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Vergiftete Hilfe

Vergiftete Hilfe

Die „Wertegemeinschaft“ Europas hat Griechenland zu Tode gerettet.

Um es gleich zu Beginn festzustellen: das, was während der letzten Jahre als „Hilfspolitik“ der Euro-Staaten gegenüber Griechenland gefeiert worden ist – wobei merkwürdigerweise das Ende dieser angeblichen „Hilfspolitik“ vor einigen Wochen ebenfalls Anlass zu großer Freude war! –, hat die totale Irrationalität und totale Dehumanisierung der Politik gegenüber Griechenland unter Beweis gestellt. Doch der Reihe nach – und zunächst einige Blicke zurück auf das, was am 12. Juli 2015 in Brüssel geschah.

Heißt: auf das, was Griechenland an diesem Tag an sogenannter „Hilfe“ aufgebürdet und an Zugeständnissen abgepresst worden ist. Dieser Rückblick ist erforderlich, um zu verstehen, was während der letzten drei Jahre in und gegenüber Griechenland geschah. Er ist zum zweiten erforderlich, weil die Irrtümer und Missverständnisse zur Griechenland-Politik der sogenannten „Helfer“ und „Retter“ gar nicht mehr zu zählen sind – dank entsprechender Politikersprüche und dank überwiegend fragwürdigster Berichterstattung darüber in Fernsehen und Presse – wenn überhaupt eine solche erfolgte. Und beginnen wir deshalb auch genau mit diesen beiden Hauptbegriffen, mit den Begriffen „Hilfe“ und „Rettung“, und demzufolge mit dem seither im Umlauf befindlichen Propagandabegriff „Rettungspaket“.

„Rettungspakete“? Nein, Giftlieferungen!

Erstens: Fangen wir mit der scheinbar positiven Seite der Vereinbarung an, die Mitte Juli des Jahres 2015 zwischen den EU-Institutionen – inklusive Internationalem Währungsfonds (IWF) – sowie Griechenland in Kraft getreten war. Griechenland sollte, als sogenanntes drittes „Hilfs-“ oder „Rettungspaket“, rund 86 Milliarden Euro von den Geldgebern bekommen. „Hilfe“ und „Rettung“ und „Paket“, das klingt nach „Geschenk“, nicht nach einer Bücherzusendung von einem Antiquar, die anschließend selbstverständlich bezahlt werden muss – und schon gar nicht nach einer Giftlieferung.

Man könnte auch sagen: irgendwie schien an diesem heißen Julitag für die Griechen der Weihnachtsmann unterwegs gewesen zu sein, Santa Claus, der dem gepeinigten Land ein großes Geschenkpaket mit ganz viel Euro-Scheinen vor die Türe gelegt hat – oder der brave Postbote hatte eine rettende/helfende Großverpackung ins Haus gebracht. Tja, die Politik und ihre Medienwelt: man „verpackt“ (!) noch das Fragwürdigste und Gefährlichste so, als ob es Heil brächte oder das Gute. Doch in Wahrheit war alles nur Lug oder propagandistisch-positive Suggestion, die keiner Überprüfung standhält. Denn tatsächlich handelte es sich bei diesen 86 Milliarden Euro – von denen tatsächlich nur 56 Milliarden Euro „ausgezahlt“ worden sind! – um nichts anderes als um einen Kredit!

Und seit wann kommen Kredite in der Gestalt von „Paketen“ ins Haus? Und sollen zurückbezahlt werden, ohne dass die versprochene „Hilfe“ oder „Rettung“ eingetreten ist? Eben!

Kurz also: in Griechenland kam im Juli 2015 sowie in den folgenden Wochen und Monaten nicht der Weihnachtsmann, sehr wohl aber bei vielen Griechinnen und Griechen der Gerichtsvollzieher. Das zur Wahrheit dieser „Helfer-“ und „Retter“-Begrifflichkeit sowie zu der ideologisch-perfekten Verpackung dazu.

Zweitens: Gleichwohl, positiv an diesem Schein-Geschenk, das in Wahrheit nur Geldleihe ist, schien doch wenigstens etwas anderes zu sein. Sprechen wir also auch diesen Punkt an. Im Durchschnitt, so der Vertrag, sollte Griechenland zu allerbesten Kreditbedingungen diesen Geldbetrag zurückzahlen dürfen, zu gerademal 1,5 Prozent Zinssatz. Ist nicht das wenigstens positiv – sehr positiv sogar?

