsweise -drohungen in dem Artikel reduziert worden ist. Das Ausweichen legt aber nahe, dass nicht Unbedachtheit der Treiber war, die ideologische Formel zu benutzen.

Zweitens:

Die Klärung, was eine NGA ausmacht, ist nicht banal, insbesondere vor dem Hintergrund von reduktionistischen Formeln, die den allgemeinen Diskurs prägen. Denn der NGA-Begriff ist im Laufe der Zeit zu einer suggestiven Kaugummi-Formel heruntergekocht worden, mit vielfältigen Instrumentalisierungsmöglichkeiten. Aus klar definierten militärischen Sperrzonen – wie im Vietnamkrieg – wurden „rechtsfreie Räume“ in Städten. Aus rechtsfreien Räumen wurden schließlich vage „Angsträume, in denen normale Bürger sich unwohl fühlen“ (NRW-Chef der Polizeigewerkschaft GDP Arnold Plickerl), wobei die Bedeutung „Sperrzone“ und die „extreme Gefahr für Leib und Leben“ im Begriff NGA weiter behauptet werden.

Was hinter den „Angsträumen“ sowie den „subjektiven Sicherheitsgefühlen“ genau steckt, muss unklar bleiben und im Prinzip undefinierbar sein wie die NGAs selbst, die wie scheue Rehe ständig an anderen Orten auftauchen. Daher vermeidet auch die Replik auf meine NGA-Kritik jede Konkretion. Die NGA-„Empiriker“ wissen sehr genau, dass sie in Teufels Küche kommen würden, wenn sie, wie zum Beispiel das besorgte Portal „deutschesweb“ es tut, eine konkrete Liste mit dutzenden NGAs böten.

Jägerlatein: Scheue Rehe im Stadtwald

Denn die spezifischen Sicherheitsgefühle und Ängste gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen sind nicht nur vage, sondern weit entfernt eine gesellschaftliche Realität einzufangen, mit klaren Kriterien, die eine eindeutige, an Belegen gebundene, regelhafte Anwendung erforderten. So zeigt Nils Zurawsik vom Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg in Analysen, dass diffuse Unsicherheitsgefühle gegenüber Stadtvierteln mit armer Bevölkerung meist nur die veröffentlichten Unsicherheitsdiskurse widerspiegeln. Denn aus Umfragen gehe hervor, dass die Menschen, die in „sozialen Brennpunkten“ leben, sich dort insgesamt sicher fühlen, diejenigen aber, die dort nicht wohnen und verkehren, verstärkt Ängste gegenüber den dort lebenden Bevölkerungen zum Ausdruck bringen.

Angst und Unsicherheitsgefühle gegenüber Stadtvierteln sind also vielfältig verzerrt und gründen meist nicht einmal auf primären Erfahrungen, sondern auf veröffentlichten Narrativen und Medienerzählungen, Symbolen, Mutmaßungen sowie Gerüchten über spezifische Bevölkerungsgruppen.

Nimmt man das NGA-Kriterium der „körperlichen Unversehrtheit“ beim Wort, kollabiert die ideologische Konzeption dahinter sofort. Man muss sich schon sehr anstrengen, um das nicht zu sehen. Professor Manfred Rolfes vom Institut für Geographie der Universität Potsdam stellte als Sachverständiger für No-Go-Areas im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Kölner Silvesternacht zu Recht fest:

„Es ist, glaube ich, gestern oder vorgestern eine Studie des Ministeriums zum Thema ‚Häusliche Gewalt‘ herausgekommen. Das Ergebnis ist, dass häusliche Gewalt ein unheimliches Thema ist, das aber gar nicht im Kontext von No-go-Areas diskutiert wird. Denn das findet irgendwo statt, da ist kein Polizist weit und breit zu sehen. Und das wäre ja auch eine Straftat, wo man im Prinzip, wenn man objektive Daten nimmt, den Frauen raten müsste: Geht nicht nach Hause; da ist es am gefährlichsten. Denn die im öffentlichen Raum stellen nicht das Problem dar. – Aber das sind in der Tat diese angstauslösenden Faktoren. Aber es gibt eben nicht nur Straftaten, sondern es gibt etwas, was im weitesten Sinne mit Irritationen zu tun hat: dass da Leute herumlaufen, die nicht so aussehen, wie ich das gewohnt bin, oder dass da bestimmte Nachsorge im Hinblick auf die Bereitstellung von Infrastruktur nicht stattfindet. Wenn beispielsweise der Straßenservice nicht hinreichend gemacht wird, führt auch dies dazu, dass man sagt: Hier ist keine soziale Kontrolle, hier fühle ich mich eher unsicher. (…) Über [den medialen] Weg wird sehr viel verbreitet. Der Grad der Undifferenziertheit, mit der diese Abkürzung, diese räumliche Abkürzung von No-go-Areas in der Presse auftaucht, gibt eigentlich kaum noch eine Möglichkeit, die Differenziertheit des dahinter stehenden sozialen Phänomens zu erkennen. (…) So eine undifferenzierte Perspektive wird natürlich in den Medien relativ häufig mitgeteilt. Manchmal ist es ein bisschen ausdifferenzierter. Aber ich habe gestern, weil ich wissen wollte, wie es dort aussieht, mit der Quartiermanagerin von Duisburg-Marxloh telefoniert, und diese sagte mir dann: Sobald wir mit irgendeinem Tatbestand, der negativ ist, in der Presse sind, wird nachgefragt, und da wird dann darüber berichtet. – Insofern ist das natürlich schon eine sehr meinungsbildende Perspektive, und man muss dabei, glaube ich, die Medien sehr stark relativierend im Auge haben, wie das funktioniert und was da ausgewählt wird.“

Das Innenministerium von NRW stellt in einer Anfrage der CDU 2017 fest, dass es in NRW keine „No-Go-Areas“ gäbe. Die Landespolizei folgt dieser Einschätzung. Zwei Dutzend städtische Bereiche in NRW stufen die Behörden als „gefährlich“ ein. Alle Polizeipräsidien, die von der Tageszeitung „Die Welt“ angefragt wurden, stellten zudem fest, dass keiner dieser „Orte so gefährlich“ wäre, dass „Otto Normalbürger sie meiden soll. Schließlich zögen Fußgängerpassagen und Einkaufszentren ganz automatisch Räuber an. Wo viel los ist, ergeben sich auch viele Tatgelegenheiten“.

