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Zeichen an der Wand

Zeichen an der Wand

Die Menetekel multipler Krisen sind mittlerweile unübersehbar — die kollektive Anspannung könnte sich schon bald entladen.

Wenn man das vergangene Jahr durchdenkt, sucht man instinktiv nach einer Wand, in die Striche gekratzt sind.

365 Striche, je vier senkrecht, einer schräg; die Art, wie Gefangene die Zeit markieren.

Denn das ganze Jahr war eine Gefangenschaft. Mit wechselnden Regeln, mal etwas mehr Ausgang, mal etwas weniger, aber eben vor allem eine Zeit, die nicht wir kontrollierten, sondern in der wir kontrolliert wurden, und nie vorhersehen konnten, was unseren Wärtern als Nächstes einfällt.

Das normale politische Leben stand still. Unmutsbekundungen wurden mit allen verfügbaren Mitteln unterbunden. Im Verteilen von Demonstrationsverboten war man in dieser Republik nie so „großzügig“ wie im letzten Jahr.

Die bürgerliche Demokratie ist fadenscheinig geworden wie ein abgetragenes Hemd.

Das, was wir im Blick behalten wollen, die Entwicklung der internationalen Lage, die ökonomische Krise, das muss man sich inzwischen aus allen möglichen Quellen zusammensuchen; abgesehen von der immer wieder aufflammenden Propaganda gegen Russland und China kennen die Konzernmedien nur noch ein Thema:

Corona, Corona, Corona.

Es ist kein Wunder, dass viele davor Angst haben. Das Maskentragen, die Testpflicht, das alles sind Rituale, die im Kopf verankern, dass da eine schreckliche Bedrohung lauert.

Und es erfordert eine enorme geistige Disziplin, dem nicht nachzugeben.

Den Blick abzuwenden und zu sagen: Es gibt wichtigere Ereignisse als Corona.

Da ist zum Beispiel der Donbass. Der Westen hat die ukrainische Armee wieder mit Waffen versorgt; vieles deutet darauf hin, dass der Angriff, der im Frühjahr abgewendet wurde, jetzt im Winter bevorsteht.

Der deutsche Noch-Außenminister Heiko Maas hat, zusammen mit seinem französischen Kollegen, in einem Schreiben an Sergei Wiktorowitsch Lawrow betont, direkte Gespräche zwischen den Donbass-Republiken und Kiew seien nicht erforderlich. Damit haben zwei der drei Garantiemächte die Minsker Vereinbarungen preisgegeben, deren Kern eben diese direkten Verhandlungen waren. Und gleichzeitig füllen sich die hiesigen Zeitungen mit völlig an den Haaren herbeigezogenen Meldungen über einen „bevorstehenden russischen Einmarsch“.

Die Orte in Frontnähe im Donbass erleben immer ganz unmittelbar, wie sehr der Westen gerade Krieg will. In Jasinovataja, Gorlovka, Telmanowe, dort wird wieder auf Schulen gefeuert, dort fliegen nachts die Geschosse aus Mörsern und Haubitzen. Ja, sie sind wieder auf Krieg aus, auch wenn sie gerne einen kleineren hätten und keinen großen.

In dem Koalitionsvertrag, den die künftig regierenden Parteien jüngst veröffentlicht haben, stellen sie sich klar auf eine Seite. Die der Ukraine.

Eine Außenministerin Annalena Baerbock ist da noch das Sahnehäubchen obendrauf.

Aber schon um wahrzunehmen, wie bedroht der Frieden abermals ist, muss man erst die ganze Ladung Corona aus dem Denken räumen.

Und stellt dann entsetzt fest, dass selbst all die kleinen Handlungsmöglichkeiten, die wir immer selbstverständlich hatten — Mahnwachen, Demonstrationen, Flugblätter verteilen — fast unmöglich geworden sind.

Wir können uns schon über diese Wahrnehmung nur schwer austauschen.

Wir haben es einmal gelernt: Warum gilt es, die demokratischen Rechte zu verteidigen? Weil sie günstigere Kampfbedingungen gewähren.

Seit Langem waren die Kampfbedingungen nicht so schwer wie heute. Weil das erste, grundlegende Recht, das den Weg von der Klasse an sich zur Klasse für sich überhaupt erst möglich macht, weitgehend aufgehoben ist, das Recht, sich zu versammeln. Schlimmer noch.