Wir „Normal-Verbraucher“, das wissen wir alle, haben für Überziehung unseres Girokontos zwischen 6 bis 13 Prozent Sollzinsen zu entrichten – je nachdem, bei welcher Bank wir Kunde sind – und falls wir überhaupt noch unser Konto überziehen „dürfen“; die meisten Hartz-IV-Betroffenen zum Beispiel haben dieses Recht nicht.

Kurz: wir „Normal-Verbraucher“ würden uns über einen derart niedrigen Zinssatz von gerademal 1,5 Prozent sicherlich unbändig freuen. Doch dieses ist leider der völlig falsche Vergleich! Diese Zinslast von 1,5 Prozent, die man „großzügigerweise“ den Griechen gewährt hatte, war nicht zu messen an dem, was wir kleinen Leute einer Bank zu zahlen haben im Falle eines unfreiwilligen Kredits. Dieser Zinssatz war zu messen an dem, was die große Bankenwelt so miteinander trieb, seinerzeit und auch jetzt noch. Und da sah es mit diesem scheinbaren Niedrigzinssatz von 1,5 Prozent schon ganz anders aus!

Seit dem 10. September 2010 verlangte die Europäische Zentralbank, die EZB, von Banken anderer Staaten, die Geld bei ihr leihen, lediglich noch 0,05 Prozent Zinsen für ausgeliehenes Geld und seit dem 16. März des Jahres 2016 nicht mal dieses mehr. Seitdem herrschte im europäischen Bankenverkehr mit der EZB die „Nullzinspolitik“, und lediglich das von den Euro-Staaten wirtschaftlich kaputtreglementierte Griechenland musste für seine Kredite dort noch Zinsen zahlen, bei ebenderselben EZB, die bei französischer Nationalbank oder Deutscher Bank im Falle der Geldleihe gar nichts mehr abkassierte. Was dem Laien ausgesprochen zuvorkommend erscheinen mochte, dieser minimale Zinssatz von 1,5 Prozent, stellte in Wahrheit für die griechischen Banken oder den griechischen Staat nichts anderes als eine weitere, eine zusätzliche Schikane dar. Doch damit nicht genug:

Drittens: Wer meinen sollte, diese Gelder landeten wirklich beim griechischen Staat, der irrt ein weiteres Mal! Und völlig auf dem Holzweg ist, wer annimmt, diese Gelder hätten dazu gedient, die katastrophalen Lebensverhältnisse der Menschen in Griechenland verbessern zu helfen und/oder endlich wieder eine neue Wirtschaftskonjunktur in Griechenland anzustoßen. Nichts war falscher als das. In Wahrheit dienten alle diese Kredite „an Griechenland“ lediglich dazu, mithilfe dieser Neukredite Altkredite zurückzuzahlen an die Gläubiger Griechenlands – nahezu ausschließlich an westeuropäische Banken – und das galt auch schon für die sogenannten „Rettungs-“ oder „Hilfspakete“ I und II ab 2010.

Abgesehen von maximal 5 Milliarden Euro war die „Griechenland-Rettung“ bis zum Schluss nur eine Banken-Rettung. Ein Sanierungsprogramm für überwiegend westeuropäische Banken, die sich bei Griechenland verzockt hatten – zum größten Teil schon in der Zeit vor 2010 –, ein Rendite-Rückholprogramm, das der Öffentlichkeit zumeist unter dem Tarn-Wort „Euro-Rettung“ verkauft worden ist. Das bedeutet, aus der Perspektive der notleidenden Griechen gesehen, wie auch des griechischen Staates, selbst vor SYRIZA schon: im Grunde fand für das Hilfs-„Objekt“ Griechenland mit seinen Bürgerinnen und Bürgern seit 2010 nichts anderes als ein virtuelles Computerspiel statt.

Anders formuliert: wenn irgendjemand von uns die Fantasie gehegt haben sollte, hin und wieder seien Geldtransporter von Westeuropa nach Griechenland unterwegs gewesen, bis oben hin mit Euroscheinen gefüllt, um in Athen abgeliefert zu werden, mit dem Ziel und der Wirkung, in Hellas die humanitären und ökonomischen Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, der irrt auch hier.

