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Der Gegenschlag

Der Gegenschlag

Die USA bemühen sich verzweifelt ihren Bedeutungsverlust auf dem eurasischen Kontinent aufzuhalten.

von Mike Whitney

Wie Brzezinskis Schachbrett zur Brennans Russophobie degenerierte

„Russland ist ein unveränderlicher und natürlicher Teil des größeren Europa und der europäischen Zivilisation. Unsere Bürger fühlen sich selbst als Europäer. Aus diesem Grund empfiehlt Russland die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes vom Atlantischen bis zum Pazifischen Ozean, eine Gemeinschaft, die von russischen Experten ‚die Union Europas‘ genannt wird, und die Russlands Potential in seiner wirtschaftlichen Wende in Richtung des ‚Neuen Asiens‘ stärken wird“ — Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, Februar 2012.

Die Behauptungen einer ‚russischen Einmischung‘ ergeben nur Sinn, wenn sie in einen größeren geopolitischen Kontext eingeordnet werden. Sobald wir erkennen, dass Washington eine aggressive „Eindämmungs“-Politik zur militärischen Einkreisung Russlands und Chinas verfolgt, um seine Tentakel über ganz Zentralasien ausstrecken zu können, verstehen wir, dass Russland nicht der Verbreiter von Feindseligkeiten und Propaganda ist, sondern ihr Opfer. Die Behauptungen russischer Hackerangriffe sind Teil eines größeren asymmetrischen Informationskrieges, an dem inzwischen das gesamte Washingtoner Polit-Establishment teilnimmt. Ihr Ziel ist, einen aufstrebenden Rivalen methodisch zu schwächen und gleichzeitig die weltweite US-Vorherrschaft neu zu bestärken.

Versuchen Sie sich einen Moment lang vorzustellen, die angeblichen Hackerangriffe seien nicht Teil eines bösartigen Plans von Wladimir Putin, um in den Vereinigen Staaten „Zwietracht und Uneinigkeit zu sähen“, sondern man hätte sie sich ausgedacht, um eine externe Bedrohung zu schaffen, die eine aggressive Reaktion Washingtons rechtfertigen würde. Genau darum geht es bei „Russiagate“.

Der geopolitische Hauptpreis

US-Politiker sowie ihre Verbündeten im Militär und in den Geheimdiensten wissen, dass die Beziehungen mit Russland gezwungenermaßen zunehmend konfrontative Züge annehmen werden, hauptsächlich, da Washington bestrebt ist, seinen ehrgeizigen Plan der „Hinwendung“ nach Asien zu verfolgen. Der Fokus dieser neuen regionalen Strategie liegt auf „der Stärkung bilateraler Sicherheitsallianzen, der Ausweitung von Handel und Investitionen sowie der Schaffung einer breit aufgestellten Militärpräsenz“.

Kurz gesagt sind die USA bestrebt, ihre weltweite Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, indem sie militärische Außenposten in ganz Eurasien errichten — womit sie die Schlinge um Russland und China weiter zuziehen —, um ihre Position als dominanter Akteur in der bevölkerungsreichsten und wohlhabendsten Region der Welt zu bestärken. Dieses Konzept wurde in seinen Grundzügen erstmals vom Architekten des Washingtoner Plans zur Weltherrschaft, Zbigniew Brzezinski, vorgestellt. In seinem Hauptwerk von 1997, The Grand Chessboard: American Primacy And Its Geostrategic Imperatives (auf Deutsch erschienen als Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft; Anmerkung der Übersetzerin), fasst ihn Jimmy Carters ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater folgendermaßen zusammen:

„Für Amerika ist der geopolitische Hauptpreis Eurasien... Eurasien ist der größte Kontinent des Planeten und geopolitisch axial (entlang einer Achse ausgerichtet; Anmerkung der Übersetzerin). Eine Macht, die Eurasien dominiert, würde zwei der drei fortschrittlichsten und wirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt kontrollieren. ... Etwa 75 Prozent der Weltbevölkerung leben in Eurasien, und auch der Großteil des physischen Reichtums ist dort konzentriert, sowohl in seinen Unternehmen als auch unter seiner Erde. Eurasien erwirtschaftet 60 Prozent des weltweiten BIP und besitzt etwa drei Viertel der weltweiten Energieressourcen“ (Englisches Original zitiert nach: The Grand Chessboard: American Primacy And Its Geostrategic Imperatives, Zbigniew Brzezinski, Basic Books, page 31, 1997.)