Allein 13 der „gefährlichen Orte“ liegen in Köln, aber vorwiegend nicht in Problemvierteln wie Chorweiler, sondern mitten in der Innenstadt. In Duisburg gibt es nach Aussage der vom Innenministerium insgesamt angefragten 47 Kreispolizeidienststellen keinen einzigen Bereich, der als „gefährlich“ eingestuft wird. Das „Problemviertel“ Duisburg-Marxloh ist ebenfalls kein „gefährlicher Ort“. Die Gewerkschaft der Polizei in Berlin stellt ebenfalls fest, dass es „in der Hauptstadt keine No-go-Areas“ gäbe, „weil wir keine Orte haben, in die sich Menschen nicht trauen“.

Der alarmistische Kaugummi-Begriff NGA (sozialpolitisch reformuliert als „Angstraum“) wurde zudem immer wieder ethnisiert. Migranten und „Parallelgesellschaften“ gerieten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Andererseits werden die „Angsträume“ für Migranten wegen der Präsenz von Biodeutschen als haltlose und stigmatisierende Übertreibungen in der Öffentlichkeit zurückgewiesen.

So wurde die afrikanische Gemeinde in Berlin scharf attackiert, als sie vor der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006 ausländische Besucher besser vor rassistischen Übergriffen schützen wollte mit Hinweisen auf mögliche No-Go-Areas für Dunkelhäutige. Das wurde pauschal als Stigmatisierung und Angstmacherei abgetan. Es gäbe keine NGAs für Ausländer.

Man mag den Versuch der afrikanischen Gemeinde, derart auf erhöhte Bedrohungen hinzuweisen als falsch ansehen, weil es denen, die Dunkelhäutige vertreiben wollen, in die Hände spielen könnte (die Strategie wurde daher im Zuge der massiven Kritik auch abgeändert). Aber warum werden NGAs für „dunkelhäutige“ Minderheiten als „Angstmacherei“ diffamiert, während ansonsten der NGA-Softstandard „Angstraum“ widerspruchslos hingenommen wird? Bei der Bedrohung für deutsche Normalbürger reicht der vage Hinweis auf „subjektive Unsicherheitsgefühle“ aufgrund von „Parallelgesellschaften“, um von NGAs zu sprechen – wobei die Tatsache, dass die Polizei keine NGAs für Normalbürger in Deutschland feststellen kann, für irrelevant erklärt wird.

Wie gesagt, selbst die „sozialen Brennpunkte“ werden offiziell nicht als NGAs eingestuft. In journalistischen Reportagen über Duisburg-Marxloh betonen Polizei sowie die betreuenden Kirchengemeinden beziehungsweise Beratungsstellen vor Ort zudem, dass es keine Clan-Kriminalität und abgeschottete Migranten-Communities gäbe, die die Anwohner bedrohten. Es handele sich lediglich um Einzel-Straftaten. Hauptproblem, so die befragten Anwohner, sei die Verwahrlosung und eine asoziale Immobilienspekulation („Schrottimmobilien“), die ganze Straßenzüge verfallen ließe und heruntergekommene Wohnungen teuer an Rumänen und Bulgaren vermiete.

Viele der Mythen um Duisburg-Marxloh, die ein ganzes Stadtviertel stigmatisieren, konnten von Reportern vor Ort zudem nicht bestätigt oder als Legenden entlarvt werden. So meinte zum Beispiel ein Bewohner (anonym) in einer Pro Sieben TV-Reportage, dass in der Schrottimmobilie gegenüber seiner Wohnung mehr als hundert Ausländer und Zuwanderer in katastrophalen Zuständen hausen würden, ein Bordell eingerichtet hätten und niemanden reinließen. Das alles sei „im Netz“ bekannt und werde breit diskutiert. Der Reporter wurde jedoch von den Bewohnern in das Haus gelassen (mit versteckter Kamera). Er fand weder hundert wild hausende Männer, noch verwahrloste Zustände und ein Bordell vor, sondern Familien und Wohngemeinschaften, die in ihren Wohnungen wie deutsche Normalbürger lebten beziehungsweise versuchten, unter den gegebenen Umständen, ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu leben.

Drittens:

Ein weiterer Dissens bestand darin, dass im Artikel „Leben im Teufelskreis“ gegen Teile von „Linken“ und „Grünen“ der Vorwurf erhoben wurde, dass sie die „Tatsache“ der NGAs (wie sie im Mainstream dominiert) kleinreden oder ignorieren und damit eine Problemdiagnose blockieren (was eine Lösung erschwere in Hinsicht auf die Migranten-Communities). Es wird dem gegenüber auf Lafontaine und Wagenknecht als positive Gegenbeispiele verwiesen, die sich „ehrlich gemacht“ hätten (damit sind deren Aussagen zu Flüchtlingen gemeint).

Darauf bezogen hatte ich eingewendet, dass, wenn schon von NGAs geredet werden soll, die ganze Geschichte erzählt, Hintergründe und Kontexte geliefert, klare Kriterien verwendet und empirische Belege vorgelegt werden müssen, die belastbar sind. Daher fragte ich nach Evidenz für die Begrenzung von NGAs auf Migrantenbedrohungen.

Es werden zwar keine Belege für die „Tatsache“ geliefert. Trotzdem wird mir (exemplarisch für nicht unmaßgebliche Teile der Linken, der Grünen und der Mainstreammedien) vorgeworfen, dass ich die „Tatsachen“, „das, was ist“, in meinen Ausführungen „kleinreden“ oder beschönigen würde. Was jetzt mit Kleinreden der „Tatsache“ gemeint ist, bleibt mehr als unklar. Eine Unterstellung über Migranten in Frage zu stellen kann schwerlich unter das Verdikt „Schönreden“ fallen.

