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Schluss mit Käfighaltung!

Schluss mit Käfighaltung!

Das Töten von Palästinensern wird in Israel leichter akzeptiert als das Töten von Moskitos.

Israels Premierminister Netanjahu kündigte 2016 die Vollendung der totalen Ummauerung beziehungsweise Umzäunung der besetzten palästinensischen Gebiete an – mit der Begründung: „In unserer Nachbarschaft müssen wir uns vor wilden Raubtieren schützen“ (1). Solange diese in eine Art Käfig eingesperrt sind, also in Freiluftgefängnissen wie Gaza und Teilen Westjordanlands oder in israelischen Gefängnissen vegetieren, kann die Regierung zur Tagesordnung übergehen und die Eingesperrten, ausgeliefert dem israelischen Militär, nach Belieben drangsalieren. „Auch andere israelische Minister wie Ajelet Schaked, Moshe Jaalon, Eli Ben-Dahan und Naftali Bennett haben PalästinenserInnen mit Tieren verglichen und deren Tötung entweder gerechtfertigt oder gar befürwortet“ (2). In Deutschland würden dergleichen Äußerungen solcher Politiker den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen.

Das Leben dieser als wilde Raubtiere bezeichneten Menschen gilt in Israel wenig. Wie wenig, das kann jeder mit dem Dreisatz ausrechnen. Der Mord durch Kopfschuss, begangen von dem israelischen Soldaten Elor Asaria, an einem verletzt am Boden liegenden palästinensischen Attentäter wurde seinerzeit mit 18 Monaten Haft wegen „Totschlags“ durch ein israelisches Gericht geahndet – und das auch nur, weil diese Tat gefilmt wurde (3). Andererseits muss die noch nicht volljährige Ahed Tamimi für 8 Monate in Haft, weil sie einen israelischen Soldaten geohrfeigt hatte, der in das Haus ihrer Eltern in Gaza eingedrungen war. Wir können also nachrechnen, dass das Leben eines von Netanjahu verhassten „Raubtieres“ genau 18/8 = 9/4, also gut 2 Ohrfeigen für einen israelischen Soldaten wert ist.

Wenn die Raubtiere nun massenhaft aus ihren Käfigen ausbrechen, werden sie zu Problemtieren, die es zu erschießen gilt. Man kann dem israelischen Militär gewiss nicht vorwerfen, dass es dann aus Selbstverteidigung wahllos mit Gummigeschossen in die Menge schösse. Nein, mit scharfer Munition und gezielt per Kopfschuss oder rücklings in den Rücken durch speziell ausgebildete Scharfschützen werden die mutmaßlichen Rudelanführer exekutiert. So geschehen am Karfreitag 2018. Es wurden dabei mindestens 18 junge Palästinenser getötet und 1416 Palästinenser verwundet (4, 5, 6). Von verletzten israelischen Soldaten wurde nicht berichtet. „Das Töten von Palästinensern wird in Israel leichter akzeptiert als das Töten von Moskitos“ (7), so der israelische Journalist und Mitherausgeber der Zeitung Haaretz, Gideon Levy.

Netanjahu sagte 2014 im Fernsehsender NBC, dass „Israel ein Leuchtturm der Zivilisation und Mäßigung ist“ (8). Ja, er strahlt bis in unser Außenministerium. Und wenn es nicht so wäre, hätte das Militär am Karfreitag wohl alle friedlichen Demonstranten getötet. Die militärischen Mittel hat es dazu – auch dank langjähriger deutscher Unterstützung.

Angenommen in Deutschland käme es zu einem Gefängnisaufstand, bei dem massenhaft Häftlinge entwichen, um gegen menschenunwürdige Haftbedingungen zu protestieren. Könnte man sich vorstellen, dass dann das Mobile Einsatzkommando sich geschützt in Stellung brächte und zum finalen Todesschuss ansetzte, um sich angeblich vor Terror zu schützen? So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Mord wäre hierzulande immer noch Mord. So viel Demokratie ist noch.

Das neuerliche Massaker an den Palästinensern wird in die Geschichte eingehen als das Karfreitagsmassaker. Unser Qualitätsjournalismus, beispielsweise Der Spiegel, nennt das einen „Konflikt“: Die eine Seite sagt so und die andere Seite eben anders. Im Falle des Vorgehens des russischen Militärs in der Ukraine hingegen gab es immer deutliche Worte in unserer Presse. Aus Staatsräson halt. Der Papst hat in seiner Ostermesse mehr Anstrengungen für Frieden gefordert. Das klingt christlich und fromm, benennt aber nicht Ross und Reiter.

