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Der Zusammenprall zweier Welten

Der Zusammenprall zweier Welten

Die deutsche Vereinigung bleibt unvollendet. Die Lösung liegt nicht in der Anpassung des einen an den anderen Landesteil, sondern darin, das radikal Neue zu wagen.

„Honeckers Geist ist noch nicht verschwunden und wird in vielfältiger Form aufgefunden.“ — Dieser Gedanke drängt sich manchmal noch auf, wenn man durch Ostdeutschland reist. Obwohl die Unterschiede zur Vergangenheit kleiner geworden sind, bleibt eine besondere Mentalität der Ostdeutschen spürbar. Diese Mentalität ist weder besser noch schlechter als die anderer deutschsprachiger Menschen, doch zeichnet sie sich durch besondere Merkmale aus. Es liegt nahe zu sagen, dass die gesellschaftliche Prägung durch die sozialistische Ideologie, die fast zwei Generationen umfasste, tiefe Spuren im Denken und Fühlen der dort lebenden Menschen hinterlassen hat.

Dabei sollte nochmals betont werden, dass diese Prägung nicht negativ ist; vielmehr kommen Eigenschaften zum Vorschein, die von Vorteil sein können. Beispielsweise das Erkennen von Propaganda und das damit verbundene Misstrauen verursachen einen Trotz, von dem sich so manch ein anderer eine Scheibe abschneiden könnte.

Des Weiteren wird auch heute noch oft betont, dass nicht alles im Osten schlecht war: Beispielsweise berichten Menschen von einem stärkeren Gefühl der Solidarität untereinander. Es gab weniger Kriminalität, Türen standen offen und mussten nicht verschlossen werden — vielleicht, weil man wusste, dass alle gleich wenig hatten und es nicht viel zu holen gibt.

Schon als Kind war ich Zeuge des Zusammenpralls zweier Welten, deren Grenze über Nacht verschwand. Aufgewachsen in den 1990er Jahren, in der heute berüchtigten High-Deck-Siedlung am Ende der Sonnenallee in Neukölln, verlief die DDR-Grenze nur etwa 300 Meter Luftlinie von unserer Wohnung entfernt, entlang des heutigen südlichen Heidekampgrabens. Als die Mauer fiel, war ich viereinhalb Jahre alt und verstand nicht, was um mich herum geschah. Es dauerte einige Jahre, bis wir als Gruppe von Kindern und Jugendlichen, gemischt aus allen Nationen, aus reiner Neugier den „Osten“ zu erkunden begannen.

Im Vergleich zu unserer damals modernen High-Deck-Siedlung wirkten die vier- bis fünfstöckigen Plattenbauten im Osten grob, eintönig und unspektakulär. Die Straßen bestanden aus Betonplatten, und viele Reihengaragen mit ihren hölzernen Toren und schrägen, mit Teerpappe bedeckten Dächern waren noch erhalten. Abends tauchte die Straßenbeleuchtung die Szenerie in ein warmes, orangefarbenes Licht. Für uns war der Osten stets ein Abenteuer, und wir erkundeten ihn oft — auch, weil dort viele neue Spielplätze entstanden, die es zu entdecken galt.

Mit den Kindern, die nur ein paar hundert Meter entfernt hinter der ehemaligen Grenze lebten, kamen wir kaum in Kontakt — vor allem deswegen, weil sie uns mieden und einen großen Bogen um uns machten. Vielleicht lag es daran, dass wir eine bunte Truppe aus Deutschen, Polen, Albanern, Arabern und Türken waren und auf sie fremdartig wirkten.

Es war zweifellos eine andere Welt, die so nah und doch so fern von der unseren existierte.

Die Wende, die Politik und das Misstrauen

Wenn man heute am Ende der Sonnenallee den ehemaligen Grenzübergang überquert, fällt der latente Unterschied nur noch einem geschulten Auge auf. Die Gebäude sind renoviert, die Straßen erneuert, und auch die Bevölkerungsstruktur hat sich durchmischt. Immer mehr Westberliner mieten Wohnungen im Osten — und umgekehrt. Auch der Anteil von Migranten im ehemaligen Osten Berlins ist deutlich gestiegen. In der Hauptstadt hat sich in den letzten drei Jahrzehnten vieles angeglichen.

Im brandenburgischen Umland verlief dieser Angleichungsprozess jedoch langsamer. Der vielversprochene Aufschwung ging an großen Teilen der Unterschicht vorbei, nicht zuletzt, weil der neue Staatsapparat es mit den neuen Bürgern nicht immer gut meinte. Ein Beispiel dafür ist der Immobilienmarkt.