Diese Geldtransporte gab es zu keinem einzigen Zeitpunkt. Heißt: genauso verfehlt wäre demzufolge die zutiefst menschliche Wunschfantasie, diese Geldfrachten hätten dann, nach ihrer Ankunft, dazu gedient, die Inlandsnachfrage wieder auf Trab zu bringen und damit die griechische Konjunktur insgesamt – in der Gestalt von Investitionen ins kaputtsanierte griechische Wirtschaftssystem oder in der Gestalt der Wiederherstellung von Kaufkraft in Griechenland, etwa durch Anhebung von Sozialhilfen, Renten und Löhnen.

Praktisch nichts von diesen angeblichen „Hilfs-“ oder „Rettungsgeldern“ landete wirklich in Griechenland, und gar nichts aus diesen vermeintlichen Geschenkpaketen landete wirklich beim griechischen Volk.

Oder noch präziser formuliert: in Wahrheit und Wirklichkeit landete fast alles – lediglich mit Griechenland als virtueller Zwischenstation in irgendwelchen Computerprogrammen – wieder dort, wo es hergekommen ist: bei der Geldgeberseite! Europäische Politik bediente also seit Jahren, unter dem Falschnamen „Griechenlandhilfe“, das europäische Finanzkapital, that’s all!

Wobei allerdings – noch mehr Präzisierung ist an dieser Stelle angesagt, noch mehr ungute Wahrheit – das Geld nicht „einfach nur so“ von westeuropäischen Banken stammte und – auf dem Scheinweg über Griechenland – wieder zu ihnen zurückkehrt ist. In Wahrheit sah das alles noch viel schlimmer aus. Und damit kommen auch wir, die kleinen Europäerinnen und Europäer, ins ungute Spiel.

Viertens: Egal, ob es sich um die Gelder an den IWF handelt, die auf virtuellen Computerwegen scheinbar in Griechenland gelandet waren, oder um Gelder der EZB und anderer europäischer Banken: dort, wo diese Gelder am Ende digital-rechnerisch eintrudelten, da trafen sie am Ende auch ganz real ein, als reale finanzielle Verfügungsmasse mithin, und waren geeignet dafür, frühere Fehler dieser Banken, diverse Zockereien also und Investitionsabenteuer, wieder wettzumachen.

Und wieso dieses? – Nun, einfach deshalb, weil wir es waren, die europäischen Steuerzahler, die am Ende diesen ganzen Spaß zu bezahlen hatten, und durchaus mit realem, nicht nur mit fiktivem Geld! Zahlungspflichtig – zum Beispiel gegenüber IWF und EZB – sind nämlich reale Staaten, darunter mit erheblichen Anteilen auch die Bundesrepublik, und diese realen Staaten sind zahlungspflichtig mit realem Geld. Tja, und mit welchem Geld? – Eben, mit Geld, das sie uns, den Steuerpflichtigen, vorher aus unseren Taschen geholt haben. Heißt: auf dem Nenn-Umweg über Griechenland beziehungsweise der „Griechenlandhilfe“, auf dem Alias-Schleichweg „Hilfs-“ oder „Rettungspakete“ „für“ Griechenland sanierten wir Steuerzahler die Banken auf unserem Kontinent – wie auch in den USA.

Und, nebenbei gesagt: ausgenommen von dieser Rettung der Banken, die sich seinerzeit in Griechenland verzockten, waren bei uns auch die Arbeitslosen nicht, nicht die Aufstocker und nicht die Armutsrentner – kurz: die Hartz-IV-Betroffenen. Schließlich zahlen wir alle Steuern, auch die Ärmsten der Armen in unseren Reihen tun dies, und wir alle tun dies permanent, selbst wenn uns das sehr oft überhaupt nicht bewusst ist und gerne auch von interessierter Seite ganz oben verschwiegen wird. In der Gestalt nämlich der „indirekten“ Steuern sind wir alle dabei, dem Staat sein Säckel zu füllen, nahezu Tag für Tag, in der Gestalt jener Steuersorte nämlich, die man im Volksmund gerne „Märchensteuer“ nennt, in der Gestalt der Mehrwertsteuer. Noch mit jedem Surf-Ausflug ins Internet, noch mit jedem Laib Brot, den wir kaufen, noch mit jeder Straßenbahnfahrt finanzieren wir per Mehrwertsteuer unseren Staat – und damit auch unseren Staat als Mitfinanzierer von IWF oder DB. Daraus ergibt sich …

