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Reaktionäre Rebellen

Reaktionäre Rebellen

Beim Versuch, Schuldige für das totalitäre Desaster zu finden, landen nicht selten emanzipative Ideen mit auf dem Scheiterhaufen. Teil 2/2.

An eine Schwelle gestoßen zu werden, an einen Abgrund, mag verschiedene Reflexe auslösen. Panik, neben Paralyse, ist bestimmt gegeben, zumal es die Schwelle ins Nichts sein könnte, dahin, wo bisherige Kategorien nicht greifen oder Kategorien gänzlich enden. Steht die Menschheit an einer solchen Schwelle ― und es fühlt sich so an ―, so mag dem Einzelnen bewusst werden, dass er selbst da steht. Und dass er, gewissermaßen paradox, am Ende ganz allein ist. Allein an dieser Schwelle.

Wie kam ich dahin? Wo ist der Schlüssel, die Regel, die alles erklärt? So mag er denken, entfernt wie der Mann vom Lande vor dem Gesetz. Dies in klaren Augenblicken. In diffusen bleibt die Sprache weg. Er will eine Gewissheit zurück, und möge es die letzte sein. Er will wissen, wer gestoßen hat. Denn irgendwer, so nimmt er an, muss ihn ja gestoßen haben, wäre er doch nie von selbst an diese Schwelle vorgerückt.

Wenn ich diesen sonderbaren Anfang hier setze, so im Bewusstsein, dass der Schwellengedanke bei den meisten Menschen kaum als klarer Gedanke vorhanden ist. Kann er nicht sein, sonst stünde die Menschheit nicht an der Schwelle. Dass die meisten weiterhin einen Alltag haben ― und sei es auch bloß eine digitale Imitation davon ―, das ist mit dem Vorrücken zur Schwelle auf Engste verknüpft. Verknüpft damit, dass weder in diesem Alltag, geschweige denn in seiner Imitation ein Einbruch gegeben wär. Nein, es ist alles glatt. Schlafwandlerisch glatt. Screentauglich. Wenn Terrorakte gegen die Energieversorgung der „Freunde“ ausgeführt werden, wenn wieder deutsche Panzer gegen Russland rollen und Hitlers Russenbild Urstände feiert, aber auch wenn „Impf“schäden, rechtsstaatlicher Zusammenbruch und Demokratieimplosion längst offensichtlich sind, dann ist Fußball das Thema. Wird es noch sein, wenn die Zivilisation längst verdampft ist. Steht das im Gesetz?

Wichtig trotz allem (so sage ich mal aus Verlegenheit) scheint mir die Besinnung, die Reflexion. Sie ist der Panik, verständlicherweise gegeben, entgegenzuhalten. Suche nach der Wahrheit? In einem Augenblick ohne Zeit? Ist das nicht Luxus?

Die Lösung des Dilemmas: Wahrheit als Schuld. Geht rasch. Schuld der Anderen. Der Bösen. Der Kriminellen. Ich schreibe das ohne Ironie. Auch die Aussicht, mit Schuldigen die Lage aufzubessern, versteht sich nicht ironisch. Denn: Was stelle ich im Augenblick, da vor mir der Abgrund klafft, diesem Abgrund entgegen? Oder um es mehr noch im Bild zu fragen: Was werfe ich in den Abgrund hinein, auf dass der sich füllt, bevor ich den nächsten Schritt zu tun genötigt bin?

An der Schwelle das Lied von den Errungenschaften unserer Zivilisation singend ― unserer westlichen Zivilisation erst noch: ja in der Tat, ohne jede Brechung treffe ich solchen Gesang im systemkritischen Diskurs seit Corona immer wieder an, von der Bewunderung für SUV-Fahrzeuge bis zur Lobpreisung der Atomenergie ―, wird auf den unwiederbringlichen Verlust derselben aufmerksam gemacht.

Dieses Lied ist aber kein betörend schönes Requiem für das Emanzipative, das Machtkritische und Subversive ― da würde ich nämlich sogleich einstimmen ―, vielmehr werden Errungenschaften, die sich letztlich als mit dem Kapital verhängt erweisen, besungen. Wenn aber die Schuldigen ― und die möchte man eben rasch noch haben vorm Ende ― für die totalitäre Technokratur in technikskeptischen Kreisen von Spiritualisten und Nudisten der Jahrhundertwende geortet werden ― ich bin immer wieder erstaunt, solches zu lesen ― und nicht im Kapital und seiner Technologie, dann ist die Schwelle, von der ich gesprochen habe, keine. Sie ist vielmehr bereits ein Punkt im Nichts. Und weil es da Punkte nicht gibt: ein Nichts im Nichts. Leere.

Soll ich also mitsingen, wenn diese Hymne des Verlustes angestimmt wird? Soll ich mitgehen, wo die Ursache des Desasters als deren Lösung gepriesen wird? Soll im Augenblick, da alles auf dem Spiel steht ― aber das Spiel selbst ist ja alles ... ―, alles recht sein? Alles, was den Lauf der Dinge bremst? Selbst wenn die Bremse aus dem besteht, was den Lauf antreibt? Oder setze ich mich, umgeben von einem Meer des Unbegreifens, dann nicht besser zu Boden und höre zuletzt noch Les Nymphes des Bois, den betörenden Totengesang von Josquin Desprez in der allen monströsen Lauf brechenden Interpretation von Graindelavoix? Eine himmlische Musik ― entstanden im engsten Umkreis der Macht?

Ich werde konkret. Wenn ich ― durchaus auf mir obskur erscheinenden Websites, doch ebenso auf coronabekannten Sites wie Uncut-News oder Transition News und vereinzelt auch da, wo ich selbst redaktionell mitarbeite ― in zu erheblichen Teilen guten Artikeln, auf Einlagerungen treffe, in denen die Postmoderne als solche, Feminismus, Dekonstruktion und andere emanzipative Ansätze des 20. Jahrhunderts, mehr noch: auch romantische, dem Materialismus entgegengestellte Konzepte als Weg zum Desaster und die bürgerliche Moral und Familie als Heil dagegen gezeichnet werden, so werde ich Zeuge einer Verdrehung. Und bei einer Perversion des Geistes mache ich auch dann nicht mit, wenn ich, einsam an der Schwelle stehend, das, wogegen Familie und Moral als Heilmittel gepriesen sind, durchaus ebenso als monströs einstufe.

Zu wertvoll auf dem Weg zu einem möglichst herrschaftsfreien Diskurs scheinen mir ― bei aller kritischen Auseinandersetzung auch mit diesen Texten ― Gedanken und Erkenntnisse beispielsweise einer Hannah Arendt, eines Michel Foucault ― Erich Fromm und C. G. Jung kenne ich weniger, aber auch die werden als Schuldige geführt auf dem Weg zum Hässlichen, Entarteten und Kranken, teils in Nazinähe geschoben. Und dies in einer Systemkritik, die vorgibt, gegen den globalen Durchgriff von Weltwirtschaftsforum (WEF) und Konsorten anzugehen.

Vorboten

Ein erstes Mal bewusst geworden sind mir reaktionäre Versatzstücke in der Systemkritik noch vor Corona in einer insgesamt recht präzisen und bestimmt lesenswerten Arbeit von Guido Giacomo Preparata, die ich in einer Kurzrezension auf Rubikon vorgestellt habe. Auffällig dort zum einen die Person, auf die Preparata bei seiner Kritik fokussiert: Michel Foucault. Geistesgeschichtlich wird dieser dort über die Wirkung, die er in den USA hatte, als entscheidende Instanz hin zum Desaster, speziell zum Desaster in der Bildung und zum Desaster der Linken, vorgestellt. Zum anderen auffällig die Prüderie, die dieser Kritik implizit mit eingeschrieben ist. Wer an dieser Stelle kurz in Preparata und dessen Kritik eintauchen möchte, sei auf die Fußnoten verwiesen (1).

Sowohl Foucault als Zielscheibe einer Systemkritik als auch eine kleinbürgerliche Prüderie als moralisches Wertungsfundament, darüber hinaus aber auch das Muster, zwischen einem Text und seiner Rezeption nicht zu unterscheiden, habe ich in der Folge vermehrt angetroffen. Am stärksten in einem Text, dem ich mich qua Paradigma einer reaktionären Kritik nun abschließend widme. Erkenntnistheoretisch bewegt er sich auf einem bescheideneren Niveau als Preparata, hatte aber (und hat immer noch) eine größere Breitenwirkung mit deutlicher Einstrahlungskraft in den coronakritischen Diskurs.

Vom Standpunkt des Mainstreams beziehungsweise dessen Feuilleton-Kanälen aus ― also der Propaganda ― fungiert er als eine rechtslastige Verschwörungstheorie. Diesen Aspekt als solchen lasse ich außen vor, zumal die Einstufung als Verschwörungstheorie, durch das System und seine Handlanger vollzogen, zunächst mal für den erkenntnistheoretischen Gehalt einer Argumentation spricht.

„The New Dark Age“ als Paradigma einer reaktionären Kritik

Der Text von Michael J. Minnicino hat den Titel „The New Dark Age. The Frankfurt School and ‚Political Correctness‘“ und ist auf der Website des Schiller-Instituts ― Vereinigung für Staatskunst e. V., einer Gründung des US-amerikanischen Politikers Lyndon LaRouche, abrufbar (2). Ich werde im Folgenden daraus stets in deutscher Übersetzung zitieren. Der Text gilt als auslösendes Moment für das, was Kulturmarxismus genannt wird. Um diese Debatte indes geht es mir nicht. Es ist ― wie bald deutlich wird ― eine der vielen Scheindebatten, die davon ablenkt, dass der Totalitarismus, wie er sich zeigt, ein Produkt des Kapitalismus ― banal: der Geldgier und der Gier, diese Gier auf immer und ewig stillen zu können ― ist und nicht von irgendwelchen verdeckt wirkenden marxistischen Kräften, die nirgendwo machtrelevant existieren. Dies zu behaupten allerdings kann bereits als Bestandteil einer reaktionären Ideologie verstanden werden.

Der Text in seiner Funktion als Schlachtfeld, auf dem alles liquidiert wird, was irgendwie nach Emanzipation riecht, ist wie gesagt paradigmatisch interessant, zumal in der Verschränkung mit der Tatsache, dass er eben im Coronadiskurs Niederschlag findet, obgleich er vor 30 Jahren geschrieben wurde. Niederschlag findet zumeist allerdings nicht der Text selbst, vielmehr die darin enthaltenen Konzepte, was auf eine „tiefere“ Verbundenheit hindeutet, die es auszuloten gilt. Und während Preparata auf der Suche nach den Gründen der Verheerung bei Foucault fündig geworden zu sein glaubt, ist es bei Minnicino die Frankfurter Schule ― namentlich in erster Linie Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse, aber auch Erich Fromm und Hannah Arendt ―, die für die zivilisatorische Katastrophe des Westens verantwortlich ist. Dieser Schule (beziehungsweise als Zerstörungsziel dieser Schule bestimmt) stellt Minnicino westliche Errungenschaften gegenüber, die er durch die Verheerungen der Frankfurter Schule bedroht sieht. Nicht zuletzt ist es diese Referenz auf „Errungenschaften“, welche als Parallele eben dieses Textes mit Kritik am Totalitarismus von heute fungiert.