Migranten-Mythologie

Um die These vom „Beschönigen“ trotzdem nach Hause zu bringen, werden einige meiner Aussagen bis zur Unkenntlichkeit verdreht. So wird behauptet, dass ich dazu auffordere, dass man gesellschaftliche Zustände beschönigen sollte, um „den verrohten Diskurs nicht weiter anzuheizen“.

Das ist absurd. Wenn die ideologischen Verkürzungen und Stigmatisierungen von Migranten/Flüchtlingen in Form eines konstruierten Negativfokus kritisiert werden, wird damit keineswegs gesagt, dass man gesellschaftliche Zustände beschönigen soll. Anstatt sich mit der Kritik an der These auseinanderzusetzen und darzulegen, warum NGAs auf Migrantengewalt reduziert wurden, werden Aussagen umgedeutet und von Schönreden gesprochen.

Außerdem wird mir wie den Medien insgesamt vorgeworfen, einseitig bestimmte Problematiken herauszugreifen und Dinge bezüglich der Migranten zu verschweigen – und somit die Probleme zu beschönigen (allerdings wieder ohne Belege zu liefern). Eine interessante Ansicht. Was in der Forschung über Zeiten und Ländergrenzen hinweg regalweise belegt worden und den Medien vorzuwerfen ist, ist, dass sie bei der Thematisierung von sozialen Problemen eine ethnische Schlagseite aufweisen, Migranten und Flüchtlinge weit überproportional in den Negativfokus nehmen, insbesondere im Zuge der „Flüchtlingskrise“, und dass derart Fremdenfeindlichkeit und staatliche Repression befördert werden.

Die Migranten- und Flüchtlingsfreundlichkeit von Politik und Medien, wie von allen Seiten immer wieder beklagt wird, ist ein reiner Mythos. Ich liefere gerne einen Forschungsüberblick. Wenn jemand die Haller-Studie anführen möchte, die für 2015 eine Willkommensfreundlichkeit in den deutschen Medien nachzuweisen bemüht gewesen ist, kann sie oder er beruhigt werden: Die Studie untersuchte lediglich die Verwendung des Worts „Willkommenskultur“, die natürlich meist positiv ist. Doch die Berichterstattung über Flüchtlinge war insgesamt hoch stigmatisierend und negativ. Untersuchungen haben das in Detailanalysen herausgearbeitet.

Die Medien- und Migrationsforschung zeigt also tatsächlich, dass die Medien bei Migranten „bestimmte Problematiken herausgreifen“ und „Dinge verschweigen“. Allerdings genau umgekehrt, wie in der Replik „Augen auf!“ unterstellt wird. Meine Kritik an der NGA-Hysterie beziehungsweise am Migranten-Bashing steht im Einklang mit den Forschungsergebnissen.
Es wird sogar suggeriert, dass mein „Schön- und Kleinreden“ der „Tatsachen“ die „Gefahren“ auch für Migranten relativiere. Das ist eine komplette Verdrehung der Kontroverse. Was ich vielmehr gegen die behauptete „Tatsache“ angeführt habe, ist, dass wenn man schon von NGAs in Deutschland sprechen will – ich halte nichts davon, aber egal –, dann kann man sie auf keinen Fall exklusiv Migranten anhängen. Denn sie sind vielfach Opfer von Bedrohungen durch Deutsche.
Zudem wird eingewendet, dass ich das Risikogefühl von Bürgern kleinrede, wenn ich die reduktionistische NGA-Definition befrage in Hinsicht auf das Risikoempfinden gegenüber Migranten und vergleichbaren Begehungsrisiken. Der Reihe nach. Ich fragte: „Wie ist das spezifische ‚No-Go-Area‘-Risiko gegenüber anderen Risiken einzuordnen?“ Dem fügte ich hinzu: „Ist das Begehungsrisiko durch von Migranten dominierte Stadtviertel und Treffpunkte tatsächlich höher, gravierender als an anderen Orten oder doch eher ein ‚gefühltes‘, insbesondere bei Leuten, die es nicht gewohnt sind, von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ umgeben zu sein?“

Die Antwort auf die Fragen könnte lauten: Das Risikoempfinden der deutschen Normalbevölkerung gegenüber Migranten ist zu Recht hoch (entsprechend der realen Risiken und Gefahren). Daher ist es sinnvoll von NGAs zu sprechen, hier sind die Belege, Fakten, Hintergründe. Aber die Fragen werden ignoriert und es wird unterstellt, dass ich allein schon mit den Fragen offenbare, dass ich das Risikoempfinden der Deutschen missachte und die Risiken beschönige. Was ich tatsächlich erfragte, sind die (impliziten) Kriterien für die einseitige NGA-Definition sowie deren Anwendung.

Dabei ist Vorsicht geboten wegen diverser Verzerrungen. So ist zum Beispiel das Risikoempfinden gegenüber Migranten sehr stark nach oben verzerrt. Das zeigen kriminologische Studien immer wieder, in denen die Deutschen die Bedrohungen und Risiken, die von Migranten beziehungsweise Flüchtlingen ausgehen, stark überschätzen – siehe zum Beispiel die Gefährdungen durch Terroranschläge, Kriminalität und Gewalt von Migranten. Zudem werden andere Ortsrisiken weit unterschätzt, obwohl die Gefährdungen gravierend sind. Auch das ist gut studiert.

Demgegenüber sind die Bedrohungen für Flüchtlinge und Migranten in Deutschland weit höher als für Biodeutsche, da sie stärkeren Risikos an unterschiedlichen Orten ausgesetzt sind (wegen der spezifischen Migrantenrisikos, die „oben drauf kommen“, wie Fremdenfeindlichkeit oder Diskriminierungen). Außerdem ist es wahrscheinlich, dass das Risikoempfinden vieler Zugewanderter nach unten verzerrt ist. So zeigen Umfragen unter Flüchtlingen, dass sie ein sehr positives Bild von den Deutschen haben. So sagt die große Mehrheit der Flüchtlinge, dass die Deutschen Flüchtlingen helfen wollen (89 Prozent gegenüber 3 Prozent), freundlich zu Flüchtlingen sind (89 Prozent gegenüber 4 Prozent) und Flüchtlinge nicht ablehnen (49 Prozent gegenüber 10 Prozent). Das Gegenteil ist wie gesagt bei den Einstellungen der Deutschen gegenüber Flüchtlingen und Migranten der Fall.

