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Verweigerter Dialog

Verweigerter Dialog

Ein SPD-Manifest will „mit Putin auf Verhandlung und Entspannung setzen“. Die Mainstreampresse hält dies für „realitätsblind“ — eher trifft dieser Vorwurf jedoch auf sie selbst zu.

Die 100 SPD-Mitglieder, die das Manifest „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ verfasst haben, konnten mit großer öffentlicher Resonanz rechnen, zumal vor dem SPD-Parteitag und angesichts der großen Kluft in der Meinungsverteilung zwischen politischem Establishment und der Bevölkerung zum Thema Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“: Laut einer „Insa“-Umfrage (2024) sind im Westen etwa 52 Prozent für eine massive Aufrüstung, im Osten 37 Prozent dagegen. Aber die heftigen unfairen Kritiken, die die Verfasser des Manifests von den Leitmedien erfahren haben, unter anderem von Die Welt, BILD, SPIEGEL, FAZ, Süddeutsche, zeigen Züge von Verachtung, aggressive Rhetorik, Feindbildprojektion und Ignoranz und stoßen auf ein von jahrelanger einseitiger Berichterstattung geprägtes Meinungsbild, das den Ukrainekrieg aus dem Kontext seiner Vorgeschichte löst und Putin zu einem imperialistischen und blutdürstigen Despoten macht.

Einige typische Reaktionen

Von einer „sonderbaren Sehnsucht nach Frieden mit Russland“ „altgedienter Funktionäre“ ist da die Rede in Die Presse vom 13. Juni 2025, als sei das eine spinnerte Idee von Zurückgebliebenen, oder man berichtet erst gar nicht objektiv, sondern ordnet gleich in der Überschrift ein: „SPD-Manifest: Sie irren“ wie ZEIT ONLINE am 11. Juni 2025. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) stuft das Papier inhaltlich als „Appeasementpolitik“ ein und BILD schreibt am 12. Juni 2025: „Das ‚Manifest‘ der SPD: Als hätte es Putin selbst geschrieben“. Die Braunschweiger Zeitung (BZ) hält es für „weltfremd“, da Putin gar keine Verhandlung wolle und nur Stärke verstehe, so am 13. Juni 2025.

Viele Leser und Hörer solcher Kommentare übernehmen das ungeprüft, da es permanent in allen Leitmedien wiederholt wird, was schon Züge einer Propagandakampagne hat (1). Kein Journalist hinterfragt das Narrativ dahinter.

Mit welchen Begründungen aber wird das Manifest für „realitätsfremd“ gehalten?

Das wohl häufigste Argument: Putin wolle gar keine Verhandlungen.

Argument: Das hätte sich jetzt ja klar gezeigt mit der Ablehnung einer 30-tägigen Waffenruhe, wie sie von den Europäern und der Ukraine vorgeschlagen wurde.

Unberücksichtigt wird dabei die Forderung Russlands nach gleichzeitigem Stopp westlicher Waffenlieferungen in dieser Zeit.

Hintergrund dabei ist die Erfahrung Russlands mit den Verhandlungen um die Beendigung des innerukrainischen Bürgerkriegs (Minsk II ) zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Weißrussland. Keine der dort getroffenen Vereinbarungen wurden von Seiten der Ukraine eingehalten (2), die Zeit wurde, wie die frühere Kanzlerin Angela Merkel und der ehemalige französische Präsident Francois Hollande (3) später freimütig einräumte, genutzt, um die Ukraine mit westlichen Waffen aufzurüsten. Das gleiche befürchtete Russland noch einmal zu erleben. Hier hätte es nur Mut von westlicher Seite gebraucht, um darüber ein beiderseitiges Agreement zu erzielen. Ob man seitens der Europäer und der Ukraine lediglich Zeit gewinnen wollte, um die eigenen Verbände und Ausrüstung zu reorganisieren, dieser Verdacht lag nahe.

Gab es sonst keine Verhandlungsbereitschaft Russlands?

Im März 2022, zu Beginn des Ukraine-Kriegs, gab es Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine mit dem Ziel, den Krieg zu beenden. Etliche Medienberichte jener Zeit zeigten, dass ein Kompromiss — Verzicht auf NATO-Beitritt und Neutralität der Ukraine — in greifbare Nähe gerückt war, die Verhandlungen dann aber abrupt abgebrochen wurden. Der damalige Ministerpräsident Israels, Naftali Bennett, hat Anfang März 2023 in einem Interview deutlich gemacht, dass es vor allem die USA und Großbritannien waren, die die Verhandlungen abgebrochen hatten.

