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Schwerter zu Pflugscharen

Schwerter zu Pflugscharen

Der Sohn einer privilegierten DDR-Militärfamilie beschreibt seine Lebensreise mit dem Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer.

Für mich als Sohn einer privilegierten sozialistischen DDR-Militärfamilie war das Gute allgegenwärtig: Auto, Haus am Strand, Segelsport für einen Beitrag von 1,30 Mark im Monat, Jungpionier, Fahnenappell. Wenn mir jemand einen Ostwitz über Bananen erzählte, verstand ich ihn nicht, weil die Bananen bei uns täglich auf dem Küchentisch standen. Das Militärische zum Schutze dieser Errungenschaften war für mich eine Notwendigkeit, die mir logisch erschien. Begeistert las ich Bücher mit Titeln wie „Raketen, Schild und Schwert“.

Gefreiter Sperling bei der Volksarmee



Im ersten Lehrjahr traf diese sechzehnjährige Naivität auf die reale Welt. Ich wollte Musiker werden und begegnete den ersten „Underdogs und Störenfrieden“: junge Mitmenschen, die sogar an Gott glaubten. Einer davon war der Bassist meiner ersten Band. Am Ärmel seines Parkas trug er einen Aufnäher mit dem Satz „Schwerter zu Pflugscharen“. Sein christlicher Hintergrund prägte ihn zutiefst und lehrte ihn einen fundamentalen Wert, dass Frieden niemals mit Waffen geschaffen werden kann. Das faszinierte mich als konformen Atheisten.

Durch ihn lernte ich auch eine der Hauptfiguren der DDR-Friedensbewegung kennen: Friedrich Schorlemmer, der sich als studierter Theologe vehement gegen die atomare Aufrüstung und den Kalten Krieg einsetzte.

Friedrich Schorlemmer (mit Sören Bartol, MdB im Hintergrund) bei einer Lesung in Marburg, Foto: Wikipedia, Franz Mozer (CC BY-SA 3.0)



1983 hatte Schorlemmer zum Kirchentag die Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ initiiert. Der Wittenberger Kunstschmied Stefan Nau nutzte dafür bei einem Happening das Schmiedefeuer, um symbolhaft ein Schwert zu einer Pflugschar umzuschmieden.

Friedrich Schorlemmer wurde am 16. Mai 1944 in Wittenberge geboren. Sein Abitur musste er an der Volkshochschule nachholen, da ihm als Pfarrerssohn der Zugang zur Erweiterten Oberschule verwehrt wurde. Nach dem Theologiestudium in Halle wurde er 1978 Studienleiter am Evangelischen Predigerseminar in Wittenberg. In den 1980er Jahren war er eine zentrale Figur der oppositionellen Gruppen und zählte 1989 zu den Mitinitiatoren der friedlichen Revolution in der DDR. Er starb am 8. September in Berlin. Sein Leben war geprägt von einem tiefen Glauben an die Kraft des gewaltlosen Widerstands und der christlichen Ethik.

Nun, Jahre später, hallte diese Aktion noch nach und erreichte mich. Als Wehrpflichtiger in der Nationalen Volksarmee angekommen, bekam meine Konzeptwelt von Strand, Auto und vollem Bananenkorb einen nicht zu kittenden Riss. Mit neunzehn hörte ich mich bei der Entlassung sagen: „Ich bin ab jetzt Pazifist! Nie wieder werde ich diese pathologisch-paranoide Kriegsideologie gutheißen.“

Es war der Beginn einer Reise. Lautstark gab ich meinem Protest Ausdruck: als Drummer einer Heavy-Metal-Band. So wurde ich Teil der Underdogs und Störenfriede im Sand des immer lauter knirschenden DDR-Getriebes.

Schlagzeuger Henry



Im Frühjahr 1989 hörte ich den Namen Friedrich Schorlemmer erneut. Der Schwelbrand der inneren Unzufriedenheit eines Volkes mit seinen Herrschenden hatte die kritische Masse erreicht. Es kam zu den Montags-Demonstrationszügen, die in ihrer Dynamik nicht mehr aufzuhalten waren. Schorlemmer, als einflussreiche Stimme innerhalb der Evangelischen Kirche und der Bürgerrechtsbewegung, war Mitorganisator dieser Demonstrationen und unüberhörbarer Dissident.

Fünf Tage vor dem Mauerfall sah ich ihn auf dem Alexanderplatz in Berlin, der Hauptstadt eines bis an die Zähne hochgerüsteten Landes. Die fünfhunderttausend anwesenden Menschen rief er auf: „Werden wir aus Objekten zu Subjekten des politischen Handelns!“ Der Applaus war ohrenbetäubend. Sein Respekt galt aber auch denen, die es verbockt hatten: „Tolerieren wir keine Stimmen der Vergeltung und der Rachegedanken!“ Er war immer auf der Suche nach dem Dialog.

Am Abend des 9. November 1989 scheiterte die DDR an ihrem eigenen Moralanspruch: „Alles mit dem Volk, alles durch das Volk, alles für das Volk.“ Der Slogan zum noch kürzlich gefeierten 40. Jahrestag der Staatsgründung war zum Abgesang einer sterbenden Matrix geworden.

35 Jahre später. Ich habe begriffen, dass Pazifismus vor allem das Umschmieden des eigenen inneren Schwertes bedeutet, auch was es heißt, zu scheitern und trotzdem dranzubleiben.

Doch bin ich mehr als verwundert, dass ich abermals zum Störenfried und Außenseiter geworden bin. Hier, in diesem Land. Politik und Medienhäuser übertreffen sich heute im Eifer der Kriegshysterie längst vergangener Tage.

Es ist eine alte Welt, die mir hier — wieder — begegnet. „Du da, Pazifist! Naiver Hinterwäldler!“

Wenn Naivität bedeutet, niemals in ein Flugzeug zu steigen oder finanzieren zu wollen, das Bomben abwirft, für die absurde Idee, damit Frieden schaffen zu können, so bin ich gerne naiv und sage: „Kommt Leute, die Welt braucht viel mehr Naivität. Lasst uns naiv sein!“ Weiß ich doch, dass diese Naivität — im Geiste Schorlemmers, mit einem Schmied und einer Botschaft — Weltgeschichte schreiben kann.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Schwerter zu Pflugscharen“ in der aktuelle Print-Ausgabe des Schweizer Zeitpunkt.



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