Der Grund ist bei Forschern auch nicht strittig: Die Bedrohung der deutschen Normalbevölkerung durch Migranten wird in der Öffentlichkeit dramatisiert. Gleichzeitig ist die Bedrohung für Migranten und Flüchtlinge, die von Biodeutschen ausgeht, wenn überhaupt nur ein Randthema.
Der Kontext ist bei „Gefühlen“ und „Ängsten“ unerlässlich. Wenn wir nicht wissen, ob Bedrohungen gefühlt oder real sind, welche verzerrenden Faktoren hineinspielen, wie Gefahren real zu gewichten sind, können wir keine Aussage machen, was hinter dem Panik-Stigma NGA überhaupt konkret steckt. Subjektive Bedrohungsgefühle und ein hysterischer Bedrohungsdiskurs für sich sagen nichts über reale gesellschaftliche Zustände aus, schon gar nicht über die Existenz von „Sperrgebieten“.

Auf diesen Sachverhalt hinzuweisen und ihn zu erörtern bedeutet nicht, Probleme kleinzureden, sondern einseitige Dramatisierungen und Stigmatisierungen, vor allen gegenüber Minderheiten, in die notwendigen Kontexte zu setzen. Wenn aber behauptet wird, dass die Gefährdung durch Migranten („Parallelgesellschaften“, NGAs) in der öffentlichen Debatte heruntergespielt und das berechtigte Risikoempfinden der Bevölkerung nicht ernst genommen wird, dann sollte das gezeigt werden. Dann kann man entlang der Befunde diskutieren. Das scheint aber nicht gewünscht zu sein, aus verständlichen Gründen.

Die aufgeworfene Gretchenfrage, ob ich auch bei von Neonazis verfolgten Flüchtlingen auf Risikoempfinden und andere Risiken relativierend hinweisen würde, ist zudem irreführend. Meine Fragen zielten ja nicht auf Bedrohungen und Angriffe, schon gar nicht in einem relativierenden Sinn, sondern auf die Kriterien, um von NGAs ausschließlich bei Migrantenbedrohungen sprechen zu können. Darum ging es.

Um die Gretchenfrage also zu beantworten: Wenn jemand die Bedrohungen für Flüchtlinge durch Biodeutsche in „Parallelgesellschaften“ mit einem NGA-Begriff einseitig und selektiv dramatisiert, die massiveren, deutschenfeindlichen Gefährdungen und Vertreibungen, die von Flüchtlingen und Zuwanderern ausgehen, aber im Begriff (und auch in der „Beschreibung“) komplett ausblenden würde (wie in der veröffentlichten Meinung insgesamt), und die einseitige und stigmatisierende NGA-Hysterie vor dem Hintergrund abliefe, dass Biodeutsche in der Gesellschaft diskriminiert werden, während „besorgte Flüchtlinge“ Deutsche jagen, weil sie nicht arabisch, muslimisch oder afrikanisch sind, dann müsste dieses NGA-Konzept ebenso in Frage gestellt und Belege eingefordert werden.

Wenn Begriffe die Realität zurichten beziehungsweise verkehren und damit Gruppen ohne Machtmittel und Publizität zu Unrecht an den Pranger gestellt werden, ist Einspruch nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Es gibt aber niemanden in der veröffentlichten Meinung, der von NGAs ausschließlich für Migranten durch biodeutsche Parallelgesellschaften spricht, ganz zu schweigen von einer dramatischen Übersteigerung dieser Bedrohungen.

Viertens:

Mir wird auch vorgeworfen, dass ich mit meiner Moralkeule jeden attackiere, Migranten zu stigmatisieren, der – „wenn auch in moderatem, analytischem Stil – darlegt, dass wir in Deutschland ein Problem mit No-Go-Areas haben, die durch Parallelgesellschaften entstanden sind“.

Halten wir fest: Erstens habe ich als stigmatisierend kritisiert, dass NGAs im Artikel „Leben im Teufelskreis“ exklusiv Migranten angehängt werden, ohne Belege dafür zu liefern, was keineswegs moderat und analytisch ist (auch wenn es Mainstream ist). Zweitens kritisiere ich die allgemeine No-Go-Area-Hysterie, die Migranten unfair und überproportional in den Negativfokus nimmt, im Einklang mit der internationalen Medien- und Migrationsforschung. Drittens gibt es keine No-Go-Areas in Deutschland, folgt man den Behörden, schon gar nicht als ausschließliches oder hauptsächliches Resultat von „Parallelgesellschaften“. Und viertens sehe ich tatsächlich auch den Begriff von Parallelgesellschaften als ideologisch und stigmatisierend an, vor allem, wenn Migranten damit an den NGA-Pranger gestellt werden.

Warum sprechen wir nicht von Armuts- und ausgegrenzten Gesellschaften? Warum nicht auch von deutschen Parallelgesellschaften? Selbst die moderate Bundeszentrale für politische Bildung weist darauf hin, dass der Begriff „Parallelgesellschaften“ die Verursachung durch die Mehrheitsgesellschaft (durch gesellschaftliche und politische Ausgrenzung und Segregation) und die Abschottung auch von deutschen Gruppen systematisch ausblende, um Migranten unfair als Abschotter erscheinen zu lassen. Damit werde zugleich einseitig eine „massive Kritik an der Lebensweise von Migrantinnen und Migranten“ und der „Forderung nach kultureller Assimilation“ betrieben.

Aus der Mode: Das kleine Einmaleins des Minderheitenschutzes

Studien zeigen zudem, dass von Parallelgesellschaften in Deutschland nicht gesprochen werden kann. So ließen sich in einer Untersuchung der „sozialen Netzwerke türkischer Migranten“, die zum Teil „clan-ähnliche Strukturen aufweisen“, „keine Tendenzen einer Abschottung“ erkennen, „wie sie in der öffentlichen Debatte mit dem Begriff ‚Parallelgesellschaften‘ assoziiert werden“. Eine weitere Untersuchung in Deutschland kommt zu dem Schluss: „Die Behauptung, der Rückzug in die eigene Ethnie sei eines der drängendsten Integrationsprobleme, lässt sich durch empirische Ergebnisse nicht hinreichend belegen“.