Vierzehn Jahre nachdem diese Worte geschrieben wurden, nahm Außenministerin Hillary Clinton das Banner der imperialistischen Expansion auf und verlangte eine dramatische Wende der US-Außenpolitik, die vornehmlich darauf abzielte, Amerikas militärischen Fußabdruck in Asien zu vergrößern. Es war Clinton, die zuerst den Ausdruck „Hinwendung“ prägte, und zwar in einer Rede im Jahr 2010 mit dem Titel „Amerikas pazifisches Jahrzehnt“. Hier ein Auszug (englisches Original zitiert nach: „America’s Pacific Century“, Secretary of State Hillary Clinton, * Foreign Policy Magazine*, 2011):

„Während sich die Lage im Irak entspannt und Amerika mit seinem Truppenabzug aus Afghanistan beginnt, stehen die USA an einem Wendepunkt. Über die letzten zehn Jahre haben wir enorme Mengen an Ressourcen auf diesen beiden Schauplätzen bereitgestellt. In den nächsten zehn Jahren müssen wir klug und systematisch beim Investieren unserer Zeit und Energie vorgehen, sodass wir uns selbst in die beste Position bringen, um unsere Führungsrolle zu wahren, unsere Interessen zu sichern und unsere Werte zu fördern. Eine der wichtigsten Aufgaben der amerikanischen Staatspolitik für das kommende Jahrzehnt wird daher das Sichern bedeutend erhöhter Investitionen — diplomatischer, wirtschaftlicher, strategischer und weiterer Art — in der asiatisch-pazifischen Region sein ...“

„Freie Märkte in Asien verschaffen den Vereinigten Staaten beispiellose Möglichkeiten für Investitionen und Handel sowie den Zugang zu Spitzen-Technologien... Amerikanische Unternehmen müssen den riesigen und wachsenden Verbrauchermarkt Asiens anzapfen... Die Region generiert bereits mehr als die Hälfte der globalen Produktionsleistung und beinahe die Hälfte des globalen Handels. Während wir danach streben, Präsident Obamas Ziel zu erfüllen, den Export bis 2015 um das Doppelte zu steigern, suchen wir nach Möglichkeiten, noch mehr Handel in Asien zu treiben... und wir suchen nach Investitionsmöglichkeiten in Asiens dynamischen Märkten.“

Erhöhte Präsenz

Die „Wende”-Strategie ist kein belangloser Aufguss des „Great Game“ (zu Deutsch: „das Große Spiel“, der Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft über Zentralasien im 19. Jahrhundert; Anmerkung der Übersetzerin), wie Think-Tank-Phantasten und Verschwörungstheoretiker propagieren. Sie ist Washingtons Außenpolitik-Doktrin Nummer eins, eine Theorie des ‚Wiederausgleichs‘, die sich auf erhöhte militärische und diplomatische Präsenz der USA auf dem gesamten asiatischen Kontinent konzentriert. Natürlich haben die ominösen NATO-Truppenbewegungen an Russlands westlicher Flanke und Washingtons provokative Marineoperationen im Südchinesischen Meer in Moskau und Peking die Alarmglocken schrillen lassen. Der ehemalige chinesische Präsident Hu Jintao fasste die Situation folgendermaßen zusammen:

„Die Vereinigten Staaten haben ihre Militäreinsätze in der asiatisch-pazifischen Region verstärkt, sie haben das Militärbündnis mit Japan verstärkt, sie haben ihre strategische Zusammenarbeit mit Indien verstärkt, ihre Beziehungen zu Vietnam verbessert, Pakistan verführt, in Afghanistan eine pro-amerikanische Regierung eingesetzt, ihre Waffenverkäufe an Taiwan gesteigert — und so weiter. Sie haben ihre Außenposten erweitert und üben nun von Osten, Süden und Westen Druck auf uns aus.“

Russlands Präsident Wladimir Putin zeigt sich Washingtons unberechenbarem Verhalten gegenüber ähnlich kritisch. Die Ausbreitung der NATO gen Osten hat Putin davon überzeugt, dass die USA für absehbare Zukunft weiterhin eine zerstörerische Kraft auf dem Kontinent bleiben werden. Beide Staatsführer sorgen sich, dass Washingtons unermüdliche Provokationen zu einem unerwarteten Konflikt führen werden, der wiederum in einem Krieg endet.

