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Das Schwert im Informationskrieg

Das Schwert im Informationskrieg

Das neue Buch von Patrik Baab liefert einen Werkzeugkasten, um fundierte Kritik an der herrschenden Meinung zu üben.

Journalismus, Medien, Westend: Das hat schon immer gepasst. Jetzt geht der Verlag noch stärker in Richtung Wissenschaft und Ausbildung. Auf ein Lehrbuch von Sabine Schiffer (2021) und den Start der Open-Access-Plattform Westend academics folgt nun eine Handlungsanleitung für die Recherche, die nicht nur in die Bibliotheken von Redaktionen und Journalistenschulen gehört.

Patrik Baab hat sich mit investigativen Filmen einen Namen gemacht und als Buchautor (vergleiche Baab/Harkavy 2019). In seinen bekanntesten Arbeiten geht es um politische Morde und damit auch um Geheimdienste. Wenn so ein Mann über die Recherche schreibt, dann weiß er, wovon er spricht. Patrik Baab weiß auch, was junge Leute brauchen, wenn sie sich auf den Weg machen. Sein neues Buch stützt sich auf Material, das er für Seminare an Hochschulen in Kiel und Berlin entwickelt hat. Wenn man so will: Ich spreche hier über das Vermächtnis eines gestandenen Praktikers und erfahrenen Lehrbeauftragten.

Zielgruppe eins ist folgerichtig der Nachwuchs. Wer in den Journalismus möchte oder dort gerade angekommen ist, findet bei Patrik Baab buchstäblich alles — so es denn in diesem Beruf nicht nur noch darum gehen sollte, Fremdmaterial zu sichten, für die Veröffentlichung fertig zu machen und auf den digitalen Plattformen für ausreichend Wirbel zu sorgen. Wo finde ich meine Themen? Wie bereite ich mich auf Gespräche vor, und wie prüfe ich das, was mir dort gesagt oder zugesteckt wird? Wie schütze ich meine Quellen? Was muss ich bei Interviews beachten, wie schreibe ich meine Ergebnisse so auf, dass andere mir folgen können, und wie begeistere ich eine Redaktion dafür?

Ein paar Antworten im Schnelldurchlauf, von mir auch deshalb als Imperative formuliert, weil sich Patrik Baab auf den Meister aus Königsberg stützt: Öffne Augen und Ohren! Starre nicht nur auf den Bildschirm! Rede mit den Menschen! Frage dabei vor allem nach dem, was sonst überall fehlt! Bereite dich vor! Wenn du glaubst, damit fertig zu sein: Suche so lange weiter, bis du wirklich alles weißt! Vergiss dabei nie, „wie weit die Überwachungsmöglichkeiten inzwischen gehen“ (Seite 84)! Und: Experimentiere, auch mit der Form!

Zielgruppe zwei dürften damit Baabs Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen sein. Auch nach vielen Jahren im Job sollte es guttun, wieder daran erinnert zu werden, warum man einst in den Kampf gezogen ist. Ich schreibe das im Konjunktiv, weil dieser Recherche-Leitfaden zugleich eine Anklageschrift ist. Wer liest schon gerne, dass er zum „Apologeten der Mächtigen und zum Verteidiger des Status quo“ geworden ist (Seite 9)? Wer mag darauf gestoßen werden, dass die Kantine „für viele Journalisten der direkteste Kontakt zur Wirklichkeit“ ist (Seite 42)? Wer will bei einem solchen Kaffeeklatsch noch hören, dass der Name Claas Relotius eher für ein „System“ steht (vergleiche Moreno 2019) als für einen Einzeltäter, den man pathologisieren kann? Patrik Baab: „Offenbar ist schon klar, wie die Geschichte auszusehen hat, bevor die Vor-Ort-Recherche überhaupt beginnt“ (Seite 160).

Das führt direkt zur dritten und größten Zielgruppe – zum Medienpublikum und damit zu uns allen.

Patrik Baab hat dieses Buch geschrieben, weil er an die „Gedanken der Aufklärung“ glaubt, an die „Einhegung politischer Macht“ sowie an Kritik und Kontrolle als „journalistische Kernaufgabe“ (Seite 9).

Recherchieren ist für ihn ein „oppositionelles Konzept“ (Seite 13), weil es hier darum gehe, „Falschinformationen und Rechtfertigungslügen der Machteliten“ zu widerlegen (Seite 12).

Für die geneigte Leserschaft jenseits der gut bezahlten Schreibstuben hat dieser Ansatz zwei Vorteile. Zum einen liefert Patrik Baab eine erhellende Analyse des „Zerfalls bürgerlicher Öffentlichkeit“ (Seite 189), die Rainer Mausfeld (2018) folgt, die „Krise des modernen Finanzkapitalismus“ als zentrale Ursache benennt (Seite 189) und neben der inhaltlichen Verarmung — Stichwort: Raum des Sagbaren — auch die „Verfahrensebene“ thematisiert (Seite 194), inklusive „Kontaktschuld“, „Diskurs-Polizei“ und „Signalbegriffen“ wie Querfront, Rechtsextremist oder Verschwörungstheoretiker (Seite 196). Zwei Zitate:

  • „Identitätspolitische Denkfiguren sind nahtlos anschlussfähig an antidemokratische Diskursstrategien“ (Seite 196). Und mit Blick auf die „Epoche des Einverständnisses“:
  • „Das schleichende Gift globaler Konkurrenz, prekärer Beschäftigung und staatlicher Repression erzeugt eine beständige Abstiegs- und Versagensangst, die vorauseilenden Gehorsam erzwingt“ (Seite 197).

Zum anderen sind viele der Tipps für das Recherchieren auch für den alltäglichen Medienwahnsinn mehr als brauchbar – etwa, wenn es um die Wortwahl geht (die „Annexion“ der Krim, Seite 164), um „alternative Fakten“, die keineswegs nur aus dem Internet kommen (Seite 110), oder um Wege aus der Manipulationsfalle. Die vier Fragen von Patrik Baab (Seite 96), gewissermaßen als Appetitanreger:

  • Wo werden „Fakten zu Meinungen deklariert“?
  • Wo wird „die Darstellung so fragmentiert“, dass „der Sinnzusammenhang verloren geht“?
  • Wo werden Fakten so aus „dem Zusammenhang gelöst“, dass „sie als isolierte Einzelfälle erscheinen“?
  • Und wo werden Fakten „in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt“?

Vermutlich ist die Medienforschung zu klein, um von einer vierten Zielgruppe sprechen zu können. Mir persönlich hat Patrik Baab eine Idee vermittelt, wie das journalistische Selbstverständnis der Zukunft aussehen könnte:

„Tendenziell bedroht von sozialem Abstieg und Prekarisierung, wäre der Platz des Rechercheurs eigentlich an der Seite jener, die ebenfalls Prekarisierung und sozialen Abstiegsängsten ausgesetzt sind. Nicht an der Seite der Machteliten, sondern an der Seite der abhängig Beschäftigten, vom Klimawandel Bedrohten, von Deklassierung Betroffenen“ (Seite 224).

Ergebnis wäre so ziemlich das Gegenteil der Medienrealität, die wir im Moment erdulden müssen (vergleiche Ungar-Sargon 2021). Ein Buch also, das aktueller und wichtiger nicht sein könnte.


Recherchieren: Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung.


Quellen und Anmerkungen:

Literaturangaben:


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