Einer der führenden Migrationsforscher in Deutschland, Prof. Wolfgang Kaschuba, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), stellt zudem fest:

„Haben wir also Parallelgesellschaften? Lebe ich sogar selbst schon wieder in einer, mitten in Kreuzberg? Gewiss nicht! Um mich herum werden jedenfalls keine parallelen ‚Gesellschaften‘ aufgebaut. Von der Schule über die Wohnung bis zum Finanzamt leben alle sogenannten Migranten in den sozialen Strukturen und Räumen der Mehrheitsgesellschaft. Wohl aber gibt es ‚kulturell‘ Eigenes. Eigene Familien- und Geselligkeitsformen, eigene Räume und Netzwerke. Doch ist diese kulturelle Vernetzung eine schon klassische Sozialtechnik beim Übergang aus einer Gesellschaft in eine andere. Da wirken landsmannschaftliche Bindungen, Vereine, Feste als kulturelle Schleusenkammern, die soziale Gefälle zwischen Herkunft und Zukunft ausgleichen helfen – mit manchmal langsamer, aber doch beharrlicher Schubwirkung hinein in die Gegenwart. Zugleich ist dies das allgemeine und unverwechselbare Kennzeichen urbaner Kultur: die Vielfalt wie die Differenz in der großen Stadt, in der ‚Heimat der Fremden‘.“

Und weiter:

„Gerade wegen solcher Entwicklungen und Beobachtungen (wechselseitiger Aufheizungen im Zuge von Minderheitendiskriminierungen und trotzigen Gegenreaktionen in ‚freilich nur kleinsten Gruppen‘, Anmerkung des Verfassers) ist die Rede von der Parallelgesellschaft also nicht nur falsch. Sie ist als Argumentationsmuster im politischen Diskurs sogar gefährlich. Denn der Begriff produziert selbst eine kulturelle Differenz, die er vorgeblich diagnostiziert. Er zieht eine innere kulturelle Grenze in die Gesellschaft ein, die ‚uns‘ wie ‚die anderen‘ homogenisiert und essenzialisiert. Als seien wir einheitliche Gruppen und verschworene Gemeinschaften – christliche Deutsche gegen muslimische Migranten in einem lokalen ‚Krieg der Kulturen‘. So fundamentalisiert er seinerseits vermeintliche Unterschiede, macht uns bewusst ‚fremd‘ und verdeckt die vielfältigen alltäglichen Nähen und Übereinstimmungen, die vor den Türen von Moscheen und Kirchen unser Alltagsleben längst auch verbinden und ‚transkulturell‘ prägen. Vor einigen Jahren haben wir eine alte Mauer in Deutschland abgerissen. Wir sollten tunlichst keine neue bauen!“

Die Rede von „Parallelgesellschaften“ (oder: „Migranten-NGAs“, „Migrantengewalt“, „Migrantenkriminalität“ und „Migrantenproblemen“) führt zudem fast automatisch zum „Hineinlesen“ von „kultureller Differenz und Fremdheit“ in schlicht inakzeptables soziales Verhalten. Aber dieses Hineinlesen ist fehlgeleitet. Denn es gibt keine Korrelation zwischen Migrant-Sein und Kriminalität/Gewalt/asozialem Verhalten. Auch hier ist die Forschung relativ klar, obwohl es immer wieder Versuche gibt, eine Kausalität herzustellen, erkauft mit unseriösen Verallgemeinerungen und methodischen Kurzschlüssen.

Um die Befunde auf den Punkt zu bringen: Wenn Max und Mohammed in Villen bürgerlicher Viertel aufwachsen, verhalten sie sich beide unauffällig; wachsen sie ausgegrenzt, prekarisiert und konzentriert in verwahrlosten Vierteln, begleitet von Frusterfahrungen und Perspektivlosigkeit auf, ändert sich das Bild für beide. Der einzige Unterschied ist, dass Teile der Migrantengruppen und Teile der deutschen Bevölkerung überproportional in der einen oder anderen Kategorie auftauchen.

Verantwortlich sind dafür politische und gesellschaftliche Verwahrlosung, ungleiche Startchancen und Diskriminierungen. Der Trend ist aber positiv. Während Deutschland in den letzten acht Jahren zum Beispiel massive Zuwanderung von außen erfahren hat, ist die Kriminalität kontinuierlich gesunken. Die Kriminalitätsraten von Nicht-Deutschen sind dabei weit stärker zurückgegangen als die von Deutschen. Auch im Zuge der Flüchtlingskrise ist die Kriminalitätsbelastung in Deutschland weiter gesunken. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz stellt daher fest, dass Deutschland heute eines der sichersten Länder der Welt ist, trotz immer mehr Migranten und Flüchtlingen.

In der Migrations- und Rassismus-Forschung ist auch unstrittig, dass das Betonen von Hautfarbe, Ethnie, fremder Kulturangehörigkeit und Religion keine „neutrale“, „apolitische“ Information ist bei der Darstellung und Diskussion von gesellschaftlichen Problemen oder Kriminalität (sedimentiert in Selbstverpflichtungen der Presse sowie diversen internationalen Antidiskriminierungsgeboten, an die sich die „volkserziehenden Journalisten“ aber nicht halten).
Das erschließt sich auch unmittelbar. Wenn es heißen würde: „Jude ersticht kaltblütig deutschen Rentner“ oder „Jude vergewaltigt deutsche Studentin und erwürgt sie anschließend“, beinhaltet das keine neutrale Information. Das gleiche gilt für „jüdische Parallelgesellschaften“, „Judenkriminalität“ und „Judenbanden“. Für Syrer und Libanesen sollte der gleiche Maßstab angewendet werden. Wir leben ja nicht im historisch-gesellschaftlichen Vakuum. Wir reden über Flüchtlinge und Zuwanderer am Rande der Gesellschaft, ohne Machtmittel und Publizität, vielfach von Diskriminierung, Rassismus und feindlichen Ressentiments bedroht, und eben nicht über abstrakte Marsmännchen.