Kulturpessimismus: Alles ist hässlich, die Technik ist gut

Vorausgeschickt: Den Kulturpessimismus teile ich. Meine Sicht stelle ich nun allerdings zurück und lasse den Text sprechen. „Obszönitäten“ bestimmen die Kultur. Sexualität ist von Anfang an mit im Visier. Und die Urteile sind pauschal: „Unsere bildende Kunst ist hässlich, unsere Architektur ist hässlich, unsere Kleidung ist hässlich.“ Die Frage steht im Raum: Was ist der Maßstab einer solchen Kritik, gegen deren Radikalität ich grundsätzlich nichts habe?

Der Pessimismus geht auf bemerkenswerte Art und Weise einher mit Technologieglauben: „Unsere Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist die erste in der Geschichte, in der diese Schrecken (gemeint sind: Krieg und generell Brutalität beim Kampf ums Überleben, Anmerkung des Autors) völlig vermeidbar sind. Unsere Zeit ist die erste, die über die Technologie und die Ressourcen verfügt, um jeden Menschen auf der Erde zu ernähren, zu beherbergen, auszubilden und menschenwürdig zu beschäftigen, ganz gleich, wie hoch das Bevölkerungswachstum ist.“

Die Hässlichkeit wäre also technologisch überwindbar, aber sie ist gewollt. Alles ist hässlich, nicht aber die Technologie. Die ist vielmehr gut ― als wäre sie mit dem, was hässlich ist, nicht verhängt ―, gut, weil man mit ihr alle Probleme lösen könne. Diese erkenntnistheoretische Naivität prägt die reaktionäre Kritik nachhaltig.

Anfang des Unheils

Das Unheil beginnt im 19. Jahrhundert. Als Symptom tritt es von Anfang an personalisiert auf. Gut-böse- beziehungsweise Gut-schlecht-Linien werden gezeichnet, das Böse verkörpert etwa mit Claude Debussys Prélude á l’après-midi d’un faune ― allein die sexuelle Ausstrahlung von Faunen kann einer reaktionären Weltsicht nicht behagen ― und der atonalen Musik Arnold Schönbergs, das Gute durch Antonín Dvořák, Johannes Brahms und Giuseppe Verdi. In der Malerei wird das Hässliche mit Edvard Munch und Paul Gauguin eingefangen, dagegen gesetzt werden die guten realistisch-gegenständlichen Bilder von Thomas Eaksin (dessen Werk „Swimming“ mit nackten jungen Männern und stark homoerotischem Flair in der Luft war dem Schreiber wohl nicht bekannt). Auf der Seite des Guten zu liegen kommt das Rerum Novarum von Papst Leo XIII., ein explizit gegen den Sozialismus gerichteter Versuch einer katholischen Soziallehre, dem entgegengesetzt „Teile der sozialistischen Zweiten Internationale“, die „zu Terroristen wurden und sich auf den Klassenkampf vorbereiteten.“

Renaissance und Platon: Elitenkultur und Einfall des Bösen

Das Richtige hat im Wesentlichen zwei Bezugspunkte. Als Epoche die Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts:

„Schönheit in der Kunst war nichts anderes als der Ausdruck der fortschrittlichsten wissenschaftlichen Prinzipien, wie die Geometrie beweist, auf der Leonardos Perspektive und Brunelleschis große Kuppel der Kathedrale von Florenz beruhen. Die klügsten Köpfe der damaligen Zeit richteten ihre Gedanken auf den Himmel und die mächtigen Gewässer, kartierten das Sonnensystem und den Weg in die Neue Welt und planten große Projekte, um den Lauf der Flüsse zum Wohle der Menschheit zu verändern.“

Dazu kommt Platon als Garant des Konzepts einer objektiven Wahrheit, so wird er zumindest begriffen.

Der innige Bezug von Kunst, Wissenschaft und Macht wird als naturgegeben vorausgesetzt. Dass eine solche Kunst nur für eine Elite gemeint sein kann, ist evident. Diese elitäre Weltsicht mündet in die Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts qua wahres Gesellschaftsmodell, nicht aber in Nietzsches Scharfsinn und Misanthropie, was sich gewissermaßen ja auch aus einem elitären Ansatz herleiten ließe. Nietzsche indes bleibt bei den Bösen, welche die Frankfurter Schule vorbereiten.

„Vor etwa hundert Jahren war es so, als hätte man eine lange Checkliste erstellt, auf der alle wunderbaren Errungenschaften der Renaissance aufgelistet waren ― jede einzelne sollte rückgängig gemacht werden. Als Teil dieser ‚New Age‘-Bewegung, wie sie damals genannt wurde, wurde das Konzept der menschlichen Seele durch die lautstärkste intellektuelle Kampagne der Geschichte unterminiert; die Kunst wurde gewaltsam von der Wissenschaft getrennt, und die Wissenschaft selbst wurde zum Gegenstand eines tiefen Misstrauens. Die Kunst wurde hässlich gemacht, weil, wie es hieß, das Leben hässlich geworden war“ (3).

Das ist der Sündenfall, direkt mit der Zivilisationskrise am Ende des 20. Jahrhunderts verknüpft, wie später noch deutlich wird. Nimmt man den Text zum Maß, so ist beispielsweise der Massenmord an der indigenen Bevölkerung in Süd- und Nordamerika durch Europäer, die sich danach das Land aneigneten ― teilweise im Namen des Christentums ― nicht hässlich, vielmehr gilt zu jenen Zeitpunkten noch die ewige Wahrheit der Renaissance. Für diese Massenmorde eine Rechtfertigung abzuleiten, liegt auf der Linie des Textes, wenngleich das so nicht explizit ausgesprochen ist. Zumindest aber sind diese Massaker ― als noch von der Renaissance „behaucht“ sozusagen ― nicht so hässlich wie die Entwicklung, für die der Text im Folgenden Marxisten und Bolschewisten verantwortlich macht. Das gilt es zweifelsohne als reaktionäre Sicht herauszustellen.

Der Abfall ins Böse findet laut Text also im 19. Jahrhundert statt. Debussys Faun und ― wie wir bald sehen werden ― Sexualität generell sind es, was den Schreiber entsetzen, und nicht die Massaker an indigenen Bevölkerungen in den vorausgehenden Jahrhunderten im Namen einer absoluten Wahrheit.

Massenmedien als marxistische Verschwörung

„Die kulturelle Abkehr von den Ideen der Renaissance, auf denen die moderne Welt aufbaut, ist auf eine Art Freimaurerei der Hässlichkeit zurückzuführen. Am Anfang stand eine formale politische Verschwörung zur Verbreitung von Theorien, die speziell darauf ausgerichtet waren, die Seele der jüdisch-christlichen Zivilisation so zu schwächen, dass die Menschen glaubten, Kreativität sei nicht möglich, das Festhalten an der universellen Wahrheit sei ein Beweis für Autoritarismus und die Vernunft selbst sei verdächtig. Diese Verschwörung war ausschlaggebend für die Planung und Entwicklung der riesigen neuen Schwesterindustrien von Radio, Fernsehen, Film, Musikaufnahmen, Werbung und Meinungsumfragen als Mittel der sozialen Manipulation. Der allgegenwärtige psychologische Einfluss der Medien wurde absichtlich gefördert, um die Passivität und den Pessimismus zu erzeugen, unter denen unsere Bevölkerung heute leidet.“

„Schlecht“ an der Entwicklung von Radio et cetera ist aus Sicht Minnicinos die Auflösung des Elitären und die Erreichbarkeit der vermittelten Inhalte für weite Schichten. Das wird explizit so nicht geschrieben, aber ist zwingend zu folgern, wird die Technologie als solche doch in keiner Weise kritisch gesehen, im Gegenteil, die Kritik des Reaktionären, wie wir noch sehen werden, gilt dem Technikskeptizismus. Es kann also nicht die technische Seite der Entwicklung im Bereich der Massenmedien sein, was Minnicino antreibt.

Bei der Verschwörung zur Hässlichkeit handelt es sich um eine marxistische. Diesem Marxistischen gilt die Kritik des Reaktionären. Und diese marxistische Verschwörung erreicht ― das Paradoxe begleitet den Text unbewusst ― erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihren Höhepunkt:

„Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind unsere Universitäten nun die größte Konzentration marxistischer Dogmen in der Welt.“

Dass diese „marxistischen Dogmen“ hinter allem Übel bis hin zu dem, was heute Cancel Culture genannt wird, stehen, wird klar, wenn Minnicino schreibt:

„Studenten an der Universität von Virginia haben kürzlich erfolgreich beantragt, die Pflicht zur Lektüre von Homer, Chaucer und anderen DEMS (‚Dead European Males‘) zu streichen, weil diese Schriften als ethnozentrisch, phallozentrisch und im Allgemeinen als minderwertig gegenüber den ‚relevanteren‘ Autoren aus der Dritten Welt, Frauen oder Homosexuellen gelten.“

Damit ist der Rahmen abgesteckt, die Täterideologie herausgestellt ― und nebenbei das Kapital als Antreiber von Prozessen der Atomisierung qua Machtabsicherung aus dem Fokus genommen. Der operative Täter heißt „Frankfurter Schule“. An ihr beziehungsweise an seinem Verständnis von ihr arbeitet sich Minnicino ab:

„Die wichtigste organisatorische Komponente dieser Verschwörung war ein kommunistischer Thinktank mit dem Namen Institut für Sozialforschung (ISR), im Volksmund jedoch als Frankfurter Schule bekannt“ (4).

Das Ziel ihrer Gründung sieht Minnicino in der Zerstörung der westlichen Zivilisation, also den universellen Werten, die er von Platon und der Renaissance herleitet, durch die individualfeindliche, kollektivistische Ideologie des Kommunismus beziehungsweise der Kommunistischen Internationale (Komintern):

„Im Laufe des nächsten Jahrzehnts arbeitete das Institut aus, was die erfolgreichste psychologische Kriegsführung der Komintern gegen den kapitalistischen Westen werden sollte.“

Auch die in reaktionären Ideologien des Westens häufig auftretende Russophobie ― in Form einer ethnisch abwertenden Klassifikation russischer Menschen als minderwertig bis hin als Barbaren wie in der NS-Ideologie ― ist in Minnicinos Text anwesend:

„Der Bolschewismus funktionierte in Russland, weil diese Nation von einer eigentümlichen gnostischen Form des Christentums beherrscht wurde.“

Diese Form sieht Minnicino in den Schriften Dostojewskis verkörpert, wo angeblich als russisches Spezifikum Menschen ihre persönliche Identität bereitwillig aufgeben zugunsten einer höheren Instanz, als ob Dostojewski damit nicht eine anthropologische Konstante gezeichnet hätte. Minnicino weiter:

„Dieser Verzicht auf die Einzigartigkeit der Seele löst auch das Problem der ‚teuflischen Kräfte, die in aller Gewalt lauern‘ und die entfesselt werden müssen, um eine Revolution zu schaffen.“

Soziale Gründe für Widerstand und Revolution, Unterdrückung und Ausbeutung durch eine herrschende Klasse: Das alles kennt die reaktionäre Sicht nicht. Stattdessen werden teuflische Konzepte und Kräfte bemüht, die ― wie angeblich vom angeblichen Gründer der Frankfurter Schule Georg Lukács eingefordert ― darauf zielen, „die jüdisch-christliche kulturelle Matrix, die genau die Einzigartigkeit und Heiligkeit des Individuums betone“, zu zerstören. Damit abgelehnt, so beklagt Minnicino, werde auch der Gedanke, „dass der Mensch die Herrschaft über die Natur haben sollte, wie es in der biblischen Aufforderung im Buch Genesis heißt“.