Fünftens: Die große Wut, die sich bei manchem deutschen Steuerzahler gegen die „faulen Griechen“ richtete, gegen dieses „Fass ohne Boden“ da unten am Mittelmeer, gegen diese renitenten „Schüler“, die bundesdeutscher Politik-Metaphorik zufolge „ihre Hausaufgaben nicht machen“ – ich kann nur sagen: „Steißtrommler aller Parteien, vereinigt Euch!“ –, diese große irrlichternde Wut hätte sich eigentlich zu richten gehabt gegen die realen, gegen die tatsächlichen Verursacher dieser irrationalen Kaputtmacherpolitik gegen Griechenland: gegen Politiker und Banker und Medien, die bis zum vorläufigen Ende jetzt, im August 2018, diese Menschenverelendungs- und Bankenbereicherungspolitik betrieben und vertreten und schöngeschrieben haben, und zwar ausschließlich zulasten der Griechen und zulasten der kleinen Leute bei uns.

Um es an nur einem einzigen Zahlenzwillingspaar zu verdeutlichen: als Europa anfing mit seiner angeblichen „Hilfs-“ und „Rettungspolitik“ gegenüber Griechenland, im Jahr 2010, lag dessen Verschuldungsquote (1) bei gerademal 110 Prozent. Heute ist diese Verschuldungsquote von 110 Prozent aus dem Jahre 2010 angewachsen auf eine Verschuldungsquote von annähernd 180 Prozent. Sieht so das Resultat rationaler und effektiver Hilfspolitik aus? Man muss schon spinnen, um derart zu spinnen.

Kurz also: Allein die Finanzpolitik, die gegen Griechenland betrieben worden ist, europaweit und über die Grenzen Europas hinaus, ausschließlich im Dienste des Finanzkapitals, half diesem Lande nicht, sondern hat es zerstört.

Allein das, was scheinbar auf der moralischen „Haben-Seite“ dieser Politik stand – dieses angebliche „Helfen“ und „Retten“ –, baute Griechenland nicht auf, sondern ruinierte es. Und diese Diagnose fällt um so schärfer aus, wenn wir auch die „Soll-Seite“ dieser destruktiven Politik gegenüber Griechenland ins Blickfeld rücken: die sogenannte „Austeritätspolitik“, gerne in Deutschland auch verkauft als „Sparpolitik“.

Nun, beginnen wir mit der, wenn man so will, Psycho-Analyse des letzteren Begriffs. Sie wird zeigen, dass auch bei dieser Vokabel alles nur auf Irreführung zielt.

„Sparen“ – ein Verniedlichungsbegriff!

Erstens: Um es gleich zu Beginn festzustellen: schon diese Vokabel beziehungsweise dieser Übersetzungstrick war rhetorische Angriffspolitik und Beschönigungstaktik zugleich, sie war nichts anderes als ein Psychotrick, bewusst eingesetzt von Politikern diverser Couleur – und aufs devoteste übernommen vom Mainstream der Medien –, um Griechenland von Anfang an mit diesem Begriff ins Unrecht zu setzen. Ich möchte dies erläutern.

„Sparpolitik“ und noch mehr ihre urplötzliche Erforderlichkeit, die zudem durchgesetzt werden müsse mithilfe äußeren Zwangs, suggeriert, dass vorher „Luxus“ geherrscht haben muss, wo nunmehr das Sparen angesagt ist. Dass „Verschwendung“ das Geschehen bestimmt haben soll, wo nunmehr Sparen zum Gebot der Stunde wurde. Und zum anderen:

„Sparpolitik“ suggerierte, dass es nun endlich mit dem Kampf gegen „Verschwendung“ auch den „Verschwendern“ selber an den Kragen ging, dass Schluss war mit dem Leben im „Luxus“. Muss ich dem entgegenhalten, dass genau dieses die Troika in Griechenland niemals veranlasst hat? Dass eine Reichensteuer in Griechenland von der Troika sogar immer wieder abgeblockt worden ist? Dass nirgendwo in den obersten Wirtschaftsrängen Griechenlands, dort, wo in der Tat „Luxus“ und „Verschwendung“ herrschen, von der Troika Schluss gemacht worden ist mit „Verschwendung“ und „Luxus“? Und dass stattdessen nur die Menschen ganz unten, oft aufs bitterste, büßen mussten für das „tolle Leben“, das oben bis zum heutigen Tag herrscht?