Wie Gefangene

Während die Corona-Maßnahmen uns alle zu einem Dasein als Vereinzelte verdammen, jeder in seiner Zelle, uns mit Masken einander entfremden, jede Erfahrung von Kollektivität unmöglich machen, werden gleichzeitig, systematisch, unzählige neue Gräben quer durch alle Demonstranten gegraben.

Am Anfang stand der Vorwurf der „Querfront“, der die Friedensbewegung 2014 spaltete. Dann der des Rassismus. Dann tauchte der Begriff „Klimaleugner“ auf. Dann „Querdenker“. Und in den letzten Wochen wird zum Halali auf Ungeimpfte geblasen.

Ja, es gelingt vielen von uns, dennoch einen klaren Kopf zu behalten. Aber es wird mühsamer, und bei jedem Schritt gehen wieder ein paar der Wenigen verloren.

Das Denken selbst befindet sich in einem Belagerungszustand.

Ich sehe das bei meinen Patienten: An einem Tag sind sie wütend darüber, dass die Impfung nicht hält, was ihnen versprochen wurde, und am nächsten haben sie Panik, dass jemand Ungeimpfter ihnen zu nahe kommen könnte.

Sie bringen nicht mehr die Kraft auf, jeden Gedanken, jedes Gefühl erst auf Wahrhaftigkeit zu prüfen. Viele öffnen sich leicht der Unmenschlichkeit, die täglich gepredigt wird.

Eigentlich wissen wir, welche Fragen wichtig sind.

Ganz oben auf der Liste steht die Frage von Krieg und Frieden. Der Kampf um Demokratie. Das tägliche Ringen der verschiedenen Gruppen, in dem man sich bei jeder Entwicklung fragen muss: Wem nützt sie? Wir wissen das, und brauchen doch einander, um es nicht zu vergessen.

Der Alltag serviert uns Corona, Corona, Corona.

Letztes Jahr waren die Kinder die Bösen, die ihre Großeltern töten. Jetzt sind es die Ungeimpften, mit denen „man die Geduld verliert.“

Wir müssen bei Sinnen bleiben. Wir dürfen im anderen, im Mitmenschen, kein Monster sehen, weil wir es sonst wie ein Monster behandeln.

Und damit dort sind, wo man, wo der Klassenfeind uns haben will. Denn diese Zurichtung auf innere Feinde ist immer auch eine auf äußere. Ist Teil der Abstumpfung, die es möglich macht, Kriege zu führen. Imperialistische Kriege, die gehorsame, aber nicht denkende Soldaten brauchen. Die Menschen brauchen, die bereitwillig ihre Verantwortung für ihr eigenes Handeln abtreten und tun, was ihnen gesagt wird.

Ein Mittel, Menschen dazu zu bringen, ist Angst und Unsicherheit.

Ein zweites Mittel ist ständige Überforderung. Das treibt die Menschen in einen kindlichen Zustand zurück, in dem sie Gehorsam als Erlösung erleben.

Wir erleben es Tag für Tag.

Und nein, es ist keine Verschwörungstheorie, diese Maßnahmen als Kriegsvorbereitung zu sehen.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel:

Das Bundesgesundheitsministerium hat selbst eine Umfrage bei Ungeimpften in Auftrag gegeben, die ergab, dass mehr als die Hälfte sich impfen lassen würde, wenn andere Impfstoffe zur Verfügung stünden. Diese anderen Impfstoffe haben schon vor Monaten ihre Zulassung bei der EMA beantragt, und wenn die Bundesregierung das wollte, würden sie sehr schnell zugelassen. Stattdessen werden Maßnahmen eingeführt, die gefährlich sind, wie 3G im Nahverkehr. Gefährlich, weil es zu Ausfällen kommen wird. Weil Menschen, die in Berufen arbeiten, die dringend benötigt werden, wie unter anderem in der Pflege, sich zur Wehr setzen werden. Und sei es, indem sie einfach aufhören zu arbeiten. Das kann Stellwerke treffen, Kraftwerke, lebenswichtige Teile der Versorgung. Egal, wir wollen keine anderen Impfstoffe, wir machen 3G.

Das ist nicht logisch, jedenfalls nicht als Gesundheitsfürsorge.