Es traf die Tausenden palästinensischer Demonstranten auf ihrem „Marsch für Rückkehr“, um gegen die gewaltsame Vertreibung aus ihren angestammten Gebieten, aus ihren Häusern und von ihren Äckern zu protestieren. Niemand hatte das Recht, sie zu vertreiben. Dabei haben sie noch Glück gehabt, dass sie nicht schon damals erschossen wurden. Es kann nur Frieden in Nahost geben, wenn allen Vertriebenen das Recht zugestanden wird, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, und sie entschädigt werden für ihre erlittenen materiellen Verluste. Von den menschlichen ganz zu schweigen. Es kann nicht sein, dass noch im 21. Jahrhundert in übelster kolonialer Manier Menschen wie Tiere lebenslang in Freiluftgehege eingesperrt werden und ihnen jegliche Bürgerrechte einer demokratischen Gesellschaft vorenthalten werden. Daher kann es nur heißen: Schluss mit der Käfighaltung von „wilden Raubtieren“!

Es ist zu erwarten, dass es weltweit Proteste gegen das Freitagsmassaker geben wird. Die deutsche Politik hat bereits vorgesorgt. Ganz rezent wird in der Bundestagsfraktion der SPD überlegt, die Verbrennung der Fahne Israels generell unter Strafe zu stellen (9). Nur der Fahne Israels. Wegen des Holocausts. Eine selbstgebastelte russische Fahne hingegen soll auch weiterhin verbrannt werden dürfen. Trotz des Holocausts an sowjetischen Kriegsgefangenen. Die zählen nicht nach deutscher Staatsräson. Evelyn Hecht-Galinski schrieb: „Erinnerung ist unteilbar und gilt nicht nur für eine Opfergruppe. Daran sollten alle Politiker und Minister denken, wenn sie Waffenlieferungen und das Wunder der deutsch-israelischen Freundschaft vollmundig preisen!“ (10). So, wie jüngst der frisch gebackene deutsche Außenminister Maas bei seinem Antrittskotau vor der israelischen Regierung.

Nun gibt es natürlich andere Mittel gegen die mörderische Politik der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zu protestieren, als ausgerechnet ein Stück weißen Stoffes mit aufgemaltem blauen Davidstern und zwei blauen Streifen zu verbrennen. Bei dieser Verbrennung werden zwar Emotionen freigesetzt, aber es wird nicht hinreichend deutlich, wer die Täter und Hintermänner – Hinterfrauen eingeschlossen – des Massakers waren. Es ist nicht der ganze Staat Israel und auch nicht das volle Dreiviertel seiner Bevölkerung mit einem Pass, in dem in Apartheidmanier „Jude“ vermerkt ist. Denn es gibt eine Vielzahl von Organisationen und Friedensgruppen in Israel, die sich gegen den Genozid an den Palästinensern stellen und empört sind über die Politik der Erniedrigung und des Staatsterrors gegenüber diesen Menschen.

Auch die arabisch-stämmige Bevölkerung in unserem Lande sollte dem Gegner klar ins Auge sehen – ohne Rauchzeichen. Man schaue sich einmal die politischen Akteure, die Ministerriege von Netanjahu, genauer an. Evelyn Hecht-Galinski hat sie uns 2015 in ihrem Blog (10) vorgestellt: ein Schreckenskabinett von Verbrechern, Rassisten und religiösen Fanatikern. Das sind die Haupttäter – und die deutsche Politik leistet Beihilfe.

Wenn Humanismus und Moral die Politik der EU-Staaten leiten würden, dann wären die UN-Charta und die Menschenrechte nicht verhandelbar. Aber EU und NATO haben militärische Interessen in Nahost und sind mit der Atommacht Israel eng verbunden: Die Sicherheitssysteme, die in Israel entwickelt und im realen Leben an den Palästinensern getestet wurden (beim Karfreitagsmassaker Drohnen, die Tränengas abwarfen), sind unverzichtbar für die NATO und die EU (11). Da kann man es sich nicht leisten, dass ein paar europäische Moralapostel – mehr als sechs Jahrzehnte einseitiger Propaganda zum Trotze – Israel an den Pranger stellen. Diese Kritiker müssen stumm gemacht werden – möglichst geräuschvoll und gründlich. Proteste gegen die Verletzung der Menschenrechte sollen hierzulande mit aller Macht verhindert werden. Die ausgefeilte Methode, das zu bewerkstelligen, hätte der Mossad sich nicht besser ausdenken können.

Stufe 1 der Strategie der Israelisierung unserer Gesellschaft ist, Antisemitismus einfach umzudefinieren, damit jegliche Kritik an der Politik Israels nach Belieben darunterfallen kann. Das hat der deutsche Bundestag letztes Jahr mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Stufe 2 lässt die Anstrengungen verstärken, gegen den so umdefinierten Antisemitismus entschlossener vorzugehen, mittels Auslotung möglicher Strafandrohungen, Boykotten und Embargos. Auch darin war sich der deutsche Bundestag dieses Jahr nahezu vollständig einig. Stufe 3 wäre dann, am Grundgesetz vorbei, die Justiz dazu zu bringen – ähnlich wie in der Türkei mit angeblichen „Terroristen“ – angebliche „Antisemiten“ zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen. Auf diese Weise ließe sich die Entrüstung über die weitere Aufrüstung Israels und den schleichenden Genozid an den Palästinensern im Keim ersticken. Erstickt würde dann schließlich auch der Rest an Demokratie in unserem Lande sein.