Kurz: Westeuropa bekämpfte in Griechenland „Verschwendung“ und „Luxus“, indem es die Armen und Ärmsten bekämpfte.

Zu den Fakten, die das belegen, komme ich im abschließenden Teil. Was bedeutet: unter dem Begriff der „Sparpolitik“, der in seinem Suggestionsfeld moralischen Vorwurf verband mit einem quasi klassenkämpferischen Impuls, wurde in Wahrheit das genaue Gegenteil praktiziert. Ob das nur Zufall war?

Zweitens: Nun zur zweiten Propaganda-Komponente dieses Begriffs „Sparpolitik“ – und damit nach der Kurzanalyse seiner Angriffsdimension zur Verniedlichung, die mit diesem Decknamen für eine in Wirklichkeit mörderische Verelendungspolitik betrieben wird.

Zugegeben: sonderlich angenehm klingt „Sparpolitik“ nicht. Ein dürrer Bruder ist der Begriff schon, wenn man ihn etwa mit Wörtern wie „Fülle“ oder „Wohlfahrt“ vergleicht oder mit dem einschlägig als ideologisch enttarnten Wörterpaar „Hilfs-“ oder „Rettungspaket“. „Sparen“ und „Sparpolitik“, das klingt nach Askese, ein Stück weit zumindest, „Sparen“ und „Sparpolitik“, das suggeriert durchaus Einschränkungen und Verzicht, das hört sich nach knappen Kassen an und zusammengebissenen Zähnen. Und trotzdem:

Wer auf den Alltagsgebrauch eines Wortes wie „Sparen“ blickt, der stößt auch auf ganz andersartige Dimensionen oder Sachverhalte. Wer Geld spart, zum Beispiel, hat immerhin Geld, das er sparen kann. Furchtbarste Armut herrscht also, wo’s Sparen möglich ist, nicht unbedingt.

Hartz-IV-Betroffene zum Beispiel können nicht mal das mehr – obwohl, bis in Gesetzestexte und viele Gerichtsurteile hinein, die über sogenannte „Leistungsbezieher“ gefällt werden, genau das Gegenteil behauptet wird: man denke nur an die Rechts-Fiktion, Arbeitslosengeld-II-Bezieher hätten die Möglichkeit, Geld ansparen zu können aus den Monatsbeträgen des Regelsatzes, etwa für einen neuen Kühlschrank, der irgendwann mal fällig wird, oder eine neue Waschmaschine. Totale Verelendung, totales Verarmtsein suggeriert der Begriff des „Sparens“ also nicht.

Und: gibt’s da nicht auch im Deutschen den Spruch – bei Schwaben wie beim Ex-Finanzminister Schäuble womöglich besonders beliebt: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not!“? – Klar dürfte sein: damit kann nur ein Sparen gemeint sein, das der Not vorbeugen hilft, nicht aber ein Sparen, das diese Not produziert. Tja, welche Variante von Sparen traf also auf Griechenland zu, das vom sogenannten „Sparenmüssen“ betroffen war und immer noch ist? Wird jemand allen Ernstes bezweifeln wollen, dass Griechenland durch all die Spardiktate erst so richtig hineineingeritten worden ist in die schlimmste Not? Und, ich wiederhole es nochmal, praktisch ausschließlich zulasten der Armen und Ärmsten dort?

Doch noch in anderer Hinsicht und in anderem Kontext hat „Sparen“ in Deutschland oft einen guten Klang: von „Sparlampen“ können wir da lesen, von „Sparautos“ auch. Heißt: „Sparen“, das bedeutet in diesen Zusammenhängen mehr Leistung für weniger Preis. Wurde während der vergangenen Jahre in Griechenland irgendwo und irgendwie durch „Sparen“ diese Wirkung erzielt: mehr Leistung für die Menschen oder gesunkene Preise? Auch in dieser Hinsicht war in Griechenland das genaue Gegenteil der Fall.

Und nicht zuletzt auch dieses noch: wer Geld in seinen Sparstrumpf steckt, mag zwar auf manches verzichten deswegen, verarmen tut er auf diese Weise sicherlich nicht. „Sparen“ kommt hier einem Bewahren gleich, einem allmählichen Zuwachs der Geldmenge sogar, über die man am Ende verfügt, wenn auch ohne irgendein Zinsplus. Darf man von „Bewahren“ – etwa des Lebensstandards der untersten Bevölkerungsschichten – sprechen, wenn man im Falle Griechenlands mit diesem Verständnis des Wortes von „Sparen“ spricht? Oder war nicht auch in dieser Hinsicht das furchtbare Gegenteil der Fall: Niedergang nämlich, Verlust auch allerletzter Geldvorräte, schlimmster Abstieg in schlimmste Not? Gemessen an den Verelendungsprozessen in Griechenland, nimmt sich der Sparstrumpf geradezu wie Wohlstand aus!

