„Am Leben zu sein, ist auf gewisse Weise schon ein Kampf gegen die Ungerechtigkeit“ (John Malkovich).
Das ständige Vibrieren der Fensterscheiben. Mein Schlaf ist leicht. Es ist noch früh, aber schon hell. Augen wieder zu ist nicht mehr drin.
Ilia will an diesem Morgen ein Telefoninterview mit dem russischen Philosophen und Politiker Alexander Geljewitsch Dugin führen. Dugin wird im deutschen Mainstream als „Vordenker“ und „Einflüsterer“ Wladimir Putins dargestellt. Oder besser verteufelt. Er vertritt die eurasische Idee und propagiert eine multipolare Weltordnung anstelle der unipolaren US-amerikanischen Dominanz, die er in einem Interview mit der Los Angeles Times im Jahr 2008 als „völlig falsch, unmoralisch und inakzeptabel“ bezeichnete.
Nach dem Interview kommt Ilia zu mir und sagt, es sei ein bisschen wirr gewesen. Cap hatte gestern gesagt, dass er uns einen interessanten Gesprächspartner vermitteln könne. Vielleicht. Dann meldet er sich. Das Treffen mit einem ukrainischen Deserteur kann heute stattfinden. Davor müssen wir allerdings noch für die letzte Nacht in Donezk in eine andere Wohnung umziehen. Wohin und warum, weiß Ilia auch nicht so genau. Nur dass wir uns beeilen sollen mit dem Packen, hatte ihm Roman geschrieben.
Wir essen schnell unsere letzten Vorräte auf. Seit ich in Donezk bin, besteht die Beilage zu meinem Frühstück aus Vitamintabletten und einem Mittel gegen Erkältung. Dann stopfe ich meine Sachen in die Tasche. Roman, der uns abholen soll, wartet bereits unten auf uns. Wenig später laden wir unser Gepäck ein und fahren los. Planlos. Richtung Innenstadt. Noch wissen wir nicht, wo die andere Wohnung ist. Wir halten in irgendeiner Seitenstraße, sitzen im Auto und warten. Zehn, vielleicht fünfzehn Minuten dauert es, dann klingelt Romans Telefon. Er bekommt die Adresse durchgegeben. Weit ist es nicht, in der Nähe des Restaurants, das wie eine ägyptische Pyramide aussieht. Es ist mir gestern schon beim Spaziergang mit Roman aufgefallen.
Kaum sind wir da, kommt auch schon die Vermieterin in einem schwarzen SUV angefahren. Eine schlanke, nicht sehr große Dame mit langen blondierten Haaren, Kapuzenpulli und Sonnenbrille. Von ihrer Handyhülle stehen pinke Hasenohren ab. Ilia sagt, sie habe uns auch die andere Wohnung vermietet. Leere Wohnungen dürfte es in Donezk ja genügend geben.
Wir steigen aus.
Roman dreht sich zu mir und legt den Zeigefinger an die Lippen. Ich soll mal lieber nichts sagen. Er flüstert auf Englisch: „Es ist besser, wenn niemand weiß, dass du Ausländer bist.“
Die Wohnung liegt im Erdgeschoss zur Straße hin und hat einen kleinen Balkon. Nicht so groß wie die andere, aber besser in Schuss. Das kleine Bad ist vollgestopft mit Wasserkanistern. In der Küche stehen auch ein paar rum. Es gibt kein fließendes Wasser. Duschen fällt also aus. Ich überlasse Ilia das Schlafzimmer und nehme die Couch im Wohnzimmer. Die Vermieterin klappt das Schlafsofa aus, krabbelt darauf rum und bezieht es mit einem Laken. Dazu gibt es eine Decke und ein Kissen. Ich sage kein Wort, bedanke mich nur freundlich bei ihr, ehe sie geht.
Dann machen wir uns auf den Weg zu unserem Treffen. Roman wird uns begleiten. Cap und seine Kollegen wollen heute ja den Agenten hochnehmen.
Noch wissen wir nicht genau, wo es stattfinden soll. Deshalb hält Roman an einer Tankstelle, wo er auf einen Anruf von Cap wartet. Uns ist warm. Wir steigen aus, und Roman besorgt uns etwas zu trinken. Für jeden einen Kaffee, dazu für mich eine Flasche Wasser mit Geschmack. Ilia nimmt wieder einen dieser ekligen süßen Energy-Drinks. Wir stellen uns in den Schatten. Boom. Boom. Der Groll der Kanonen begleitet einen hier fast überall.
