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Das Verhängnis der Ukraine

Das Verhängnis der Ukraine

Das Land, das jetzt zum Kriegsschauplatz wurde, ist eher Spielball als selbstständiger Akteur — darin spiegelt es unsere Situation als Deutsche.

Zwei Züge rasen aufeinander zu: Russland und die Ukraine. Die Dynamik speist sich aus dem Einfluss, den ausländische Machtzentren in der Region haben. Überleben wird die Karambolage jene Seite, die in der Lage ist, die Kontrolle über sich selbst zu erlangen. Das wird nicht die Ukraine sein.

Imperialismus besteht nach dem marxistischen Nationalökonom Henryk Grossmann, so lange es unterschiedliche Profitraten gibt und ökonomisch weniger weit entwickelte Länder sich gegen ihre Benachteiligungen beim Warenaustausch nicht wehren können. Notfalls werden die Daumenschrauben angezogen. Am Ende wird der Krieg zur Absicherung von Dominanz mit anderen Mitteln. Zwei Länder schafften es im letzten Jahrhundert, aus dem Korsett eines sie zu Verlierern stempelnden Weltmarktes auszubrechen: Russland und China.

Die russische Revolution wie später die chinesische hatte nur wenig mit Sozialismus oder Kommunismus zu tun. Es waren erfolgreiche Versuche, nationale Selbständigkeit zu erreichen. Der Feind stand nicht nur außen, weshalb der Kampf im ideologischen Rahmen jener Klassen ausgefochten wurde, die sich als einzige gegen die vom Ausland abhängige Bourgeoisie gestellt hatten: die der Arbeiter und Bauern. Eine wirkliche Bewegung von Arbeitern, das heißt ihre Emanzipation zu selbstbestimmt auftretenden Akteuren hatte bei den Bolschewiki kaum jemand im Sinn. Ziel der neuen Machtzentren war nicht die Befreiung des Menschen, sondern der Produktivkräfte.

China hat den Balanceakt zwischen Öffnung und Abgrenzung so erfolgreich bewältigt, dass es zum Alptraum der USA wurde und ihre militärisch, wirtschafts- und finanzpolitisch benötigte Hegemonialstellung bedroht. Russlands Weg hin zu einem globalen Machtfaktor war ebenfalls eindrucksvoll, führte jedoch ab den 1990er Jahren durch die Hölle ausländischer Kapitalherrschaft und Ausbeutung nationaler Ressourcen. In der Ukraine nahm diese Hölle nie ein Ende. Geht man in der Geschichte weiter zurück als bis 2014 oder 1991, dem Jahr der Loslösung des jetzigen Staatsgebildes von der Sowjet Union, kann man unschwer die Abhängigkeit des ukrainischen Staates von fremden Mächten als ein historisch durchgängiges Merkmal erkennen.

Vom „Grenzland“ Polen-Litauens zum NS-Vasallenstaat

Es klingt wie Moskauer Desinformation, daß Kiew gegen Ende des 9. Jahrhunderts Hauptstadt des russischen Staates und dessen geistiges wie kulturelles Zentrum wurde. Im 10. und 11. Jahrhundert reichte die Kiewer Rus von der heutigen russisch-finnischen Grenze bis etwa 200 km vor der Dnipre-Mündung. Ab dem 16. Jahrhundert kamen südwestliche Gebiete und Galizien-Wolhynien unter die Herrschaft des Großfürstentums Litauen, das später Teil des Reichs Polen-Litauen wurde.

Östlich davon entstand wie ein Puffer zum sich ausdehnenden Großfürstentum Moskau ein Grenzland, Namenspatron des Landstrichs am mittleren Dnipre: Ukraina. Deren sehr spezifische „Selbständigkeit“ zeichnete sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs ab, als die erste und am längsten bestehende ukrainische Militäreinheit, die Schützentruppe Sich, gegründet wurde: Sie war in die österreichisch-ungarische Armee integriert, die den Oberbefehl hatte (1).