Soweit darf es nicht kommen. Obwohl eigentlich die EU die Aufgabe hätte, ein striktes Handelsembargo gegen Israel zu verhängen, um den Staat mit seiner Politik wegen der permanenten Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte abzustrafen (12), wird außer den üblichen Worten der Besorgnis nichts, rein gar nichts erfolgen. Business as usual. Daher bleibt es der Zivilgesellschaft überlassen, einen Boykott auszuüben, nämlich sich der bereits existierenden Bewegung BDS (13) anzuschließen:

„Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) bezeichnet die umfassende internationale politische Kampagne, die 2005 von über 170 palästinensischen Nicht-Regierungsorganisationen ins Leben gerufen und von Beginn an von vielen israelischen Personen und Organisationen mitgetragen wird. BDS fordert das Ende der Besatzung und Kolonialisierung allen besetzten arabischen Landes seit 1967 einschließlich Ost-Jerusalems, die Aufgabe aller israelischer Siedlungen sowie die Durchsetzung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen. Außerdem solle das Grundrecht der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf völlige Gleichheit anerkannt werden. Zur Durchsetzung dieser Ziele wird zu einem umfassenden Boykott Israels aufgerufen.

Bereits vor Beginn der weltweiten BDS-Kampagne im Jahre 2005 gab es zuvor in Israel seit 1988 zahlreiche Boykottaufrufe, um eine andere Politik herbeizuführen, wie der deutsche Theologe und Historiker Klaus Schmidt recherchiert und aufgelistet hat (14). Demnach hatte im September 2002 Ilan Pappé, damals Professor für politische Wissenschaften an der Universität von Haifa, erklärt, ein kultureller und akademischer Boykott könne „die Botschaft an gute Israelis vermitteln, dass es etwas kostet, wenn man gleichgültig ist“.

International unterstützen zahlreiche christliche Kirchen und Organisationen die BDS-Bewegung. Viele berühmte Einzelpersönlichkeiten ebenso, wie zum Beispiel der jüngst verstorbene Physiker Stephen Hawking und der emeritierte Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu. Letzterer schrieb 2014 in der israelischen Zeitung Haaretz davon, dass sich das Volk Israels selbst befreien solle, indem es die Palästinenser befreie (15). All das wird in Deutschland tunlichst verschwiegen, um die BDS-Unterstützer als Abschaum dämonisieren zu können. Nach neuer deutscher Lesart müsste also Tutu als Antisemit gelten. Eine Schande. In Deutschland hat man nie den Faschismus in Gänze aufgearbeitet und überwunden.

Da die im Bundestag vertretenen Parteien von DER LINKEN bis hin zur CSU geschlossen eine unerschütterliche Pro-Israel-Haltung haben und nichts zum Frieden in Nahost beitragen, muss es notwendigerweise zu einer neuen außerparlamentarischen demokratischen Sammlungsbewegung und schließlich zu einer neuen Partei kommen, die anders als jene Parteien uneingeschränkt, ohne Doppelstandards, für unser Grundgesetz in Deutschland und für Frieden und Humanität in der Welt eintritt. Die extreme Rechte, vertreten durch die AfD, kann das erst recht nicht. Also muss das derzeitige politische Vakuum gefüllt werden. Füllen wir es.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/naher-osten-gegen-bestien-netanjahu-will-zaun-um-ganz-israel-bauen-1.2857446
(2) https://www.facebook.com/kavehtracks/posts/1590083307691159
(3) https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5172956/Israel_18-Monate-Haft-fuer-Soldat-wegen-Toetung-von-Palaestinenser
(4) Wiener Zeitung, 31. März 2018, Seite 6
(5) https://derstandard.at/2000077182236/Zahl-der-im-Gazastreifen-getoeteten-Palaestinenser-stieg-auf-18?ref=rec
(6) junge Welt, 3. April, Seite 1
(7) http://www.palaestina-portal.eu/
(8) http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/allgemeines/brennpunkt-israel-boykott.php
(9) Tagesspiegel, 31. März 2018, Seite 1
(10) http://sicht-vom-hochblauen.de/wissen-aber-ohne-gewissen/
(11) Jeff Halper, in: Groth/Paech/Falk (Hrsg.), Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung
(12) Norman Paech, in: Groth/Paech/Falk (Hrsg.), Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung (PapyRossa Verlag, 2017)
(13) http://www.palaestina-portal.eu/
(14) http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/allgemeines/brennpunkt-israel-boykott.php
(15) https://www.haaretz.com/opinion/my-plea-to-the-people-of-israel-1.5259517


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