Während zu DDR-Zeiten Wohneigentum eher selten war und die Mehrheit der Menschen zur Miete lebte, änderte sich daran nach der Wende wenig. Auf den ersten Blick mag das nicht überraschen, doch es muss bedacht werden, dass mit der Wiedervereinigung eine andere gesellschaftliche Ideologie Einzug hielt — eine, die auf dem Prinzip des Privateigentums fußt. Und das wohl bedeutendste Privateigentum ist das Wohneigentum.

Im Zuge der Privatisierung nach der Wende hätte der Staat, wäre er seinen Bürgern wohlgesonnen gewesen, den langjährigen Mietern von Immobilien ein Vorverkaufsrecht zu günstigen Konditionen gewähren können. Stattdessen gingen zahlreiche Wohnungen an große Immobilienkonzerne, während einfache Bürger leer ausgingen.

Ein Beispiel für eine bürgerfreundlichere Lösung bot Polen: Dort konnten Mieter ihre kommunalen Wohnungen zu stark reduzierten Preisen erwerben. Oftmals erhielten langjährige Bewohner ein Vorverkaufsrecht und zahlten nur einen Bruchteil des Marktwerts. Die Folgen dieser unterschiedlichen Ansätze sind bis heute sichtbar: In Polen liegt die Wohneigentumsquote bei 87,2 Prozent, während sie in Deutschland nur 46,5 Prozent beträgt — in den ostdeutschen Bundesländern sogar noch darunter.

Auch sonst kam vom neuen, westlichen Staatsapparat nicht viel, was bei den Bürgern Vertrauen hätte erwecken können. Ein erheblicher Anteil ostdeutscher Betriebe wurde mithilfe der Treuhandanstalt zu sehr niedrigen Preisen an westdeutsche oder internationale Investoren verkauft, was zu massiver Kritik führte. Zur Krönung stilisierte man den Osten in den Medien oft als schwach und hilfebedürftig, während gleichzeitig der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde — eine Maßnahme, die die Stimmung im gesamten Land sicherlich nicht hob.

Aufgestanden, um dennoch zu stolpern.

Das alles hat man im Osten nicht vergessen, und der Frust sitzt immer noch tief, ebenso wie das anhaltende Misstrauen gegenüber Berlin.

In diesem Klima des Unbehagens und der Enttäuschung suchten viele Menschen nach einer politischen Stimme, die ihre Sorgen ernst nimmt. So gewann eine Partei an Zulauf, die vermeintliche Veränderungen und die Vertretung nationaler Interessen versprach, während sie geschickt den Anschein erweckte, eine echte Alternative zu bieten.

Auf viele Menschen im Osten scheint das Eindruck gemacht zu haben, weshalb sie ihre Stimme nun der AfD geben. Sie meinen vielleicht die Propaganda der herrschenden Eliten durchschaut zu haben, es verwundert jedoch, dass sie auf die Versprechen der AfD hereinfallen.

Trotz alledem ist es ein demokratisches Recht, das geachtet werden muss. Dass ein Sieg der AfD die Demokratie gefährden soll, ist nichts weiter als populistisches Geschrei.

Ich persönlich wähle die AfD nicht, weil sie keine echte Alternative bietet. Sie ist ideologisch dem herrschenden System angepasst und hat keine wirklich neuen Rezepte, die unserer Gesellschaft helfen könnten, auf einen menschenfreundlicheren Pfad zu gelangen. Sie wollen vielleicht ein paar Stellschrauben verstellen, doch die herrschende Ideologie, die auf ihr aufbauenden Machtstrukturen und die damit verbundenen wirklichen Probleme werden von der AfD nicht angerührt — weswegen man die AfD den modernen „Blockparteien“ zuordnen könnte. Es herrscht sozusagen ein interner Machtkampf einer Ideologie, die ich an sich nicht unterstütze.

Eine Scheindebatte: Die erneute Teilung als populistischer Streitpunkt

Wie kann man auf die im Leitartikel von Roland Rottenfußer aufgeworfene Frage von dem Journalisten Marcus Bensmann reagieren: War die Wiedervereinigung zu früh? Sollte man sich von den ostdeutschen Bundesländern wieder trennen?

Obwohl diese Frage eindeutig dem Populismus zuzuordnen und auf einem Niveau angesiedelt ist, auf das man sich nicht herablassen sollte, könnte man dennoch den Impuls nutzen, um eine weiterführende Diskussion anzustoßen: Sollte die Bundesrepublik Deutschland in ihrer derzeitigen Form überdacht und möglicherweise neugestaltet werden?

Diese Frage ist absolut legitim, und eine fundierte Debatte käme nicht darum herum, die grundlegenden Prinzipien unserer Gesellschaft zu hinterfragen, auf denen sie basiert. Dabei drängt sich zwangsläufig die Frage auf, ob große Machtkonglomerate zerschlagen werden sollten. Dazu zählen neben überdimensionierten Konzernen auch große staatliche und überstaatliche Institutionen.

