Können Sie sich noch an Sylt erinnern? Sie wissen schon, die Sache mit der geänderten Textfassung von „L’amour toujours“, die in der Pony-Bar von einigen Gästen leidenschaftlich dargeboten wurde. So vage, sagen Sie. Naja, verständlich, ist ja auch schon lange her — 15 Monate, um genau zu sein. Also eine Ewigkeit. Gemessen am heutigen Informationstsunami und der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne irgendwo zwischen dem Trojanischen Krieg und der Einführung des Farbfernsehens. Die Sau wurde ein paar Mal durchs Dorf getrieben, dann geschlachtet und ist längst in der Wurst, die sich wiederum bedenklich ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum nähert.
Die aktuelle Sau heißt Killerhitze ─ was verhängnisvoll an Lauterbachs „Killervariante“ zu Corona-Zeiten erinnert ─, die medial immer dann bis zum Siedepunkt hochgekocht wird, wenn es sehr warm ist und nicht regnet.
Also eher selten. Dann aber mit Vehemenz und durchaus auch von den Gegnern des Klimakatastrophenszenarios, also den Klimafaschos respektive Klimanazis. Jeder muss eben schauen, wo er bleibt.
Es begab sich wie folgt. Die Bild-Zeitung titelte Ende Juni: „Brüllend heiße Sahara-Luft. Jetzt kommt die 40-Grad-Hitze!“ Dies kommentierte die bayerische Kabarettistin und Schauspielerin Monika Gruber auf X mit den Worten: „Oh my God! Wir werden alle sterben!!!“ Daraufhin erwiderte Karl Lauterbach auf demselben Kanal:
„Was ist so lustig daran, wenn ältere Menschen bei dieser Hitze Schlaganfälle bekommen, dement werden oder ihre Nieren versagen? Es ist schön, dass Sie sich vielleicht keine Sorgen machen müssen. Aber Ihre Haltung ist abstoßend und würdelos.“
Auch der „Klimaforscher“ Stefan Rahmstorf meldete sich auf X zu Wort und schrieb:
„Über Zehntausende Hitzetote, die es in Europa bei Hitzewellen gibt, Witze machen? Wie moralisch verkommen kann man sein?“
„Abstoßend“, „würdelos“, „moralisch verkommen“ ─ diese Preisklasse muss es schon sein, wenn man reüssieren will als jemand, der „Haltung“ zeigt. Ähnlich wie Gruber erging es Christian Dürr, Vorsitzender der FDP ─ der eine oder andere wird sich noch an diese Partei erinnern ─, der ebenfalls auf X schrieb:
„Liebe Grüne, es nervt! Hört bitte auf, bei Hitze im Sommer (und bei Regen) eure gesamte Klimaerzählung zu posten. Wir haben gerade, wie man früher sagte, sehr schönes Wetter.“
Natürlich meldete sich wiederum Lauterbach zu Wort ─ „Für die FDP sind Physik und Medizin ‚Erzählungen‘“ ─, dazu Jörg Kachelmann, Ricarda Lang und Luisa Neubauer; letztere kommentierte voll ironisch:
„Finde die Klimaforschung auch voll nervig, wenn sie uns eindeutige Zusammenhänge von intensiveren Hitzewellen und Klima aufzeigt. Und so ein bisschen Herz-Kreislauf hält die Oma schon aus, wenn sie sich zusammen reißt (sic).“
In den Kommentarspalten arbeiteten sich dann noch viele Leser an Lauterbachs Bemerkung ab, dass große Hitze Demenz verursache. Die Kölnische Rundschau sprang dem Politiker allerdings zur Seite und schrieb:
„Tatsächlich gibt es keine Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen Hitzewellen und der akuten Entstehung von Demenz belegen. Eine britische Studie ergab jedoch 2024, dass ‚häufige und anhaltende Wetterextreme‘ zu kognitiven Problemen führen können — und so indirekt auch die Entstehung von Demenz begünstigen könnten. ‚Die Studie zeigt, dass eine langfristige Hitzeeinwirkung den Schlaf stören kann, was mit kognitivem Abbau und Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz in Verbindung gebracht wird‘, schrieb die BBC damals zu den Erkenntnissen einer von der Universität Bristol geleiteten Untersuchung zu den Auswirkungen von langfristigen Wetterextremen.“
„Indirekt“, „langfristig“, „in Verbindung bringen“ ─ das sind ganz schön viele Umstiege auf dieser einsamen Strecke. Ohnehin handelt es sich bei den „Hitzetoten“ um statistische Modelle. Der Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen und Epidemiologe Friedrich Pürner präzisiert:
„Es gibt viele mögliche Gründe für statistische Auffälligkeiten. Deshalb arbeiten solche Modelle mit mathematischen Korrekturen, um gewisse Verzerrungen zu minimieren. Aber es bleibt eben eine Schätzung, eine Annäherung — nicht mehr. Mathematisch ist das in Ordnung, deshalb sage ich auch nicht, dass es unseriös ist. Aber man muss klar benennen, was es ist: Es handelt sich nicht um gezählte, obduzierte Todesfälle. Es sind Schätzungen — wie man sie früher bei der Grippe gemacht hat. Auch da hat man mit Berechnungen gearbeitet: Man schaut, wie viele Menschen in einem bestimmten Zeitraum normalerweise sterben, und alles, was darüber liegt, wird der Influenza zugeschrieben. Und natürlich spielen Alter, Vorerkrankungen und viele weitere Faktoren eine Rolle. Diese Fehler versucht man mit Formeln abzufedern — aber auch dann bleiben immer gewisse Ungenauigkeiten. Jeder Epidemiologe weiß das. Das ist kein Skandal — aber es muss eben richtig eingeordnet werden.“
20 Grad Höllenhitze
Jedenfalls hatten damit alle ihren Text aufgesagt, und dann fing es wieder an zu regnen. Medial ging es in der Folge erneut um die Ukraine. Wie beim Boulevardtheater: großes Türenschlagen. Kachelmann und Lauterbach ab ─ Letzterer widerwillig ─, Auftritt Wolodymyr, Wladimir und The Donald.