Teile davon unterstellten sich, aus der Gefangenschaft entlassen, nach der Oktober/November Revolution 1917 der am 25. Januar 1918 in Kiew verkündeten Ukrainischen Volksrepublik. Nachdem zwei Wochen später, am 8. Februar 1918, die Bolschewiki Kiew eroberten, stießen die im wesentlichen aus dem Bündnis Deutsches Reich-Österreich-Ungarn bestehenden Mittelmächte etwa bis zu den ukrainischen Grenzen von 1991 vor.

Am 9. Februar 1918 schloss die Volksrepublik Ukraine einen Separatfrieden mit den Mittelmächten, die nicht die konterrevolutionären „Weißen“, die russischen Zaristen, unterstützten, sondern eine teils vorhandene, teils zu kreierende Bewegung von Reaktionären, die sich ganz von Russland abspalten wollten. Das war die Geburtsstunde des ukrainischen Nationalismus, für den der deutsche Generalstab als Geburtshelfer Pate stand.

Die Mittelmächte sorgten dafür, dass Sowjetrussland im Friedensvertrag von Brest-Litowsk die Ukraine anerkannte, setzten aber wegen ihrer Ansicht nach unzureichender Lebensmittellieferungen am 29. April 1918 deren Regierung ab. Der von ihnen installierte frühere zaristische General Pawlo Skoropadsky stützte sich innenpolitisch auf autoritäre, konservative Schichten. Als die Mittelmächte als Machtfaktoren ausschieden, drang Polen 1920 nach Minsk und bis Kiew vor. Von den Sowjets zurückgeschlagen, wurde im Frieden von Riga 1921 die Ostgrenze Polens gut 300 km östlich der von den Alliierten gemäß der ethnischen Anteile anvisierten Curzon-Linie vereinbart. Für den polnischen Staatschef Josef Pilsudski war das enttäuschend. Alle Träume von einem Groß-Polen im Verbund mit einer litauisch-weissruthenisch-ukrainischen Föderation platzten endgültig, als im Dezember 1922 die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR) gegründet wurde.

Die Ukraine als Extremfall autoritärer Tendenzen in Osteuropa

Nationalismus, Militarismus und Autoritarismus sind keine Marotten, die sich in den Ländern Osteuropas aus einer krankhaften Abneigung gegen alles Russische erklärten. Wir haben es zu tun mit antisozialen, antiemanzipatorischen Tendenzen zur restaurativen und diktatorischen Absicherung alter Besitzstände, vor allem der Landgüter, sowie der Durchsetzung militaristischer Gewaltherrschaft.

Beispielhaft war der Terror der deutschen Freicorps, die dann in ihrer Heimat zusammen mit der Sozialdemokratie den Grundstein legten für den Aufstieg der NSDAP.

Die restaurativen Diktaturen reichten von Finnland, übers Baltikum und Polen bis nach Ungarn und Rumänien. Sie bildeten den Kern des Projektes eines cordon sanitaire vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer, das der Council on Foreign Relations seit 1922 verfolgte. Es wurde wiederbelebt, als sich Hitler 1943 in der Panzerschlacht bei Kursk als unzuverlässig in seiner ihm schon sehr früh zugedachten Rolle als Bollwerk gegen den Bolschewismus erwiesen hatte (2).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Sicht der westlichen Bevölkerung auf Osteuropa mittels noch heute verwendeter Klischees bearbeitet. Jedes Zeichen von Unzufriedenheit galt als sehnsüchtiges Streben der Völker nach den Werten einer unter Führung der USA kapitalistisch organisierten Gesellschaft. Die Forderungen der Arbeiter nach Selbstbestimmung, die autonomen Organisationen 1953 in Ostdeutschland, 1956 in Polen und Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei sowie ab 1980 wieder in Polen gingen unter wie 1989/90 jene Dissidenten in der DDR, die nicht mit den westdeutschen Machtzentren und ihren Medien konform gingen (3).

