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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Nicht die Menschen in den USA, Russland oder China sind das Problem, sondern die Machtgier und Gewaltneigung der Regierenden in aller Welt.

Die Rolle der Macht im Leben der Menschen

Die folgenden Zeilen sollen — ungeachtet des Problems der Gewalt — Mut machen und anknüpfen an Albert Camus und seine Leidenschaft, gegen das Unrecht zu revoltieren. Camus‘ Gerechtigkeitsempfinden wagte es, sich mit der ungerechten Welt in den notwendigen Kampf einzulassen — und zwar hier auf Erden und nicht erst im Himmel. Seine große Liebe zur Welt und zum Menschen überstrahlten die düsteren Schilderungen in seinen Dramen, Romanen und philosophischen Essays.

Die gegenwärtigen Ereignisse wie der Stellvertreterkrieg in der Ukraine oder auch Massenterror und Diktaturen vermitteln uns einen gründlichen Anschauungsunterricht über die geschichtliche Bedeutung der Gewalttätigkeit im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft. Die Flut von legalisierten Verbrechen beraubt uns so mancher Illusionen; in der Frage der Bändigung der Gewalt scheint sich die Menschheit noch ganz am Anfang der Humanisierung zu befinden.

Das Machtstreben in Wirtschaft und Politik erzeugt immer wieder Katastrophen, in denen der Reichtum unserer Kultur verschleudert und die Ernten unserer Zivilisation zerstört werden. Doch unsere Lethargie führt dazu, dass wir uns dadurch nicht aufrütteln lassen, sondern uns weiterhin in Sicherheit wiegen.

Die beruhigende Selbsttäuschung ist uns lieber als der Gedanke an die Gefahr. Die Gewalttätigkeit bringt alle unsere kulturellen Bemühungen zum Scheitern. Indem wir nicht gegen sie ankämpfen, billigen wir sie in der Hoffnung, sie werde uns verschonen. Keiner kann sich der Verantwortung entziehen, immer sind wir mitschuldig, selbst dann, wenn wir Opfer sind.

Der Weg des Einzelnen in einer gewalttätigen Kultur gerät unweigerlich in den Einflussbereich des Macht- und Herrschaftsbestrebens. Alle Vorbilder und Ideale dieses Kulturkreises sind vom Machtwillen gefärbt. Groß sein, mächtig sein wird zum Ziel, das sich die Schwäche setzt, um stark zu werden.

Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts schrieb der Individualpsychologe Alfred Adler:

„In die Elternliebe schleicht sich das Gift der Herrschsucht (…). Da wird es zur Aufgabe der Kinder, über ihre Erzieher hinauszuwachsen, mit ihnen fertig zu werden. Nicht anders beim Lehrer. (….). Die moderne Seelenkunde hat uns aber gezeigt, dass die Züge von Herrschsucht, Ehrgeiz und Machtstreben über den anderen samt ihrer Fülle von hässlichen Begleiterscheinungen nicht angeboren und unabänderlich sind. Sie werden vielmehr dem Kinde frühzeitig eingeimpft, das Kind empfängt sie willenlos aus einer Atmosphäre, die vom Machtkitzel getränkt ist. (…).

Die Herrschaftsgelüste von Eltern, Dienstverhältnisse im Hause, die Privilegien des kleinen Kindes lenken unwiderstehlich den Sinn des Kindes auf die Erringung von Macht und Vorherrschaft, lassen ihm nur diese Position als lockend erscheinen. Um einiges später erst fließen Gemeinschaftsgefühle in seine Seele, geraten aber meist unter die Herrschaft des bereits ausgebildeten Machtbegehrens (…)“ (1).

Krieg und Gesellschaftsordnung

Die Entwicklung einer Kultur besteht jedoch darin, dass sich die Stimme des Menschheitsgewissens mehr und mehr Gehör verschafft und der Geist der Verantwortlichkeit an die Stelle der Gewalttätigkeit tritt. Das Anwachsen des menschlichen Gemeinschaftsgefühls, das Wissen um die Zusammengehörigkeit aller, die ein Menschenantlitz tragen, wird die ethische Errungenschaft der Zukunft sein. Noch leiden wir an der Fiktion der Macht und der Selbstherrlichkeit des Individuums.