Nicht weit von hier, im Südwesten von Donezk, liegt der Ort Wuhledar. Wuhledar ist der ukrainische Name, auf Russisch heißt er Ugledar. Und wer Ugledar hält, der hat die Möglichkeit, wichtige Versorgungswege zu kontrollieren. Seit 2022 beherrscht die ukrainische Armee die fast völlig zerstörte Kleinstadt. Die Ukrainer haben das, was von ihr noch übrig ist, zu einer Festung mit unterirdischen Tunneln ausgebaut. Nur wenige Bewohner, um die hundert sollen es sein, harren seit Februar 2023 noch in den Kellern der in den 1970er-Jahren errichteten Bergwerkssiedlung aus. Von Ugledar, das strategisch günstig auf einem Plateau in der Steppe liegt, wird Donezk regelmäßig beschossen. Donnert es von dort?
Roman schaut auf sein Handy. Er hat eine Nachricht bekommen. „Steigt ein.“ Ilia sitzt hinten. Wir fahren in einen Außenbezirk von Donezk. Vorbei an Erdhügeln und Fabriken, Gewerbegebieten und Wohnblöcken. Eine einzige Tristesse. Hier sind jedoch mehr Menschen auf den Straßen als in der Innenstadt.
Roman bekommt die nächste Nachricht. Wir erhalten die Informationen nach und nach, das dient dem Schutz unseres Gesprächspartners. Er lebt irgendwo am Stadtrand. Anonym.
Wir fahren zu einem Supermarkt mit großem Parkplatz. Rundherum stehen hohe Plattenbauten, die an Kasernen erinnern. Roman bleibt in der Mitte des Parkplatzes stehen und stellt den Motor ab. Wieder warten wir. Dann ein Anruf. Er werde jetzt zu uns kommen. Wir sollen bleiben, wo wir sind. Im Auto ist es heiß, die Klimaanlage aus. Ich ziehe meinen Parka aus. Roman hat die Umgebung im Blick. Wo bleibt er bloß? Dann sehe ich einen Mann in Jogginghose und blauem Pullover. Er kommt unauffällig auf uns zu. Das muss er sein.
Roman fragt ihn, ob wir woanders hingehen sollen. „Nein, nein, im Auto ist es gut.“ Er setzt sich neben Ilia auf die Rückbank. „Waiting“. Das steht auf seinem Pullover und passt. Seit er als Deserteur in der Volksrepublik auf freiem Fuß ist, besteht sein Leben aus Warten. Aus Warten auf einen neuen Job. Aus Warten auf das Ende des Krieges. Und aus Warten auf bessere Zeiten. Eine neue Existenz möchte er sich hier nämlich aufbauen.
Er heißt Alexander. So hat er sich uns zumindest vorgestellt. Er ist nicht groß, kein sportlicher Typ, eher etwas untersetzt. Mitte vierzig wird er sein, er sieht müde aus und ist unrasiert. Er redet ruhig, senkt den Kopf beim Sprechen. Er faltet die Hände zwischen den Beinen, dann fängt er an zu erzählen.
„Ich hatte einen Job als Parkwächter in einem Krankenhaus, nichts Besonderes. Als es mit den Unruhen auf dem Maidan losging, war ich für die Demonstranten. Und für Veränderung. Ich hatte die Hoffnung, dass es besser wird.“ Ilia übersetzt. Ich stelle Fragen. Roman passt auf. „Und? Wurde es nach dem Putsch besser?“ Alexander hebt kurz den Blick und schaut Ilia an. „Nein. Unter dem neuen Putsch-Regime wurde gar nichts besser. Im Gegenteil. Also habe ich angefangen zu recherchieren. Über das, was dort passiert ist. Über die Scharfschützen und Hintergründe. Je mehr ich über die Ereignisse herausgefunden habe, umso skeptischer wurde ich.“ „Warum? Was hast du erfahren?“ „Die Scharfschützen wurden von außen eingesetzt, damit die Lage eskaliert und der Putsch gelingt. Es wurde mit Absicht scharf geschossen. Auf beide Seiten. Auf die Polizei und auf die Demonstranten.“
Ob er auch von dem abgehörten Telefonat zwischen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und dem estnischen Außenminister Urmas Paet im Februar 2014 erfahren hat, in dem es um die Todesschützen am Maidan ging, oder von einem der geständigen Scharfschützen in der BBC? Vermutlich. Aber ich habe ihn nicht gefragt, wollte ihn nicht unterbrechen. Wer sich damals mit den Ereignissen etwas tiefer befassen wollte, hat davon erfahren. Sogar über den Mainstream.