Lech Walesa war und ist in Polen eine Galionsfigur wie Vaclav Havel in Tschechien. Sie brachen den demokratischen Bewegungen die Spitze und formierten ihre Länder zu dem, was Donald Rumsfeld in launiger NS-Terminologie das „Neue Europa“ nannte. Wenn ständig eine „friedliche Revolution“ gepriesen wird, kommt nur zum Ausdruck, dass sie von dominanten Kräften umgestaltet werden konnte, bis es keine war.

Einer der wenigen, die sehr früh das Verhängnis der osteuropäischen „Demokratie“-Bewegungen sah, war der rätekommunistische Theoretiker Paul Mattick – so klar, dass sein Beitrag für eine Aufsatzsammlung in den 1960er Jahren von Erich Fromm als dem Ostblock-Publikum nicht zuträglich erachtet wurde (4). Die Entwicklung der meisten Dissidenten mit ihrer kritiklosen Einstellung gegenüber dem Westen, der auf ihre Unterstützung sämtlicher Massaker weltweit, enthemmter Wirtschaftsinteressen und russlandfeindlicher Kräfte rechnen konnte, hat Mattick Recht gegeben. Diese Koalition, die typisch wurde im „Neuen Europa“, zeichnete sich seit Langem ab.

In den Baltischen Staaten entstanden im Zweiten Weltkrieg starke SS-Verbände, an die Deutschland noch heute Kriegsopferpensionen zahlt. 110.000 Letten und 70.000 Esten kämpften in verschiedenen NS-Verbänden gegen die Rote Armee, 84.000 Westukrainer in der SS. Ihr Hass bezog sich auch auf die polnisch stämmige Bevölkerung, die nach dem Ersten Weltkrieg in hauptsächlich von Weißrussen und Ukrainern bewohnten Gebieten angesiedelt wurde.

In sehr landesspezifischer Blindheit strebte Polen nach 1933 danach, seine antisemitischen und faschistischen Tendenzen mit Nazi-Deutschland abzustimmen. Das war der Zusammenhang, in dem, so Jacques Pauwels, „von der Propagandamaschinerie von Goebbels in Zusammenarbeit mit Polen und dem Vatikan ein neuer Mythos heraufbeschworen (wurde), nämlich die Fiktion einer von Moskau inszenierten Hungersnot in der Ukraine“ (5).

Polnische und deutsche Militärinterventionen sollten als humanitäre Aktionen dargestellt werden. Dieses Konstrukt erfreut sich als zentraler Schöpfungsmythos des ukrainischen Staates bester Gesundheit.

Schon die polnische Bevölkerung bezahlte bitter den nationalistischen Größenwahn ihrer Führungsschicht. Nach 1939 wurde sie zu Millionen von den Nazis ermordet, nach 1941 zu Zehntausenden von deren ukrainischen Verbündeten, den etwa 200.000 Milizionäre umfassenden faschistischen Gruppierungen unter Leitung von Stepan Bandera.

Farbrevolution, Maidan, EU und NATO

Der Zweite Weltkrieg war kaum zu Ende, als US-Geheimdienste die versprengten Verbände der ukrainischen Hilfstruppen aus den Händen von Reinhard Gehlen, Wehrmachtsgeneral und Chef der „Aufklärungsgruppe“ Fremde Heere Ost, unter ihre Fittiche nahmen. In der Sowjetunion waren sie aktiv bis zu ihrer endgültigen Zerschlagung Mitte der 1950er Jahre. Die Wiederbelebung gelang endgültig 2004, als in der Ukraine mit Unterstützung der USA eine „Revolution“ veranstaltet wurde.

Präsident Viktor Juschtschenko erklärte Bandera zum Nationalhelden. Des Weiteren sollte der „ukrainischen“ Identität durch eine NATO-Mitgliedschaft eine weitere Korsettstange eingezogen werden: Russland sei im Bewusstsein der Bevölkerung als Feind zu verankern. Umgekehrt stehe, so ein Parlamentsbeschluss, „der komplette und totale Sieg des ukrainischen Nationalismus“ erst dann fest, „wenn das russische Reich aufgehört hat zu existieren“. 