Aber es ist die immer gleiche, wenn auch naive Argumentation der „Realisten“, den konkreten gesellschaftlichen Verstehenshorizont – gebildet aus virulenten Vorurteilen, Ängsten und Ressentiments, einem rassistischen Nährboden, dem dominierenden Negativfokus in der Öffentlichkeit und politischen sowie fremdenfeindlichen Instrumentalisierungen – bei Zuwanderern und Flüchtlingen für irrelevant zu erklären, und die zum „Beschöniger“ und „Tabuisierer“ zu erklären, die der unfairen Kriminalisierung von Migranten entgegentreten.
Das gilt für den Nachrichtenbetrieb wie Teile der Sozialwissenschaften, die unreflektiert und verkürzt Begriffe wie „Parallelgesellschaft“, „NGA durch Migranten-Communities“, „Machokultur“ oder „Migrantenkriminalität“ immer wieder in die Öffentlichkeit spülen. Wenn die Begriffe dann als Rechtfertigungselemente für Fremdenfeindlichkeit und repressive, auf Minderheiten ausgerichtete Politiken benutzt werden, machen sich die kühlen Problemdiagnostiker einen schlanken Fuß.

Fünftens:

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass ich den Begriff „Kulturkreis“ als Nazi-Wort verächtlich gemacht hätte. Dagegen wendet die Replik „Augen auf!“ ein, dass der Begriff ein „analytisches Instrumentarium“ sei: „Der ‚Kreis‘ bezeichnet hierbei eine damit zu fassende, von anderen abzugrenzende Sphäre; die ‚Kultur‘ ein Gerüst aus Werten, Überzeugungen und Traditionen“.
Um es kurz zu machen:

  1. Ich habe nicht gesagt, dass „Kulturkreis“ ein „Nazi-Wort“ sei, sondern dass das Konzept aus der kolonialen Tradition des 19. Jahrhunderts stamme und von den Nazis übernommen wurde.
  2. Die Verwendung des Wortes, das in der „Flüchtlingskrise“ wieder Karriere macht, ist natürlich nicht „automatisch Nazi“, was ich nie behaupten würde. Es wird vielmehr mit dem Begriff an die chauvinistische Tradition angeschlossen.
  3. Der Begriff wird heute keineswegs analytisch benutzt, sondern durchgängig wertend. Denn der Verweis auf „andere Kulturkreise“ (aus denen Flüchtlinge und Zuwanderer kommen) ist immer negativ und abwertend gegenüber den Vertretern des „anderen Kulturkreises“ konnotiert. Den rückständigen, anders gestrickten, zum Teil nicht integrierbaren Arabern und Muslimen, die aus einem „anderen Kulturkreis“ kommen, wird das aufgeklärte, liberale und moderne Europa gegenübergestellt.

Die Zuschreibungen des „anderen Kulturkreises“ (bei Trump offen rassistisch formuliert als „shithole countries“) umfassen diverse pauschale Verurteilungen: „vormoderner Islam, Islamismus, Fundamentalismus, Antisemitismus, Terrorismus“, „arabische/afrikanische Disziplinlosigkeit, Unordnung, ökonomische Unterentwicklung“, „Patriachat, häusliche Gewalt, Unterdrückung beziehungsweise Verachtung der Frau, sexuelle Gewalt“, „Vor- beziehungsweise Anti-Aufklärung, politischer und gesellschaftlicher Autoritarismus, Mangel an Demokratie, Emanzipation, Toleranz und humanistischen Werten, Illiberalität“ und so weiter.

Ich kenne kein einziges Beispiel, wo „anderer Kulturkreis“ nicht negativ und abwertend im Sinne von rückschrittlich gemeint ist in Hinsicht auf die „Kultur“ der Entwicklungsländer, aus denen die Zuwanderer kommen. Darum können Menschen aus dem „anderen Kulturkreis“ „unseren Kulturkreis“ auch nicht bereichern, erweitern und beleben. Sie bedrohen vielmehr unsere Fortschrittlichkeit und unsere „westlichen Werte“, wenn sie zu uns kommen. Wenn evangelikale, waffenvernarrte Kreationisten nach Europa kommen, stammen sie natürlich nicht aus einem „anderen Kulturkreis“.

Trotz der pauschalen Abwertung im Begriff: Nicht jeder, der von „Kulturkreisen“ spricht, akzeptiert automatisch die Ideologie dahinter (wenn er sie überhaupt wahrnimmt) oder ist per se ein „Kulturchauvinist“ – genauso wenig wie jeder Mensch ein „Rassist“ ist, der weiter „Neger“ als „neutrale“ Bezeichnung benutzt.

Die Volkserzieher, Teil I

Aus meinem Hinweis auf die kulturchauvinistische Tradition des Begriffs „Kulturkreis“ wird folgender Schluss gezogen: „So radikalisiert man Menschen, weil man ihnen dadurch das Gefühl gibt, sich in einem demokratischen Land nicht mehr frei äußern und ihre Sorgen (und Risikowahrnehmungen!) artikulieren zu können, ohne sogleich von volkserziehenden Journalisten vor das terminologische Tribunal gezerrt zu werden.“

Auch hier in aller Kürze:

  1. Die „volkserziehenden Journalisten“ sind ein Mythos, siehe oben. Die Massenmedien forcieren durch ihre stigmatisierende Berichterstattung vielmehr die Risikowahrnehmungen und treiben die Sorgen in Hinsicht auf Migranten in illusionäre Höhen.
  2. Was meine konkrete Kritik angeht: Weder habe ich Interesse daran ein Tribunal abzuhalten, noch glaube ich, dass sich „die Menschen“ wegen meiner terminologischen Erklärungen und der Empörung über die intellektuelle Verlogenheit radikalisieren oder gar Angst haben, ihre „Sorgen“ zu artikulieren. Ich hoffe, dass jene, die die Auseinandersetzung verfolgt haben, zum Nachdenken angeregt werden. Jedem steht frei, die jeweiligen Argumente einleuchtend zu finden oder nicht.
  3. Ich finde Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht akzeptabel, aber verstehe, woher die Sorgen kommen. Daher kritisiere ich eine politische Klasse, Medien und Intellektuelle, die mit dem Negativzoom auf Flüchtlinge und Zuwanderer diese Sorgen instrumentalisieren, anstatt die Ursachen zum Thema zu machen und die eigentlichen „Sorgenmacher“ ins Zentrum der Kritik zu stellen.