Die brutale Ermordung von Zivilisten durch russische Soldaten in Butscha galt dann aber als Beweis, dass man Russland nicht trauen könne, und war der Punkt, an dem man im Westen bereit war, der Ukraine nun in größerem Umfang Waffen zu liefern sowie Wirtschaftssanktionen zu verhängen, um Russland zu besiegen.

Wollte man die bedauernswerten Opfer dadurch rächen, dass man Verhandlungen stoppte und nun ein großer Krieg Zehntausende das Leben kosten würde? Dann wäre das eine „moralische“ Haltung, die bereit ist, viele weitere Tote durch eine Ausweitung des Krieges in Kauf zu nehmen, um ein vermeintlich verbrecherisches Regime zu bestrafen.

„Putin versteht nur die Sprache der Stärke.“

Wenn der Feind nur durch Stärke zu beeindrucken ist, und dafür gibt es derzeit kaum Anzeichen, dann muss ich ihm mit noch stärkeren Waffen begegnen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wir sind dann bei einer sich wechselseitig verstärkenden Aufrüstung. Die Raketenzahl des Feindes muss von uns übertroffen werden! Der Gedanke, dass der „Feind“ ebenso denkt, so die Theorie vom „Sicherheitsdilemma“ (4), und um seine Sicherheit fürchtet, könnte hier kognitiv stören, weshalb man sich am besten hilft mit dem Täter-Opfer-Schema: Aber wir sind doch auf der Seite des Opfers, und der Feind ist ja der Täter, der zur Rechenschaft zu ziehen ist! Also hat der gar kein Recht, uns als Aggressor zu sehen.

Das ist schon eine sehr einfache moralisierende Sichtweise, wie sie zum Beispiel in den Äußerungen der ehemaligen deutschen Außenministerin Annalena Baerbock des öfteren zu erkennen war, die aber in zahllosen Kommentaren der Leitmedien wiederholt wurde. Rationale Konfliktbearbeitung ist das nicht.

„Mit Putin kann es keinen Frieden geben.“

Durch die Entmenschlichung des Feindes und die kindische Personaliserung, Putin allein, nicht die russische Regierung, die politische oder Militärführung, wird ein vereinfachtes Feindbild geschaffen, das als Personifikation des Bösen erscheint, mit dem man nicht rational verhandeln könne. Und wer das in der SPD nicht begreife, sei nach Pistorius komplett „wirklichkeitsfern“. Das versteht auch jeder Mainstream-Journalist, weil es einfach ist und sich gut für die Erregung der offenbar als leicht zu beeinflussen geltenden Leserschaft eignet.

Die Welt als Kampf von Gut gegen Böse, das ist immer noch ein wirksames Propagandamärchen, die Gebrüder Grimm lassen grüßen.

Es gab und gibt keinerlei Bemühen, Russlands Interessen und Absichten zu „verstehen“, nicht akzeptieren!, um rationale Wege der Konfliktlösung zu beschreiten. Das hätte bedeutet, sich mit der sicherheitspolitischen Lage in Europa nach dem Ende der Sowjetunion zu befassen, spätestens 2008, als George W. Bush darum warb, die Ukraine und Georgien in die NATO aufzunehmen, was alle roten Linien Moskaus überschreiten würde. Genau das aber fordert das Manifest ein, nach dem Prinzip, das Sicherheit unteilbar sei und nicht nur für eine Seite zu haben sei.

„Putin gleich Stalin oder Hitler“. Das personifizierte Feindbild ist vor allem eine gefährliche Projektion

Ist der Feind der Menschlichkeit entkleidet, ist er auf manichäische Weise das Böse schlechthin, vergleiche Ronald Reagans „evil empire“ über die frühere Sowjetunion, oder etwas weniger aufgeladen eine „Achse der Autokraten“ von Anne Applebaum, die das Reich der Freiheit und Demokratie herausfordere. Mit dieser verzerrten Wahrnehmung richten sich die Fantasien eher auf die Beseitigung oder Vernichtung des Feindes. So fantasiert der bekannte britische Historiker Timothy Garton Ash schon über eine Zerschlagung der Herrschaft Putins und eine 50-jährige Besetzung Russlands, um dort die imperialistischen Gelüste auszutreiben.