2008 verschwand die CIA-Marionette zwar in der Versenkung einer desaströsen Wahlniederlage, aber am 22. Februar 2014 konnten die USA die Rendite für die fünf Milliarden US-Dollar, die sie seit 1990 in die Bearbeitung der ukrainischen „Öffentlichkeit“ investiert hatten, einstreichen: eine Koalition aus Antisemiten, Apologeten der Nazi-Kollaboration, westlich orientierten Oligarchen sowie neoliberalen Kräften riss in einem Staatsstreich die Macht an sich. Wahlniederlagen wurden fortan ausgeschlossen, ablehnende Einstellungen der Bevölkerung gegen einen NATO-Beitritt irrelevant. Alle Oppositionsparteien wurden teils „legal“ verboten, teils auch mörderisch verfolgt.

Der ukrainische Nationalismus ist kein organisch entstandenes, autonom lebensfähiges, von seinen Trägern konstruktiv zusammengehaltenes Gebilde. Dazu hätte es einer dem Vielvölkercharakter der Ukraine angemessenen Politik bedurft. Doch das Programm entsprach nur den Bedürfnissen von Fanatikern, die einen ethnisch „reinen“ Volkskörper anstrebten.

Dabei waren und bleiben sie auf ausländische Geldgeber angewiesen. Ansonsten ist mit ihnen, wie man so sagt, kein Staat zu machen.

Der autoritäre, antisoziale, destruktive, wirtschaftlich ruinöse Charakter ihrer ökonomisch von neoliberalen Zwangsmaßnahmen zusätzlich verrotteten Anschauungen führte verstärkt ab 2014, wie zuvor schon in den Baltischen Staaten, zu einem drastischen Bevölkerungsverlust durch Abwanderung. Die Zahlen gingen zurück von etwa 52 Millionen bis etwa 38 im Jahr 2022. Seitdem sind noch einmal Millionen unter russische Oberhoheit geraten oder geflohen — viele davon in den Westen aufgrund sicher lang gehegter Pläne. Die aktuelle Bevölkerungszahl in den unter Kiewer Kontrolle liegenden Gebieten dürfte zwischen 18 und 22 Millionen liegen.

Das Bündnis einer korrupten Oligarchie mit ausländischen „Investoren“, die wie kolonialistische Plünderer agieren, führte zu einer rapiden, mit den russischen Jelzin-Jahren zu vergleichenden Verelendung der Bevölkerung, einer sozialen und demographischen Katastrophe sowie einer verheerenden Dominanz ausländischer, insbesondere US-amerikanischer und britischer Interessen. Für sie ist das Gebiet der Ukraine zusätzlich von geopolitischem, gegen Russland gerichtetem Gewicht (6). Die Menschen, die dort leben, sind ohne Belang — wenn man von ihrer Verwendung als Kanonenfutter und Objekte der Ausbeutung absieht. Das aber ist ihr Schicksal in jedem Land, das von der Gnade ausländischer Mächte abhängig ist.

Für diese Tragik war die Ukraine auf Grund ihrer Geschichte besonders empfänglich. Von ihrer wann immer zu datierenden Geburtsstunde an waren die innenpolitischen Kräfte zu schwach und die ausländischen zu stark, um eine eigenständige Entwicklung voranzutreiben.

Sie ist nicht möglich unter Bedingungen, unter denen auch die EU alle Länder mit schwächeren Ökonomien in Protektorate verwandelt. Die Rede ist von gemeinsamen Werten, aber es sind die Werte der EU, die gemeinsam werden sollen. Ein Land wie die Ukraine wird damit an die Wand gedrückt, woran 2013 die „ausgehandelten“ Verträge keinen Zweifel ließen. Es sind Diktate, was Faschisten vernachlässigen können. Ihr zentrales Anliegen besteht im Streben nach Herrschaft, Ausbeutung und Missachten von Menschenrechten. Gleiches gesellt sich zu Gleichem.

Das Verhängnis der Ukraine besteht in der Abhängigkeit von ausländischen, Russland feindseligen Protektoren: im Mittelalter Polen/Litauen, in der Neuzeit zunächst die Mittelmächte, anschließend Nazi-Deutschland und schließlich die USA. Dieser Geburtsfehler wurde 2014 zum Alptraum, auch für die Ukraine. Solange sie sich nicht ihres Vorteils als Brücke zwischen Ost und West bedient, hat das Land keine eine andere Funktion als Frontstaat zu sein gegen seinen östlichen Nachbarn.