Sechstens:

Zu Recht wird in der Replik „Augen auf!“ darauf hingewiesen, dass Journalisten sagen sollten, „was ist“. Es sollte aber klar geworden sein, dass im Artikel „Leben im Teufelskreis“ nicht gesagt wurde, „was ist“. Es wurde nicht „ein soziales Phänomen thematisiert“, das „viele Migranten mindestens ebenso gefährdet wie Einheimische“, wie an einer Stelle jetzt vorgegeben wird, in stillschweigender Revision und Weißwaschung der NGA-These, die „Sperrzonen“ für deutsche „Normalbürger“ exklusiv „Migranten-Parallelgesellschaften“ unterschob. Selbst in der Replik wird den blinden Flecken des NGA-Begriffs weiter ausgewichen.

Natürlich sagen alle, die Vorurteile gegenüber Fremden mit Formeln bedienen, dass sie nur vorhandene Probleme ansprechen und die „Sorgen des kleinen Mannes und der kleinen Frau“ zur Sprache bringen wollen. Jan Fleischhauer vom Spiegel, der Vorzeige-Rächer der von Gutmenschen tyrannisierten Normalbevölkerung, spielt gerne auf dieser Leier.

Der Effekt ist offensichtlich. Wer den „Sagen-was-ist“-Realismus Fremden gegenüber kritisiert, offenbart Abgehobenheit und Missachtung für „das Volk“. So können die „kühlen Analytiker“ und „Realisten“ als Robin Hoods aus den Büschen springen und beim Wegschieben des Minderheitenschutzes auf die Sorgen der Hartz IV-Empfänger und Billiglöhner verweisen, während die Kritiker in die elitäre Ecke gesteckt werden, sogar zu Handlangern des Neoliberalismus mutieren.

Aber die Realisten und besorgten Redakteure an ihren Schreibtischen (in der Welt der kühlen Analytiker die „schönfärbenden Volkserzieher“) sind keineswegs die Robin Hoods des „unterdrückten Volkswillens“, wenn sie die von Migranten gewaltsam erzeugten No-Go-Areas als Problem in die Öffentlichkeit schieben. Damit wird auch keine Lücke gefüllt, wie behauptet. Rund 1400 Mal erschien seit der Kölner Silvesternacht der Begriff „No-Go-Area“ in der deutschen Tagespresse, meist fokussiert auf Flüchtlinge, eingebracht von den „flüchtlingsfreundlichen“, die Moralkeule schwingenden „Volkserziehern“, um ein exklusives migrantisches Bedrohungsszenario zu zeichnen, dass es in Deutschland gar nicht gibt.

Die Volkserzieher, Teil II

Schauen wir uns zudem das „Volk“ genauer an, das die Robin Hoods aus den Fängen der „volkserziehenden Journalisten“ befreien wollen. Durch hysterische Negativberichterstattung gelang es den Medien zwar, abseits der Fakten, den Eindruck zu erwecken, dass die Schutzsuchenden das Leben in Deutschland destabilisieren und gesellschaftliches Chaos erzeugen werden (in Form von Kriminalitätszuwachs, Sozialabbau, Wohnungsnot, Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und so weiter). Doch die Deutschen verweigerten den Panikmachern überwiegend die Gefolgschaft.

So zeigt sich das „Volk“ in Umfragen nicht sonderlich besorgt über den „Ansturm“ der Fremden aus „anderen Kulturkreisen“. Nach einer Gallup Poll Studie sagen 96 Prozent der Deutschen zum Beispiel weiter, dass sie Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, persönlich in ihrem Land akzeptieren würden. 76 Prozent der Deutschen sind sogar der Meinung, dass die Bundesregierung noch mehr für die Flüchtlinge tun solle. 56 Prozent gaben an, dass sie Flüchtlinge auch in der eigenen Nachbarschaft akzeptieren würden. Jeder zehnte Deutsche erklärt sich bereit, einem Flüchtling in der eigenen Wohnung Unterschlupf zu geben. Die Befragung fand im Mai 2016 statt, also nach der „gigantischen Aufnahme von Flüchtlingen“, der „Jahrhundertkrise“, den endlosen Debatten über Integrationsprobleme, dem „Sodom und Gomorra“ in Köln und den Terroranschlägen in Paris und Belgien.

Im Herbst 2016 gaben über Dreiviertel der Deutschen in einer Emnid-Umfrage an, dass sich ihr Leben durch den Zuzug von Flüchtlingen nicht verändert habe. 8 Prozent meinten sogar, dass sich ihr Leben durch sie verbessert habe. Eine EKD-Studie stellte fest, dass die persönliche Unterstützung der Deutschen für Flüchtlinge von November 2015 bis Mai 2016 noch zugenommen habe. Danach sei der Anteil von 10,9 Prozent auf 11,9 Prozent gestiegen. Fast jeder achte Deutsche habe sich danach mit Kinderbetreuung, Sprachkursen, privaten Hilfsleistungen und Aufnahme von Flüchtlingen, Begleitung bei Behördengängen oder Sach- und Geldspenden für die Schutzsuchenden eingesetzt. Das sind historische Werte zivilgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins.

