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Bis zum bitteren Ende

Bis zum bitteren Ende

Das jüngste Bankenbeben in den USA scheint vorerst überstanden, doch die westliche Wirtschaft befindet sich unverändert in einer Abwärtsspirale aus Staatsverschuldung und Industrieabwanderung.

Kapital auf der Flucht

Notenbank und Regierung der USA haben mit der Bereitstellung von Finanzmitteln und Bürgschaften verhindern können, dass der Untergang mehrerer mittelgroßer Banken sich zu einer großen Finanzkrise ausweitet. Kaum ist an dieser Front Ruhe eingetreten, tun sich bereits neue Abgründe auf. Das Beben rund um die Silicon Valley Bank hat zum Abfluss von „fast 600 Milliarden Dollar ... aus dem US-Bankensystem“ (1) geführt.

Ein Großteil dieser Gelder wurde längerfristig in Geldmarktfonds angelegt. Das kommt der US-Regierung sehr ungelegen, wo doch gerade jetzt der amerikanische Staat auf jeden kaufwilligen Investor angewiesen ist. Denn die USA, die reichste Volkswirtschaft der Welt, sind knapp bei Kasse, wie der Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze deutlich machte.

Schon jetzt erreichen die Staatsschulden die unvorstellbare Summe von rund 31,5 Billionen US-Dollar. Die Einigung im Streit um die Schuldenobergrenze erlaubt eine Erhöhung um zusätzliche 1,5 Billionen. Da die US-Regierung sich während dieser Auseinandersetzung keine neuen Mittel beschaffen durfte, ist nun der staatliche Finanzierungsbedarf entsprechend groß.

Die US-Bank J.P. Morgan schätzt, dass die Regierung bis September 2023 neue Gelder in Höhe von 850 Milliarden Dollar über Anleihen aufnehmen muss. Nur so kann der Staat seine Zahlungsverpflichtungen erfüllen und weiter funktionieren. Ausgerechnet die reichen westlichen Staaten sind die am höchsten verschuldeten und verfügen nicht über genügend Einnahmen, um die Staatsausgaben zu schultern.

Im Geschäftsjahr 2023 hatte die US-Regierung Staatseinnahmen von 2,99 Billionen Dollar, denen aber Ausgaben von 4,16 Billionen gegenüberstanden (2). Angesichts ihrer gewaltigen Verschuldung ist die US-Regierung abhängig von der Bereitschaft privater Anleger und institutioneller wie Geldmarkt-Fonds, ihr Geld in amerikanischen Staatspapieren anzulegen. Anderenfalls ist die Zahlungsfähigkeit des Landes in Gefahr. Doch Finanzministerin Janet Yellen hat Zweifel, ob „die Geldmarktfonds die Anleiheflut des US-Staates allein aufnehmen können“ (3).

Um Investoren anzulocken, müssen die USA schon jetzt an den Finanzmärkten Zinsen zahlen, die im Schnitt um 1,5 Prozentpunkte über denen deutscher Staatsanleihen liegen. Zudem sind durch die Maßnahmen der FED zur Inflationsbekämpfung inzwischen die Renditen kurzlaufender Anleihen höher als die von langlaufenden, normalerweise ist das umgekehrt. Angesichts solcher Nachteile dürfte es für die US-Regierung schwierig werden, Käufer für langfristige Anleihen zu finden.

Unter den Bedingungen des kapitalistischen Finanzmarktes gibt es da nur eine Lösung: Es müssen höhere Zinsen für die Langläufer angeboten werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die USA für neue längerfristige Anleihen bald einen Zinssatz mit einer Fünf vor dem Komma bieten müssen. Das aber wird den ohnehin schon angespannten US-Haushalt zusätzlich belasten.

Interessenkonflikte

„Alleine in den letzten vier Quartalen ... musste die US-Regierung auf die gesamte Staatsverschuldung 853 Milliarden Dollar an Zinsen bezahlen“ (4).

Das entspricht fast einem Drittel der gesamten Staatseinnahmen des Landes von 2,99 Billionen Dollar. Dabei wachsen die Zinsforderungen schneller als die Wirtschaftsleistung zunimmt. Allein innerhalb eines Jahres haben sie sich von 600 Milliarden auf 853 Milliarden Dollar erhöht und das bei wesentlich niedrigeren Zinssätzen als den aktuellen.