Je erfolgreicher die Ukraine diese Aufgabe erfüllt, um so sicherer ist sie zum Scheitern verurteilt. Schon ab 1991 führte der despotische Charakter ihrer Machthaber zum faktischen Staatsbankrott 2014, der nur mit westlichen Milliardenkrediten abgewendet werden konnte. Endgültig sabotiert wurde die nationale Eigenständigkeit mit der faschistischen Machtergreifung.

Den Niedergang fasste Mick Wallace, irischer EU-Abgeordneter prägnant zusammen:

„Der Schaden für die Ukraine ist verheerend. Dörfer und Städte, die Hunderte von Jahren überdauert haben, existieren nicht mehr. Wir müssen erkennen, dass diese Städte und das umliegende Land seit Langem von lokalen Oligarchen in Zusammenarbeit mit dem globalen Finanzkapital gestohlen wurden. Dieser Diebstahl hat sich mit dem Ausbruch des Krieges im Jahr 2014 beschleunigt.“

Massive Strukturanpassungs- und Privatisierungsprogramme der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, des IWF und der Weltbank hätten den Ausverkauf der Unternehmen beschleunigt. Oppositionsparteien, die sich gegen äußerst unpopuläre „Reformen“ der Gesetze zur Beschränkung des Verkaufs von Land an ausländische Investoren wehrten, wurden verboten. Wofür, sollte sich nicht nur Wallace fragen, stirbt die Arbeiterklasse der Ukraine? Der Weg zur nationalen Einheit mittels ethnischer Reinheit führt über Leichen und in den Untergang. Diesem Schicksal wird sich Russland dank der westlichen Strategie entziehen können.

Die Notwendigkeit einer nachgeholten Zeitenwende

Russland sollte in die Enge getrieben werden — was scheinbar gelang. Der Fehler, der dabei unterlief, war nach dem chinesischen Kriegsstrategen Sun Tsu einer der fatalsten, der Opponenten unterlaufen kann: eine Überschätzung sowohl der eigenen Stärken und als auch der Schwächen des Gegners.

Nach dem Ende der Goldgräberstimmung unter Jelzin starteten Pressionen, mediale Kampagnen, immer dreistere Gebärden und eine seit dem Schwindel um den Magnitzky-Act von 2012 ständig weiter gedrehte Spirale aberwitziger Sanktionen, die das Klima vergifteten. Höhepunkt war der groteske Schwindel „Russiagate“, einem mit gezielter Unterstützung der Medien zusammenfantasierten und -gelogenen Konstrukt, das die Einmischung Russlands generell in westliche Inlandsangelegenheiten, speziell in die US-Wahl 2016 belegen sollte (7). Unter dem Aspekt der ständigen Zunahme der Feindseligkeiten, untermauert von einem dramatisch verstärkten, seitens der deutschen „Grünen“ noch angefeuerten Beschuss der Bevölkerung im Donbass blieb Russland kaum kein anderer Ausweg als der Befreiungsschlag vom 24. Februar 2022.

Es ist sinnlos, darüber zu streiten, ob das ein Fehler war, wenn man nicht sieht, dass die Fehler, auf denen die Entscheidungen basierten, lange vorher begangen wurden. Renommierte Wissenschaftler wie John Mearsheimer lassen keinen Zweifel daran, dass Putin acht Jahre lang getäuscht, belogen und über den Tisch gezogen wurde. Am Ende habe er über keinerlei Optionen verfügt (8). Ein Fehler war, sich so lange betrügen haben zu lassen, ein anderer war politökonomischer Art.

Putin hat nach Jelzin das Ruder herumgerissen, doch den wesentlichen Konstruktionsfehler in den Beziehungen zum westlichen Ausland beibehalten: den Verzicht auf eine national eigenständige Industrie- und Finanzpolitik, wie er in ökonomisch schwächeren Ländern und auch in der Ukraine anzutreffen ist. Man kann von einem systemischen Muster imperialistischer Beziehungen sprechen.