Und trotz der nicht enden wollenden Debatten über nicht gelingende Integration und Überlastung sowie der staatlichen Blockade der Integration geben sich 60 Prozent der Deutschen nach der „Jahrhundertaufnahme“ weiter optimistisch, dass die Aufnahme von 1,3 Millionen Flüchtlingen gut gelingt. Rund 85 Prozent der Deutschen haben zudem keine Probleme, Ausländer oder Gastarbeiter in ihrer Nachbarschaft zu haben. Dagegen stehen 9,9 Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland, die die AfD gewählt haben, einige tausend Pegida-Demonstranten und eine Splittergruppe von Rassisten, die jedoch enorme Aufmerksamkeit in den Medien erhalten.
In den letzten zweieinhalb Jahren haben die „Robin Hoods“ und die „volkserziehenden Journalisten“ also keineswegs die Risikowahrnehmungen und Sorgen „des Volks“ zum Schweigen gebracht und Tabus errichtet. Ganz im Gegenteil. Sie haben versucht dem „Volk“ Angst zu machen, es zu verunsichern und den Bürgern einzureden, dass unsere Art zu leben von Zuwanderern und Flüchtlingen bedroht werde.

Gemessen an dem Aufwand sind die Erfolge der allgemeinen Verunsicherung eher bescheiden. Die Stimmung konnte nicht gekippt werden. Die längerfristigen Entwicklungen zeigen zudem, dass die Deutschen durch die diversen Zuwanderungswellen in den letzten Jahrzehnten mehr Erfahrungen mit Fremden gemacht haben. Sie haben heute ein besseres Verständnis und weniger Ängste den Zugewanderten gegenüber, sehen die positiven Aspekte der anderen Kulturen deutlicher und sind selbst vermehrt in anderen Ländern unterwegs.

So ist der fremdenfeindliche Nährboden dünner geworden, auch wenn Hass und Fremdenfeindlichkeit weiter aktiviert werden können, insbesondere bei Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt, vom Kapitalsektor ausgebeutet und vom Staat alleingelassen werden, während die oberen Schichten immer reicher, wohlhabender und politisch einflussreicher werden.

Untersuchungen dokumentieren zudem, dass Vorurteile verschwinden, wenn persönliche Kontakte mit Zugewanderten und damit positive Primärerfahrungen möglich sind. Daher ist es nicht zufällig so, dass in den neuen Bundesländern die Ängste gegenüber den Fremden zum Teil stärker ausgeprägt sind.

Ähnliches gilt für die von der Deindustrialisierung abgehängten Stadtviertel an den alten Industriestandorten. Es kann als demütigend erfahren werden, als „abgehängte“ und „überflüssige“ Deutsche mit den „superüberflüssigen Migranten-Taugenichtsen“ in „soziale Brennpunkte“ eingesperrt zu werden. Da der Frust nach oben nirgends hin kann, sucht er sich teilweise Blitzableiter vor Ort, die gar nichts für die Misere können, sondern ebenfalls Opfer sind. Die Deindustrialisierung ist ja keine Erfindung der Migranten.

Es ist leicht, Vorurteile in die Welt zu setzen oder zu zementieren – mit analytischen Pseudo-Formeln oder dem ständigen Negativzoom auf kriminelle, asoziale Migranten in „Parallelgesellschaften“. Es ist dem gegenüber viel Arbeit, Stereotype und Urängste gegenüber Fremden, „Dunkelhäutigen“ und kulturell Andersartigen wieder abzubauen. Denn auch in modernen Industriegesellschaften herrscht weiter ein zäher rassistischer Diskurs rund um Einwanderung, Asyl und Flucht.

Es ist dabei ein beliebter Schachzug der „Sagen-was-ist“-Realisten, über „Volksbande“ Reflexion, Fairness und Minderheitenschutz auszuspielen. Wer es wagt, mit Fragen, Empirie und Kontexten den „demokratischen Tatsachen“ zu Leibe zu rücken, zeigt damit nur seine elitäre Verachtung für das „Volk“. So kontert die Replik „Augen auf!“ mit dem „persönlichen Erleben“ und den „Erfahrungen von tausenden Menschen“, um die NGA-Ideologie im „Volksempfinden“ zu verankern und populistisch abzuschirmen. Aber nur dann, wenn es opportun ist. Denn niemand würde ernsthaft sagen wollen, dass es ebenso „demokratisch zu respektieren“ und „nicht weg- oder kleinzureden“ ist, wenn es dem „persönlichen Erleben und den Erfahrungen von tausenden Menschen entspricht“, dass die bedrohliche Macht von Juden insbesondere in der internationalen Finanzindustrie „ebenso wert“ ist, „politisch thematisiert zu werden, wie es bei Steuerflucht und Autobahnen der Fall ist“. Nein, das würde niemand tun. Weil auch die „Realisten“ sehr gut verstanden haben, wen sie „aus anderen Kulturkreisen“ mit Rückgriff auf das vermeintliche „Volksempfinden“ an den Pranger stellen dürfen und wen nicht.

Darum ist das, was in der Kontroverse um No-Go-Areas verhandelt wird, wichtig, auch im Detail. Denn die „allgemeinen Gesichtspunkte, die das Handeln der Menschen betreffen, sind unteilbar. Wer es in kleinen Dingen mit der Wahrheit nicht ernst nimmt, dem kann man auch in grossen (sic) Dingen nicht vertrauen…“.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.rubikon.news/artikel/augen-auf
(2) https://www.rubikon.news/artikel/flutlicht-an
(3) https://www.rubikon.news/artikel/leben-im-teufelskreis


Ausgewählte Links:
* „Das sind die ‚verrufenen und gefährlichen Orte in NRW“, Die Welt, 20.4.2017: https://www.welt.de/politik/deutschland/article163856819/Das-sind-die-verrufenen-und-gefaehrlichen-Orte-in-NRW.html
* „Wie Fremde gemacht werden“, Der Tagesspiegel, 14.1.2007: http://www.tagesspiegel.de/meinung/wie-fremde-gemacht-werden/798460.html
* „No-Go-Area Duisburg-Marxloh: Ist die Kriminalität wirlich so schlimm?“, Pro Sieben, 22.11.2017: https://www.prosieben.de/tv/taff/video/201715-no-go-area-duisburg-marxloh-ist-die-kriminalitaet-wirklich-so-schlimm-clip
* „Parallelgesellschaften?“, Aus Politik und Zeitgeschehen, Bundeszentrale für politische Bildung, 1-2/2006: http://www.bpb.de/apuz/30002/parallelgesellschaften
* Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag zur „Kölner Silvesternacht“, 23.3.2017: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-14450.pdf


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