Erschwerend kommt hinzu, dass zu den größten Gläubigern der USA nicht nur private und institutionelle Anleger gehören sondern auch Staaten wie China, mit denen die USA immer heftiger in Konflikt geraten. Russland hat seinen Bestand an US-Anleihen bereits weitgehend abgebaut und der chinesische sinkt auch. Das bedeutet, dass bei steigendem Finanzbedarf der USA die Kundschaft für deren Anleihen schrumpft. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen scheint sich auszuweiten.

Die politischen Folgen dieser Situation haben sich bereits während des Streits um die Erhöhung der Schuldenobergrenze angedeutet und dürften in den nächsten Jahren immer mehr in den Vordergrund treten.

Wessen Interessen wird die amerikanische Regierung bei einer Verschärfung der Schuldenlage zuerst bedienen? Erfüllt sie die Zinsforderungen ihrer Gläubiger oder aber wiegen für sie die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung schwerer? Beides zu bedienen, wird immer schwieriger.

Geht immer mehr Geld aus den Staatseinnahmen in die Zinsaufwendungen, wird die Regierung Abstriche machen müssen an den staatlichen Leistungen gegenüber der eigenen Bevölkerung, wenn es zu keiner wesentlichen Steigerung der Wirtschaftsleistung kommt. Denn die Alternative wäre die Reduzierung oder gar Einstellung der Zinszahlungen, was dem Zahlungsausfall gleich käme. Dieses Vorgehen verbietet aber die amerikanische Verfassung selbst. Der 14. Zusatzartikel stellt klar, dass „der Wert der amerikanischen Staatsschulden nicht infrage gestellt werden dürfe“ (5).

Würde irgendeine amerikanische Regierung die Zinszahlungen nicht erfüllen, würde sie gegen die amerikanische Verfassung verstoßen und sich einer Welle von Klagen gegenübersehen, die zugunsten der Gläubiger ausgehen dürften. Zudem würde wohl kaum ein Anleger noch amerikanische Staatsanleihen kaufen. Vielmehr wäre mit einer Verkaufswelle zu rechnen, denn jeder würde verkaufen wollen, solange die Papiere noch einen gewissen Gegenwert haben. Die Folge wäre ein Anstieg der Zinsen in astronomische Höhen.

So bleibt den USA gar nichts anderes übrig, als dem systemischen Rivalen China, dessen Aufstieg man mit aller Macht verhindern will, weiterhin seine Zinsen zu zahlen auf den Anleihebestand von etwa einer Billion Dollar, während die eigene Bevölkerung Gefahr läuft, die Gürtel enger schnallen zu müssen. Insofern sind die Drohungen der USA gegenüber China etwas vollmundig. Die Amerikaner sind von chinesischem Wohlwollen viel stärker abhängig als umgekehrt. Eine Verkaufswelle aus China wäre eine Katastrophe für die amerikanische Wirtschaft.

Die Prioritäten sind klar: Zinsen und Tilgungen gehen vor, alle anderen Zahlungen müssen warten. Das gilt auch für die Zahlungen an die ungefähr 60 Millionen Rentenbezieher. Im Konflikt zwischen den Interessen der Investoren und der eigenen Bevölkerung, werden die Regierungen der USA denen der Investoren den Vorzug geben müssen – aus rechtlichen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen.

So wurde der aktuelle Kompromiss mit den Republikanern über die Anhebung der Schuldengrenze erkauft mit der Zusicherung der Demokraten, staatliche Ausgaben für die nächsten zwei Jahre einzufrieren und Verschärfungen bei den Empfängern sozialer Leistungen einzuführen. Das sind die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, an denen aller guter Wille welcher Regierung auch immer scheitern wird, so lange sie sich der privatwirtschaftlichen Ordnung verpflichtet fühlt.

Kapital-Kannibalismus

Die führenden kapitalistischen Staaten, allen voran die USA, taumeln dem finanziellen Zusammenbruch entgegen, wenn sich an den derzeitigen Gegebenheiten nichts ändert. An der Zahlungsverpflichtung für den Schuldendienst führt kein Weg vorbei. Es bleibt ihnen folglich nur, die Ausgaben für die Bevölkerung einzudampfen, oder aber die Wirtschaftsleistung muss in einem Maße gesteigert werden, dass höhere Staatseinnahmen zum Abbau von Schulden und der Verringerung der Zinsverpflichtungen führen.

Darin aber gerade liegt das Problem für die Gesundung der westlichen Staatsdefizite. Besonders die bisherigen staatlichen Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftskraft sind ein bedeutender Beitrag zur Verschuldung der Staaten. Speziell bei den USA kommen die gewaltigen Ausgaben für Rüstung und Kriegsführung hinzu, bei denen aber auch in Zukunft gemäß dem Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern nicht gespart werden soll.