Dennoch hat die politische Klasse die „Wende“-Strategie als einen letzten verzweifelten Versuch angenommen, die Zeit in die Nachkriegsära zurückzudrehen, als die Industriezentren der Welt in Trümmern lagen und die USA den einzigen Spieler auf dem Feld stellten. Inzwischen hat sich das Gravitationszentrum vom Westen in den Osten verlagert, wodurch Washington nur zwei Optionen bleiben: Die USA können den aufstrebenden Riesen in Asien erlauben, ihre Hochgeschwindigkeitszüge und Gasleitungen mit Europa zu verbinden und dadurch die weltgrößte Freihandelszone zu schaffen — oder sie können versuchen, alles über den Haufen zu werfen, indem sie Verbündete drangsalieren und Rivalen bedrohen, indem sie Sanktionen verhängen, um Wachstum zu bremsen und Währungen zu schwächen, und indem sie Dschihadisten bewaffnen, um ethnischen Hass und politische Unruhen zu befeuern. Die Entscheidung ist offensichtlich bereits gefallen. Uncle Sam hat sich entschieden, bis zum bitteren Ende zu kämpfen.

Eine „Wende“ als letzte Hoffnung

Washington verfolgt viele Wege im Umgang mit seinen Feinden, doch keine dieser Strategien hat das Wachstum seiner Konkurrenten im Osten gedämpft. China ist kurz davor, die USA in den kommenden beiden Jahrzehnten als weltgrößte Volkswirtschaft abzulösen, während Russlands Einmischung in Syrien Washington in seinem Plan zurückgeworfen hat, Bashar al Assad zu stürzen und seinen Griff nach dem rohstoffreichen Nahen Osten zu verstärken. Das Scheitern dieses Plans hat die politischen Entscheidungsträger der USA nun dazu gezwungen, den Krieg gegen den Terror vollends abzuschreiben und zu einem „Wettbewerb der Großmächte“ überzugehen. Damit erkennen sie an, dass die USA ihren Willen nicht mehr überall eigenmächtig durchsetzen können. Überall wird Amerikas Dominanz angefochten, insbesondere in der Region, die die USA zu beherrschen hoffen — in Asien.

Aus diesem Grund steht nun der gesamte nationale Sicherheitsapparat geschlossen hinter dem unrealistischen „Wende“-Plan. Es ist ein verzweifelter letzter Versuch, die verfallende unipolare Weltordnung doch noch zu bewahren.

Was bedeutet das in der Praxis?

Es bedeutet, dass sowohl das Weiße Haus — mit seiner Nationalen Sicherheitsstrategie —, das Pentagon — mit seiner Nationalen Verteidigungsstrategie — als auch die Geheimdienste — mit ihrer Beurteilung der weltweiten Bedrohungslage — jeweils eine eigene Analyse der größten Bedrohungen vorgenommen haben, denen sich die USA derzeit gegenüber sehen. Natürlich steht Russland ganz oben auf diesen Listen. Russland hat Washingtons Stellvertreterkrieg in Syrien torpediert, Versuche der USA vereitelt, sich in Zentralasien zu etablieren, und seine Verbindungen mit der EU in der Hoffnung gestärkt, „eine harmonische Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen“ — so formuliert es Putin.

Man rufe sich in Erinnerung, dass sich die USA nicht durch die Möglichkeit eines russischen Angriffs bedroht fühlen, sondern durch Russlands Fähigkeit, Washingtons grandiose Imperialbestrebungen in Asien zu durchkreuzen.

Bedrohung für Sicherheit und Wohlstand

Die bereits genannte Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) ist ein Bericht, der vom Weißen Haus verpflichtend verfasst wird und in dem erklärt wird, wie der Präsident seine nationale Sicherheitsvorstellung umzusetzen gedenkt. Kaum überraschend liegt der Schwerpunkt dieses Dokuments auf Russland und China. Hier ein Auszug:

„China und Russland fordern amerikanische Macht sowie amerikanischen Einfluss und Interessen heraus und versuchen, amerikanische Sicherheit und amerikanischen Wohlstand zu untergraben. Sie sind bestrebt, Volkswirtschaften weniger frei und weniger fair zu gestalten, ihr Militär zu vergrößern, und Informationen und Daten zu kontrollieren, um ihre Gesellschaften zu unterdrücken und ihren Einfluss zu erweitern.“ — Weder Russland noch China „versuchen, amerikanische Sicherheit und amerikanischen Wohlstand zu untergraben.“ Sie fördern schlicht das Wachstum ihrer Volkswirtschaften und erweitern ihre Märkte. Wenn US-Unternehmen ihr Kapital in Fabriken, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter sowie in Forschung und Entwicklung investieren würden anstatt in Aktienrückkäufe und Managementvergütungen, dann wären sie eher in der Lage, weltweit mitzuhalten.