Doch wie bereits im Juli 2024 zu erfahren war, sind hohe und höchste Temperaturen gar nicht notwendig, um den Hitzetod zu erleiden. 20 Grad genügen vollkommen.
„Hitze-Sterblichkeit in Deutschland: Schon 20 Grad können lebensgefährlich sein“, titelte der Focus am 17. Juli 2024 und führte aus:
„Hitze wird schon ab 20 Grad zur Gefahr. Grundsätzlich wird es ab einer durchschnittlichen wöchentlichen Mitteltemperatur von 20 Grad gefährlich. Die Mitteltemperatur ist der Durchschnitt aller täglichen Messungen an einer Station, also am Tag und auch bei Nacht. In Deutschland werden dabei 52 Wetterstationen für die Berechnung der Mitteltemperaturen der einzelnen Bundesländer und auch für ganz Deutschland herangezogen. Bereits ab einem Mittelwert von 20 Grad können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Anstieg der Sterblichkeit auf die Hitze zurückführen. 20 Grad Mitteltemperatur ist also ein Grenzwert, den man in Zukunft vielleicht berücksichtigen sollte.“
Der Artikel entfaltete jedoch nicht die erhoffte Wirkung beim Publikum. Im Gegenteil: Im Kommentarbereich ergossen sich Hohn und Spott über den Text ─ so schrieb ein Leser:
„Also sollten wir nun schon bei 20 Grad die Klimaanlage einschalten, oder was soll uns dieser hirnlose Artikel wieder sagen? Hauptsache Panik, mit was auch immer. So einen Schwachsinn nimmt doch keiner mehr ernst, wann kapiert ihr das endlich? Jeden Tag wird es lächerlicher.“
Demnach wäre es eigentlich unverständlich, weshalb in Deutschland Wohnungsnot herrscht, hat doch die Rechtsprechung bezüglich der Wohnraumtemperatur für Vermieter Vorgaben definiert: Während der Heizperiode ─ 1. Oktober bis 30. April ─ müssen zwischen 6:00 und 23:00 Uhr in den Wohnräumen mindestens 20 Grad Celsius und im Bad 21 Grad Celsius erreichbar sein. In der Nacht sind es dann 18 Grad Celsius.
Folglich müsste ab dem 1. Oktober in Deutschland ein Massensterben einsetzen, wenn die Killerhitze massenweise Mieter dahinrafft — Menschen, die die Wahnsinnstat begingen, ihre Behausung auf die Saunatemperatur von 20 Grad aufzuheizen. Zahllose Wohnungen wären frei, und die Vermieter würden auf gebildete und vernunftbegabte Bürger hoffen, die auch im tiefsten Winter die Heizung nicht einschalten.
Das Ende der Sommerhits
Eigentlich sollte der Hit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“, den 1975 Thomas Woitkewitsch für Rudi Carrell schrieb, umgedeutet werden: statt wehmütiger Rückschau apokalyptische Prophezeiung. Textlich passt es, nur die Vergangenheit müsste durch die Zukunft ersetzt werden:
„Und was wir da für Hitzewellen hatten,/Pulloverfabrikanten gingen ein./Da gab es bis zu vierzig Grad im Schatten,/wir mussten mit dem Wasser sparsam sein./Die Sonne knallte ins Gesicht,/ da brauchte man die Sauna nicht./Ein Schaf war damals froh, wenn man es schor./Es war hier wie in Afrika.“
Und die Zeilen „Mein Milchmann sagt: ‚Dies Klima hier, wen wundert's?/Denn schuld daran ist nur die SPD‘“ werden zu „Mein Amazon-Bote sagt: ‚Dies Klima hier, wen wundert's?/Denn schuld daran ist nur die AfD.‘“
Andere Sommerhitklassiker sollten jedoch gar nicht mehr gespielt werden, beispielsweise „Sommersprossen“ von UKW, in dem es heißt: Tina, ist das nicht prima?/Was für ein Klima!/Haben wir hier schlechtes Klima,/fahren wir sofort nach Lima“ ─ womit das Paar einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen würde ungefähr so groß wie der royale Garten von Buckingham Palace. Und der Satz „Ich bin ja so verschossen in deine Sommersprossen“ reduziert die Angebetete rein auf ihre Äußerlichkeiten und ist daher diskriminierend ─ der sogenannte Lookismus, welcher wiederum eng mit dem Sexismus verbunden ist. Noch Fragen?
