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Wir sind viele

Wir sind viele

Eine quantitative Analyse der sommerlichen Protestaktivität gibt Aufschluss über Umfang und Wesen der Widerstandsbewegung.

Die Aussagekraft der Daten

Grundlage der Auswertung bilden die Daten des Demo-Terminkalenders auf demo.terminkalender.top. Ausgewertet werden alle dort zwischen dem 28. Juni und dem 4. Oktober eingetragenen Protestveranstaltungen. Die Betreiber des Demo-Terminkalenders beschreiben ihn als „Beitrag für eine rationale und evidenzbasierte Corona-Politik in Deutschland“.

Die dort erfassten Veranstaltungen sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit der systemkritischen Widerstandsbewegung zuzuordnen. Alle Einträge werden manuell geprüft, um Falscheintragungen zu vermeiden. Laut den Betreibern zählt die Seite monatlich über zwei Millionen Aufrufe.

Diese Punkte deuten auf eine qualitativ hochwertige Datengrundlage hin, die die Realität in ausreichendem Maße widerspiegelt, um daraus belastbare Erkenntnisse ableiten zu können. Diese Ansicht bestätigt sich in der folgenden Analyse mehrfach. Begrenzungen der Daten sind unter anderem ihre fehlende Vollständigkeit, denn nicht alle Protestaktionen, die stattfanden, wurden auch im Demokalender eingetragen. Dazu können Veranstaltungen im Kalender vorhanden sein, die nicht stattgefunden haben. Diese Fehler beeinflussen zwar das Bild, ihr Effekt ist jedoch gering — was sich an den gut nachvollziehbaren Ergebnissen zeigt.

In ganz Deutschland wird demonstriert

Von Ende Juni bis Anfang Oktober wurden in fünfzehn Wochen 2.236 Protestaktionen in 387 Städten und Gemeinden registriert. Das entspricht durchschnittlich etwa 144 Veranstaltungen pro Woche, verteilt über ganz Deutschland. Die gleichmäßige Verteilung der Protestaktivität ergibt sich aus der Karte in Abbildung 1. Jeder rote Punkt zeigt eine Stadt oder Gemeinde an, zu der mindestens ein Veranstaltungseintrag vorliegt. Die unterschiedlich gefärbten Flächen zeigen die Bevölkerungsdichte der Landkreise an.

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Wir erkennen, dass — wie zu erwarten — mehr Demonstrationen in bevölkerungsreichen als in bevölkerungsarmen Gegenden registriert wurden. Mehr noch: Die Dichte der roten Punkte entspricht recht genau der Bevölkerungsdichte — bis auf geringe Abweichungen. An dieser Stelle ergeben unsere Daten ein gut erklärbares Bild, das zudem den Erwartungen entspricht. Das ist ein weiteres Zeichen für die Güte des Datensatzes. Darüber hinaus können wir aus den sehr ähnlichen Dichteverteilungen der roten Punkte auf der Karte und der Bevölkerungsdichte folgern, dass sich überall in Deutschland Widerstand regt. Insbesondere gleichermaßen in urbanen und ländlichen Gebieten. Dort, wo mehr Menschen pro Fläche leben, wird mehr demonstriert. Würden wir die Karte um diesen Faktor korrigieren, ergäbe sich ein Bild mit sehr gleichmäßig über Deutschland verteilten Punkten. Wir sehen also: In ganz Deutschland wird demonstriert.

Die wöchentliche Entwicklung

Abbildung 2 zeigt die Anzahl der eingetragenen Demonstrationen pro Kalenderwoche (KW). In KW 31 und 35 liegen jeweils der 1. und 29. August — die Wochen der Großdemonstrationen in Berlin. In diesen Wochen wurden verhältnismäßig wenige Demonstrationen registriert. Das ist verständlich, wenn wir die hohe Teilnehmeranzahl dieser beiden Großereignisse bedenken. Viele waren an diesen Tagen in Berlin und konnten bei sich vor Ort keine Demonstrationen organisieren. Hier sei angemerkt: An dieser Stelle sehen wir erneut, dass die Daten die Realität aussagekräftig reflektieren.

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Vor KW 31 — der Woche des 1. August — sehen wir einen Abfall der Protestaktivität von Ende Juni bis Anfang August. Darin spiegeln sich wohl vor allem die beginnenden Sommerferien und das Temperatur bedingt allgemein verringerte Tempo der Sommermonate wider. Auch das Bedürfnis nach einer Phase der Erholung scheint zu diesem Zeitpunkt nicht abwegig, da hinter vielen Beteiligten bereits etwa zwei Monate kräftezehrender Aktivität lagen. Dieser Trend ist aus meiner Sicht kein Signal einer erschlaffenden Bewegung, sondern eine natürliche Phase der Einkehr nach einer Phase raschen Wachstums.

Nach KW 35 — der Woche des 29. August — können wir einen starken Anstieg der Protestaktivität während der September-Wochen bis in den Herbst hinein beobachten. Es wirkt, als starte der Widerstand mit alter Stärke in die neue Jahreszeit. Spätestens seit Berlin wissen wir, wie viele wir sind. Die vorliegenden Daten deuten an, dass der Widerstand auch nach einigen Monaten noch voller Kraft steckt. Die Auswertung offenbart, für viele wohl wenig verwunderlich: Wir sind stark, wir sind viele.