Russland strebte ab 2000 ans rettende Ufer, zögerte aber zu lange, sich aus den Fallstricken westlicher Strukturen zu befreien (9). Damit wurde der Westen zusätzlich zur Tollkühnkeit provoziert. Offenbar sind Kreise im Moskauer Establishment Illusionen erlegen gewesen, bei konziliantem Verhalten ließe sich zu einem für beide Seiten verträglichen Modus Vivendi kommen. Ein Irrtum. So mussten nach vielen Täuschungen und Enttäuschungen komplett andere Saiten aufgezogen werden.

Der große Wandel besteht nicht im Angriff auf die Ukraine. Die von einem vergesslichen und auch sonst fahrigen Bundeskanzler herausposaunte „Zeitenwende“ wird markiert von der Abkehr Russlands vom Westen hin zu Wirtschafts-, Finanz- und Währungsstrukturen, die zusammen vor allem mit China, aber „auch“ mit quasi dem Rest der Welt minus den G7-Staaten entwickelt werden sollen beziehungsweise bereits im Aufbau sich befinden. Dieser Weg ist langwierig, aber mit Sicherheit unumkehrbar.

Der Westen, allen voran die USA und ihre europäischen Vasallen, von den osteuropäischen Laufburschen zu schweigen, hat sich verrechnet und verrannt. Das macht jede Lösung für die Ukraine so schwierig.

Ein Schrecken ohne Ende wäre angesichts der drohenden Niederlage das Eingreifen der US-NATO mit dem Ergebnis einer Korea-Lösung. Das könnte man zwar angesichts der Möglichkeit einer noch größeren Eskalation als den positiveren Ausgang ansehen. Doch wäre damit auch verbunden ein unendlicher Kalter Krieg mit der Permanenz von Kriegswirtschaft, ökonomischen Krisen, Inflation sowie des ganzen Katalogs an sozialen Pressionen und Repressionen.

Ein Ende mit Schrecken würde die Einsicht in der westlichen Casino-Welt voraussetzen, dass sie sich verzockt hat. Da wird man keine Wunder erwarten dürfen. Spielernaturen sind wie betäubt, wenn sie die Gunst der Stunde auf ihrer Seite wähnen. In unserem Fall setzten sie zwei Züge in Gang und berücksichtigten nicht die Möglichkeit, dass eine der Lokomotiven zu ihrer Spur zurückfinden könnte. Es wird nicht die Ukraine sein, die in der Lage wäre, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Ihre ganze Geschichte, die gleichsam eine Blaupause ihres aktuellen Status abgibt, spricht dagegen.

Ihre westlichen Strippenzieher wiederum gedachten nie, schon gar nicht seit Februar 2022, Haltesignale zu setzen. Sie haben Blut geleckt und sind in Panik. Eher bremst sich ein tollwütiger Fuchs im Hühnerstall. Man wird ihm wie auch immer zur Hand gehen müssen, was vornehmlich Aufgabe der eigenen Bevölkerung wäre. Sie hätte allen Grund, ihren Regierungen und sonstigen Spekulanten in den Arm zu fallen. Sie ist es, der es an den Kragen geht, wogegen sich zu wehren in der Ukraine auch aufgrund ihrer historischen Entwicklung sicher besonders schwierig ist.

Aber mein Gott, wo wäre es einfach, und Gründe zu versagen, gibt es viele. Traditionen, an die sich anknüpfen ließe, allerdings auch. Sie aufzuspüren, wäre eine buchstäblich eigene Geschichte und solchermaßen ein Teil der Lösung unserer Probleme. Es wären Traditionen emanzipatorischer Bewegungen, die das Selbstbewusstsein der Menschen stärken, das heißt ihre Fähigkeit, sich unabhängig von außer ihnen liegenden Mächten organisiert-autonom zu assoziieren.

