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Weißes Kreuz auf braunem Grund?

Weißes Kreuz auf braunem Grund?

Klimakatastrophe und Corona-Pandemie haben eine neue Welle von Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz ausgelöst.

Eine Welle des Fremdenhasses überrollt das Land. In einer Zeit, in der die Flüchtlingsströme der Zweiten und Dritten Welt vermehrt in die Erste fließen, verschärft die Schweizer Regierung in verschiedenen Anläufen mit dem Segen des Volkes das Asylgesetz und schickt die Armee an die Grenze, um illegale Einwanderer abzufangen. Die humanitäre Tradition des reichsten Landes der Welt erschöpft sich in der Gettoisierung der Asylsuchenden und in abgedroschenen Floskeln der Politiker. Afghanische, äthiopische, syrische und andere Männer, Frauen und Kinder, die vor politischer Verfolgung, Kerker, Folter, Streu-, Phosphor- und Gasbomben zu uns fliehen, finden hier oft nur gegen den massiven Willen der ortsansässigen Behörden und der Bevölkerung ein provisorisches Zuhause. Die neuen Nachbarn sprechen ihnen das Recht ab, an unserer Gesellschaft teilzuhaben.

Flüchtende Menschen werden nicht angenommen, sondern geduldet; sie werden nicht in die Gemeinschaft integriert, sondern ausgegrenzt. Arbeit gibt es für sie bestenfalls auf dem Bau, im Gastgewerbe, in Reinigungsinstituten und ähnlichen Berufszweigen. Mit ein paar Franken Sackgeld haben sie auszukommen — und der Gerechtigkeitssinn mancher Schweizer sähe auch dieses Geld lieber in der eigenen Tasche. Die Wartezeit von der Einreichung des Asylgesuchs bis zum definitiven Bescheid der zuständigen Stellen zehrt an den Nerven und nur wenige Bewerber — das betrifft sogar Kinder, die ganz allein und ohne Eltern unterwegs sind — erhalten schließlich Asyl. Die anderen werden in Drittländer ausgewiesen oder in ihr Heimatland abgeschoben, wo sie nicht selten im Gefängnis landen und gefoltert werden.

Fanatischer Hass

Doch die Ausländerfeindlichkeit begnügt sich nicht mehr mit einer unmenschlichen Asylpolitik, mit Parteiparolen, Hetzkampagnen und der Schaumschlägerei am Stammtisch oder auch in Internetforen. Sie ist über die Mitgliederlisten von Schweizer Demokraten (SD), Aktion für eine unabhängige Schweiz (Auns) und Schweizerischer Volkspartei (SVP) hinausgewachsen und nistet sich ein in den Herzen der Unzufriedenen, Ängstlichen und Zukurzgekommenen.

Mussten in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren Gastarbeiter und Saisonniers respektive in den Neunziger- und Zweitausenderjahren Tamilen und Tschetschenen verbale Prügel einstecken oder lediglich nach Süditalien, Spanien, Griechenland, Sri Lanka und Tschetschenien zurückkehren, bangen Asylbewerber heute um ihr Leben. Denn auch die Schweiz hat ihren Ku-Klux-Klan: unverbesserliche und fanatische Neonazis, die nicht nur Konzerte wie jenes in Unterwasser im Toggenburg im Oktober 2016 veranstalten, bei denen deutsche Szenebands wie Frontalkraft, Stahlgewitter, ConfidentofVictory und die Schweizer Gruppe Amok auftreten, sondern auch Flüchtlinge zusammenschlagen oder Brandanschläge auf Asylunterkünfte verüben.

Ihre Aktionen erinnern an die nationalsozialistischen der Dreissigerjahre und machen Schlagzeilen: Drohungen und Anpöbelungen, Brandstiftung und Bombenanschläge, Schlägereien und Totschlag. Während Flüchtlinge bedroht und verprügelt und ermordet werden, steht die Polizei abseits. Sie beobachtet und umzäunt höchstens Durchgangsheime und Asylunterkünfte mit Stacheldraht.

Der Bundesrat ruft dazu auf, weitere Gewalttätigkeiten zu verhindern. Die Polizei erwägt zum Schutz der Asylbewerber die Installation von Flutlichtanlagen nebst Elektrozaun und diskutiert den Einsatz von Hundeführern.

Dass diese Maßnahmen kontraproduktiv sein könnten, da sie die Heimbewohner von ihrer Umgebung abkapseln und die fremdenfeindlichen Schläger zu neuen Angriffen herausfordern, scheint den Verantwortlichen unerheblich.

Wo das öffentliche Gespräch geführt werden sollte, herrscht betretenes oder bedachtes Schweigen. Wo Ursachen- und Präventionsforschung betrieben werden müsste, wird ausgewogen Bericht erstattet. Was Politiker, Stimmbürger und Beamte in die Wege geleitet haben, wird von Presse, Rundfunk und Fernsehen vernachlässigt oder verharmlost und somit gutgeheißen. Die Schlagzeilen verblassen und die Bilder der Stacheldrahtverhaue sind schnell vergessen — es kann zur Tagesordnung übergegangen werden. Offensichtlich spiegeln die Medien bloß eine weitverbreitete satte Zufriedenheit, die Enttäuschung und Wut verheimlicht, eine Selbstherrlichkeit, die sich auch Verletzte und Tote leisten kann. Vermutlich sind nicht wenige Zuschauer, Hörer und Leser insgeheim sogar froh über die gewalttätigen Mitbürger, die es „den Schmarotzern“ endlich mal zeigen.