Der Widerstand hat Rhythmus

Abbildung 3 zeigt die Anzahl der eingetragenen Protestaktionen pro Tag. Darauf erkennen wir ein beständig wiederkehrendes Muster — einen Rhythmus — dessen Takt durch eine Doppelspitze mit einer großen, gefolgt von einer kleineren Spitze bestimmt wird. Die großen Spitzen fallen auf Samstage und zeigen den Haupttag der Demonstrationen an. Die kleineren Spitzen fallen auf Montage und markieren den Wochentag mit den zweitmeisten registrierten Protesten, was meiner Ansicht nach einige Rückschlüsse auf das Wesen des Widerstands ermöglicht.

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So haben Montagsdemonstrationen bereits beim Fall der DDR eine große Rolle gespielt und können auf eine Tradition als wichtiges Element friedlichen, fortschrittlichen und tiefgreifenden Wandels blicken. Ich denke diese Tradition lebt in der durch die Corona-Maßnahmen angestoßenen Widerstandsbewegung fort und ist eines der vielen Zeichen, dass auch diese Bewegung friedliebend, fortschrittlich und tiefgreifend ist.

Darüber hinaus gab es bereits im Jahr 2014, während der Krim-Krise, eine fortschrittliche und friedfertige Protestbewegung — die Montagsmahnwachen. Gemessen an ihrem Einfluss und ihrer Teilnehmerzahl waren die Montagsmahnwachen ein paar Stufen kleiner als die heutige Bewegung. Sie enthielt jedoch bereits alle aus meiner Sicht wesentlichen Merkmale, die auch den Corona-kritischen Widerstand kennzeichnen. Sie war systemkritisch, deutschlandweit verbreitet, speiste sich zu großen Teilen aus der Mitte der Gesellschaft und besaß eine spirituelle Komponente. Die Mahnwachen von damals, gleich dem heutigen Widerstand, wurden von einzelnen, weltpolitischen Ereignissen ausgelöst. Ihre Kraft speiste sich jedoch aus einem tiefen Verlangen nach grundlegendem Wandel.

Wie der heutige Widerstand wurden auch die Montagsmahnwachen von 2014 durch eine massenmediale Diffamierungskampagne bekämpft, die damals mehr Wirkung zeigte als heute. Die Montagsmahnwachen verloren an Schwung und wurden politisch praktisch bedeutungslos. Ihr Geist und ihre Ziele finden sich heute im Corona-kritischen Widerstand wieder. In diesem Sinne erachte ich das derzeitige politische Aufbegehren als nächsten evolutionären Schritt einer gesellschaftlichen Transformation, die zuvor schon in Form der Montagsmahnwachen Ausdruck fand.

Die Daten des Demo-Terminkalenders offenbaren ein sehr beständiges Aktivitätsmuster der Widerstandsbewegung über viele Wochen hinweg und erlauben, sie mit einer langjährigen, systemkritischen Gesellschaftsströmung in Verbindung zu bringen. Das zeigt: Der Widerstand handelt ausdauernd und beständig.

Das Wesen des Widerstandes

Der Demo-Kalender registriert zusätzlich zu Ort und Zeit noch die Art der eingetragenen Veranstaltung. Von den 2.236 ausgewerteten Protestveranstaltungen sind 872 Kundgebungen. Sie bilden mit 39 Prozent die am häufigsten vertretene Form des Protests, was einen großen Fokus auf Inhalte nahe legt. Das spiegelt sich auch in der Qualität der meisten Redebeiträge wider. Manch kontroverse Idee oder falsche Information mag ihren Weg auf die Bühnen der Kundgebungen gefunden haben. Aus meiner Beobachtung ist der weit überwiegende Teil der Reden jedoch sehr faktenreich, rational und häufig fortschrittlich orientiert. Nicht allein der hohe Anteil an Kundgebungen führt zu der Schlussfolgerung: Der Widerstand ist inhaltsstark.

26 Prozent oder 581 Veranstaltungen waren Spaziergänge. Sie stellen die am zweit häufigsten vertretene Protestform dar. Sie wurde als Reaktion der Pioniere vom demokratischen Widerstand in Berlin auf die Repressionen der ersten Veranstaltungen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz ins Leben gerufen. Dass diese friedfertige Form des Protests eine hohe Verbreitung in der Bewegung findet, ist ein Zeichen ihrer — von Beginn an — friedfertigen Natur. Statt auf staatliche Gewalt mit Gegengewalt zu reagieren, widersetzen sich viele diesen Unterdrückungsversuchen mit gewaltlosen Spaziergängen, und stärken dabei auch noch ihr Immunsystem.