Kriegsvorbereitungen

Aber wenn man in diesem Land so viele Menschen wie möglich in einen seelischen Ausnahmezustand bringen will, nachdem der äußere schon dauerhaft etabliert ist, dann macht so ein Vorgehen Sinn.

Und das sind Kriegsvorbereitungen.

Die Corona-Maßnahmen sind nicht das Einzige, wodurch kleinere und größere Zusammenbrüche riskiert werden.

Die Gaspreise explodieren, weil in Westeuropa damit spekuliert wird; Nord Stream 2 wird hinausgezögert, die kommende Bundesregierung will die Kohlekraftwerke abschalten, erlaubt aber nur neue Gaskraftwerke, wenn sie auch mit Wasserstoff betrieben werden können; solche Gaskraftwerke sind noch nicht einmal entwickelt.

Momentan stehen alle Zeichen auf einen Zusammenbruch der Stromversorgung.

Oder, ganz aktuell: Es gibt zu wenige LKW-Fahrer, seit Jahren schon werden Fahrer aus ganz Osteuropa in Deutschland eingesetzt. Aber die Ausbildung müssen sie hier selbst bezahlen; der Lohn bleibt bescheiden. Und jetzt dürfen viele Fahrer aus dem Balkan gar nicht einreisen, weil ihre Impfungen hier nicht anerkannt werden, und die Firmen damit überfordert sind, tägliche Tests zu machen, die die Fahrer bräuchten, nicht um zu fahren, aber wenn sie auf- und abladen ... Also gibt es nur noch wenige Fahrer.

Oder die gepriesene Elektromobilität. Die Autos sind im Grunde nur als Zweitgefährt zum Shopping zu gebrauchen; es fehlt die ganze Infrastruktur an Stromanschlüssen und Lademöglichkeiten. Sie sollen gebaut werden, aber es gibt nicht einmal die Bautrupps, um die nötigen Kabel zu verlegen, und der Kupferpreis steigt gerade massiv.

Wir machen weitere Striche an der Wand.

Wir müssen weiter um unsere Vernunft ringen, und mehr noch: um unsere Menschlichkeit.

Je weiter sie in der Gesellschaft preisgegeben wird, desto stärker müssen wir an ihr festhalten. Dieses Ringen war und ist immer ein wichtiger Teil unseres Kampfes, auch wenn dieser erst einmal keine sichtbaren Erfolge hervorbringt.

Es war Antonio Gramsci, der seine wichtigsten Texte im Gefängnis schrieb und gern von so manchen bis ins liberale Ungefähre verwässert wird, der den Klassenkampf in Phasen des Bewegungs- und in Phasen des Stellungskriegs teilte.

Der Stellungskrieg, das ist der beständige Belagerungszustand des Schützengrabens. Heute und hier befinden wir uns tief im Stellungskrieg, und die Aufgabe lautet schlicht: standhalten.

Das, was Gramsci den Bewegungskrieg nannte, ist die revolutionäre Phase.

In der die Stellung der Klassen selbst in Fluss gerät und völlig neue Positionen errungen werden können. Bewegungskrieg, das sind die Tage, in denen sich die Gesellschaft um Jahrzehnte weiterentwickelt. Sie sind zu erahnen, denn was wir gerade erleben, ist keine stabile Herrschaft.

Stabile Herrschaft bedarf nicht derart des Zwangs.

Und dennoch müssen wir jetzt, bis sich die Zeiten ändern, bis der Nebel von Corona sich verzieht oder verweht wird, schlicht die Stellung halten. Unsere Striche an der Wand ziehen, unsere Menschlichkeit hüten und die Geduld bewahren, in dem Wissen, dass dieses Hüten der Menschlichkeit der härteste Teil des Kampfes ist.

Was auch immer noch versucht wird, um die Menschen hier so zuzurichten, dass sie sich eine Gesellschaft bieten lassen, die ihre eigenen Produktivkräfte verstümmelt, damit die herrschende Klasse an der Macht bleiben kann — wir wissen, dass diese Pläne scheitern müssen.

Es wechseln die Zeiten, die riesigen Pläne
der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehen sie einher auch wie blutige Hähne,
es wechseln die Zeiten, da hilft kein‘ Gewalt.


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