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Verhärtete Fronten

Verhärtete Fronten

Die Außenminister Annalena Baerbock und Sergej Lawrow werfen sich gegenseitig Propaganda und Grausamkeit vor — doch Beschuldigungen sind kein Weg zum Frieden.

Der Standpunkt von Annalena Baerbock

Die deutsche Außenministerin machte ihren Standpunkt kürzlich in einem Interview bei Lanz und bei einer Rede vor der UN deutlich. Bei Markus Lanz freute sich Baerbock darüber, dass es für Putin „militärisch nicht so vorangeht, wie er sich das vorgestellt hat“. Daher sei der russische Präsident nun „verzweifelt“, würde einen Krieg mit der Angst führen und im Zusammenhang mit den Referenden mit Atomwaffen drohen.
Baerbock führte weiter aus:

„Wir müssen die unterschiedlichen Methoden genau analysieren, weil es eben nicht ein Krieg ist, der wie im 19. Jahrhundert geführt ist, mit Panzern alleine. Sondern es ist ein hybrider Krieg, auch mit viel Propaganda, mit Fake News, man kann auch Lügen dazu sagen, und jetzt kommt dieses weitere Element dazu, indem er Angst schürt, in der Hoffnung, dass dann die Unterstützung der Ukraine abnimmt. Das haben wir ja schon mit Blick auf die Energie gesehen, auch da war das Ziel Spaltung unserer Gesellschaft, Verunsicherung. Und das Wichtige ist, in solchen Momenten nicht der Angst zu folgen, sondern einen kühlen Kopf zu bewahren. Dass man sich aller Risiken bewusst sein muss, aber zugleich sich auch bewusst machen muss, dass diese Erpressungsversuche nicht aufgehen“ (1).

Außerdem verwies Baerbock im ZDF wie auch einen Tag später bei der UN auf die „Folter“ und das große Leiden der Zivilbevölkerung. „Da kann man selber nur dann die Tränen fließen lassen“, so die emotionalen Worte von Baerbock. Daher sei es wichtig, weiter Waffen zu liefern:

„Da sieht man doch, dass die Befreiung die Befreiung (sic) durch die ukrainischen Truppen ist. Weil endlich Frieden und Sicherheit wieder da ist und weswegen diese Waffenlieferungen Menschenleben retten.“

Vor der UN betonte Baerbock abermals, welch großes Leid der Krieg hervorbringe, und dass Russland seinen Angriffskrieg mit „Morden und Vergewaltigungen“ beenden müsse. Auch seien die „Fake-Referenden“ illegal und Russland stürze mit seinem Getreidekrieg die Nationen des Südens in den Hunger (2).

Während Baerbocks Behauptung, im 19. Jahrhundert wären Kriege mit Panzern geführt worden, eher zweifelhaft ist, so liegt sie doch mit ihrer Analyse richtig, dass zu Kriegen heute immer auch Kriegspropaganda gehört.

Spätestens, seit vor mehr als 100 Jahren im Ersten Weltkrieg die moderne Kriegspropaganda begann (3) — damals am fortschrittlichsten von der Creel-Commission in den USA betrieben (4) —, gehört zum Ausüben von Hard Power, also militärischer Gewalt, auch Soft Power. Hier wird mit psychologischen Werkzeugen gearbeitet, um die Menschen im Informationskrieg gezielt zu beeinflussen und die Zustimmung für einen Krieg hervorzurufen.

Baerbock hat ebenfalls Recht, wenn sie meint, dass das gezielte Ansprechen von tiefen Gefühlen, allen voran das Schüren von Angst oder auch Mitleid, zu bewährten Mitteln der Kriegspropaganda gehört. Es mag auch stimmen, dass Russland diese Propaganda gezielt einsetzt. Sie vergisst jedoch zu erwähnen, dass Kriegspropaganda und militärische Gewalt selten nur von einer Kriegspartei ausgeübt werden — üblicherweise betreiben alle an einem Konflikt beteiligten Länder ihre Form von Propaganda und jedes Militär setzt Gewalt ein.

Es wäre daher in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht nur Russland Propaganda betreibt, sondern dass die USA die fortschrittlichsten Propagandamethoden entwickelt haben und in diesem Bereich führend sind. Ferner geht die militärische Gewalt nicht nur von Russland aus, sondern seit 2014 auch von ukrainischer Seite. In wie weit die Äußerungen von Annalena Baerbock daher selbst Propaganda sind, muss der Zuhörer selbst entscheiden.

Der Standpunkt von Sergej Lawrow

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wies in seiner Rede vom 22. September wie Baerbock darauf hin, dass das Völkerrecht gebrochen werde — allerdings durch die Ukraine, so Lawrow. Er betonte, dass die Verbrechen des Maidan aus dem Jahr 2014 bis heute nicht bestraft worden und in dem Bürgerkrieg seither viele tausend Menschen gestorben seien.