Überall kommt es auf den Gemeinsinn an, auf das Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Miteinanderseins. Das heißt, wir müssen zusammenhalten und uns die Hände reichen. Der Abbau der Machtgier und des Gewaltstrebens ist für das gemeinschaftliche Leben eine dringende Notwendigkeit.

Wegen der Friedfertigkeit der menschlichen Natur ist es ein Irrtum, den Krieg auf die „Natur des Menschen“ zurückzuführen. Nur die Machtgier derer, die innerhalb der Völker als Obrigkeit fungieren und durch ihre soziale Stellung vom Geist der Gewalt durchdrungen sind, treibt uns immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen die Völker zugunsten ihrer Herren und Ausbeuter verbluten. Zwar kann man die Mahnrufe des menschlichen Gemeinschaftsgefühls unterdrücken — gänzlich ausmerzen kann man sie nie. Denn das Geschenk der Evolution besteht im sittlichen Bewusstsein des Einzelnen, in der Einsicht in die Verantwortung aller gegenüber allen.

Deshalb verwundert es, wenn man die abendlichen Fernsehbilder betrachtet und feststellen muss, dass große Unterschiede gemacht werden bezüglich der Nationalität der getöteten Soldaten. Ist nicht jeder tote Soldat in der Ukraine oder einem anderen Teil der Welt ein toter Mann zu viel? Egal, ob er westeuropäischer, russischer, ukrainischer, afrikanischer oder US-amerikanischer Nationalität ist? Ist es nicht immer ein Mitmensch, der umgebracht wird? Wie können wir das vergessen, wie trotzdem gut leben und schlafen?

Kriege sind ein gutes Geschäft

Die anderen Völker zu bezwingen, sie zu beherrschen, das ist ein gutes Geschäft. Die horrenden Gewinne der deutschen Rüstungsgüter-Firma Rheinmetall etwa oder der international tätigen US-amerikanischen Investmentgesellschaft BlackRock mit über 10 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen zeugen davon.

Wo wir hinsehen, geht es um Profit. Es gibt nichts, wo er keine Rolle spielt in unserer Gesellschaftsordnung, so auch beispielsweise beim Drogenproblem, an dem ungeheuer viele Jugendliche zugrunde gehen. Wenn mit dem Drogenhandel nicht viel Geld zu verdienen wäre, müssten sich Eltern keine Sorgen machen; Jugendliche würden nicht an die Rauschmittel herankommen, der Markt wäre leer. Doch dieser Aspekt wird nicht berücksichtigt, ganz im Gegenteil: Die Freigabe bestimmter Mengen von Rauschgiften wird inzwischen in vielen Ländern nicht nur diskutiert, sondern bereits praktiziert.

Noch ist es in unseren kapitalistischen Ländern so, dass eine verschwindend kleine Minderheit von Menschen auf Kosten der Mehrheit lebt. Und diese Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.

Während das Volksvermögen in die Produktion von Rüstungsgütern investiert wird, sind Hunger und Armut für Millionen oder gar Milliarden von Menschen auf der Welt Realität. Während Kapitalisten durch rücksichtsloses Handeln immer reicher werden, werden auf der anderen Seite zahlreiche Menschen immer ärmer.

Ein Zitat des deutschen Dramatikers Bertolt Brecht bringt das gefühlvoll zum Ausdruck:

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich: ‚Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich‘.“

Wird der neue Staatenbund (BRICS) ohne Gewalt auskommen?

Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) sind eine Vereinigung aufstrebender Volkswirtschaften. Wegen der wirtschaftlichen Stagnation in den Industrienationen wenden sich die Investoren nun diesen fünf Ländern zu. Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und des Konflikts um Taiwan strebt der neue Staatenbund nach mehr politischem Gewicht und versucht, sich als Alternative zu den G7-Ländern zu positionieren.