Viele von uns wissen, dass auf den oberen Ebenen der Macht Entscheidungen getroffen werden, die oftmals Nachteile für die Allgemeinheit mit sich bringen. Eine mögliche Lösung könnte in der Aufteilung großer Machtstrukturen in kleinere, lokalere Einheiten liegen.

Statt Entscheidungen zentralisiert in den Parlamenten der Hauptstädte oder überhaupt jenseits der Öffentlichkeit in Vorstandsmeetings zu treffen, sollten diese von den Menschen vor Ort gefällt werden, die direkt von den Auswirkungen betroffen sind. Eine solche Dezentralisierung würde die Demokratie stärken, indem sie den Bürgern auf kommunaler Ebene ermöglicht, mithilfe demokratischer Prozesse direkten Einfluss auf ihr Umfeld zu nehmen. Dies wäre nur folgerichtig, da der Mensch in erster Linie an sich selbst und seinem nächsten Umfeld interessiert ist. Entsprechend sollten auch die demokratischen Strukturen angepasst werden.

In Europa ist der Wunsch nach regionaler Unabhängigkeit kein seltenes Phänomen. Unabhängigkeitsbewegungen wie in Katalonien, Schottland, Flandern, Korsika, Südtirol, dem Baskenland und Galicien sind prominente Beispiele dafür. Doch hat vor allem die Klasse der Herrschenden kein Interesse daran, dass Staaten in Kleinstaaterei zerfallen. Sie streben nach einer ständigen Konzentration von Macht und würden eine erneute Teilung Deutschlands sicher nicht befürworten. Eine erfolgreiche Abspaltung in Europa könnte viele Nachahmer finden und dazu führen, dass Europa in seiner jetzigen Form nicht mehr bestehen bleibt und sich grundlegend verändert.

Wie weit können Veränderungen gehen?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage bietet der kürzlich bei Manova erschienene Artikel von Wilhelm Hamburger, „Menschen ohne Herrschaft“. Dort wird ein Konzept vorgestellt, dem jeder Bürger früher oder später seine volle Aufmerksamkeit widmen muss, wenn er über die Gestaltung einer idealen Gesellschaft nachdenkt: die Anarchie. Doch allein der Begriff „Anarchie“ hat eine so negative Konnotation und einen derart schlechten Ruf, dass es fast ratsam wäre, ein neues Wort dafür zu finden. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Kommunismus“.

In seiner Reinform ist der Kommunismus eng mit der Anarchie verbunden: Er sieht eine selbstverwaltete Kommune vor, in der die Macht von der Gemeinschaft ausgeübt und kontrolliert wird. Die Größe einer solchen Kommune wird dabei zwangsläufig durch die Fähigkeit der Menschen begrenzt, den Überblick über die Abläufe zu behalten und sich effektiv zu organisieren. Je größer die Fähigkeit zur Kooperation, desto größer können die Kommunen werden — und desto ambitionierter die Projekte, die sie verwirklichen. Müsste in einer solchen Gesellschaft Hierarchie entstehen, könnte sie streng projektbezogen sein. So könnten etwa ein Architekt und ein Bauingenieur während eines Bauprojekts die Beteiligten anleiten. Sobald das Projekt abgeschlossen ist, löst sich diese Hierarchie wieder auf.

Ob ein solch utopischer Gedanke durch eine von der AfD geführte Abspaltung Ostdeutschlands verwirklicht werden könnte, bleibt fraglich. Doch manchmal entstehen unvorhergesehene Chancen für jene, die sich ebenfalls nach Veränderung sehnen.

Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, darauf zu hoffen, dass sich innerhalb des bestehenden Systems jemand findet, der uns aus dieser Misere befreit. Vielmehr scheint es mir, als sei nun die Zeit reif für eine zweite große Aufklärungsbewegung — ähnlich wie im 17. und 18. Jahrhundert.

Eine solche Bewegung wird jedoch nicht von der etablierten intellektuellen Elite ausgehen, sondern in der alternativen Szene geboren werden, wo kein Zwang zur Anpassung an Dogmen herrscht. Dort kann frei und grenzenlos gedacht und hinterfragt werden, im Dienst einer radikalen Vernunft.

Unser derzeitiges Problem liegt darin, dass wir noch nicht mit einer Stimme sprechen, wenn es um das Neue geht. Viele von uns erkennen die offensichtlichen Probleme, unter denen unsere Gesellschaft leidet, doch wir sind uns noch nicht einig, wohin wir als Gesellschaft streben und was wir letztlich verwirklichen wollen.

Es ist an der Zeit, dass wir lernen, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen.


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