Auch Lawrow beschuldigte seine Gegner der Verbreitung von Kriegspropaganda. Aus seiner Sicht hätte die westliche Berichterstattung über die Gräuel von Butscha einem „Propagandaeffekt“ für die Ukraine gedient, und man sei heute an echter Aufklärung nicht interessiert. „Niemand erinnert sich mehr an Butscha — außer uns“ (5), beschwerte sich Lawrow. In seiner Rede vom 24. September sprach er darüber hinaus von „groben Inszenierungen“ (6).

Auch heute würden ukrainische Soldaten gezielt Zivilisten beschießen sowie durch den Beschuss des Atomkraftwerks Saporschje die Gefahr einer nuklearen Katastrophe heraufbeschwören. Russland habe „zahlreiche Beweise“ für die „kriminellen Handlungen des Kiewer Regimes, die seit 2014 regelmäßig begangen werden“, so Lawrow.

Er erklärte auch, wie die Ukraine und der Westen Kriegspropaganda betreiben würden: Russen seien als „Untermenschen“ oder „Kreaturen“ abgewertet worden, die man folglich töten könne.

Das sei möglich, da der Westen dazu das einseitige „Narrativ“ verbreite, die russische Invasion sei der Ursprung aller Probleme, während man den seit 2014 andauernden Bürgerkrieg ignoriere und die Ukraine für die von ihnen begangenen Verbrechen nicht bestrafe.

Lawrow hat Recht, wenn er den Bürgerkrieg erwähnt, der laut einer UN-Studie bis zum Jahr 2022 mehr als 14.000 Opfer forderte.

Wie Baerbock könnte auch Lawrow Recht haben, wenn er den Westen der gezielten Verbreitung eines Narratives und der Verbreitung von Kriegspropaganda beschuldigt. Die gezielte Abwertung und Entmenschlichung des Gegners kritisiert Lawrow zu Recht als Kriegspropaganda.

Es steht jedoch fest, dass die gegenseitigen Beschuldigungen und Behauptungen, der Gegner sei besonders grausam, würde das Völkerrecht nicht achten und mit Kriegspropaganda Lügen verbreiten, für beide Seiten zwar zutreffen können — sie zeigen jedoch keinen Weg zum Frieden auf.

Dialog und Kompromisse erforderlich

Der Weg zum Frieden kann auch nicht in der Lieferung von immer noch mehr Waffen an die Ukraine bestehen. Hier hat Annalena Baerbock Unrecht, wenn sie behauptet, die Lieferung von Waffen an die Ukraine würde Leben retten und Frieden schaffen. Sowohl durch Kriegspropaganda als auch durch Waffenlieferungen wird kein Frieden geschaffen, sondern der Krieg und das Leiden und Sterben von Menschen werden dadurch erst möglich.

Um Frieden zu schaffen, braucht es daher von Seiten der Politik einen „ehrlichen Dialog und die Suche nach Kompromissen“ (6) sowie ein Verständnis für die geopolitischen Beweggründe aller Beteiligten. An die Stelle von Propaganda muss eine ehrliche Aufklärung treten und keine Abwertung, sondern Mitgefühl für alle Beteiligten.

Von Seiten der Bevölkerung ist es entscheidend, die Kriegspropaganda zu durchschauen, welche die Gedanken und Gefühle der Menschen vergiftet.

Ein Wandel in den Köpfen und Herzen der Menschen kann dazu führen, dass die Zustimmung für den Krieg sowohl von westlicher als auch von russischer Seite abnimmt — und dieser Wunsch nach Frieden und die Ablehnung von Propaganda und Gewalt sind die Basis dafür, um die verhärteten Fronten aufzuweichen und den Weg zum Frieden tatsächlich gemeinsam zu beschreiten.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bearbock-putin-ukraine-krieg-russland-lanz-100.html
(2) Rede von Annalena Baerbock vor dem UN-Sicherheitsrat zum Krieg Russlands gegen die Ukraine am 22. September 2022
(3) Eberhard Demm (2021): Censorship and propaganda in World War I. A comprehensive history, Bloomsbury, London
(4) Detlef R. Peters (1964): Das „US-Committee on Public Information” – Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg, Köhler Minden, Berlin; vgl. auch: https://www.nachdenkseiten.de/?p=86105
(5) Rede von Sergej Lawrow vor dem UN-Sicherheitsrat zum Krieg Russlands gegen die Ukraine am 22. September 2022
(6) Rede von Sergej Lawrow bei der UN-Vollversammlung am 24. September 2022


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