Egomanische Verachtung

Die Ausländerfeindlichkeit war bisher latent vorhanden in der Benachteiligung der Ausländer auf dem Arbeitsmarkt, wo diese ungleiche Bedingungen und eine niedrigere Entlohnung in Kauf zu nehmen haben. In der scheinheiligen Entwicklungspolitik des Bundes, die ein Mehrfaches der Investitionen aus der Dritten Welt herauspresst. Im „Bankenbanditismus“ (Jean Ziegler), der die Annahme von Flucht- und Drogengeldern und folglich Mitverantwortung für die Verschuldung der Entwicklungsländer beinhaltet.

In der jahrelangen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenarbeit mit Unrechtsregimes wie der Türkei, China und Saudi-Arabien. In der lukrativen Waffenausfuhr in Krisenherde und Diktaturen. Die Gesinnung, die der Unterdrückung und Ausbeutung anderer Völker und Nationen zugrunde liegt, zeigt sich auch in der hartnäckigen Schweizer Weigerung, der EU beizutreten. Diese Gesinnung, die egomanische Verachtung all derer, die jenseits der Grenzen leben, offenbart sich nun in der grausamen Ausländerhetze innerhalb der Landesgrenzen.

Wie konnte es so weit kommen?

Ohnmacht

Die gesellschaftliche Orientierungskrise im Zeitalter der Umweltzerstörung — Stichworte: Klimakatastrophe und Corona-Pandemie — erfasst Privilegierte und weniger Privilegierte. Die Ohnmacht gegenüber dem Lauf der Dinge fördert Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle. Diese wiederum schlagen in Misstrauen gegen , Schichten, Minderheiten und Ethnien um, die auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter stehen. Dazu gehören die Ausländer und Flüchtlinge. Der gegen sie gerichtete Hass vermag die eigene soziale Identität aufzuwerten und suggeriert Selbstsicherheit.

Futterneid

Das auf Wettbewerb ausgerichtete westliche Gesellschafts-, Wirtschafts- und Finanzsystem macht aus Menschen Gegner. Der Konkurrenzkampf um Wohnraum, Arbeitsplatz, Privileg und vieles mehr beutelt hauptsächlich un- und halbqualifizierte Arbeitnehmende sowie sozial schwache Familien; er gipfelt im Futterneid. In der Projektion der eigenen Angst vor einer ungewissen Zukunft auf Ausländer und Flüchtlinge zeigt sich der Versuch, die Machtposition in der Gemeinschaft zu behaupten.

Intoleranz

Die Unternehmer, Global Players und Financiers, die das Medienkarussell — Zeitungen, TV und Internet — mit Strom versorgen, liefern der Masse nur Informationen, die das politische System, das ihre Machtposition ermöglicht, festigen. Demokratie ist gut, solange sie ihre nationalen und transnationalen Machenschaften nicht tangiert. Die Informationsflut, der wir ausgesetzt sind, besteht größtenteils aus Unterhaltung. Wer sich unterhalten lässt, informiert sich nicht. Die meisten Vorurteile beruhen auf einem Mangel an Information und Wissen. Diese geistige Beschränktheit, dieses Bewusstseinsvakuum, begünstigt Intoleranz gegenüber Flüchtlingen, über die man sich die schauerlichsten Geschichten erzählt, statt sich über ihre Kultur und ihren Alltag in der Schweiz zu informieren.

Schuldzuweisung

Die Mitverantwortung jedes Einzelnen für die bestehenden Missstände wiegt schwer. Gewissen und Handeln klaffen weit auseinander. Diese Schuld wird durch Delegieren verdrängt: indem auf andere verwiesen wird, braucht man sich selbst nicht zu hinterfragen. Die Asphaltierung und Zubetonierung der Landschaft beispielsweise, so wird behauptet, wäre ohne den Anteil der ausländischen Bevölkerung weniger weit fortgeschritten. Der Ausländer wird zum Sündenbock gemacht.

Rassismus

Sowohl die bürgerlichen Parteien als auch die Sozialdemokraten unterschätzen nach wie vor die sozialen, militärischen und ökologischen Herausforderungen. Sie haben keine wirksamen Programme gegen Armut, Waffenproduktion und Klimakatastrophe zur Hand. Viele Wähler sind enttäuscht; sie suchen neue Leit- und Vorbilder. Auf die komplexen Fragen dieser Zeit geben indes rechtsextreme Parteien und neonazistische Vereinigungen klare Antworten. Sie bestätigen, statt zu verunsichern. Ihr nationalistisches Weltbild bietet den Verwirrten neuen Halt, ihr rassistisches Gedankengut stärkt die Schwachen. Je größer die nationalen und globalen Bedrohungen, desto größer die Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen. Angst und Aggression machen sich Luft in der Diskriminierung von Andersartigen.

Wer die Ethnien der Ausländer und Flüchtlinge zu degenerierten Rassen erklärt, offenbart damit die eigene ethische Degeneration.

Eine Welle des Fremdenhasses überrollt das Land. Machen wir uns nichts vor: Die meisten werden aufspringen, um nicht unter ihr begraben zu werden. Mögen wir anderen den Mut aufbringen, in die Konfrontation einzutauchen und für die Vertriebenen und Verfolgten einzustehen!


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