In der Umkehrung wird so deutlich, dass das Reaktionäre die Herrschaft über die Natur als Prinzip setzt und dass es sich also um eine Herrschaftsideologie handelt.

Wenn von „Errungenschaften“ die Rede ist, welche derzeit durch den globalen Totalitarismus unwiederbringlich verloren gingen (so habe ich es auch in Beiträgen auf Rubikon gelesen), so taucht exakt in diesem Begriff des Ringens und Erringens der Kampf auf, der gegeben ist, wenn der Mensch die Herrschaft über die Natur anstrebt. Das, was errungen werden will, muss abgerungen werden.

Das der russischen Orthodoxie unterstellte Merkmal einer Gnosis ― eine Erkenntnis, die nicht offen zutage liegt und insofern nur mit „Techniken“ zugänglich ist, mit denen „Verborgenes“ fassbar wird und die deswegen, insbesondere wenn als „das Andere“ gezeichnet, als irrationale Erkenntnis konnotiert ist ― taucht übrigens auch in der zuvor angesprochenen Kritik von Preparata an Foucault auf. Auch dort wird der Begriff „Gnosis“ explizit als Ausdruck für Irrationales verwendet, das einem (angeblich) klarer Vernunft entspringenden Menschenbild mit Betonung der Einzigartigkeit des Menschen entgegengesetzt wird. Auch bei Preparata, wenngleich nicht so deutlich, sind „die Anderen“ die Barbaren.

„Die Aufgabe der Frankfurter Schule bestand also erstens darin, das jüdisch-christliche Erbe durch eine ‚Aufhebung der Kultur‘ (Lukàcs) zu untergraben, und zweitens neue kulturelle Formen zu bestimmen, die die Entfremdung der Bevölkerung verstärken und so eine ‚neue Barbarei‘ schaffen würden. Zu dieser Aufgabe versammelte sich in und um die Frankfurter Schule eine unglaubliche Ansammlung nicht nur von Kommunisten, sondern auch von parteilosen Sozialisten, radikalen Phänomenologen, Zionisten, abtrünnigen Freudianern und zumindest ein paar Mitgliedern eines selbst ernannten ‚Astarte-Kults‘.“

Damit ist die Verbindung der Marxisten zu allen weiteren „Ent-arteten“ bis hin zu Zionisten und Psychoanalytikern hergestellt, kultische Spinner inklusive. Die ausdrückliche Anerkennung des Kapitalismus als Gesellschaftsmodell, welche für Denker im Umkreis dessen, was man später Frankfurter Schule nannte, kennzeichnend war, wird dagegen ausgeblendet und stattdessen über die Konstruktion „neue Barbarei“ so ziemlich alles, was vom eigenen Weltbild abweicht, gegen alle ideologischen Evidenz in eine Schublade geschmissen.

Wer eine präzise Kritik an der Frankfurter Schule aus marxistischer Position lesen möchte, dem sei Gabriel Rockhills Beitrag empfohlen, der den ideologisch fundamentalen Unterschied von Frankfurter Schule qua kapitalistischem Thinktank und Marxismus akkurat herausstellt (5). Anhand dieser Kritik lässt sich weiter folgern, dass bestimmte, womöglich auch sämtliche Symptome der Zerstörung, von der reaktionären Kritik gelistet, durchaus treffend sind. Bloß verkennt die Reaktion, selber im Kapitalismus und also in der Ideologie der Zerstörung verhaftet, zum einen, dass die Frankfurter Schule als ein kapitalistisches Unternehmen (zusammen mit unzählig anderen kapitalistischen Unternehmungen) zu dieser Symptomatik ursächlich beiträgt, und zum anderen, dass kultur- beziehungsweise traditionszerstörerische Aspekte des Marxismus, die selbstredend gegeben sind und sich klassenspezifisch herleiten lassen, eben keine genuine Angelegenheit der Frankfurter Schule sind. Dass solche Zerstörungsmomente vom Kapital ― hier wäre beispielhaft an gezielte Versuche westlichen Kapitals zu denken, Lenin und Trotzki bei ihren Wegen an die Macht behilflich zu sein (6) ― bewusst aufgenommen worden sind im Bestreben, sie für eigene Zwecke einzusetzen, wäre ein weiterer bedeutender Gesichtspunkt, der in einer reaktionären Kritik außen vor bleiben muss.

Radio und Fernsehen: Mittel des Bösen

Die Hauptwirkung und aus Minnicinos Sicht also die Hauptverheerung, erzeugt durch die Frankfurter Schule, geht auf eine angebliche These von Walter Benjamin und Theodor W. Adorno zurück, welche die Entwicklung der elektronischen Medien geprägt haben soll.

„Der vielleicht wichtigste, wenn auch am wenigsten bekannte Erfolg der Frankfurter Schule war die Entwicklung der elektronischen Medien Radio und Fernsehen zu den mächtigen Instrumenten der sozialen Kontrolle, die sie heute darstellen. Dies ist das Ergebnis der Arbeit zweier Männer, die in den späten 1920er-Jahren an das Institut kamen, Theodor Adorno und Walter Benjamin.“

Benjamin und Adorno haben Kultur und Kunst unter den veränderten Bedingungen der Reproduzierbarkeit beziehungsweise der massenmedialen Verbreitung und Verwertung betrachtet. Diese Analyse ― in gewisser Weise vergleichbar analytisch beziehungsweise seismografisch wie Jahrzehnte später Michel Foucaults Arbeiten ― waren nicht moralisch gehalten, sondern fokussierten auf das Potenzial beziehungsweise auf strukturelle Eigenschaften der neuen Medien. Sie haben diese Medien weder technisch vorangebracht noch die aufgezeigten Potenziale zur Massenüberwachung und Manipulation empfohlen. Benjamin, im Gegensatz zu Adorno, ist nicht zuletzt durch den Einfluss seines Freundes Brecht, der als Marxist stets auf Distanz zum Umkreis der Frankfurter Schule blieb, nie zu einem Befürworter des Kapitalismus mutiert, auch nicht zu einem pragmatischen. Dass er übrigens Teil einer „Frankfurter Schule“ gewesen sein soll, davon hat er selbst nie erfahren, ist der Begriff doch erst in den Sechzigern kreiert worden. Benjamin hat sich im Jahre 1939 auf der Flucht vor den Nazis das Leben genommen.

Gleichwohl arbeitet sich Minnicino über lange Passagen hauptsächlich an Benjamin ab, vor allem an dessen Biografie, um über Schlüsselbegriffe das herauszustellen, was einer kleinbürgerlich-reaktionären Weltsicht aufstößt. So betont er, dass Benjamin „an der ersten deutschen Übersetzung des drogenbegeisterten französischen Dichters Baudelaire“ gearbeitet habe. Ein weiteres bedeutendes Framing ist gegeben, wenn der Text festhält, Benjamin sei zuerst vergessen gegangen.

„Die volle Wiederbelebung erfolgte 1968, als Hannah Arendt, Heideggers ehemalige Geliebte und Mitarbeiterin des Instituts in Amerika, einen großen Artikel über Benjamin in der Zeitschrift New Yorker veröffentlichte.“

Über die Kontaktschuld Arendts mittels Heidegger wird so auch Benjamin in Nazinähe gerückt.

Zu Adorno hält der Text fest:

„1924 zog Adorno nach Wien, um bei den atonalen Komponisten Alban Berg und Arnold Schönberg zu studieren, und fand Anschluss an den avantgardistischen und okkulten Kreis um den Altmarxisten Karl Kraus. Hier lernte er nicht nur seinen späteren Mitarbeiter Hanns Eisler kennen, sondern kam auch mit den Theorien des Freud'schen Extremisten Otto Gross in Berührung. Gross, ein langjähriger Kokainabhängiger, war 1920 in einer Berliner Gosse gestorben, als er unterwegs war, um der Revolution in Budapest zu helfen; er hatte die Theorie entwickelt, dass geistige Gesundheit nur durch die Wiederbelebung des antiken Astarte-Kults erreicht werden könne, der den Monotheismus und die ‚bürgerliche Familie‘ hinwegfegen würde.“

Der Wille, Inhalte deutungssicher zu framen, führt zu Verfälschungen, hier zum Beispiel die Einordnungen Karl Kraus betreffend. Der war weder Marxist noch okkult. Auch Kafka wird bei Minnicino zum Mitglied des Astarte-Kultus. Aus Sicht des Textes sind 90 Prozent aller geistigen Größen des 20. Jahrhunderts verwirrte Okkultisten, Spinner, Drogenabhängige und sexuell Abartige, die mit den Marxisten der Wille eint, die westlich-abendländische Kultur zu zerstören. Das gilt es deshalb ernst zu nehmen, weil ― ich wiederhole bewusst ― Muster dieses Textes sich in der Dissidenz wiederfinden und weil durch den dergestalt geschaffenen Fokus die Monstrosität des Kapitalismus gerade auch in Bezug auf den weltweiten Überwachungsstaat verschleiert wird. Als ginge ID2020 und alle Nachfolgeprojekte zur Totalscannung eines jeden einzelnen Menschen auf Erden ― vielleicht müsste in diesem Scan-Zusammenhang über Einzigartigkeit nachgedacht werden, einem angeblichen Wert der westlichen Zivilisation ― auf eine Verschränkung des spirituellen Astarte-Kultes mit Marxismus zurück und nicht auf die Technokratur, erzeugt vom Kapital.

Der Bote wird geköpft

Für die weitere Skizzierung von Minnicons Referenz auf Benjamin und Adorno ― und es finden sich durchaus noch bislang nicht genannte Aspekte ― verweise ich auf die Fußnoten (7), um mich im Essay selbst auf die direkte „Schuldlinie“ von Benjamin/Adorno hin zu identitären „Projekten“ am Ende des 20. Jahrhunderts (und weitergedacht bis zum Genderismus) zu beschränken. Eine angebliche konkrete These der beiden zu den Massenmedien wird allerdings von Minnicino nur postuliert, nirgendwo konkret ausgeführt. In der Literatur existiert auch keine solche gemeinsame These.