Und zuallerletzt – auch das schwingt ja im deutschen „Sparen“ mit, wenn auch derzeit außerkraftgesetzt durch die „Nullzinspolitik“ eines Herrn Draghi von der EZB: „Sparen“, das war bis vor kurzem auf unseren „Sparbüchern“ immer noch ein Mini-Plus gegenüber der Inflation! Heißt: „Sparen“, das implizierte bis vor einiger Zeit sogar Geldvermehrung im deutschen Sprachgebrauch und in der deutschen Realität. Diente irgendwo in Griechenland die „Sparpolitik“ einem solchen Plus? Man möge mir das Beispiel nennen. Ich kenne es nicht.

Dies alles bedeutet: der Begriff des „Sparens“ im Begriff der „Sparpolitik“ legte über alles, was von Seiten Europas aus gegenüber Griechenland exekutiert worden ist, einen Freundlichkeitsschein, der sich nirgendwo in der Realität bestätigen lässt – egal, welche Bedeutungsnuance des Wortes „Sparen“ man ins Auge fasst, egal, wohin man blickt. „Sparpolitik“ im Falle Griechenlands war ein zur Lüge gewordener Begriff. Er wurde zu einem Wort der Menschentäuschung schlechthin. Aber genau das, so behaupte ich, war auch gewollt. Der Begriff „Sparpolitik“, sehr oft in der Öffentlichkeit an die Stelle der Vokabel „Austeritätspolitik“ gerückt, diente demzufolge genau diesem Zweck: dieser Begriff sollte – mit assoziativ-propagandistischer Akribie – aus allen Griechen irgendwie „Verschwender“ machen, die bis gestern im „Luxus“ lebten – Motto: „Wer Schulden hat, hat immer auch Schuld!“.

Und er sollte zum zweiten, dieser Psychotrickbegriff „Sparpolitik“, einen Verharmlosungsschleier legen über all das, was Griechenland und den GriechInnen angetan worden ist. Vernichtung gab sich als Bewahren und Sorge für morgen aus, als Sparstrumpf und Kontozuwachs. Oder anders formuliert:

Killerpolitik tarnte sich als Hilfe, Rettung, Neubeginn.

Doch wird die Sache besser, wenn wir Wort und Wortgeschichte des Begriffs „Austeritätspolitik“ analysieren? – Keinesfalls!

Die Wahrheiten hinter dem „Austeritäts-Begriff“

Drittens: Vermutlich wissen es die wenigstens von uns. „Austeritätspolitik“, zumeist in Deutschland als Synonym für „Sparpolitik“ in Gebrauch, enthält weit mehr an Negativitäten, als uns Politikergerede und Medienschreiberei einreden will. Nun, zunächst: „Austerität“, in dieser latinisierten Form abgeleitet vom altgriechischen Wort „Austerotes“, das kann auch so etwas bedeuten wie „Sparsamkeit“. Klingt edel, besonnen, nicht schlecht. Und ähnlicher Ethik-Klang umgibt auch noch andere Ursprungs-Inhalte dieses Begriffs „Austerotes“: „Ernst“ zum Beispiel oder auch „Disziplin“.

Doch mit der ebenfalls „antiken“, mit der ebenfalls überkommenen Wortbedeutung „Strenge“ zeigt uns diese „Austerotes“ fast schon den Rohrstock – und unwillkürlich denkt man da an das Arschpaukergeblaffe mancher Politiker zurück, bei uns und anderswo, an das Gequassel darüber, die Griechen hätten „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“! Und mit dem Bedeutungsfeld „Entbehrung“, ebenfalls Ursprungsinhalt der griechischen „Austerotes“, plaudert die „Austerität“ endlich ihre ganze Wahrheit aus: wer Opfer einer „Austeritätspolitik“ wird, soll gefälligst „Entbehrungen“ hinnehmen müssen und vor allem zu einem werden – zu einem Opfer!