„Russland will die alten Gebiete der Sowjetunion wieder zurück und plant einen Angriff auf NATO-Länder“

Das ist ein Propagandamärchen von schlichter Einfalt: Die hierzu geäußerten „Fakten“ widersprechen sich komplett.

Einerseits habe Russland nach Meldungen der Ukraine und des britischen Geheimdienstes mindestens 1 Million Soldaten verloren, andererseits gibt es westliche „Militärexperten“, die schon vor 2030 mit einem Angriff Russlands auf das Baltikum rechnen — mit welchen Soldaten noch?

Die demografische Lage Russlands ist extrem angespannt. Der französische Historiker Emanuel Todd stellt dazu fest:

„Russland ist in eine Phase des Rückgangs seiner männlichen, potenziell mobilisierbaren Bevölkerung eingetreten, (…) dies ist der Grund, warum das Bild eines erobernden Russlands, das fähig wäre, in Europa einzufallen, (…) reine Phantasie ist.“ (5)

Russlands imperialistische Absichten seien doch klar erwiesen mit der Annexion der Krim und der Intervention in Syrien, wird behauptet. Unterschlagen wird die tiefgreifende Spaltung der Ukraine nach dem blutigen Maidan-Putsch, bei dem die überwiegend russischsprachige Bevölkerung im Osten unter politischen und kulturellen Druck geriet, was die Ursache für den folgenden Bürgerkrieg war.

Bekannt ist der Versuch der Unterdrückung der russischen Sprache im Osten der Ukraine. Unterschlagen wird der Streit um die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte, die Geschichte der Krim und die geopolitische und militärische Bedeutung der Halbinsel. Unterschlagen wird auch, dass die USA weltweit über mehr als 800 Militärstützpunkte verfügen, Russland aber nur zwei in Syrien. Und hat nicht die NATO einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien geführt für die Abtrennung des Kosovo?

Noch ein Argument gegen angebliche Kriegspläne Russlands gegen die Nato?

Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westen beträgt ein Vielfaches der russischen. Vor der Invasion in die Ukraine „war Russland nur 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP, des Westens schwer“ (6). Wie könnte diese Wirtschaft einen andauernden großen Krieg mit der NATO stemmen? Während die NATO-Staaten 2024 1506 Milliarden Dollar in die Rüstung steckten, waren es in Russland gerade mal 149 Milliarden, also weniger als ein Zehntel!

In welchem irrsinnigen Verhältnis steht aber das billionenschwere Aufrüstungspaket der NATO-Länder dazu? Das wären Fakten für die „Faktenchecker“ bei ARD und ZDF, die aber dort kaum zu finden sind oder wenn, dann heruntergespielt werden.

Die Begründung für die wahnsinnige Billionen Euro schwere Aufrüstung der NATO hält einer kritischen Überprüfung der Faktenlage nicht stand. Was also könnten die wahren Gründe sein?

Die Medien schweigen dazu. Natürlich gibt es die Erkärung, Europa könne sich nicht mehr auf die USA verlassen, sondern müsse nun kräftig in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren. Hier macht das Manifest ganz klar: Verteidigungsfähigkeit bedeutet Aufrüstung mit Defensivwaffen und nicht mit zum Beispiel atomar bestückbaren Mittelstreckenwaffen unter US-Kommando, auf deren Einsatz Deutschland keinen Einfluss hat. Aber offenbar möchte man „Kriegstüchtigkeit“ erreichen, um doch noch Russland militärisch zu schlagen oder aber Chinas Macht zu beschränken und die USA in Südostasien zu unterstützen. Weitere Gründe sind sicher die enge Verflechtung des militärisch-industriellen Komplexes und der Sicherheitsbranche mit der Politik, der Erfolg ihrer Lobbyisten, Superprofite für ihre Branche in den nächsten Jahren zu gewinnen, sowie der Deal mit Donald Trump, mehr US-Rüstung zu kaufen, um das amerikanische Handelsdefizit zu verkleinern.

Die Kriegsgefahr war noch nie so stark angesichts des Ziels der NATO, weitere Länder an Russlands Grenze in die NATO aufzunehmen — Russlands Umzingelung. Das kann kein russischer Politiker akzeptieren, es wäre Selbstmord.