„Die Adorno-Benjamin-Analyse bildet fast die gesamte theoretische Grundlage aller politisch korrekten ästhetischen Strömungen, die heute unsere Universitäten plagen. Der Poststrukturalismus von Roland Barthes, Michel Foucault und Jacques Derrida, die Semiotik von Umberto Eco, der Dekonstruktivismus von Paul DeMan ― sie alle berufen sich ganz offen auf Benjamin als Quelle ihrer Arbeit. Der Bestseller des italienischen Terroristen Eco, ‚Der Name der Rose‘, ist kaum mehr als ein Loblied auf Benjamin; DeMan, der ehemalige Nazi-Kollaborateur in Belgien, der ein angesehener Professor in Yale wurde, begann seine Karriere als Übersetzer Benjamins; Barthes' berüchtigte Aussage von 1968, dass ‚(d)er Autor tot ist‘, ist als Ausarbeitung von Benjamins Diktum über die Intention gedacht.“

Und weiter:

„Die Leser haben zweifellos schon die eine oder andere Horrorgeschichte darüber gehört, wie eine Abteilung für afroamerikanische Studien ein Verbot von Othello erwirkt hat, weil es ‚rassistisch‘ ist, oder wie ein radikaler feministischer Professor auf einer Tagung der Modern Language Association einen Vortrag über die Hexen als die ‚wahren Heldinnen‘ von Macbeth gehalten hat. Diese Gräueltaten geschehen, weil die Täter in der Lage sind, in der Tradition von Benjamin und Adorno plausibel darzulegen, dass Shakespeares Absicht irrelevant ist; was wichtig ist, ist der rassistische oder phallozentrische ‚Subtext‘, dessen sich Shakespeare nicht bewusst war, als er schrieb.“

Die Schizophrenie des Reaktionären (vergleiche dazu Teil 1) bedingt nicht nur, dass Text und Rezeptionsgeschichte nicht getrennt werden ― abgesehen davon ist eine Ideologie wie der Genderismus gänzlich schwach aufgestellt, dass seine Apologeten auf Benjamin oder Adorno referieren würden, ist mir nicht bekannt, mehr als ein bisschen Judith Butler ist da nicht ―, sondern führt auch dazu, dass die teils ausdrücklich kritische Sicht auf Massenkommunikation und Massenmedien ― Adornos Stichworte hierzu: Zurückentwicklung der Perzeption auf eine kindische Stufe, Ästhetik regrediert auf eine Stufe vergleichbar mit der Rezeption von Motorsport und Fußball, generell Primitivismus ― zu einer Stellungnahme für das Primitive gedreht wird. Dabei bleibt selbst bei einer fundamentalkritischen Sicht, wie sie Gabriel Rockhill vollzieht, eine Leistung der Frankfurter Schule unbestritten: kritische Analysen der Auswirkungen des Massenkonsums. Was freilich, wie Rockhill herausstreicht, nicht zur Abkehr vom Kapitalismus führt (8).

Auch wenn Adorno 1944 warnt, die Entwicklung des Fernsehens drohe die Verarmung der ästhetischen Materie gewaltig zu verschärfen und der Wagnersche Traum vom Gesamtkunstwerk ― der Verschmelzung aller Künste in einem Werk ― auf spöttische Weise zu erfüllen, so sieht Minnicino darin eine Promotion für das Fernsehen. Gewissermaßen gilt bei der reaktionären Kritik die Formel aus dem Urbestand der Menschheit: Geköpft wird der, der die Botschaft bringt.

Verdrehungen rund ums Autonome und Autoritäre

Eine kritische Haltung gegenüber Massenmedien wie übrigens auch gegenüber dem mit diesen verbundenen Instrument der Meinungsumfrage, für deren Entwicklung Minnicinos über die Psychoanalyse ebenso die Frankfurter Schule verantwortlich sieht, ist keineswegs spezifisch reaktionär. Das jegliche Autonomie untergrabende Potenzial von Massenmedien bedroht jedes emanzipative Projekt auf Erden, jede Unabhängigkeit, tötet jede Regung abseits der Linie ― im massenmedial gesteuerten Coronadurchgriff konnte das eindrücklich beobachtet werden wie auch bei der faschistischen Ukraineshow dieser Tage.

Reaktionär ist es indes, die Entwicklung dieses Instruments über die Frankfurter Schule dem Marxismus zuzuschreiben, und reaktionär ist auch die elitäre Zielrichtung der Kritik an sich ― nicht im Sinne Nietzsches, also geistig, elitär, sondern gesellschaftspolitisch elitär. So ist es im Kern nicht das autonomie- und damit das freiheitseliminierende Potenzial einer massenmedialen Systematik, was eine reaktionäre Weltsicht zur Kritik treibt, sondern das Postulat, diese Medien seien gegen die der westlichen Zivilisation unterlegten universellen Wahrheiten gerichtet.

Das Beispiel Boris Reitschusters, der bei der Ukraineshow wieder mit beim Gebrüll ist, zeigt eindrücklich, wie schnell eine reaktionäre Systemkritik zur Macht zurückfindet, wenn in ihren Augen diese Macht die westliche „Errungenschaftsverteidigung“ gegen die nicht-individuellen, kollektiven, „gnostische“ Barbaren im Osten wieder aufnimmt.

In den Negativfokus von Minnicino rückt, wie oben angesprochen, sodann alles, was mit Psychoanalyse und Sigmund Freud verbunden ist. Kritisiert wird mit dem Argument, es sei psychoanalytisch und also „bolschewistisch“, vor allem das Konzept des Autoritären, wie es von Denkern aus dem Umkreis der Frankfurter Schule vorgebracht worden ist. Minnicino schreibt:

„Diese Methodik (psychoanalytisches Befragen, Anmerkung des Autors) bildete die Grundlage für die Forschungsarbeit, für die die Frankfurter Schule am bekanntesten ist, das Projekt der ‚autoritären Persönlichkeit‘. 1942 nahm der Direktor des Instituts für Sozialforschung, Max Horkheimer, Kontakt mit dem American Jewish Committee auf, das ihn bat, eine Abteilung für wissenschaftliche Forschung innerhalb seiner Organisation einzurichten. Das amerikanisch-jüdische Komitee gewährte auch einen großen Zuschuss zur Untersuchung des Antisemitismus in der amerikanischen Bevölkerung.“

Aus Sicht Minnicinos zielten die Studien, aufbauend auf einem falschen, bewusst gegen die christlich-abendländische Kultur angelegten Verständnis von „autoritär“, unter dem Vorwand Juden vor Vorurteilen zu schützen, auf eine Umerziehung. Er begründet das mit der in Kreisen der Frankfurter Schule vertretenen These, so wie der Kapitalismus an sich faschistisch sei, so sei auch das Christentum grundsätzlich antisemitisch.

Selbst wenn man diese Thesen zurückweist ― grundsätzlich oder sei es, weil die Frankfurter Schule mit ihrem Bekenntnis zum Kapitalismus diesbezüglich keine glaubwürdige Instanz ist ― so stellen sie keinen Beleg für eine „Umerziehung“ dar. Im Fokus der Kritik Minnicinos steht aber der Angriff auf das Autoritäre schlechthin. In diesem Sinne ist es „logisch“, der Frankfurter Schule zu unterstellen, sie „verteufle“ das christlich-jüdische Menschenbild als autoritär qua gezielt vorangetriebene Paranoia.

„Dieser eigennützige Versuch, die Paranoia zu maximieren, wurde von Hannah Arendt weiter unterstützt, die die autoritäre Persönlichkeitsforschung in ihrem viel gelesenen Werk ‚Origins of Totalitarianism‘ popularisierte. Arendt fügte auch die berühmten rhetorischen Schnörkel über die ‚Banalität des Bösen‘ (...) hinzu: Selbst ein einfacher Ladentyp wie Eichmann kann sich unter den richtigen psychologischen Umständen in eine Nazi-Bestie verwandeln ― jeder Nichtjude ist psychoanalytisch gesehen verdächtig.“

Dass Arendts Dekonstruktion der kleinbürgerlichen Moral, auf die Hitler bei seinem Großprojekt zuverlässig bauen konnte, aus reaktionärer Sicht sauer aufstößt, ist evident. Minnicinos Behauptung, sie hätte mit ihrer Arbeit Regierungsstellen die Grundlage geliefert, politische Gegnergruppierungen als Sekte zu stempeln, verdreht indes Verhältnisse.

„Dieser Schneeball (gemeint sind die angeblichen Arbeiten der Frankfurter Schule zur Entwicklung von Massenmedien, Meinungsforschung, aber auch zu Autorität und angeblichen Umerziehungsprojekten, Anmerkung des Autors) hat seitdem nicht mehr aufgehört zu rollen. Die gesamte Entwicklung des Fernsehens und der Werbung in den 1950er- und 1960er-Jahren wurde von Männern und Frauen vorangetrieben, die in den Techniken der Massenentfremdung der Frankfurter Schule ausgebildet wurden.“

Was exakt diese „Techniken“ sein sollen, legt der Text konkret nicht vor. Rezeptionstheoretische Analysen sind keine „Techniken“. Ausgehend von diesem Missverständnis wird der Wahn deutlich, ein zivilisatorisches Desaster auf eine Instanz zurückführen zu können, auf einen einheitlich fassbar „Schuldigen“. Allerdings soll dagegen nun keineswegs behauptet werden, Erkenntnisse aus den Analysen, die von Leuten aus dem Umkreis der Frankfurter Schule stammen, hätten massenmediale Entwicklungen nicht beeinflusst, Entwicklungen, die zu dem geführt haben, was man in diesen Zeiten unter dem Label ARD und ZDF vorgeführt bekommt. Diese beiden grundverschiedenen Sachverhalte vermag Minnicino indes nicht zu trennen, obgleich er bei der Diagnose des zivilisatorischen Versagens insgesamt wie auch bei der Listung einzelner Symptome dieses Versagens nachvollziehbar richtig liegt.

Es ist ― eine These ― nicht zuletzt die der reaktionären Kritik ganz im Sinne ihres eigenen Bezugs auf Platon und dessen angeblich universeller Wahrheit mit eingeschriebener Sehnsucht nach eben einer solchen Wahrheit auch im Hinblick auf die Schuld am globalen Totalitarismus, der die Menschheit bedroht, welche den erkenntnistheoretischen Radius dieser Kritik klein hält. Dieser Sehnsucht nach Klarheit wird sowohl Redlichkeit wie intellektuelle Präzision geopfert. Minnicino schreibt:

„Heute glauben die Männer und Frauen, die die Sender, die Werbeagenturen und die Meinungsforschungsinstitute leiten, auch wenn sie noch nie etwas von Theodor Adorno gehört haben, fest an Adornos Theorie, dass die Medien alles, was sie anfassen, in ‚Fußball‘ verwandeln können und sollen. Die Berichterstattung über den Golfkrieg 1991 sollte das deutlich machen.“

Dieses „sollen“ ist auf der Ebene des Textes und also der Geistesgeschichte eine Geschichtsklitterung.