Alexander hat zwei Brüder. Der eine wohnt in Donezk und hat sich den Separatisten angeschlossen, der andere kam zur ukrainischen Armee und wurde in den Südosten versetzt. Auch Alexander wurde schließlich eingezogen. „Ich habe drei Einberufungsbescheide bekommen und alle drei verbrannt. Das war im Sommer 2022. Im selben Jahr, am 22. Dezember, wurde ich an einer Straßensperre angehalten. Ein Polizist nahm meine Daten auf. Daraufhin wurde mir sofort ein Einberufungsbescheid ausgestellt. Nach der ersten Musterung wurde ich aus gesundheitlichen Gründen freigestellt. Bei der zweiten Untersuchung erklärten sie mich plötzlich für diensttauglich.“
Alexander wurde gegen seinen Willen eingezogen. Er wollte nicht gegen die Menschen und gegen die Milizen in den Volksrepubliken kämpfen. Wegen angeblich prorussischer Äußerungen bekam er dann Besuch vom ukrainischen Geheimdienst.
Außerdem sei er weder sportlich noch ausgebildet und einfach nicht fürs Kämpfen gemacht. Als Journalisten zu ihrem Ausbildungsplatz in Bila Zerkwa kamen, wurden er und seine Kameraden vom Lager ferngehalten. „Nur das Kommando durfte mit den Presseleuten sprechen. Sie erzählten ihnen, wir seien eine Freiwilligenbrigade. Das war gelogen. Von uns war keiner freiwillig dort.“
Zweieinhalb Monate war er mit seinem Kameraden auf dem Übungs- und Ausbildungsplatz. Bevor sie an die Front geschickt werden sollten, ging es über Polen aber noch nach Deutschland, um eine NATO-Ausbildung an Bradley-Panzern zu bekommen. Eine viel zu kurze Ausbildung. „Einen Monat und zwei Wochen verbrachten wir auf dem Stützpunkt Grafenwöhr in Bayern. Mit dem Bus wurden wir dorthin gebracht. Wir haben zivile Kleidung getragen. Unsere Uniformen hatten wir in den Rucksäcken verstaut. Überall wurden wir von US-amerikanischem Militärpersonal empfangen und begleitet.“ Auch die Amerikaner waren als Zivilisten gekleidet. Damit man sie nicht als US-Militärs erkennt. „Als wir ankamen, trafen sich unsere Kommandeure mit den NATO-Offizieren.“
„Wie war die Ausbildung in Bayern? Was geschah in Grafenwöhr?“
Alexander erzählt die ganze Zeit in gleichbleibend ruhigem Ton. Bescheiden. Schon fast mit Demut. Ohne erkennbaren Zorn. „Es stellte sich heraus, dass dort nur zwei Bradley-Panzer für eine Kompanie von 120 Mann zur Verfügung standen. In Grafenwöhr brachten uns Männer mit Kriegserfahrung im Nahen Osten und in Afghanistan bei, wie man kämpft. Die Methoden waren aber nicht geeignet, um gegen die russische Armee zu kämpfen. Auf dem Stützpunkt wurden unsere Soldaten mit Donbass-Erfahrung befragt. Die US-amerikanischen Ausbilder waren daran interessiert, Details der russischen Taktiken zu erfahren.“ Danach ging es für Alexander und seine Kameraden noch für einen knappen Monat zurück nach Bila Zerkwa.