Die schreckliche Konsequenz angesichts der in Deutschland geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen und der dort schon lange unter US-Kommando stehenden Atom-Arsenale wäre ein Nuklearkrieg auf deutschem und europäischem Boden — weit weg von den USA.

Fazit: Die Debatte um das SPD-Manifest muss von den politischen Führern und ihren medialen Begleitern schnellstens erstickt werden, mithilfe von Verdrehungen, Schmähungen oder plumpen Lügen, damit das dürftige Narrativ von Putins Bedrohung nicht plötzlich zusammenbricht.

Das Manifest: Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung

80 Jahre nach Ende der Jahrhundertkatastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Hitler-Faschismus ist der Frieden auch in Europa wieder bedroht. Wir erleben neue Formen von Gewalt und Verletzung der Humanität: Der russische Krieg gegen die Ukraine, aber auch die fundamentale Verletzung der Menschenrechte im Gaza-Streifen. Die soziale Spaltung der Welt wird tiefer, in den Gesellschaften und zwischen den Gesellschaften. Die vom Menschen gemachte Krise des Erd- und Klimasystems, die Zerstörung der Ernährungsgrundlagen und neue Formen von Kolonialismus um Rohstoffe bedrohen den Frieden und die Sicherheit der Menschen. Nicht zuletzt versuchen Nationalisten, Unsicherheiten, Konflikte und Kriege für ihre schäbigen Interessen zu nutzen.

Von einer Rückkehr zu einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa sind wir weit entfernt. Im Gegenteil: In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen. Frieden und Sicherheit sei nicht mehr mit Russland zu erreichen, sondern müsse gegen Russland erzwungen werden. Der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird beschworen, statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen.

Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept der gemeinsamen Sicherheit der einzige verantwortungsbewusste Weg ist, über alle ideologischen Unterschiede und Interessen-Gegensätze hinweg Krieg durch Konfrontation und Hochrüstung zu verhindern.

Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit lag auch dem zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow 1987 vertraglich vereinbarten Verbot aller atomarer Mittelstreckenwaffen zugrunde, das wesentlich zum Ende des Kalten Kriegs in Europa und zur deutschen Einheit beigetragen hat.

Seit den 1960er Jahren wurde die Welt mehr als einmal an den nuklearen Abgrund geführt. Der „Kalte Krieg“ war geprägt von gegenseitigem Misstrauen und militärischer Konfrontation der Führungsmächte in Ost und West. Der Präsident der USA John F. Kennedy, Willy Brandt und andere führende Politiker der damaligen Zeit haben die richtigen Konsequenzen aus der in der Kuba-Krise offensichtlich gewordenen gefährlichen Perspektivlosigkeit dieser Rüstungsspirale gezogen. An die Stelle von Konfrontation und Hochrüstung traten Gespräche und Verhandlungen über Sicherheit durch Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 war ein Höhepunkt dieses Zusammendenkens von Verteidigungs- und Abrüstungspolitik, das in Europa jahrzehntelang Frieden gesichert hat und schließlich auch die deutsche Einheit ermöglichte.

In Helsinki wurden zentrale Prinzipien der europäischen Sicherheit durch einen friedlicheren Umgang der Staaten miteinander vereinbart: Die Gleichheit der Staaten unabhängig von ihrer Größe, die Wahrung der territorialen Integrität der Staaten, der Verzicht auf gegenseitige Gewaltandrohungen, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten wie auch die Vereinbarung umfassender Zusammenarbeit.

Heute leben wir leider in einer anderen Welt. Die auf den Prinzipien der KSZE-Schlussakte basierende europäische Sicherheitsordnung wurde schon in den letzten Jahrzehnten vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine immer mehr untergraben — auch durch den „Westen“ — so etwa durch den Angriff der NATO auf Serbien 1999, durch den Krieg im Irak mit einer „Koalition der Willigen“ 2003 oder durch Nichteinhaltung der 1995 bekräftigten nuklearen Abrüstungsverpflichtungen des Atomwaffensperrvertrags, durch Aufkündigung oder Missachtung wichtiger Rüstungskontrollvereinbarungen zumeist durch die USA oder auch durch eine völlig unzureichende Umsetzung der Minsker Abkommen nach 2014.