Die Ertragskraft der Wirtschaft in den führenden kapitalistischen Staaten reicht nicht aus, um die staatlichen Ausgaben zu finanzieren. Um diesen Niedergang der Ertragskraft aufzuhalten, hatten die Regierungen immer mehr Zugeständnisse an die Wirtschaft gemacht. Unternehmenssteuern wurden in Milliardenhöhe gesenkt, um den Wirtschaftsstandort für Investoren attraktiv zu machen oder seine Attraktivität für die ansässigen Unternehmen zu erhalten.

Auf der anderen Seite wurden Subventionen in Milliardenhöhe gewährt, um die Konkurrenzfähigkeit von Wirtschaftszweigen zu erhalten, die auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Aufstrebende Wirtschaftszweige wiederum wurden durch Subventionen oder Kaufanreize unterstützt, um Marktreife zu erreichen. Milliarden wurden ausgegeben für Bankenrettungen und Abwrackprämien zur Stützung der Autoindustrie.

All das geschah in der Hoffnung und sicherlich auch dem guten Glauben, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen und dadurch zum Wachsen der Staatseinnahmen beizutragen. Aber stattdessen belastete es die Haushalte und führte nicht zu den erwarteten Mehreinnahmen in der Staatskasse. Dabei waren doch all diese Maßnahmen sogar wissenschaftlich abgesichert durch die Theorien der Wirtschaftswissenschaften.

Aber diese Politik diente nicht allein der Verbesserung der Haushaltslage sondern auch einem politischen Ziel: der Erhaltung der privatwirtschaftlichen Ordnung. Das private Unternehmertum als Stütze und Träger der kapitalistischen Ordnung galt es zu schützen beziehungsweise zu fördern. Dieses Handeln befand sich in Übereinstimmung mit dem Denken der gesellschaftlichen Mehrheit, und weil diese Mehrheit so denkt, ist sie auch immer noch bereit, die Nachteile dieses Systems weiterhin zu ertragen.

Eine Beschleunigung der Verschuldung erfährt die westliche Wirtschaft durch die Sanktionen gegenüber Staaten, die sich nicht den westlichen Vorstellungen unterwerfen wollen. Diese Sanktionen schädigen immer mehr die eigene Wirtschaft statt die der Sanktionierten. Das wird im Konflikt mit Russland, aber auch mit China immer deutlicher. Westliche Unternehmen müssen sich aus lukrativen Märkten zurückziehen und Umsatzeinbußen hinnehmen. Das mindert ihre Ertragskraft.

Wenn auch Markt und Ertragskraft westlicher Unternehmen schwinden, die Verschuldung und Zinsverpflichtungen ihrer Staaten jedoch werden nicht geringer.

Inzwischen ist ein neuer Subventionswettlauf unter den westlichen Staaten entbrannt. Man wirbt sich gegenseitig die Unternehmen ab. Der Wertewesten kannibalisiert sich selbst.

Besonders die Europäische Union und die USA überbieten sich gegenseitig mit staatlichen Zuwendungen für Unternehmen, die sich im jeweiligen Wirtschaftsraum ansiedeln wollen. Ständig werden neue Förderprogramme aufgelegt, um Zukunftsindustrien wie die Produktion von Batterien, Solartechnologie oder Chips anzulocken oder selbst aus dem Boden zu stampfen. Das kostet enorm viel Geld und der Erfolg ist zweifelhaft. Denn der Vorsprung Chinas in vielen dieser Industrien scheint uneinholbar. Im Vergleich dazu ist die heimische Industrie ein „Trabi mit kaputtem Motor“ (6).

Während die westlichen Staaten die Zinsen erhöhen müssen, um Kapital anzulocken oder die Inflation zu bekämpfen, hat China zuletzt die Zinsen auf 1,9 Prozent (7) gesenkt und steigert mit den dadurch sinkenden Investitionskosten die Ertragslage seiner Unternehmen. Während die USA die Zinsen erhöhen müssen, um Anleger für ihre Anleihen zu finden, profitiert China von den höheren Zinsen des systemischen Rivalen USA.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juni 2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen
(2) https://fiscaldata.treasury.gov/americas-finance-guide/
(3) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juni 2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen
(4) https://finanzmarktwelt.de/us-staatsverschuldung-zinslast-schuldenobergrenze-das-grosse-problem-268101/
(5) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Mai 2023: Die US-Regierung spielt Zahlungsausfall durch
(6) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juni 2023: Trabi mit kaputtem Motor
(7) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juni 2023: Anleger erwartet eine Flut von US-Staatsanleihen


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