Sex und Drogen

Auch wenn es Minicino stört, „dass Ihr lokaler Radiosender für klassische Musik Strawinsky neben Mozart sendet ...“, so sind es am Ende mehr noch als das Vergehen, Mozart in eine hässliche Umgebung zu betten, also beispielsweise neben Strawinsky, Schönberg oder Debussys Faun, Drogen und der „dumme und erotisierte Inhalt“ der massenmedialen Kultur, was die reaktionäre Empörung entfacht. Drogen und Sex: Die beiden Dinge stellen klar, worum es sich am Ende bei der reaktionären Kritik handelt, nämlich um einen kleinbürgerlichen Moralkodex, der sich angegriffen fühlt und seine Geltung, die er Sex und Drogen entgegenhält, bei Größen wie Platon und der Renaissance aufbläst. Sicher ist sicher. Minnicino, sich explizit von aller Romantik absetzend, schreibt:

„Drogen waren schon immer ein ‚analytisches Werkzeug‘ der Romantiker des 19. Jahrhunderts, wie der französischen Symbolisten, und waren in der europäischen und amerikanischen Boheme bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinein beliebt. Doch in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre begannen die CIA und die verbündeten Geheimdienste mit umfangreichen Experimenten mit dem Halluzinogen LSD, um dessen Potenzial zur sozialen Kontrolle zu erforschen. Es ist inzwischen belegt, dass Millionen von Dosen dieser Chemikalie hergestellt und unter der Ägide der CIA-Operation MK-Ultra verbreitet wurden. LSD wurde zur bevorzugten Droge innerhalb der Behörde selbst und wurde an Freunde der Familie, darunter auch eine beträchtliche Anzahl von OSS-Veteranen, weitergegeben. So war es beispielsweise der OSS-Veteran Gregory Bateson, der den Beat-Poeten Allen Ginsberg für ein LSD-Experiment der US-Marine in Palo Alto, Kalifornien, ‚begeisterte‘. Nicht nur Ginsberg, sondern auch der Schriftsteller Ken Kesey und die Gründungsmitglieder der Rockgruppe Grateful Dead öffneten mithilfe der Navy die Türen der Wahrnehmung. Der Guru der ‚psychedelischen Revolution‘, Timothy Leary, erfuhr 1957 erstmals von Halluzinogenen durch die Zeitschrift Life (deren Herausgeber Henry Luce, wie viele andere Meinungsbildner, häufig von der Regierung mit Acid versorgt wurde) und begann seine Karriere als Vertragsbediensteter der CIA; bei einem ‚Wiedersehen‘ der Acid-Pioniere 1977 gab Leary offen zu: ‚Alles, was ich bin, verdanke ich der Weitsicht der CIA.‘ Halluzinogene haben den einzigartigen Effekt, dass sie das Opfer asozial, völlig egozentrisch und auf Objekte fixiert machen. Selbst die banalsten Gegenstände erhalten die ‚Aura‘, von der Benjamin gesprochen hatte, und werden zeitlos und wahnhaft tiefgründig. Mit anderen Worten: Halluzinogene bewirken sofort einen Geisteszustand, der mit dem von den Theorien der Frankfurter Schule beschriebenen identisch ist. Und die Popularisierung dieser Chemikalien schuf eine enorme psychologische Labilität für die Umsetzung dieser Theorien in die Praxis. Die Situation zu Beginn der 1960er-Jahre stellte also einen brillanten Wiedereinstiegspunkt für die Frankfurter Schule dar, und sie wurde voll ausgenutzt. Eine der krönenden Ironien der ‚Jetzt-Generation‘ ab 1964 besteht darin, dass trotz aller Beteuerungen der völligen Modernität keine ihrer Ideen oder Artefakte weniger als dreißig Jahre alt war. Die politische Theorie stammt vollständig aus der Frankfurter Schule; (...) Die langen Haare und Sandalen, die freien Liebeskommunen, die makrobiotische Ernährung, die befreiten Lebensstile waren um die Jahrhundertwende entworfen und von verschiedenen, mit der Frankfurter Schule verbundenen New-Age-Sozialexperimenten wie der Ascona-Kommune vor 1920 gründlich erprobt worden.“

Dass die CIA mit Drogen strategisch operiert hat ― die jetzigen Gain-of-Function-Forschungen mit zig Labors entlang der (inzwischen verschobenen) russisch-ukrainischen Grenze können als Fortsetzung auf gleicher Linie betrachtet werden ― bestreitet niemand, der sich mit der Sache befasst. Dass alles, was mit Drogen gesellschaftspolitisch gelaufen ist ― als ehemaligen Bewohner Zürichs fällt mir beispielsweise die europaweit bekannte offene Drogenszene am Platzspitz ein ―, dieser einen Linie eingeschrieben gewesen sein soll, ist eine Pauschalisierung, die nicht greift. Drogen ― über ihren Steuerungs- und Sedierungseffekt ― sind als Instrumente der Machtstabilisierung von Bedeutung, können aber auch eine gegenteilige Wirkung erzeugen. Das Postulat, Halluzinogene würden die Objektfixierung befördern, kann zwar bestimmt durch einige Expertisen gestützt werden und passt mit der von Minnicino behaupteten und negativ bewerteten Erotisierung der Welt zusammen. Allerdings stellt sich die Frage, wie eine nicht-objektfixierte Wahrnehmung grundsätzlich funktionieren sollte.

Insgesamt suggeriert der Text innerhalb eines komplexen Feldes eine einfache Kausalkette dergestalt, dass die durch CIA-gesteuerten Drogenexperimente qua strategische Operationen auf Analysen der Frankfurter Schule zurückgingen, die durch die Drogenthematik erneute Aktualität erlangt hätte und das Geschehen erneut prägen würde. Mehr an Erkenntnis ist nicht dabei, wie der Spezialtext zur Kommunenkultur in Ascona, die, natürlich beeinflusst von der Frankfurter Schule, die ganze europäische Intellektuellenszene nachhaltig negativ geprägt haben soll, eindrücklich zeigt (9). Lange Haare, Drogen, Sex, aber auch immer wieder Okkultes, Gnostisches, überhaupt Experimentelles und abartige Tänze außerhalb der Ballettnorm: Das alles bedroht die kleinbürgerliche Welt. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie das Machtnarrativ heute alles, was sich schlecht in Zahlen übersetzen lässt, wie Psychoanalytisches, Okkultes, Spirituelles und Esoterisches (oder was es dafür ausgibt), ebenso auf dem Naziradar führt, so schließen die Kreise anders, als es der Minnicino-Text behauptet.

Allerdings: Dass viele der von Minnicino angetippten Phänomene in einem bemerkenswerten, oft befördernden Verhältnis zu neoliberalen Entwicklungen ungefähr ab den Siebzigern des 20. Jahrhunderts stehen, ist zweifelsohne ein wesentlicher Gesichtspunkt. In diesem Zusammenhang wäre etwa die Rolle der 68er-Rebellen als spätere Konzernmanager, Digitalisierer und imperialistische NATO-Politiker zu beleuchten. Dass unter der bunten und freiheitlichen, oft ungezügelten Oberfläche sogenannter westlinker Rebellion der Sechziger und Siebziger womöglich bereits äußerst militante Züge enthalten waren, die sich 2020 beim Vorgehen gegen Demonstranten vollauf entladen konnten: Auch das gälte es, in Fokus zu nehmen. Bloß, dies alles an Benjamin aufhängen zu wollen, ist blanker Unsinn.

Mit den Drogen, wie bereits angedeutet, ist ― ich argumentiere hier stets im Verständnis von „The Dark New Age“ ― der zweite und gewissermaßen noch gewichtigere Indikator des Ab-falls von Platons Idee des Guten gesetzt: die Sexualität. Durch die Aufgabe der Idee einer universellen Wahrheit entsteht zwangsläufig ― weil die geistige Idee ja weg ist ― eine Objektfixierung, die im weitesten Sinne erotisch sei. Das ist eben die Erotisierung der Welt und der Gedankengang Minnicions kurzgefasst, also der Brennpunkt, um den es geht.

„Unser Wissen von der ‚realen Welt‘, wie Dilthey, Nietzsche und andere Vorläufer der Frankfurter Schule zu betonen pflegten, wird als Objektfixierung im weitesten Sinne des Wortes erotisch. Das Universum wird zu einer Ansammlung von Dingen, die jeweils auf der Grundlage ihrer eigenen Natur (das heißt genetisch) und durch Interaktion untereinander (das heißt mechanistisch) funktionieren. (...) Da der menschliche Geist lediglich ein Sensorium ist, das darauf wartet, dass der Newton‘sche Apfel es zur Deduktion anregt, wird die Beziehung des Menschen zur Welt (und umgekehrt) zu einer erotischen Bindung an Objekte.“

Im Bereich der Erotik ist es nun hauptsächlich Herbert Marcuse, der im Text Minnicinos den theoretischen Unterbau beisteuert: „Für Marcuse (...) bestand die einzige Hoffnung, der Eindimensionalität der modernen Industriegesellschaft zu entkommen, in der Befreiung der erotischen Seite des Menschen, des sinnlichen Triebes, in der Rebellion gegen die ‚technische Rationalität‘. Wie Marcuse später (1964) in seinem ‚Der eindimensionale Mensch‘ sagen würde, ‚herrscht in der fortgeschrittenen industriellen Zivilisation eine bequeme, glatte, vernünftige, demokratische Unfreiheit, ein Zeichen des technischen Fortschritts.‘ Diese erotische Befreiung verwechselt er mit Schillers ‚Spieltrieb‘, der nicht erotisch, sondern ein Ausdruck der Nächstenliebe ist, dem höheren Begriff der Liebe, der mit wahrer Kreativität verbunden ist. Marcuses gegenteilige Theorie der erotischen Befreiung ist etwas, das in Sigmund Freud implizit enthalten ist, aber nicht explizit hervorgehoben wird, abgesehen von einigen Freud'schen Abtrünnigen wie Wilhelm Reich und, in gewissem Maße, Carl Gustav Jung.“

Abgesehen vom Paradox, dass die Rebellion gegen die Technik hin zur Technokratur der Neocons führen soll, übersieht Minnicino auch in dieser Passage den systemkritischen Gehalt, gekoppelt an Technologiekritik. Die von Marcuse ausgeschriebene und von Minnicino zitierte Wertung einer „bequemen, glatten, demokratischen Unfreiheit“ wird als von Marcuse gänzlich affirmativ gesetzt verstanden, sozusagen als Fundament für die erotische Befreiung, gegen die sich die reaktionäre Kritik wendet. Verwechselt wird hierbei, dass die Befreiung die Unfreiheit überwindet und nicht affirmativ setzt. Und wenn mit bedacht wird, dass die „glatte, bequeme, demokratische Unfreiheit“ exakt das ist, was der smarte Totalitarismus anpeilt ― Byung-Chul Hans „Psychopolitik“ aus dem Jahr 2013 bringt dies auf den Punkt (10) ―, so sehen die Verhältnisse zu 180 (aber nicht 360 ...) Grad anders aus als von Minnicino postuliert. Und weil die Befreiung eine Befreiung von Unfreiheit ist (wovon denn sonst?), ist der Bezug auf Schiller keineswegs falsch, auch wenn Tells Eros bei dessen Maskenverweigerung und vorsorglicher Bewaffnung mit einem zweiten Pfeil (ein Republikaner aus Utah oder so) von Schiller nicht explizit thematisiert wird.

Bezieht man Marcuses Feststellung (von Minnicino erwähnt!) mit ein, dass das Nazitum in den Errungenschaften der Menschheit weiter spukt, in Raumflügen, Raketen und Elektroanlagen ― dass dies „Errungenschaften“ auf dem Weg zur Technokratur sind, ist evident ― wendet sich das ganze Spiel drastisch: Nicht Herbert Marcuse mit seiner technokritischen Bemerkung, der propagierten sexuellen Befreiung aus der „bequemen, demokratischen Unfreiheit“ und dem Verweis auf den auch nach 1945 der westlichen Zivilisation eingeschriebenen Nazi-Faschismus liegt auf der Linie zum WEF und dem digitalglobalen Überwachungsstaat, sondern der Text, den das Schiller-Institut im Jahr 2023 als fundamental systemkritischen Text gegen den zivilisatorischen Super-GAU auf seiner Website führt.

