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Vorbild Österreich

Vorbild Österreich

Ein Rentenvorbild wird bewusst totgeschwiegen.

Die Rede ist vom Rentensystem in Österreich. Es ist in seinen Grundvoraussetzungen durchaus mit dem deutschen verwandt: es ist beitragsbezogen und es gilt grundsätzlich wie bei uns das Äquivalenzprinzip, also der Grundsatz: wer viel verdient (und einzahlt) bekommt eine hohe Rente und wer wenig verdient, der bekommt eine niedrige Rente. Die Wirtschaftskraft beider Länder ist pro Kopf vergleichbar hoch. Auch die demografische Ausgangslage ist ähnlich: Österreich liegt mit seiner niedrigen Geburtenrate weltweit auf Platz 201, Deutschland liegt auf Platz 213. Beide Länder gehen im Idealfall von 45 Versicherungsjahren aus und einem Renteneintritt mit 65 Jahren (davon verabschiedet sich Deutschland gerade stückweise Richtung Rente mit 67!). Und doch gibt es einen phänomenalen Unterschied: In Österreich werden in der Regel einige Hundert Euro mehr Rente gezahlt als hierzulande. Mitunter fließt bei gleich hohem früheren Einkommen in der Alpenrepublik doppelt so viel Rente wie hierzulande. Das sollte eigentlich eine Massenbewegung von deutschen Sozialpolitikern und Fachjournalisten Richtung Süden auslösen. Leider Fehlanzeige.

Viele Jahre waren die Vorteile des österreichischen Rentensystems sogar nur Insidern bekannt. Bis sich Rentenexperten der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung des Themas annahmen und Anfang 2016 im WSI-Report Nr. 1/2016 eine 40-seitige Analyse ablieferten („Altersicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarland lernen?“).

Die Vorteile für die Rentner in Österreich sind im Vergleich frappierend: Deutlich höhere Renten für alle, besonders hohe Vorteile ergaben sich für Geringverdiener, keine zusätzliche Vorsorge wie etwa Riester-Rente oder Entgeltumwandlung im Betrieb, dadurch bleibt die Gesamtbeitragsbelastung für Arbeitnehmer in Österreich niedriger als in Deutschland. Dies auch deshalb, weil im Nachbarland die Arbeitgeber über die Parität hinaus stärker herangezogen werden: Die Arbeitgeber zahlen 12,55 Prozent und die Arbeitnehmer „nur“ 10,25 Prozent Rentenbeitrag vom Bruttolohn. Geradezu paradiesisch.

Wer nun dachte, die deutschen Gewerkschaften würden dies massiv in ihre im Sommer 2016 begonnene Rentenkampagne („Kurswechsel – Rente muss reichen!) einfließen lassen, wurde enttäuscht. Die Erkenntnisse des hauseigenen Think-Tanks wurden und werden weder vom DGB noch den Einzelgewerkschaften deutlich herausgestellt. Möglicherweise unterbleibt dies, weil im Vergleich zum Erfolgsmodell Österreich die Forderung der deutschen Gewerkschaften nach Stabilisierung und später sehr vorsichtigen Steigerungen des Rentenniveaus als allzu defensiv, ja als geradezu kümmerlich erscheinen würde.

Aber auch die Politik reagierte zunächst nicht. Lediglich der rentenpolitische Sprecher der Partei DIE LINKE Matthias W. Birkwald zeigte sich interessiert. Er scheiterte jedoch zunächst mit seinem Versuch, seine Bundestagskollegen vom Ausschuß „Arbeit und Soziales“ zu einer Dienstreise nach Wien zu bewegen. Er machte den Trip schließlich alleine und konnte es kaum glauben: „Ich habe mich immer gefragt, wann die Kamera um die Ecke kommt und das Team von ‚Verstehen Sie Spaß?’ sich feixend zeigt.“ Wen er auch aus der Parteienlandschaft und dem Verbändewesen ansprach, alle – bis auf den Vertreter der Arbeitgeber – zeigten sich von der Zukunftsfestigkeit des Systems überzeugt. Niemand hielt die Renten für überzogen hoch: „An der Versorgung der Pensionisten will niemand rütteln. Das demografische Krisenszenario, das wir hier so gerne aufmachen, gibt es in Österreich offenbar nicht“, wunderte sich Birkwald. Monate später konnte er seine Parlamentskollegen immerhin doch noch zu einem Trip ins Nachbarland überreden. Mit mäßigem Erfolg. Sie begutachteten die Situation im Nachbarland quasi aus der Perspektive von Ethnologen, die erstmals einen fremden Urwaldstamm zu Gesicht bekommen. Alles hochinteressant, aber doch – selbstverständlich - keinesfalls übertragbar auf ein Land wie Deutschland. Man könnte auch sagen: Was nicht sein kann, das nicht sein darf.