Fragt sich nur: alle Betroffenen oder nur manche? Die wahren „Luxus“-Sünder zum Beispiel? Und: bis zu welchem Grade darf es, bitteschön, mit diesen „Entbehrungen“ gehen? Darf es auch Hunger sein und Obdachlosigkeit, auch Kindstod oder Suizid? – Nun, die Akteure der „Austeritätspolitik“ waren da nicht grade kleinlich gegenüber den Opfern, und sie sind es bis heute nicht. Das zum einen. Und zum anderen:

In wirtschaftlichem Sinne kam dieser Begriff der „Austeritätspolitik“ ja ohnehin erst in der Neuzeit auf und stellt – wie passend in unserem Zusammenhang! – nichts anderes als ein „Kriegskind“ dar. Es waren mit der „Austeritätspolitik“ tatsächlich die „Entbehrungen“ gemeint und die „Strenge“, es waren damit gemeint die Zwangsverzichte, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte, und zwar für das britische Königreich.

Konkret: es war der Schatzkanzler und Handelsminister Stafford Cripps, 1889 bis 1952, – nebenbei: Mitglied der Labour-Partei, ein englischer Sozialdemokrat also –, der mithilfe von „austerity“ Großbritannien vor dem Staatsbankrott bewahren wollte. Und das bedeutete für die britische Bevölkerung der damaligen Zeit vor allem zweierlei: Ausgabensenkungen des Staates – zum Beispiel bei Löhnen, Renten und im Sozialbereich – sowie Steuererhöhungen – zum Teil in erheblichem Ausmaß. Motto mithin: wer weniger bekommt, soll wenigstens mehr zahlen müssen!

Lediglich der Umstand, dass es damals noch einen John Maynard Keynes, 1883 bis 1946, gab, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität in Cambridge, der das genaue Gegenteil lehrte, nämlich, dass in Notzeiten von Seiten des Staates aus investiert werden müsse, auch um den Preis der Verschuldung, bewahrte Großbritannien vor Cripps Langfrist-Experiment, das Land zu Tode zu sparen.

Das Experiment eines Mannes, der von Hause aus Jurist war, kein gelernter Ökonom! – Nun, beide Männer sind schon lange tot. Aber wer auf die Maximen des Stafford Cripps blickt, wird unschwer erkennen: in Griechenland hatte seine Politik der „austerity“ unfröhliche Urständ gefeiert. Genau sein Prinzip – „Wer weniger bekommt, soll wenigstens mehr zahlen müssen!“ – war zum Zwangsprinzip der gesamteuropäischen Politik gegenüber Ländern geworden, die – wie damals Großbritannien – am Boden liegen. Es war genau diese Politik, diese doppelte Drangsalierungspolitik, die Griechenland mehr und mehr zugrundegerichtet hat, die Menschen in Griechenland, oder noch präziser formuliert: vor allem die Ärmsten und die Armen in Griechenland.

Bleibt lediglich die Frage offen: hat auch Griechenland unlängst einen Krieg geführt und muss nun büßen für ihn – mit „Strenge“ und „Entbehrungen“? Selbstverständlich nicht! Der einzige Unterschied zu Großbritannien damals ist: dieses Mal wurde „Austeritätspolitik“ wirklich exekutiert – wobei dieser Zwang, diese Kaputtmacherpolitik, im Falle Griechenlands von außen her betrieben worden ist, von den westeuropäischen Staaten, nicht aber von einem halbgebildeten Viertel-Ökonomen aus dem eigenen Land.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Verschuldungsquote: Verhältnis des Schuldenbetrags, in Prozent ausgedrückt, gegenüber dem „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP) als Hundertsatz, gegenüber dem Gesamtbetrag also, der in einem Staatswesen pro Jahr in der Gestalt von Waren und Dienstleistungen erwirtschaftet worden ist


Redaktionelle Anmerkung: Holdger Platta wollte es nicht bei Kritik und Anklage belassen und hat deshalb in Kooperation mit dem von ihm geleiteten Verein IHW (Initiative für eine Humane Welt) und dem Webmagazin Hinter den Schlagzeilen eine eigene Hilfsorganisation gegründet. Die GriechInnenhilfe versorgt über Helfer, die auf eigene Kosten nach Griechenland anreisen, Not leidende Menschen vor Ort mit dringend benötigten Geldern, mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern. Wer für die Menschen in Griechenland Geld spenden will, der überweise es bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:

Inhaber: IHW
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