Wir dürfen uns nichts vormachen: Im Verhängnis der Ukraine, abhängig und unselbständig zu sein, spiegelt sich unser eigenes Schicksal, fremdbestimmt zu sein von einem technokratisch-pharmazeutisch-militärischen Komplex und den von ihm infiltrierten Institutionen in Bildung, Medien, Parlamenten, „Stiftungen“ und „Think Tanks“, den Panzertruppen und Schutzstaffeln der alltäglichen Indoktrinationen.

Russlands Weg aus diesem Dilemma mag als Versuch gesehen werden, sich nicht geschlagen zu geben. Der Weisheit letzter Schluss konnte er schon deshalb nicht sein, weil sein Rahmen vorgegeben war durch die Aggressivität des Westens. Da unterlaufen Fehler.

Kommt es hierbei zu „Rückschlägen“, wie Chalmers Johnson lakonisch die Folgen eigener Fehlentscheidungen nannte, schlägt die Stunde moralisierender Entrüstung. Doch sie gebiert nur Gewäsch und weitere Abgründe des Versagens. Zu lamentieren, das Unheil sei nicht vorhersehbar gewesen, sind Ausflüchte von Leuten, die es sehenden Auges herbeigeführt haben. Jetzt hilft weder Sprechblasenrhetorik noch Wunschdenken. Das Desaster ist entstanden im Rahmen bestimmter Verhältnisse, die es zur Linderung und Überwindung ihrer destruktiven Folgen zu verändern gälte. Das wäre zu schaffen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Éric Aunoble, De Lviv à Kiev, aux sources du patriotisme. Ferveur populaire et aversions culturelle pour la Russie, LE MONDE diplomatique, Janvier 2023
(2) Laurence Shoup/ William Minter, Kulissenschieber e.V., Der Council on Foreign Relations und die Außenpolitik der U.S.A., Bremen/Berlin 1981, 37
(3) Catherine Samary, Quand les peuples de l’Est luttaient au nom de l’idéal communiste. Des mouvements oblitérés par les discours de L’Après-1968, LE MONDE diplomatique Mars 2020
(4) Gary Roth, Marxism in a Lost Century. A Biography of Paul Mattick, London 2015, 260f, 270
(5) Pauwels, Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939: Mythos und Wirklichkeit (Teil 2), MAGMA – Magazin der Masse 23. Nov. 2022, https://magma-magazin.su/2022/11/jacques-r-pauwels/der-hitler-stalin-pakt-von-1939-mythos-und-wirklichkeit-teil-2/
(6) siehe etwa Natylie Baldwin, Ukraine’s Big Mistake. From criminality during Perestroika and privatizations to the problem with Russia’s “imperialist war” designation, Natylie Baldwin discusses a wide range of subjects with the author of The Catastrophe of Ukrainian Capitalism [Renfrey Clarke], Consortium News 8. Mai 2023, https://consortiumnews.com/2023/05/08/ukraines-big-mistake/?eType=EmailBlastContent&eId=806c4d53-d2f2-43ab-b53f-816ebaa25477; Maxim Goldarb, Die ukrainische Wirtschaft ist verschwunden, Globalbridge 15. Mai 2023, https://globalbridge.ch/die-ukrainische-wirtschaft-ist-verschwunden/ oder: Europe’s Breadbasket and the Shock Doctrine. Will ballooning wartime debt allow agribusiness to make a feast of Ukrainian agriculture? Truthdig 27. Febr. 2023, https://www.truthdig.com/articles/europes-breadbasket-and-the-shock-doctrine/
(7) Jimmy Dore, Russiagate Was A Hoax! Says Justice Dept’s Durham Report, The Jimmy Dore Show 18. Mai 2023, https://www.youtube.com/watch?v=dV-haiGFrV8&t=1801s
(8) siehe nur das Interview von Judge Napolitano mit Ray McGovern: Putins Plan für die Ukraine jetzt, Seniora.org. 26. Mai 2023, https://seniora.org/politik-wirtschaft/putins-plan-fuer-die-ukraine-jetzt-ray-mcgovern
(9) siehe nochmals Baldwin, Ukraine’s Big Mistake


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