Minnicino bringt das ― wieder ohne es zu erkennen ― durch diese Aussage selbst auf den Punkt, im Glauben, er würde den totalitären Geist Marcuses entlarven:

„Diese erotische Befreiung sollte die Form der ‚Großen Verweigerung‘ annehmen, eine totale Ablehnung des ‚kapitalistischen‘ Monsters und all seiner Werke, einschließlich der ‚technischen‘ Vernunft und der ‚rituell-autoritären Sprache‘.“

Die nachfolgende Kurzfassung der „Sexualgeschichte“, wie Minnicino sie im Zusammenhang mit der Frankfurter Schule begreift, beschränkt sich ― analog zur obigen Passage über die Drogengeschichte ― auf Empörungsbewirtschaftung:

„Unter dem Einfluss von Marcuse waren die 1960er-Jahre voll von stumpfen intellektuellen Rechtfertigungen für die ungebremste sexuelle Rebellion der Jugend. Eros und Zivilisation wurde 1961 als preiswertes Taschenbuch neu aufgelegt und erlebte mehrere Auflagen; im Vorwort der Ausgabe von 1966 fügte Marcuse hinzu, dass der neue Slogan ‚Make Love, Not War‘ genau das sei, wovon er spreche: ‚Der Kampf um Eros ist ein politischer Kampf.‘ 1969 stellte er fest, dass sogar die obsessive Verwendung von Obszönitäten in den Manifesten der Neuen Linken Teil der Großen Verweigerung war, und nannte sie ‚eine systematische sprachliche Rebellion, die den ideologischen Kontext, in dem die Wörter verwendet und definiert werden, zerschlägt‘. Marcuse wurde von seinem OSS-Schützling, dem Psychoanalytiker Norman O. Brown, unterstützt, der 1959 Life Against Death (Leben gegen den Tod) und 1966 Love's Body (Der Körper der Liebe) verfasste, in denen er den Menschen aufforderte, sein vernünftiges, ‚gepanzertes‘ Ich abzulegen und es durch ein ‚dionysisches Körper-Ich‘ zu ersetzen, das die instinktive Realität der polymorphen Perversität annehmen und den Menschen in die ‚Einheit mit der Natur‘ zurückbringen würde.“

Die Linie zum Identitätsmanagement, das in den Neunzigern breite Fahrt aufnimmt und für das die reaktionäre Kritik die Frankfurter Schule ja verantwortlich sehen will, zieht Minnicino ausgehend von einem Verweis auf den Objektcharakter, welcher der Welt von der Frankfurter Schule ideologisch aufgesetzt worden sei ― ein grundsätzlich spannender Gedanke, nur muss der losgelöst vom Kapital, das Dinge und Wesen in der Tat gänzlich zu Funktionsobjekten macht, im Leeren enden. Minnicino schreibt:

„Die einzige nennenswerte Kritik (an all diesen aus Minnicinos Sicht misslichen Zuständen, Anmerkung des Autors) zu dieser Zeit kam (...) von Papst Paul VI., der 1969 Marcuse (ein außergewöhnlicher Schritt, da der Vatikan normalerweise von formellen Verurteilungen lebender Personen absieht) zusammen mit Freud für ihre Rechtfertigung ‚ekelhafter und ungezügelter Ausdrucksformen der Erotik‘ tadelte und Marcuses Befreiungstheorie als ‚die Theorie, die den Weg für eine als Freiheit getarnte Lizenz öffnet (...) eine Verirrung des Instinkts‘ nannte. Die Erotik der Gegenkultur bedeutete viel mehr als freie Liebe und einen gewaltsamen Angriff auf die Kernfamilie. Sie bedeutete auch die Legitimierung des philosophischen Eros. Die Menschen wurden dazu erzogen, sich selbst als Objekte zu sehen, die durch ihre ‚Natur‘ bestimmt sind. Die Bedeutung des Individuums als Person, die mit dem göttlichen Funken der Kreativität begabt und in der Lage ist, auf die gesamte menschliche Zivilisation einzuwirken, wurde durch die Vorstellung ersetzt, dass die Person wichtig ist, weil sie schwarz oder eine Frau ist oder homosexuelle Impulse verspürt. Dies erklärt die Deformierung der Bürgerrechtsbewegung in eine ‚Black-Power‘-Bewegung und die Umwandlung des legitimen Themas der Bürgerrechte für Frauen in Feminismus. Die Diskussion über die Bürgerrechte der Frauen wurde zu einem weiteren ‚Befreiungskult‘ mit BH-Verbrennung und anderen, manchmal offen astartischen Ritualen. Eine Durchsicht von Kate Millets ‚Sexual Politics‘ (1970) und Germaine Greers ‚The Female Eunuch‘ (1971) zeigt, dass sie sich vollständig auf Marcuse, Fromm, Reich und andere Freud'sche Extremisten verlassen.“

Minnicinos Fazit:

„Die Hexenjagd an den heutigen Universitäten ist lediglich die Umsetzung von Marcuses Konzept der ‚repressiven Toleranz‘ ― ‚Toleranz gegenüber Bewegungen von links, aber Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts‘ ―, das von den Schülern der Frankfurter Schule, die jetzt zu Professoren für Frauenstudien und afroamerikanische Studien geworden sind, durchgesetzt wird. Der gelehrteste Vertreter der afroamerikanischen Studien, Professor Cornell West aus Princeton, erklärt beispielsweise öffentlich, dass seine Theorien von Georg Lukàcs abgeleitet sind. Gleichzeitig hat die Hässlichkeit, die von den Pessimisten der Frankfurter Schule so sorgsam gepflegt wurde, unsere höchsten kulturellen Bestrebungen korrumpiert. Man kann kaum eine Aufführung einer Mozart-Oper finden, die nicht von einem Regisseur völlig deformiert wurde, der, Benjamin und dem ISR (Institut für Sozialforschung, Anmerkung des Autors) folgend, ‚den erotischen Subtext befreien‘ will. Man kann von einem Orchester nicht verlangen, dass es Schönberg und Beethoven im selben Programm aufführt und bei Letzterem seine Integrität bewahrt. Und wenn unsere Hochkultur ohnmächtig wird, wird die Populärkultur ganz offen bestialisch. (...) Dank der Frankfurter Schule und ihrer Mitverschwörer befindet sich der Westen auf einem ‚schlechten Trip‘, von dem er nicht mehr herunterkommen darf. (...) Die Prinzipien, auf denen die westliche jüdisch-christliche Zivilisation aufgebaut wurde, sind in unserer Gesellschaft nicht mehr vorherrschend; sie existieren nur noch als eine Art Untergrund-Widerstandsbewegung. Wenn dieser Widerstand letztlich untergeht, wird die Zivilisation nicht überleben ― und in unserem Zeitalter der unheilbaren Pandemien und Atomwaffen wird der Zusammenbruch der westlichen Zivilisation sehr wahrscheinlich den Rest der Welt mit in die Hölle nehmen. (...) Der Ausweg besteht darin, eine Renaissance zu schaffen. Auch wenn das grandios klingt, so ist es doch das, was wir brauchen. Eine Renaissance bedeutet, neu anzufangen; das Böse, Unmenschliche und schlichtweg Dumme zu verwerfen und zu den Ideen zurückzukehren, die es der Menschheit ermöglichen, in Freiheit und Güte zu wachsen, und zwar Hunderte oder Tausende von Jahren. Sobald wir diese Grundüberzeugungen erkannt haben, können wir mit dem Wiederaufbau der Zivilisation beginnen.“

An der letzten Schwelle mit Stifter

Diese letzten Worte führen zur Corona- beziehungsweise zur Totalitarismuskritik von heute. Bevor man aufbaut, sollte man vielleicht darauf schauen, mit welchen Bauklötzen man hantiert, und zwar selbst dann, wenn der Aufbau in einer äußerst angespannten Schwellenlage erfolgen muss. Indes, wenn emanzipative und macht-dekonstruierende Konzepte etwa einer Hannah Arendt, aber auch gesellschaftspolitische Projekte wie die Räterepubliken, wenn Versuche, neue Lebensstile zu entwickeln wie dies Kommunen in Ascona getan haben, zu Vorläufern dessen „umgeklittert“ werden, was sie in ihrer Substanz zu überwinden und infrage zu stellen trachteten, dann sollte man gerade als kritischer Kopf bei der Verwendung des Wortes „Errungenschaften“ kurz innehalten:

Welches Ringen ist hier gemeint? Jenes, das die westliche Zivilisation nach Nord- und Südamerika führte, um dort Barbaren niederzumetzeln und an ihrer Stelle die universelle, von Platon gespeiste jüdisch-christliche Wahrheit zu installieren? Sind das nicht kapitalistische, technoaffine, kolonialistische und totalitäre Konzepte? Wahrheitskonzepte, welche auf direktem Weg zum QR-Code führen?

An der Schwelle zum Nichts ist das Verlangen nach Klarheit groß. Die zuweilen gehässige Sehnsucht nach einem Schuldigen überschreibt den Geist. Diese exemplarisch diskutierte Kritik mit Breitenwirkung in reaktionären Kreisen, aber auch mit Einstrahlung da, wo gemäß Selbstverständnis das Antitotalitäre gesucht wird, ist Ausdruck davon. Das Tragische dabei: In der Tat werden Symptome des Totalitären benannt ― indes: Durch das eigene Verhaftetsein in Strukturen des Totalitären liquidiert die Unternehmung Ansätze des menschlichen Geistes, Gewalt und Herrschaft zu überwinden, erzeugt also das Gegenteil dessen, was sie als Antrieb vorträgt.

In Wirklichkeit stellt diese meine De-konstruktion dieses reaktionären und in vielerlei Hinsicht totalitären Ansatzes zur Lösung des zivilisatorischen Super-GAUs (in diesem Urteil finden sich der Text und ich) eine berechtigte Sehnsucht nach Wahrheit keineswegs infrage.

Emanzipation richtet sich gegen eine von außen diktierte Wahrheit, damit der Weg für eine selbstbestimmte, innere Wahrheit frei wird.

Wenn diese selbstbestimmte Wahrheit in Wahrheitstotalitarismus umschlägt, wenn sie zum Diktat für Andere wird, dann verliert sie das Licht, das der Wahrheit innewohnt.

Adalbert Stifter war ein Dichter des Biedermeiers. Seine Wahrheit lag ― rein ideologisch gesehen ― sehr nahe bei der Wahrheit des Textes von Minnicino. Stifter aber hat diese, seine Wahrheit keiner anderen entgegengeschleudert. Er hat um ihre Wirklichkeit gerungen, im Wissen, dass sie nicht zu halten ist und dass keine Wahrheit zu halten ist. Die Suche danach, ihre Formulierung als Schönheit, ihre Feier in Liedern und der immerwährende Abschied von ihr ist es, was die Wahrheit wahr und universell macht. Und je einsamer man an der Schwelle steht – auch Stifter stand einsam –, desto universeller soll die Wahrheit sein.