Diese historische Entwicklung zeigt: Nicht einseitige Schuldzuweisungen, sondern eine differenzierte Analyse aller Beiträge zur Abkehr von den Prinzipien von Helsinki ist notwendig. Gerade deshalb dürfen wir jetzt nicht die Lehren aus der Geschichte vergessen.

Eine Rückkehr zu einer Politik der reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle und der Hochrüstung würde Europa nicht sicherer machen. Stattdessen müssen wir wieder an einer Friedenspolitik mit dem Ziel gemeinsamer Sicherheit arbeiten.

Vielen scheint gemeinsame Sicherheit heute illusorisch. Das ist ein gefährlicher Trugschluss, weil es zu einer solchen Politik keine verantwortungsbewusste Alternative gibt. Dieser Weg wird nicht einfach sein. Vor echten vertrauensbildenden Maßnahmen braucht es deshalb zunächst kleine Schritte: die Begrenzung weiterer Eskalation, den Schutz humanitärer Mindeststandards, erste technische Kooperationen etwa im Katastrophenschutz oder der Cybersicherheit sowie die behutsame Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte. Erst wenn solche Grundlagen geschaffen sind, kann Vertrauen wachsen — und damit der Weg frei werden für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur. Auch der öffentliche sicherheitspolitische Diskurs muss dazu beitragen.

Zudem ist Europa heute mehr denn je gefordert, eigenständig Verantwortung zu übernehmen. Unter Präsident Trump verfolgen die USA erneut eine Politik, die auf Konfrontation besonders gegenüber China setzt. Damit wächst die Gefahr einer weiteren Militarisierung der internationalen Beziehungen. Europa muss dem eine eigenständige, friedensorientierte Sicherheitspolitik entgegensetzen und aktiv an einer Rückkehr zu einer kooperativen Sicherheitsordnung mitwirken — orientiert an den Prinzipien der KSZE-Schlussakte von 1975.

Dabei ist klar: Eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas sind notwendig.

Diese Verteidigungsfähigkeit muss aber in eine Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet sein, — nicht in einen neuen Rüstungswettlauf. Tatsächlich sind allein die europäischen Mitgliedsstaaten der NATO , selbst ohne die US-Streitkräfte, Russland konventionell militärisch deutlich überlegen. Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland.

Zentrale Elemente einer neuen, zukunftsfähigen Friedens- und Sicherheitspolitik sind daher:

  • Möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine. Dazu brauchen wir eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten. Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa.
  • Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA. Stopp eines Rüstungswettlaufs. Europäische Sicherheitspolitik darf sich nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern muss sich an einer wirksamen Verteidigungsfähigkeit orientieren. Wir brauchen eine defensive Ausstattung der Streitkräfte, die schützt, ohne zusätzliche Sicherheitsrisiken zu schaffen.
  • Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt es keine sicherheitspolitische Begründung. Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen. Statt immer mehr Geld für Rüstung brauchen wir dringend mehr finanzielle Mittel für Investitionen in Armutsbekämpfung, für Klimaschutz und gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, von denen in allen Ländern Menschen mit geringen Einkommen überdurchschnittlich betroffen sind.
  • Keine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland. Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen.
  • Bei der Überprüfungskonferenz im Jahr 2026 zum Atomwaffensperrvertrag gilt es, die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nach Art. 6 zu erneuern und mit verbindlichen Fortschrittsberichten sowie völkerrechtlichen „No First Use”-Erklärungen zu stärken.
  • Gleichzeitig gilt es, auf die Erneuerung des 2026 auslaufenden New Start-Vertrags zur Verringerung strategischer Waffen und auf neue Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen sowie Diplomatie und Abrüstung in Europa zu drängen.
  • Schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Globalen Südens insbesondere auch zur Bekämpfung der gemeinsamen Bedrohung durch die Klimaveränderungen.
  • Keine Beteiligung Deutschlands und der EU an einer militärischen Eskalation in Süd-Ost-Asien.

Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner

Dr. Ralf Stegner, MdB, Dr. Rolf Mützenich, MdB, Dr. Norbert Walter-Borjans, SPD-Parteivorsitzender a.D., Dr. hc. Gernot Erler, Staatsminister a.D., Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome, Dr. Nina Scheer, MdB, Maja Wallstein, MdB, Sanae Abdi, MdB, Lothar Binding, Bundesvorsitzender der AG SPD 60 plus, Hans Eichel, Bundesratspräsident a.D., Bundesfinanzminister a.D., Dr. Carsten Sieling, Präsident des Senats und Bürgermeister a.D. Bremen, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a.D., Arno Gottschalk, MdBB, Mirjam Golm, MdA Berlin, Matthias Hey, MdL Thüringen, Dunja Wolff, MdA Berlin, Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands, Parlamentarischer Staatssekretär a.D., Erik von Malottki, Vorsitz Demokratische Linke 21, stellvertretender AfA Bundesvorsitzender, Katja Weitzel, MdL Bayern, Yildiz Medine, MdBB, Dr. Matthias Kollatz, MdA Berlin, Finanzsenator a.D., Friedhelm Hilgers, Bundesvorstand SPD AG 60 plus, Dr. Theodor Ziegler, 1. Vorsitzender SPD Baiersbronn, Peter Kox, stellvertretender Vorsitzender SPD-Ratsfraktion Bonn, Martin Schilling, ehem. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Bonn, Heinz Oesterle, Landesvorsitzender AG SPD 60 plus Bayern, Prof. Dr. Renate Meyer-Braun, Mitglied des Landesvorstands der Bremer SPD a.D., Benjamin Pulz, Gewerkschaftssekretär ver.di München, Anke Kozlowski, stellvertretende Landesvorsitzende SPD Bremen, Torge Harms, stellvertretender Landesvorsitzender Jusos Bremen, Dr. Detlef Griesche MdBB a.D., Manfred Fluß, Senator für Finanzen Bremen a.D., René Röspel, MdB a.D., Adi Ostertag, MdB a.D., Robert Antretter, MdB a.D., Ehrenmitglied des Europarates und der WEU, Klaus Barthel, MdB a.D., Afa-Bundesvorsitzender a.D,, Sigrid Skarperlis-Sperk MdB a.D., Friedhelm Julius Beucher, Ehrenpräsident Deutscher Behindertensportverband, MdB a.D., Joachim Schuster, MdEP a.D., Prof. Dr. Dietmar Köster, MdEP a.D., Wolfgang Jüttner, Umweltminister Niedersachsen a.D., Dr. Gabriele Andretta, Heidi Merk, Justizministerin Niedersachsen a.D., Ulrike Neumann, MdA Berlin a.D., Karlheinz Nolte, MdA a.D. Berlin, Frank Beucker, MdL Hessen a.D., Karin Kauertz, MdBB a.D., Helene Hammelrath MdL a.D., Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin Bonn a.D., Herbert Schmalstieg, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover a.D., Anke Brunn, Wissenschaftsministerin NRW a. D., Gabriele Behler, Staatsministerin a.D., Prof. Jochen Dieckmann, Staatsminister a.D., Dr. Wolfgang Lieb, Staatssekretär a.D., Dr. Hans Misselwitz, Parlamentarischer Staatssekretär a.D., Christoph Habermann, Staatssekretär a.D., Dr. Wilhelm Schäffer, Staatssekretär a.D., Prof. Dr. Dieter Schimanke, Staatssekretär a.D., Dr. Karlheinz Bentele, Staatssekretär a.D., Dr. Karl-Heinz Klär, Staatssekretär a.D., Prof. i. R. Dr. Peter Brandt, Entspannungspolitik Jetzt!, Knut Lambertin, stellv. Demokratische Linke 21 — Bundesvorsitzender, Dr. Uwe Pöhls, Blog der Republik, Herbert Sahlmann, Ministerialrat a.D., Cay Gabbe, Ministerialrat a.D., Dr. Wolfgang Biermann, ehemaliger Mitarbeiter von Egon Bahr, Prof. Dr. h.c. Cornelia Füllkrug-Weitzel, ehemalige Präsidentin „Brot für die Welt“, Jürgen Zurheide, Journalist, Dr. Wolfgang Roters, Martin Schmuck, Journalist, Burkhard Zimmermann, Reiner