„Unser Ausbildungsprogramm in Grafenwöhr war viel zu kurz. Was man in sechs Monaten lernen sollte, haben wir in einer Woche durchgezogen.“
„Was war mit deinen Brüdern? Wie ging es denen in dieser Zeit? Hattest du Kontakt?“
Alexander fährt fort: „An einem Tag rief mich meine Mutter an und sagte, dass sie jetzt die Nummer meines älteren Bruders habe. Daraufhin haben wir uns über Telegram geschrieben.“ Dieser Bruder war in Donezk bei der Miliz gewesen. Aufseiten der Separatisten. „Er bat mich, für ihn Informationen zu sammeln. Also berichtete ich ihm, was ich gesehen hatte, und wusste den Standort unserer Truppen, ein paar Zahlen und Aktivitäten, einige Informationen über unsere Einheiten und Waffen.“
„Warst du da schon an der Front? Wie waren deine Erfahrungen im Einsatz?“
„Ja, wir wurden sehr bald an die Front geschickt. Die Sturmeinheiten, die vorne kämpften, starben schnell, und es gab nie genug von ihnen. Wir wurden aufgeteilt. Ein Teil blieb hinten beim Nachschub, aber der größere Teil von uns wurde zu den Sturmtruppen versetzt. Ich auch. Aber was für ein Stürmer war ich denn schon?
Ich sagte den Kameraden, dass wir dort zur Schlachtbank geführt werden. Wir waren schon älter, schlecht ausgebildet, ohne Erfahrung, gezwungen und müde.“
Alexander kam mit seiner Einheit zur 92. Brigade nach Kupjansk im Osten von Charkiw. Sie sollten die Linien halten. Dort traf er auch auf westliche Söldner, die mit der beziehungsweise für die ukrainische Armee im Einsatz waren. „US-Amerikaner, Polen, Leute aus Taiwan und Letten. Alle trugen sie Multicam-Uniformen. Andere Uniformen habe ich nicht gesehen. Die Söldner kämpften Seite an Seite mit den ukrainischen Jungs. Die 92. Brigade war top ausgerüstet. Mit Artillerie, Panzern, gepanzerten Transportern, Mörsern und einem Satellitenaufklärungsterminal.“ Über Satellit bekamen sie die Koordinaten der russischen Stellungen auf ein Tablet gesendet. „Wir haben dann dorthin geschossen, wo die Russen nach den Angaben sein sollten.“
Die ukrainische Armee wird im Krieg gegen die Separatisten mit Aufklärungsbildern, Koordinaten und Informationen von privaten Satellitenunternehmen, die von und über US-Geheimdienste vermittelt werden, versorgt. Die Beschaffung kommerzieller Satellitenaufnahmen aus der Ukraine hat sich im Übrigen mehr als verdoppelt. Die Daten wurden auch immer aktualisiert. In Echtzeit, sagt Alexander. Sobald die gegnerische Seite mit Mörserfeuer begann, wurden die Informationen auf dem Tablet von einer jungen Dolmetscherin überprüft. Und wenn sich die russischen Soldaten näherten, kamen die ukrainischen Soldaten aus den Kellern, nahmen ihre Gefechtspositionen ein und starteten das Gegenfeuer. „Ihre Granatwerfer waren schon vorbereitet. Sie wussten, wohin sie feuern mussten. Eine Stunde später prüfte die Dolmetscherin das Tablet wieder und stellte fest, dass sich die Gruppe zurückgezogen hatte.“
Es gab Treffer, Tote und Verwundete. Alexander war vom hohen Informationsstand der ukrainischen Armee beeindruckt. „Wir waren unerfahren, wussten nicht, was echter Kampf ist. Oder was Explosionen sind. Was sie bedeuten. Die 92. Brigade hatte ja bereits Kampferfahrung. Wir verteilten uns, bekamen aber keinen Zugang zu deren Informationen. Alle waren in Kellern von Häusern stationiert und verfügten über mindestens drei Drohnen, die die Umgebung bis zu 50 Kilometer tief im gegnerischen Gebiet rund um die Uhr überwachten. Eine Drohne pro Gefechtsstellung. Als die Brigade abzog, nahmen sie alles mit.“
Er erzählt, dass sie sich einen Teil der Ausrüstung von ihrem eigenen Geld kaufen mussten. Äxte, Schaufeln und so weiter. Manchmal auch Munition oder geeignete Handschuhe. Mir fällt noch eine ganz andere Frage ein: „Was ist mit Drogen in der ukrainischen Armee?“
Alexander schweigt kurz. „Auf dem Weg zu den Stellungen wurden wir zuerst in Panzerwagen zum Verteilungszentrum gebracht. Unsere Jungs stürzten sich dort sofort auf die Drogen. Sie haben Speed genommen, um wach zu bleiben. Und Badesalz geraucht.“
An der Front sind Drogen geduldet und werden genommen, um alles besser zu ertragen. Und um die Hemmschwellen zu senken beim Begehen von Gräueltaten am Feind oder an der Bevölkerung.
