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Das amerikanische Jahrhundert war gestern

Das amerikanische Jahrhundert war gestern

Die Amerikaner hatten ihre Zeit — nun schlüge die Stunde für die Europäer, sich zu emanzipieren, befindet Oskar Lafontaine in seinem neuen Buch. Eine Rezension.

Seit Monaten sprechen wir vom „Ukraine-Krieg“: Dabei ist der Begriff mittlerweile nicht mehr zu gebrauchen. Längst ist etwas viel Größeres aus diesem Konflikt geworden — ein Stellvertreterkrieg nämlich. Und wenn wir das schon mal ehrlich benennen, so sollte man auch damit klaren Tisch machen: Die Bundesrepublik ist ein Vasall der Vereinigten Staaten. Sie — und Europa in seiner Gesamtheit.

Als Vasall der in Agonie liegenden Weltmacht aus Übersee rennt der Kontinent in sein Verderben. Es gibt nur eine Möglichkeit: Europa aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Es muss sich bewusst machen, dass die Zeiten der Supermacht vorbei sind. Die Amerikaner hatten ihre Zeit in Europa. Aber die sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Um unserer selbst willen.

Du sollst keine anderen Weltmächte neben mir haben

Daher rührt dann auch der Titel von Oskar Lafontaines neuem Buch: „Ami, it’s time to go! Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“ nennt es sich. Die Amerikaner hatten ihre Zeit. Aber heute wirken sie als Supermacht wie aus der Zeit gefallen. Ihnen geht es darum, ihre Weltmachtstellung zu sichern. Und das, obgleich sie zu einer fragilen Nation geworden sind, die kaum noch Positives verheißt.

Bereits vor 20 Jahren schrieb der französische Historiker Emmanuel Todd einen Abgesang auf den vermeintlichen Weltpolizisten. Titel: „Weltmacht USA: Ein Nachruf“. Er skizzierte darin die aggressive Außenpolitik der Amerikaner als letztes Aufbäumen eines Superstaates, der von der Welt abhängiger ist als die Welt von ihm.

Auch Lafontaine pflegt diese Einsicht: Er legt dar, dass wir die Amerikaner nicht brauchen. Jedenfalls nicht in der Art und Weise, wie die Amerikaner die internationale Ordnung verstehen. Sie inszenieren Krisenherde, um sich als unabkömmlich in Szene zu rücken.

Die US-Administration weiß: Ein Keil, der zwischen Europa und Russland geschlagen wird, festigt den globalen Einfluss ihrer moribunden Weltmacht. Sie weiß zudem, dass das eigene Land schwach, zerrissen und im Niedergang begriffen ist. Sticht man jedoch die globale Konkurrenz aus, bleibt man obenauf.

Das amerikanische Jahrhundert ist vorbei. Die unipolare Weltordnung gerät an ihr Ende. Dass der „Polizist“ dieser Weltordnung sich nicht einfach stillschweigend zurückzieht, war zu erwarten: Und tatsächlich haben die Amerikaner bereits nach dem Ende der Sowjetunion ein klares Ziel verfolgt, das da lautete: Du sollst keine anderen Weltmächte neben mir haben.

Schon wieder dieser unbegründete Antiamerikanismus?

Welche Auswirkungen so ein Alleinstellungswahnsinn hat, sehen wir jetzt täglich in den Nachrichten. Wir befinden uns im Krieg. Auch wenn alles dafür getan wird, diese Erkenntnis euphemistisch zu umschreiben. Selbst der Bundespräsident wiederholt im regelmäßigen Turnus, dass wir keine Kriegsnation seien.

Nebenher nehmen wir die Deindustrialisierung und die Verarmung als Kollateralschäden hin. Der Wahnsinn bestimmt das Geschehen, radikale Kräfte fordern immer mehr Einsatz, mehr Waffen, mehr Geld, mehr Bekenntnis zur Ukraine.

Wegen der Freiheit der Ukrainer? Nein, weil die USA die einzige Weltmacht sein wollen und sich gegen eine Weltordnung wehren, in der sie mit anderen Nationen gemeinsam an einem Tisch sitzen müssen.

Lafontaine selbst baut in seinem Buch vor: Dass man ihm nun Antiamerikanismus vorwerfen wird, scheint ihm klar zu sein. Also macht er deutlich, dass er Amerika durchaus schätzt. Nur eben nicht die Außenpolitik der US-Administration. Das erinnert ein bisschen an eine mittlerweile recht alte Nummer des Kabarettisten Hagen Rether. Zur Bush-Zeit las man in der deutschen Presse häufig, dass jetzt wieder so ein „unbegründeter Antiamerikanismus“ um sich greife. Rether wehrte sich dagegen, er sei kein unbegründete Antiamerikanist. Sein Antiamerikanismus sei viel mehr recht gut begründet.

Gut begründet sind auch die Thesen Oskar Lafontaines. Und sie werden dem Leser nicht verquast unterbreitet, sondern so, wie man es von ihm gewohnt ist: Ohne falsche Scheu. Sagen was ist: Das ist Lafontaines Spezialität. Und er hält sich beileibe nicht zurück. Dass diese Bundesregierung nicht einfach nur schlechte Politik macht, sondern „die dümmste (ist), die wir hatten seit Bestehen der Bundesrepublik“: Wer traut sich denn heute noch, so etwas derart unverblümt zu sagen?

Kapitalismus als Kriegstreiber?

Übrigens, „das laut zu sagen, was ist“: Dieser Spruch geht auf Ferdinand Lasalle zurück, dem Gründer der Ur-Sozialdemokratie in Deutschland. Für ihn war das die „revolutionärste Tat“. In diesem Sinne ist Oskar Lafontaine natürlich ein Revoluzzer. Und wenn wir es mal genauer betrachten, pflegt er die Werte einer Sozialdemokratie, die es heute nicht mehr gibt: Jedenfalls nicht dort, wo Sozialdemokratie draufsteht.

Ob man indes den Kapitalismus als den ursächlichen Kriegstreiber betrachten sollte, wie Lafontaine es in seinem Buch tut: Darüber lässt sich mindestens streiten. Ursächlich, so könnte man mit Blick auf die Historie festhalten, sei eigentlich der Mensch. Denn Kriege gab es schon lange vor dem Kapitalismus — und nach ihm wird es wohl nicht anders sein.

Lafontaine nimmt übrigens nicht nur kein Blatt gegenüber denen vor den Mund, die dieses Land in den Wahnsinn peitschen: Er legt auch ein Bekenntnis ab. „Es ist unbedingt notwendig, dass wir uns an Willy Brandt orientieren“, meint er: „Wir müssen wieder ein Volk guter Nachbarn werden.“ Das ist keine Sonntagsfloskel, sondern der Keim des Friedens. Und der ist nur mit Russland denkbar — mit oder ohne Putin ist dabei völlig gleich: Die Russen werden ja unsere Nachbarn bleiben. Es sei denn natürlich, man folgt der kruden Logik der Hetzer aus dem grünen Lager, die Russland ja endgültig ruinieren wollen.

Den Grünen empfiehlt Lafontaine indes, ihre Stiftung, die auf den Namen des Schriftstellers Heinrich Böll lautet, neu zu benennen. Denn Böll war Kriegsveteran und Pazifist. Er schlägt vor, sie in eine Madeleine-Albright-Stiftung oder eine Carl-von-Clausewitz-Stiftung zu verwandeln. Petra Kelly würde dem wohl zustimmen.


Oskar Lafontaine „Ami, it's time to go: Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas


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