Hammelrath, Verbandsdirektor a.D., Ingrid Hentzschel, Axel Fersen, Bernhard Pollmeyer, Ministerialdirigent a.D., Michael Pöllath, Vorstand NaturFreunde, Dr. med. Susanne Zickler, Dr. Petra Frerichs, Hartmut Palmer, Journalist, Beenhard Oldigs, Dr. Heinrich Lienker, Dagmar Wenzel, Biologin, Dr. Joke Frerichs, Jogi Vormbrock, Meinholde Sollmann, Prof. Dr. Clemens Knobloch, Margret Schmitz, Dr. Paul Hugo Suding, Willi Vogt, Gewerkschafter, Prof. Dr. Andreas Fisahn, Michael Buckup, Demokratische Linke 21 Sprecher Bremen/Niedersachsen, Holger Egger, Wilfried Gaum, Vorstand „Forum für Politik und Kultur Hannover“, Wolfgang Wiemer, Büroleiter des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, Dr. Ulrich Brandt, Reinhard Thon, Prof. Dr. Dieter Stammler, Barbara Petersen, Folkert Kiepe, Beigeordneter Deutscher Städtetag a.D., Hans-Joachim Wunderlich, Rainer Papke, Thomas Albert, Ministerialdirigent a.D., Henning von Borstell, Dieter Reinken, Landesvorsitzender SPD Bremen a.D. und IG Metallbevollmächtigter Bremen, Anna von Borstell, Roland Klapprodt, Vorstandssekretär des SPD Parteivorstandes a.D., Hartmut Veitengruber, Ehemaliger ver.di Bezirksgeschäftsführer Niederbayern, Ursula Hagen, Dr. Eckehart Hagen, Stefan Bone, Dirigent, Prof. Dr. Klaus Semlinger, Prof. Dr. Heinz Stapf-Finé, Prof. Dr. Gerhard Bosch, Helmut Krings, Eberhard Weber, Heinz Witte, Prof. Volker Riegger, Frank Schmiedchen, Dr. Karl Lauschke, Heiko Wessel, Dieter Schormann, Florian Dohmen, Mitglied UB-Vorstand Duisburg, Claudia Osten-Bornheim, Hugo Waschkeit, Stadtrat Ronnenberg, Prof. Dr. Bernhard Nagel, Thomas Hönscheid, Prof. i.R. Dr. Dieter Segert, Dr. Wolfram Geier, Dr. Günter Bonnet, MinDirig a.D., Dr. Gerd Pflaumer, Horst Meixner, Dr. Steffen Lehndorff, Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Dr. Hans-Jochen Luhmann, Dr. Joachim Paul, Prof. Klaus Staeck, Prof. Dr.-Ing. Ortwin Peithmann, Dr. Edith Lutz, Günther Hauk, Dr. Jürgen van den Busch, Carla Reinisch, Prof. Dr. Norbert Franz, Gustav Wilden, Dr. Arno Brandt, Vors. Forum für Politik und Kultur, Hannover, Reinhard Schwitzer, Helga Schwitzer, Helmut Meyer, Bundesschatzmeister Forum Demokratische Linke 21, Dr. Mario Domann-Käse, Dr. Harald Ginzky, Peter Sörgel, Betriebsratsvorsitzender der Klöckner-Hütte Bremen a.D., Dr. Angelina Sörgel, Marlo Jütte.

Über die SPD-Friedenskreise

Die SPD-Friedenskreise sind ein Beratungsgremium, das in regelmäßigen Abständen zusammenkommt, um über Fragen der SPD-Friedenspolitik zu beraten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus unterschiedlichen Kreisen, Vereinen und Arbeitsgemeinschaften, wie beispielsweise dem Erhard-Eppler-Kreis, dem Willy-Brandt-Kreis, der Johannes-Rau-Gesellschaft, SPD 60 plus, Mehr-Diplomatie-wagen, Demokratische Linke 21, Entspannungspolitik Jetzt!, Naturfreunde, AK Frieden Bremen und Köln.


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Quellen und Anmerkungen:

gl. dazu
(1) https://braunschweig-spiegel.de/meinungsmacht-teil-1-wie-die-leitmedien-unsere-meinungsbildung-formen-wollen/
(2) Günter Verheugen, Petra Erler: Der lange Weg zum Krieg, München 2024, Seite 100ff
(3) Emanuel Todd: Der Westen im Niedergang, Berlin 2024, Seite 41
(4) Vgl. wikipedia
(5) Emanuel Todd: Der Westen im Niedergang, Berlin 2024, Seite 60
(6) Ebenda, Seite 47

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