An dieser wie an so vielen Fronten. Das sei anscheinend kein Problem in der ukrainischen Armee, sagt Alexander. Sie hatten ja auch die Anweisung, keine Gefangenen zu machen. Denn Russen sind zu erschießen, auch wenn sie sich ergeben.
„Die russischen Soldaten näherten sich so geschickt, dass wir sie nicht sahen. Einer wurde 150 Meter von uns entfernt getötet. Der Kommandant befahl mir dann, die Trophäe zu holen. Ich ging nachts raus und schaute nach: Die Schutzweste und der Helm lagen da, aber keine Leiche.“
„Und welche Aufgabe hattest du? Was war dein Einsatzbereich?“
„Ich hatte die Aufgabe, eine Gruppe zu führen und Markierungen zu setzen. Uns standen zwei Drohnen zur Verfügung. Eine ging bei einem Einsatz verloren. Die andere wurde durch feindliche elektronische Kampfführung abgeschossen. Wir bekamen neue Drohnen, aber deren Einsatzzeit wurde deutlich eingeschränkt. Oft mussten wir selbst zu den Stellungen gehen und mit einem Fernglas Beobachtungen durchführen.“ Das sei allerdings ziemlich riskant gewesen, da jeder längere Gebrauch eines Fernglases die eigene Position verraten könne.
In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft an der Front sei es noch ruhig gewesen. „Doch nachdem wir ein paar Drohnen abgeschossen hatten, richtete sich die Feuerkraft gezielt gegen unsere Stellungen.“ Russische Drohnen fanden ihre Position bald heraus. Und auch, dass die 92. Brigade abgezogen und durch unerfahrene Kämpfer ersetzt worden war. „Plötzlich kreiste eine Spezialdrohne mit einem Lautsprecher über uns und forderte uns zur Kapitulation auf.“ Danach stürmten die Russen.
„Es kam zu meinem ersten Gefecht. Meine Kameraden zogen sich zurück. Ich ließ mein Maschinengewehr dann fallen und beschloss, mich zu ergeben. Auch wenn uns eingetrichtert worden war, es sei besser, sich nicht zu ergeben.“ Die „Orks“, so der gängige Schimpfname unter ukrainischen Frontsoldaten für die Russen in Anlehnung an „Herr der Ringe“, würden foltern und Köpfe abschneiden. Das habe man ihnen so erzählt. „Die russischen Soldaten nahmen mich auf wie einen Kameraden. Als ich gefangen genommen wurde, eröffnete die ukrainische Seite das Feuer auf uns, um sicherzustellen, dass ich nicht als Gefangener überleben würde.“
Auch das ist keine Ausnahme. Die Ukrainer schießen regelmäßig auch auf ihre eigenen Männer, wenn sie vorhaben sollten, sich zu ergeben. Oder den Versuch unternehmen sollten, sich unerlaubt zurückziehen. Die Leichen der eigenen Soldaten werden außerdem oft liegen gelassen. „Nur damit sie dann als verschollen gelten und die Familien keine Gelder vom ukrainischen Staat bekommen müssen.“
Die Russen seien disziplinierter gewesen, sagt Alexander. Vor allem in den Kampfhandlungen. Er schätzt, dass in der ukrainischen Armee rund zehn Prozent pro Einheit Nazi-Faschisten sind.
Und die NATO ist mit Ausbildern und Beratern am Krieg gegen Russland beteiligt. Das steht fest. An der Seite von Nazi-Einheiten. Mehrere Monate war er dann in russischer Gefangenschaft. Dass er Informationen an seinen Bruder weitergegeben hatte, solle angeblich dafür gesorgt haben, dass er früher freikam. Über die Russen kann er nichts Schlechtes sagen. „Die Behandlung war anständig.“
Alexander hat noch keinen neuen Pass erhalten. Den braucht er, um sich im Donbass ein neues Leben mit einer neuen Identität aufbauen zu können. Zurück in die Ukraine kann er als Überläufer und nach allem, was geschehen ist, nicht mehr. Er wohnt hier irgendwo am Rand von Donezk und sucht Arbeit. Er verabschiedet sich und geht genauso unauffällig, wie er gekommen ist, über den Parkplatz in Richtung der Wohnbunker zurück.
Die Sonne knallt noch immer auf unser Auto. Roman macht den Motor an und dreht sich um. „Er wollte leben, nicht kämpfen.“
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