Weiter heißt es im NSS: „Durch modernisierte Formen subversiver Taktiken mischt sich Russland weltweit in die innenpolitischen Angelegenheiten anderer Staaten ein.“ — Wer im Glashaus sitzt, sollte allerdings nicht mit Steinen werfen.

„Heutzutage nutzen Akteure wie Russland Informationstechniken in dem Versuch, die Legitimität von Demokratien zu untergraben. Gegner zielen auf die Medien, politische Abläufe, Finanznetzwerke und persönliche Daten ab.“ — Der westliche Medien-Moloch ist das größte Sprachrohr für Falschinformationen, das die Welt je gesehen hat. Russia Today und Sputnik können der gigantischen Mainstream-Medien-Jukebox, die die Kabelnachrichtensender, die Zeitungen und einen Großteil der Printmedien kontrolliert, nicht das Wasser reichen. Der Mueller-Report beweist zweifelsfrei, dass der politisch motivierte Unsinn, der in den Medien zu lesen ist, weder zuverlässig recherchiert noch glaubwürdig ist.

Auf Kosten von US-Interessen

Die Beurteilung der US-Geheimdienste zur weltweiten Bedrohungslage (Worldwide Threat Assessment) wird in ihren Angriffen gegen Russland noch expliziter:

„Die Bedrohungen für die nationale Sicherheit der USA werden sich im kommenden Jahr ausbreiten und in immer verschiedeneren Formen zeigen, zum Teil vorangetrieben durch China und Russland, während diese jeweils in stärkere Konkurrenz mit den Vereinigten Staaten und deren traditionellen Verbündeten und Partnern treten. ... Wir ermessen, dass Moskau weiterhin eine Reihe von Zielen verfolgen wird, um seinen Einfluss zu vergrößern, darunter die Unterwanderung der US-geführten liberalen Weltordnung, die Spaltung westlicher Politik- und Sicherheitsinstitutionen, Demonstrationen von Russlands Fähigkeit, in globale Angelegenheiten prägend einzugreifen, und die Stärkung von Putins innenpolitischer Legitimation.“

„Wir stellen ein gestärktes Selbstbewusstsein Moskaus fest, das auf Russlands Erfolg bei der Unterstützung des Assad-Regimes und dessen Wiedererlangen der Kontrolle über das syrische Territorium basiert, ... Russland beabsichtigt, seine Militärpräsenz und seinen politischen Einfluss im Mittelmeer und im Roten Meer zu erhöhen... Russland schlichtet Konflikte, indem es sich etwa beim Friedensprozess im Nahen Osten und der Aussöhnung in Afghanistan einbringt...“

„Russland wird weiterhin Druck auf führende Politiker in Zentralasien ausüben, damit diese Russland-geführte Wirtschafts- und Sicherheitsinitiativen unterstützen und ihre Zusammenarbeit mit Washington reduzieren. ... Es ist wahrscheinlich, dass Russland und China ihre Bemühungen erhöhen werden, ihren Einfluss in Europa auf Kosten von US-Interessen auszubauen...“

Ein neuer Superstaat

Bemerken Sie, dass die Geheimdienste in ihrer Bewertung nicht behaupten, Russland sei eine unmittelbare militärische Bedrohung für die USA. Vielmehr wird lediglich berichtet, Russland habe die Ordnung in Syrien wieder hergestellt, seine Verbindungen zu China gestärkt, sich als „ehrlicher Vermittler“ für Länder im Nahen Osten hervorgetan und das System des freien Marktes genutzt, um die Beziehungen zu seinen Handelspartnern zu verbessern und seine Wirtschaft zu fördern. Die Geheimdienste scheinen Russland dafür zu kritisieren, dass es das von den USA geschaffene System zu einem besseren Vorteil einzusetzen weiß als die USA selbst. Das ist angesichts von Putins Entschlossenheit, Europa und Asien durch einen die gesamte Region umfassenden wirtschaftlichen Integrationsplan enger aneinander zu binden, nur verständlich. Putin formuliert sein Anliegen folgendermaßen:

„Wir müssen eine umfangreichere Zusammenarbeit im Energiesektor in Betracht ziehen, bis hin zur Bildung eines gemeinsamen europäischen Energiekomplexes. Die Nord-Stream-Gas-Pipeline unter der Baltischen See und die South-Stream-Pipeline unter dem Schwarzen Meer sind wichtige Schritte in diese Richtung. Diese Projekte werden von vielen Regierungen unterstützt und große europäische Energieunternehmen sind an ihnen beteiligt. Sobald die Pipelines bei voller Auslastung arbeiten, wird Europa ein verlässliches und flexibles Gas-Versorgungssystem haben, das nicht von den politischen Launen irgendeines Landes abhängt. Dies wird die Energiesicherheit des Kontinents nicht nur in der Form, sondern auch in der Substanz stärken. Besonders relevant ist dies, da manche europäische Staaten sich dazu entschieden haben, Atomenergie zu reduzieren oder aufzugeben.“

Die Gas-Pipelines und Hochgeschwindigkeitsstrecken sind die Arterien, die die Kontinente zusammenschweißen und den neuen EU-Asien-Superstaat stärken werden. Das ist Washingtons größter Albtraum — eine riesige, blühende Freihandelszone außerhalb seiner Reichweite, die nicht seinen Regeln unterworfen ist. Hillary Clinton erkannte diese neue Bedrohung bereits 2012 und versprach, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um diese zu zerstören. Hier ein Auszug von Radio Free Europe:

„US-Außenministerin Hillary Clinton beschrieb Bemühungen, eine größere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Eurasien voranzutreiben, als „einen Schritt, in der Region die Sowjetunion wiederherzustellen.“ ... „Wir kennen das Ziel und wir versuchen, effektive Wege zu finden, um es auszubremsen oder zu verhindern“, sagte sie am 6. Dezember 2012 auf einer internationalen Konferenz in Dublin.“

„Es ausbremsen oder verhindern?“

Warum? Weil Wachstum und Wohlstand in Europa und Asien Druck auf US-Schuldenmärkte, US-Unternehmensinteressen, die — rasant wachsenden — US-Schulden und den US-Dollar ausüben werden? Ist Hillary darum so bemüht, Putins ökonomischen Integrationsplan zu sabotieren?

Bedrohung des Systems

In der Tat liegt hierin der Grund. Washington will Fortschritt und Wohlstand im Osten verhindern, um das Leben eines tatterigen und vollkommen bankrotten Staates zu verlängern, der derzeit 22 Billionen Dollar im Minus ist und dennoch weiterhin Schecks auf ein überzogenes Konto ausstellt.

Doch Russland sollte nicht für Washingtons verschwenderisches Verhalten verantwortlich gemacht werden — das ist schließlich nicht Putins Schuld. Moskau nutzt das freie Marktsystem schlicht auf effektivere Weise als die USA.

Auch die Nationale Verteidigungsstrategie des Pentagon von 2018 wiederholt viele derselben Motive wie die beiden bereits genannten Dokumente:

„Wir tauchen heute aus einer Phase strategischer Verkümmerung auf und sind uns bewusst, dass unser militärischer Wettbewerbsvorteil bröckelt. Wir sehen uns zunehmender globaler Unordnung gegenüber, die durch einen Verfall der lang bewährten, regelgestützten internationalen Ordnung gekennzeichnet ist — dadurch entsteht ein Sicherheitsumfeld, das komplexer und wechselhafter ist, als wir es in der jüngeren Geschichte je erlebt haben. Zwischenstaatlicher strategischer Wettbewerb — nicht der Terrorismus — ist nun die Hauptsorge in Bezug auf die nationale US-Sicherheit.“

Selbstverständlich wird das „Sicherheitsumfeld“ zu einer größeren Herausforderung, wenn „Regime-Wechsel“ die Eckpfeiler der Außenpolitik stellen. Natürlich wird diese traurige Tatsache in der Nationalen Verteidigungsstrategie vertuscht. Hier sind weitere Auszüge:

„Russland hat die Grenzen benachbarter Staaten verletzt und verficht ein Vetorecht über die wirtschaftlichen, diplomatischen und sicherheitsrelevanten Entscheidungen seiner Nachbarn. ...“ — Das ist Unsinn. Russland ist ein Garant für Stabilität in Syrien und der Ukraine. Hätte Obama seinen Willen bekommen, wäre es Syrien ergangen wie dem Irak — es wäre nun von ausländischen Söldnern besetztes, höllisches Ödland. Bemisst das Pentagon Erfolge nach dieser Prämisse? — In dem Bericht heißt es außerdem:

„China und Russland wollen eine mit ihrem autoritären Modell übereinstimmende Welt schaffen ...“

„China und Russland unterwandern die internationale Ordnung nun von innerhalb des Systems ...“

„China und Russland sind die Topprioritäten des Ministeriums... aufgrund des Ausmaßes an Bedrohungen, die sie für die US-Sicherheit darstellen.“

Erkennen Sie das Muster? China und Russland, China und Russland, China und Russland. Böse, böse, böse.