Für kritische Beobachter stellt sich die Frage, ob die neue Vereinigung ohne Gewalt auskommen will und überhaupt kann. Wieso sollte man die mächtigen Führer dieser fünf Staaten in einem anderen Lichte sehen als die Führer aller anderen Staaten? Warum einen Unterschied machen?

Der neue Staatenbund wird mit denselben Methoden Gewalt anwenden, Menschen zu zwingen, in den Krieg zu ziehen und Krieg zu führen wie ehemals Adolf Hitler oder heute die Führer der US-NATO-Staaten oder Russlands und Chinas. Und zwar deshalb, weil unsere ganze Gesellschaft, alle unsere Institutionen ohne Ausnahme vom Gedanken der Gewalt durchsetzt sind.

Auch wenn der Westen offensichtlich mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln gegen den Osten kämpft, sollte man — wenn man gegen jedwede Diktatur und gewalttätige Gesellschaft ist — nicht Partei ergreifen. Bereits während der Russischen Revolution konnte man sehen, dass dort etwas geschah, was mit Befreiung, Freiheit oder Sozialismus nichts zu tun hatte.

Das Experiment in Russland ist misslungen. Diejenigen, die daran beteiligt waren, haben die Menschen nicht erfasst, nicht richtig eingeschätzt. Sie haben sich mit den Arbeitern nicht assoziiert, sondern sich über sie gestellt. Das Prinzip der Gewalt, der Unterdrückung, der Bezwingung der Menschen hat schließlich zur Katastrophe geführt. Der sozialistische, antimilitärische Gedanke des Friedens und der Freiheit, die Hoffnungen der Proletarier der ganzen Welt sind zunichte gemacht worden.

Die Idee eines echten Sozialismus kann eben nur in Frieden und Freiheit gedeihen, ob in Russland, in China oder in einem anderen BRICS-Staat. Bis heute fehlt die Anwendung der psychologischen Erkenntnisse — und die Menschen sind nach wie vor nicht zufrieden.

Ohne Psychologie wird die Menschheit nicht vorankommen

Die Menschheit muss sich die Ergebnisse der psychologischen Forschung zu eigen machen, um ein menschenwürdiges Leben zu schaffen. Wenn wir uns selbst und unsere Mitmenschen erkennen, ändert sich auch die Sichtweise auf die staatlichen Gegebenheiten, die gesamte Gesellschaftsordnung.

Da die Geschichte ein Werk der Menschen ist, muss eine Veränderung der Welt aus ihnen selbst kommen, aus der Gemeinschaft mündiger Bürger.

Die Menschen müssen ihre eigene Natur, ihre seelische Verfassung, ihre bewussten und halb bewussten Vorurteile sowie die eigenen Reaktionsweisen und auch die ihrer Mitmenschen kennenlernen. So sollten sie einschätzen können, wie sie selbst und die anderen auf Konflikte, Krisen und heraufziehende Kriege reagieren werden.

Noch scheint die Menschheit nicht in der Lage zu sein, ohne Gewalt und Kriege zusammenzuleben, sich zu assoziieren. Doch das kann sich jederzeit ändern. Dabei ist die Aufklärung, die Reinigung des menschlichen Bewusstseins von individuellen und kollektiven Vorurteilen von großer Bedeutung.

Wichtiger noch als Aufklärung ist Erziehung. Die tiefenpsychologische Forschung hat deren ungeheure Tragweite deutlich gemacht. Wir wissen heute, dass die Menschen in einem bedeutenden Ausmaß das Produkt ihrer frühkindlichen Erziehung sind. So dürfen wir hoffen, dass durch psychologische Erziehungsmethoden, die auf das autoritäre Prinzip verzichten, Menschen herangebildet werden, die gegen die Verstrickungen des Machtwahns gefeit sein werden.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Adler, Alfred (1928): „Psychologie der Macht“. In: Grasenack, Moritz (Herausgeber), Die libertäre Psychotherapie von Friedrich Liebling, 2005, Lich/Hessen, Seiten 139 folgende


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