Stifters Roman „Der Nachsommer“ ist dieses fast schon dämonisch schöne Ringen um Wahrheit, ein Ringen, das niemanden tötet und alle, die es lesen, in der Sehnsucht vereint, eingeschrieben. In jedem Satz. Das ist die Errungenschaft, die ich meine. In dieser Hinsicht wird Stifter, obgleich ganz Biedermeier, im Grunde romantisch, also konservativ und progressiv zugleich, ewig oszillierend an einer Schwelle. Das trennt den ästhetisch gestalteten Biedermeier mit seinem Glauben an eine universelle gute Wahrheit von der reaktionären, kleinbürgerlichen Empörung, die in Minnicinos Text exemplarisch und militant zum Ausdruck kommt.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Ein erstes Mal bewusst geworden sind mir reaktionäre Versatzstücke in der Systemkritik bereits vor Corona. Ich rede hier nicht von Höcke-mäßigen Aussagen zu einer Migrationspolitik, eine Politik, die auch aus ganz anderer denn deutschnationaler Sicht verheerend (oder eben zielführend) war. Dass in deutschnationalen Ideologien, die ihre Affinität zum Kapital nie verborgen haben, derartige Versatzstücke einlagern, versteht sich, und das wäre mir keine Erwähnung wert. Ich traf diese Versatzstücke aber in einer insgesamt guten, in Teilen brillanten Kritik des Neoliberalismus durch Guido Giacomo Preparata, der in vielen, mitunter auch kapitalismuskritischen Zusammenhängen zitiert wurde und immer noch wird. Neben der umfassenden Aufarbeitung von Hitlers Finanzierungsquellen („Conjuring Hitler. How Britain and American made the Third Reich“, Pluto Press 2005) ist es das Buch „Die Ideologie der Tyrannei: Neognostische Mythologie in der amerikanischen Politik“ (original: „The Ideology of Tyranny: The Use of Neo-Gnostic Myth in American Politics“, 2011), das diese Kritik leistet. In der Kurzrezension, die ich im Jahre 2020 verfasst habe, heißt es:

„Das Buch versucht eine umfassende, anspruchsvolle und auf Widerspruch angelegte Herleitung des Geisteszerfalls in der amerikanisch-westlichen Welt mit speziellem Fokus auf dem Zerfall der Linken.“

Und weiter:

„Wer eine Antwort auf die Frage sucht, wie das alles so kommen konnte, die Interventionspolitik beziehungsweise die Militarisierung der Politik des Westens gegen außen und die weitgehende Konformität des Denkens in der neoliberalen Welt gegen innen mit einer Gleichschaltung der gesamten Bildung und dem Abbau demokratischer Strukturen als Basis hierfür, der findet in Preparatas Werk eine Antwort.“

Preparata zeigt die Bewegung linker Intellektueller hin zu einer aktiven Teilhabe an Machtverschleierung und stellt dagegen den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen Thorstein Veblen, der die Ursprünge dieser Entwicklung bereits vor mehr als 100 Jahren anhand signifikanter Entwicklungen im Bildungssystem herausstellt. Die Kaperung der Universitäten durch die Wirtschaft und deren Eingliederung in die Karrieresystematik, so Veblen, leiten das Ende des zweckfreien Denkens und unabhängiger Forschung und Erkenntnis ein und stellen die Weichen für die komplette Korrumpierbarkeit jeglicher gesellschaftlicher Prozesse durch das Kapital.

Wenn nun Preparata die Linie dieser Korruption und dieses erkenntnistheoretischen Super-GAUs von Georg W. Bush aus geistesgeschichtlich rückwärts zeichnet und da bei Michel Foucault und, diesem vorgelagert, George Bataille, aber auch Nietzsche landet, so irritiert das. Irritationen können heilsam sein. Weniger heilsam ist es, wenn am Ende nicht Erkenntnis, sondern reaktionäre Versatzstücke bleiben. Und die ergeben sich, wenn unversehens eine kleinbürgerliche, unreflektierte Moral zum Gradmesser für erkenntnistheoretische Leistungen wird.

Wenn bei einer Kritik an der Postmoderne und deren angeblicher Beliebigkeit, personell in erster Linie an Michel Foucault festgemacht, der durch sein Wirken die Handlungen der Neocons ziemlich direkt begründet haben soll, nicht zwischen dem Text und der Perzeption dieses Textes unterschieden wird, so ist das ein erstes Anzeichen dafür, dass nicht Erkenntnis das Maß ist. Definitiv reaktionär wird es, wenn Moral die Sicht dergestalt verstellt, dass erkenntnistheoretische Leistungen wie die akkurate Beschreibung totalitärer Modelle, von Foucault etwa in seiner Panoptikum-Analyse vorgelegt, und die präzise Ausformulierung des Zusammenhangs von Macht und Technologie, wie sie Gilles Deleuze, ein anderer Denker, der bei der Postmoderne einschubladisiert wird, in wenigen präzisen Sätzen vorgenommen hat, gerade in ihrem machtdemaskierenden Gehalt nicht erkannt werden, weil sie nicht moralisch, sondern sozusagen seismografisch angelegt sind. Und wenn machtdemaskierende Erkenntnis zu machtverschleiernder verdreht wird, dann liegt ein „Problem“ vor. Dieses Problem wird abermals verstärkt beziehungsweise reaktionär aufgeladen, wenn auf Empörung, also Emotion, gesetzt wird. Das geschieht bei Preparata vor allem über kontextfrei eingeführte Zitate, die geeignet sind, Kategorien des Skandalösen, Obszönen und Pornografischen wachzurufen.

Dass ein über weite Strecken gescheiter kapitalismuskritischer Text so verfährt, das hat mich schon vor Corona verwundert. Ich war damals indes moderat im Urteil, was die reaktionäre Seite des Buches betrifft. Aber das pauschalisierende Verorten des Übels in der Postmoderne ist ein Merkmal konservativer und mitunter reaktionärer Weltanschauung. Bei Preparata wird das Reaktionäre insofern zurückgedrängt, als der Text ― wie gesagt ― explizit kapitalismuskritisch bleibt und keine elitäre, machtunkritische Wahrheitsideologie als Gegenideologie postuliert.

Auffällig ist indes bereits bei Preparata ein Muster, das im Zusammenhang mit dem Text, der im Zentrum dieses Beitrags steht, ebenso gegeben ist: Preparata fokussiert auf die Rezeption bestimmter Ideen und Texte, eben zum Beispiel von Foucault, und trennt diese Rezeption nicht von den Texten ab. Dass bei der Rezeption von Ideen und Erkenntnis Strategien zum Einsatz gelangen, die mit den rezipierten Texten nichts zu tun haben, das wird übersehen.

Die bei Preparata eingelagerte Prüderie findet sich sodann in leicht modifizierter Form in der Dekadenzkritik an den Herrschenden, wie ich sie nicht selten im coronaskeptischen Diskurs angetroffen habe.

(2) Vergleiche https://archive.schillerinstitute.com/fid_91-96/921_frankfurt.html. Offenbar hat sich der Autor nach dem Attentat von Anders Behring Breivik, also Jahre nach der Publikation des Textes, von seinem Text distanziert und betont, es sei ihm darum gegangen, die Weltsicht Lyndon LaRouches wiederzugeben. „In the aftermath of Breivik’s attack, Minnicino—a now ex-member of the LaRouche movement—issued a public apology to disown his earlier work. He admitted that his research on the Frankfurt School had been ‚hopelessly deformed by self-censorship and the desire to in some way support LaRouche’s crack-brained worldview‘“ (vergleiche https://communemag.com/the-american-roots-of-a-right-wing-conspiracy/). Breivik hat im Nachgang zu seinem Attentat den Minnicino-Text als Inspirationsquelle mit angegeben. Ich möchte betonen, dass ich weder diesen Sachverhalt noch die Quelle, welche dies so darlegt, genauer auf deren Glaubwürdigkeit ― es dürfte sich um eine gänzlich in den Mainstream eingebundene Quelle handeln ― untersucht habe, weil beides für meine Zwecke unerheblich ist. Entscheidend scheint mir dagegen, dass der Text Minnicinos als auslösendes Moment für die Sichtweise gilt, die Frankfurter Schule, als Verkörperung des Marxismus missverstanden, hätte das Zivilisationsdesaster mit Political Correctness, Cancel Culture und genereller Konformität bis hin zum totalen Gehorsam zu verantworten. Diesem so begründeten Desaster stellt der Text ein bürgerliches Weltbild gegenüber; vergleiche auch https://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_Marxism_conspiracy_theory. Dass ich hier mit Wikipedia das „Lexikon des globalen Narrativs“ als Quelle angebe, ist insofern zu rechtfertigen, als in diesem Beitrag wesentliche Passagen des Textes angeführt sind und dabei nachvollziehbar wird, dass Minnicino tatsächlich die Linie der Schuld so zieht. Was im Wikipedia-Beitrag bezeichnenderweise nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass der Begriff „Marxismus“ im Zusammenhang mit der Frankfurter Schule grundsätzlich höchst fragwürdig ist und dass es sich vielmehr um eine kapitalistische Denkschule handelt. Hierfür empfehle ich Interessierten den lesenswerten Beitrag „Die CIA und der Antikommunismus der Frankfurter Schule“ vom Juni 2022 des an der privaten katholischen Universität von Villanova (USA) lehrenden Philosophen und Marxisten Gabriel Rockhill, in deutscher Übersetzung greifbar auf der Website der Schweizer Kommunisten (https://kommunisten.ch/index.php?article_id=1973) .

(3) Im 19. Jahrhundert gab es keine Bewegung mit dem Begriff „New Age“. Erst bei Alice Baily und vor allem ab den Sechzigern des 20. Jahrhunderts wird der Begriff als Sammelsurium für verschiedene esoterische Richtungen benutzt, obgleich der Begriff als solcher schon im 19. Jahrhundert auftaucht. So wahrscheinlich erstmals von William Blake 1804 benutzt und wiederum 1864 von Warren Felt Evans, der damit die Lehren des schwedischen Wissenschaftlers, Mystikers und Theosophen Emanuel Swedenborg kennzeichnete.

(4) Die Aussage, Georg Lukács sei der Gründer der Frankfurter Schule, findet sich sonst nirgendwo in der Literatur. Minnicino leitet diese von ihm nicht belegte Behauptung aus Lukács Teilnahme am ersten Theorieseminar im Mai 1923 des offiziell 1924 gegründeten Instituts für Sozialforschung (IfS) ab. Allerdings haben da viele weitere teilgenommen. Lukàcs spätere deutliche Kritik am Institut wie auch an Vertretern der Frankfurter Schule unterschlägt der Text.

(5) Vergleiche Gabriel Rockhill: Die CIA und der Antikommunismus der Frankfurter Schule, https://kommunisten.ch/index.php?article_id=1973.

(6) Vergleiche als gut lesbaren Einstieg zu dieser Thematik etwa https://www.regenauer.press/trotzki-commonwealth-und-wall-street.