Die Protestform Meditation ist mit 10 Prozent oder 223 Eintragungen vertreten. Darin spiegelt sich aus meiner Sicht ein revolutionärer Aspekt der Bewegung wider. Angestoßen von Kai Stuht und Ken Jebsen hat sich Meditation als fester Bestandteil der Protestkultur etabliert. Auch die Meditation als Protestform ist eine Antwort auf Unterdrückungsversuche seitens der Regierenden und bereichert den Widerstand um die spirituelle Ebene. Mit Spiritualität meine ich das Streben nach der Entwicklung des eigenen Bewusstseins. Diese Qualität ist angesichts der Mächte, die uns gegenüberstehen, essentiell für den langfristigen Erfolg der Bewegung.

Durch die gezielte Schulung unseres Bewusstseins — wie sie zum Beispiel durch Meditation erreicht wird — können wir die asymmetrische Macht- und Ressourcenverteilung zur Gegenseite ausgleichen und zu unseren Gunsten verschieben. Die starke spirituelle Strömung innerhalb der Widerstandsbewegung lässt mir keine Zweifel: Früher oder später werden wir siegen.

Demonstrationen — im Sinne von Demonstrationszügen — sind ebenfalls mit 10 Prozent oder 223 Eintragungen vertreten. Diese Zahl scheint auffällig niedrig und ist wohl am besten mit den Bestrebungen der Regierenden zu erklären, gerade Demonstrationszüge zu unterbinden. Demonstrationszüge machen Stärke und Umfang des Widerstands direkt erfahrbar. Sie erregen das öffentliche Interesse besonders stark und erhöhen das Verbreitungsrisiko des Freiheitswillens aus Sicht der Regierenden auf nicht tolerable Weise. Letztlich zeigen die großen Anstrengungen der Regierenden, Demonstrationen des Widerstands zu unterbinden, welche Kraft in ihnen liegt.

Schließlich sind 7 Prozent oder 156 der eingetragenen Ereignisse als Mahnwachen aufgeführt. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Protestbewegung historisch als nächste Entwicklungsstufe einer grundlegend systemkritischen Strömung eingeordnet werden kann. Die übrigen 7 Prozent der Protestereignisse sind unter „Sonstige“ zusammengefasst. Darin finden sich von Autokorsos über Flashmobs hin zu Konzerten verschiedenste Formen kreativen Widerstands.

Protestaktivität in Ost und West

Relativ zur Einwohnerzahl gab es zwischen Ende Juni und Anfang Oktober 26 eingetragene Protestaktionen pro eine Million Einwohner in Westdeutschland und 29 in Ostdeutschland. Sowohl die Einwohnerzahl als auch die Anzahl an Protestaktionen in Berlin wurden jeweils zur Hälfte zu Ost- beziehungsweise Westdeutschland hinzugezählt. Das Verhältnis von 26 zu 29 entspricht einer um etwa 12 Prozent höheren Aktivität im Osten als im Westen.

Eine Möglichkeit, diesen Unterschied zu erklären, ist, dass große Teile der Bevölkerung Ostdeutschlands bereits erlebt haben, von ihren Regierenden und den Massenmedien belogen und unterdrückt worden zu sein. Was einige im Westen für schlicht unmöglich halten, ist im Osten eine lebendige Erinnerung im kollektiven Gedächtnis. Die Menschen in Ostdeutschland haben bereits erlebt, dass ein unüberwindbar erscheinendes System innerhalb kurzer Zeit zerfallen und durch ein neues ersetzt werden kann. Diese Erinnerung dient vielen möglicherweise als Motivation und gibt ihnen Hoffnung, die derzeitigen Umstände zu überwinden, auch wenn der Weg dorthin noch nicht klar erkennbar ist.

Fazit

Die Auswertung des Demo-Terminkalenders zeigt, dass der Corona-kritische Widerstand räumlich über ganz Deutschland recht gleichmäßig aktiv ist, wobei die Anzahl der registrierten Protestereignisse in Ostdeutschland um 12 Prozent höher liegt als in Westdeutschland, was durch die unterschiedliche Vergangenheit gut nachvollziehbar ist.

Wir können sehen, dass die Anzahl der Protestveranstaltungen über den Sommer leicht abnahm, was durch eine Reihe verschiedener Faktoren — nicht zuletzt die große Anstrengung aller Beteiligten am 1. und 29. August — erklärbar ist. Das neuerliche Erstarken in den Herbst hinein zeigt, wieviel Kraft auch nach vielen Wochen noch in der Bewegung steckt. Der Rhythmus der Protestaktivität erlaubt es, den Widerstand im größeren Kontext einer systemkritischen Strömung einzuordnen, die schon lange vor der sogenannten Corona-Krise ihren Anfang nahm. Nicht nur das zeigt, dass die Bewegung langfristig orientiert ist und beständig agiert.

Eine Analyse der häufig auftretenden Protestformen zeigt, dass die Bewegung friedfertig, inhaltsstark und spirituell geprägt ist und der Unterschied in der Protestaktivität zwischen Ost und West ist mit 12 Prozent zwar vorhanden, angesichts der historischen Unterschiede jedoch gut verständlich und eher moderat.

Insgesamt zeichnet sich das Bild einer friedlichen, fortschrittlichen und deutschlandweit aktiven Widerstandsbewegung, die das Potenzial besitzt, tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft herbeizuführen.

Diese Auswertung ist auch als Video auf YouTube verfügbar.


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