Warum? Weil sie ihr eigenes Entwicklungsmodell erfolgreich umsetzten, ein Modell, das nicht zum Vorteil von US-Finanzinstituten und US-Unternehmen ausgerichtet ist. Kurz gesagt, geht es nur darum. Der einzige Grund, warum Russland und China eine Bedrohung für das „regelgestützte System“ sind, ist Washingtons Beharren darauf, dass es als Einziger die Regeln macht. Darum fügen sich ausländische Führungspolitiker nicht mehr — weil es kein faires System ist.

Ausschalten eines Konkurrenten

Diese Einschätzungen repräsentieren die herrschende Meinung hochrangiger Entscheidungsträger des gesamten politischen Spektrums — im Weißen Haus, im Pentagon und in den Geheimdiensten. Die US-Regierung stimmt darin überein, dass ein härteres, aggressiveres Vorgehen im Umgang mit Russland und China nötig ist. Die Außenpolitik-Eliten wollen die Nation auf einen Kurs mit mehr Konfrontation, mehr Konflikten und mehr Krieg lenken. Gleichzeitig wird in keinem der drei genannten Dokumente angedeutet, dass Russland irgendwie beabsichtige, die Vereinigten Staaten anzugreifen. Die größte Sorge sind die Auswirkungen, die aufstrebende Konkurrenten auf Washingtons provokanten Plan militärischer und wirtschaftlicher Expansion haben werden — die Bedrohung also, die Russland und China für Washingtons unsichere globale Machtposition darstellen. Diese Angst treibt die US-Außenpolitik an.

Und in diesem größeren Kontext muss die Russland-Untersuchung betrachtet werden. Der Wirbel um russische Hackerangriffe konnte — trotz des offensichtlichen Mangels an jedweden stützenden Beweisen — entstehen und sich ausbreiten, weil sich eine Verunglimpfung Russlands nahtlos an die geopolitischen Interessen der Regierungseliten anschließt. Die US-Regierung arbeitet nun mit den Medien zusammen, um die öffentliche Meinung in Bezug auf Angelegenheiten zu beeinflussen, die dem mächtigen Außenpolitik-Establishment wichtig sind. Das augenscheinliche Ziel dieser psychologischen Kriegsführung ist es, ausgewählte Informationen zu nutzen, um „die Gefühle, Beweggründe und objektiven Gedankengänge einer Zielgruppe zu beeinflussen, und damit schlussendlich das Verhalten ganzer Organisationen, Gruppen und Individuen“.

Die US-Regierung betrachtet die Gedanken normaler Amerikaner inzwischen als legitimes Ziel ihrer Beeinflussungskampagnen. Sie beschreibt Einstellungen und Wahrnehmungen als „die kognitive Domäne des Kampfgebietes“, die sie ausschlachten muss, um öffentliche Unterstützung für ihre äußerst unbeliebten Kriege und Einmischungen zu erlangen. Das unaufhörliche Russiagate-Narrativ — das dem FBI ursprünglich vom hauptverantwortlichen Architekten des Syrien-Krieges, dem ehemaligen CIA-Vorsitzenden John Brennan, zugetragen wurde — macht die Desinformations-Komponente der größeren Kampagne gegen Russland aus. Die Außenpolitik-Eliten sind bestrebt, das amerikanische Volk davon zu überzeugen, Russland sei eine erhebliche Bedrohung für seine Sicherheit, der mit schärferen Sanktionen, mehr Säbelrasseln und schließlich Krieg begegnet werden muss.


Mike Whitney ist Journalist und schreibt über Politik und Finanzen. Unter anderem hat er ein Kapitel für Hopeless: Barack Obama and the Politics of Illusion (auf Deutsch etwa: Hoffnungslos: Barack Obama und die Politik der Illusion) verfasst. Whitney lebt im US-Bundesstaat Washington.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „How Brzezinski's Chessboard Degenerated Into Brennan's Russophobia“. Er wurde von Melina Cenicero aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.


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