(7) Statt die behauptete These Benjamin-Adorno auszuführen, die zum zivilisatorischen Super-GAU beigetragen haben soll, verweist Minnicino in diesem den Begriff „Kulturmarxismus“ prägenden Text in wirrer Weise auf Leibniz, implizit auch Kant und generell auf das Geist-Körper-Schema, an dem die Frankfurter Schule gescheitert sei. Abgesehen von dieser wirren Gemengelage wird indes das Bestreben Minnicinos deutlich, das Postulat des barbarischen, den schöpferischen Akt und dessen Unsterblichkeit negierenden Marxismus herauszustellen, der gegen die universelle Wahrheit gerichtet sei. Dieser „Raub“ der universellen Wahrheit beschäftigt ihn moralisch:

„Indem man Kreativität historisch spezifisch macht, beraubt man sie sowohl der Unsterblichkeit als auch der Moral. Man kann nicht von einer universellen Wahrheit oder einem Naturgesetz ausgehen, denn die Wahrheit ist völlig relativ zur historischen Entwicklung. Indem man die Idee von Wahrheit und Irrtum verwirft, kann man auch das ‚überholte‘ Konzept von Gut und Böse über Bord werfen; man ist, in den Worten Friedrich Nietzsches, ‚jenseits von Gut und Böse‘. So ist Benjamin in der Lage, das zu verteidigen, was er den ‚Satanismus‘ der französischen Symbolisten und ihrer surrealistischen Nachfolger nennt, denn im Kern dieses Satanismus ‚findet man den Kult des Bösen als politisches Mittel (...) zur Desinfektion und Isolierung gegen jeden moralisierenden Dilettantismus‘ der Bourgeoisie. Den Satanismus Rimbauds als böse zu verurteilen, ist ebenso falsch, wie ein Beethoven-Quartett oder ein Schiller-Gedicht als gut zu preisen; denn beide Urteile sind blind für die historischen Kräfte, die unbewusst auf den Künstler einwirken.“

Aus persönlicher Sicht möchte ich hier vor dem Hintergrund, dass ich Texte Benjamins in Teilen recht gut kenne ― seine Sprachtheorie war mit Thema meiner Dissertation ―, anführen: Benjamins Konzeption von Kunst und Kunstwerk verstellt den Weg zum Kitsch, den eine reaktionäre Weltsicht zwecks Übertünchung ihrer Schizophrenie braucht. Die Schizophrenie ergibt sich, weil die reaktionäre Weltsicht mittels ihrer Verankerung im Kapitalismus das tilgt, was sie moralisch zu bewahren vorgibt: Traditionen, Natur, heile Familie. Die Zerstörung lagert sie an andere aus:

„Das Ziel der modernen Kunst, Literatur und Musik muss es sein, das erhebende ― also bürgerliche ― Potenzial von Kunst, Literatur und Musik zu zerstören, so dass der Mensch, seiner Verbindung zum Göttlichen beraubt, seine einzige schöpferische Option in der politischen Revolte sieht.“

Dass aus diesem Blickwinkel Brechts Verfremdungstheater ein Paradebeispiel des Hässlichen ist, versteht sich:

„So arbeitete Benjamin mit Brecht zusammen, um diese Theorien in eine praktische Form zu bringen, und ihre gemeinsame Anstrengung gipfelte im Verfremdungseffekt, Brechts Versuch, seine Stücke so zu schreiben, dass die Zuschauer das Theater demoralisiert und ziellos wütend verlassen.“

(8) Siehe Fußnote (5).

(9) Der historisch, biografisch, aber sogar auch geografisch (Ascona ist nicht nahe Zürich gelegen ...) unsorgfältige und zuweilen auch falsche Text über die Kommunen in Ascona ― als Exkurs gehalten ― zeigt den Willen und Wahn des Autors, die zu Recht diagnostizierte zivilisatorische Katastrophe auf alle abzuschieben, die aus dem eigenen Moralkodex fallen. So entstehen die Linien von frühen Hippies und technoskeptischen Aussteigern und Selbstversorgern zu den Neocons. Der Text ist als Paradigma eines Kleinbürgers zu lesen, mehr noch aber des „Gesunden“, der in allem, was nicht „normal“ ist, was er nicht kennt, auch in allem, vor dem er Angst hat, das Kranke, Widerwärtige und Entartete sieht. Es lohnt sich, allein deshalb den Text zu lesen, weil darin so ziemlich alle großen Geistesfiguren des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts als Gestörte und Abartige auftreten, unter anderem auch Franz Kafka. Dass über manipuliertes Framing Teile der Ascona-Bewegten in Nazinähe gesetzt werden, gehört mit zur Strategie des Textes (vergleiche dazu auch den ersten Teil von „Reaktionäre Rebellen“). Hier also dieser Exkurs in fast voller Länge:

„Ein überwältigender Teil der Philosophie und der Artefakte der amerikanischen Gegenkultur der 1960er-Jahre sowie der heutige New-Age-Unsinn gehen auf ein groß angelegtes (angelegt war das nicht, es kam zustande) soziales Experiment zurück, das von etwa 1910 bis 1935 in Ascona in der Schweiz stattfand. Ursprünglich ein Erholungsort für Mitglieder von Helena Blavatskys Theosophie-Sekte (bei Arendt kritisiert er, dass ihre Arbeit die Grundlage sei, Gegner als Sekte einzustufen;― er selbst verfährt offenbar auch so), wurde das kleine Schweizer Dorf zum Zufluchtsort für jede okkulte, linke und rassistische Sekte (das ist grobfalsch, rassistisch war nichts dabei) der ursprünglichen New-Age-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Am Ende des Ersten Weltkriegs war Ascona nicht mehr von dem zu unterscheiden, was später Haight-Ashbury werden sollte, voller Naturkostläden, okkulter Buchläden, die das I Ging anpriesen, und Naturmenschen, ‚Mr. Naturals‘, die mit langen Haaren, Perlen, Sandalen und Gewändern herumliefen, um ‚zurück zur Natur‘ zu gelangen (in solchen Sätzen wird der Technologieglauben qua Religion des Kleinbürgertums deutlich). Der vorherrschende Einfluss in diesem Bereich kam von Dr. Otto Gross, einem Schüler von Freud und Freund von Carl Jung, der zum Kreis von Max Weber gehört hatte, dem auch der Gründer der Frankfurter Schule, Lukàcs, (gründetet die FS nicht) angehörte. Gross trieb Johann J. Bachofen auf die Spitze und soll nach den Worten eines Biografen ‚Babylon als seine Zivilisation angenommen haben, im Gegensatz zu der des jüdisch-christlichen Europas ..., wenn Isebel nicht von Elias besiegt worden wäre, wäre die Weltgeschichte anders und besser verlaufen. Isebel war Babylon, die Liebesreligion, Astarte, Aschtoreth; indem sie getötet wurde, vertrieb der jüdische monotheistische Moralismus die Lust aus der Welt.‘ Gross' Lösung bestand darin, den Astarte-Kult neu zu erschaffen, um eine sexuelle Revolution auszulösen und die bürgerliche, patriarchalische Familie zu zerstören. Zu den Mitgliedern seines Kultes gehörten: Frieda und D. H. Lawrence, Franz Kafka, Franz Werfel, der Romancier, der später nach Hollywood kam und ‚Das Lied von Bernadette‘ schrieb, der Philosoph Martin Buber, Alma Mahler, die Frau des Komponisten Gustav Mahler und spätere Verbindungsfrau von Walter Gropius, Oskar Kokoschka und Franz Werfel, und viele andere. Der Ordo Templis Orientalis (OTO), die vom Satanisten Aleister Crowley gegründete okkulte Bruderschaft, hatte ihre einzige Frauenloge in Ascona. Es ist ernüchternd, sich die Zahl der heute als Kulturhelden verehrten Intellektuellen vor Augen zu führen, die von dem New-Age-Wahn in Ascona beeinflusst wurden ― darunter fast alle Autoren, die in den 1960er- und 1970er-Jahren in Amerika ein großes Revival erlebten. Der Ort und seine Philosophie spielen nicht nur in den Werken von Lawrence, Kafka und Werfel eine große Rolle, sondern auch bei den Nobelpreisträgern Gerhardt Hauptmann und Hermann Hesse, H. G. Wells, Max Brod, Stefan George und den Dichtern Rainer Maria Rilke und Gustav Landauer. 1935 wurde Ascona zum Hauptquartier der jährlichen Eranos-Konferenz von C. G. Jung, die der Verbreitung der Gnosis diente. Ascona war auch der Ort, an dem das meiste von dem entstand, was wir heute modernen Tanz nennen. Es war der Sitz von Rudolf von Laban, dem Erfinder der populärsten Form der Tanznotation, und Mary Wigman. Isadora Duncan war eine häufige Besucherin. Laban und Wigman versuchten wie Duncan, die formalen Geometrien des klassischen Balletts durch Neuschöpfungen von Kulttänzen zu ersetzen, die in der Lage sein sollten, rituell die rassischen Urerinnerungen des Publikums wachzurufen. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde Laban der höchste Tanzfunktionär im Reich, und er und Wigman schufen das rituelle Tanzprogramm für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, das von Hitlers persönlicher Regisseurin Leni Reifenstahl, einer ehemaligen Schülerin Wigmans, gefilmt wurde. Die eigentümliche okkulte Psychoanalyse, die in Ascona populär war, war ebenfalls entscheidend für die Entwicklung eines Großteils der modernen Kunst. Die Dada-Bewegung entstand im nahe gelegenen Zürich, aber alle ihre frühen Figuren waren Asconer im Geiste oder mit dem Körper, insbesondere Guillaume Apollinaire, der ein besonderer Fan von Otto Gross war. Als ‚Berlin Dada‘ 1920 seine Gründung bekannt gab, wurde das Eröffnungsmanifest in einer von Gross gegründeten Zeitschrift veröffentlicht. Das wichtigste Dokument des Surrealismus stammt ebenfalls aus Ascona. Dr. Hans Prinzhorn, ein Heidelberger Psychiater, pendelte nach Ascona, wo er mit Mary Wigman liiert war. Im Jahr 1922 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel ‚Die Kunstwerke der Geisteskranken‘, das auf den Gemälden seiner psychotischen Patienten basierte und von einer Analyse begleitet wurde, in der er behauptete, dass der schöpferische Prozess, der in dieser Kunst zum Ausdruck kam, tatsächlich freier war als der der alten Meister. Prinzhorns Buch wurde von den modernen Künstlern seiner Zeit viel gelesen, und ein Historiker hat es kürzlich als ‚die Bibel der Surrealisten‘ bezeichnet. Die ursprüngliche Studie der Frankfurter Schule aus den 1930er-Jahren, einschließlich der ‚autoritären Persönlichkeit‘, basierte auf psychoanalytischen Kategorien, die von Erich Fromm entwickelt wurden. Fromm leitete diese Kategorien aus den Theorien von J. J. Bachofen ab, einem Mitarbeiter von Nietzsche und Richard Wagner, der behauptete, dass die menschliche Zivilisation ursprünglich ‚matriarchalisch‘ war. Diese primordiale Periode der ‚gynokratischen Demokratie‘ und der Vorherrschaft des Magna-Mater-Kults, so Bachofen, wurde durch die Entwicklung des rationalen, autoritären ‚Patriarchats‘, einschließlich der monotheistischen Religion, überlagert. Später nutzte Fromm diese Theorie, um zu behaupten, dass die Unterstützung für die Kernfamilie ein Beweis für autoritäre Tendenzen sei.“

(10) Vergleiche die drei Lektüren in diesem fast hellseherisch scharfen Werk von Byung-Chul Han hier und hier und hier.


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