Um es noch mal klarzustellen: Es handelt sich um Österreich, dessen Rentensystem von allen Nachbarländern dem deutschen am ähnlichsten ist, das nur einige entscheidende Verbesserungen eingeführt hat: eine Mindestrente, die alle Kleinverdiener im Alter über die Armutsschwelle hebt, eine etwas stärkere finanzielle Beteiligung des Staates und die Einbeziehung aller Erwerbstätiger ins Rentensystem. Seit 2005 werden sogar die Beamten schrittweiseweise einbezogen. Die höheren Renten haben natürlich ihren Preis, denn auch in Österreich wächst das Geld nicht auf den Bäumen: Österreich wendet rund 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Renten, die dort Pensionen genannt werden, auf. In Deutschland sind es nur rund 10 Prozent. Dies macht deutlich: Bessere Renten sind möglich, man muss sie aber politisch auch wollen.

Das fordert bislang nur DIE LINKE. Alle anderen wollen, dass die Rentenrutschbahn nach unten munter weiter geht oder können sich allenfalls eine Stabilisierung des unzureichenden Rentenniveaus vorstellen wie SPD und Grüne. Das Modell Österreich wird entweder totgeschwiegen, schlecht geredet oder – wenn sich eine Diskussion über die hohen österreichischen Renten gar nicht vermeiden lässt - als nicht vergleichbar mit Deutschland abgetan. Und das gilt nicht nur für die politischen Parteien.

Einer der Vordenker der Riester-Reformen, Prof. Bert Rürup erklärte in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen, warum Österreich nicht als Vorbild dienen könne: dort seien die Beitragssätze höher, die private Vorsorge geringer, die Renten anfangs zwar deutlich höher, aber später würden sie nur noch an die Inflation angepasst. Hallo??? Wenn ein Normalverdiener nicht teuer privat vorsorgen muss, empfindet er das zweifellos als Vorteil, weil sein Gesamtbeitragssatz damit sinkt. Und wenn seine deutlich höhere Rente gegen die Geldentwertung geschützt wird, ist das auch nicht so schlecht. Millionen deutscher Rentner wären in den vergangenen 20 Jahren froh gewesen, wenn ihre Renten komplett gegen Kaufkraftverluste geschützt gewesen wären. Erst in den vergangenen zwei Jahren gab es wieder ansehnliche Steigerungen. Die Lücke zu den Rentnerkollegen in Österreich, die nach 45 Versicherungsjahren 78 Prozent ihrer früheren Bezüge erhalten, werden sie aber wohl nie mehr schließen.

Auch die Medien tun wenig, um uns die Augen für die Chancen des österreichischen Modells zu öffnen. Drastischstes Beispiel ist das Statement von ARD-Moderatorin Sonia Mikich in der Wahlsendung vom 5.9.2017, als sie die Argumente von Sahra Wagenknecht barsch abkanzelte. Österreich sei nicht vergleichbar. Dort gebe es eine bessere Demografie, also mehr junge Einzahler. Außerdem seien die Renten dort voll steuerpflichtig und die Abschläge bei früherem Renteneintritt höher. Und die Rente zahle dort nicht für Pflegeleistungen. Was Mikich in ihrem offenbar präparierten Statement mit dem Pflegeargument meinte, bleibt rätselhaft. Ein Argument gegen das Vorbild Österreich lieferte sie jedenfalls nicht. Wenn durch die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten mehr Junge einzahlen, ist es genau das, was auch wir brauchen. Trotz höherer Steuer und hoher Abschläge für Frührenten sind die Durchschnittsrenten in Österreich deutlich höher als bei uns, und alleine das sollte zählen. Aber das will und soll ja offenbar keiner hören.

In anderen Rentensendungen zur Wahlkampfzeit wurde das Thema Österreich komplett ausgeklammert. Lediglich in der ARD-Sendung Presseclub vom 10. September 2017 (Thema: „Politik für die Alten auf Kosten der Jungen?“) sprach ein Zuschauer in der nachgeschalteten Sendung „Presseclub nachgefragt“ das Thema Österreich an. Es war atemberaubend, mit welcher Unverfrorenheit dann der ehemalige Focus-Mitherausgeber Helmut Markwort die Sache vom Tisch räumte („Viel schlechter als bei uns“). Und als dann ARD-Moderator Jörg Schönenborn noch in die Runde fragte: „Unterstützt das jemand hier, dass alle einzahlen sollen?“ gab es nicht eine einzige Zustimmung. Anwesend waren Dorothea Siems (Die Welt), Elisabeth Niejahr (Wirtschaftswoche) Barbara Hans (Spiegel Online) und Helmut Markwort (früher Focus). Manchmal fehlen einem einfach die Worte.


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