Der Klassiker „Und es war Sommer“ von Peter Maffay wiederum zeigt, zu welchen sexuellen Verwirrungen die Höllenhitze ─ „die Sonne brannte so, die Luft war flirrend heiß“ ─ führen kann, wenn eine Einunddreißigjährige auf einen Sechzehnjährigen trifft:
„Wir gingen beide hinunter an den Strand,/und der Junge nahm schüchtern ihre Hand./Doch als ein Mann sah ich die Sonne aufgehen.“
Tja, so schnell kann’s gehen, aber hat sich die Dame vorher den Ausweis des Jungen zeigen lassen, um zu prüfen, ob er wirklich sechzehn ist? Ein kühler Kopf hätte sie vor einer womöglich strafbaren Handlung bewahrt.
Hitze und Gossip
Es wird wieder heißer. „Höllen-Hitze über Deutschland noch bis Freitag“, titelt der Berliner Kurier am 13. August. Im Zürcher Tages-anzeiger spricht man einen Tag später, zitierend, von der Hitze als „‚lautlosem Killer‘ (…) und warum schon 24 Grad in der Wohnung zum Problem werden können“. Immerhin nun vier Grad mehr als noch letztes Jahr beim Focus.
Aber es ist auch Zeit für ein bisschen Gossip: Julia Klöckner, Präsidentin des Deutschen Bundestags, ist mit TV-Quizmaster Jörg Pilawa liiert, wie kürzlich bekannt wurde. Oder wie der Boulevard es nennt: das „Liebes-Outing“.
Pilawa hat einst unter anderem die Sendung „Dating Game — Wer soll dein Herzblatt sein?“ moderiert. Sein neues „Herzblatt“ versucht, mit besonders stringenter Sitzungsleitung der Debatten im „Hohen Haus“ zu reüssieren, und untersagt es den Abgeordneten, sich gegenseitig „persönlich der Lüge zu bezichtigen“.
Der Focus berichtet:
„Auch vergangene Woche drohte Klöckner gleich mehrfach mit Ordnungsrufen, weil Abgeordnete das Wort ‚Lüge‘ in den Mund genommen hatten. Es ist ein Wort, das Julia Klöckner im Plenum offenbar nicht hören will. ‚Wir haben hier festgehalten, dass wir uns nicht persönlich herabwürdigen als Lügner und uns nicht der Lüge bezichtigen. (…) Wer jetzt noch einmal meine Sitzungsleitung infrage stellt und den anderen als Lügner bezeichnet, kassiert einen Ordnungsruf.‘“
Bei solch hoher Anzahl an Lügenvorwürfen könnte man glatt annehmen, dass die Bezichtigungen in so manchem Fall zutreffen. Aber solcherart wirre, krude Gedanken sind gewiss nur Folgen der Höllenhitze und haben rein gar nichts mit der Wirklichkeit gemein ─ quasi eine Art Hitzeflimmern des Gehirns.
Durchlauferhitzer
So werden tagaus, tagein Themen durch den medialen Durchlauferhitzer gejagt ─ nur noch kurz duschen, weniger fliegen, kulturelle Aneignung, Straßenblockaden durch die „Letzte Generation“ ─ die dann, wie das erwärmte Wasser beim Durchlauferhitzer für Küche und Bad, rasch wieder im medialen und gesellschaftlichen Ausguss verschwinden.
Das Internetportal Sport.de fragt:
„Gegen wen feiert Anthony Joshua sein für Ende des Jahres geplantes Comeback im Ring? Darf man seinem Promoter Eddie Hearn glauben, ist ein Kampf möglich, den es in einer vernünftigen Welt nie geben dürfte: AJ gegen den Youtuber Jake Paul. (…) Der Youtuber Paul versucht sich seit 2020 als Boxer, hat von 13 Duellen zwölf gewonnen (sieben durch K.o.). Bisher stand er überwiegend mit abgetakelten früheren MMA-Fightern im Ring.“
Und er gewann auch gegen den mittlerweile 58-jährigen Mike Tyson, allerdings hatten all diese Siege das berühmte „Geschmäckle“. Sollte es also tatsächlich zum Duell gegen Joshua ─ ehemaliger zweifacher Weltmeister im Schwergewicht und 2012 Olympiasieger im Superschwergewicht ─ kommen und dieser den Kampf ernsthaft angeht, was bei der ausgelobten „Kampfbörse“ zu vermuten ist, dann besteht für Jake Paul im schlimmsten Fall Lebensgefahr; gesund wird er den Boxring mit Sicherheit nicht verlassen. Sport.de schlussfolgert deshalb:
„Wir leben in verrückten Zeiten. Mit Blick auf das Preisboxen lässt sich gar sagen: Wir leben in der dümmstmöglichen Realität.“
Ist das nur im Preisboxen so? Ich frage für einen Freund.

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