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Deutschland, ein Greuelmärchen

Deutschland, ein Greuelmärchen

Wenn man die Medien verfolgt, gewinnt man den Eindruck, „Verschwörungstheorien“ seien das Schlimmste auf der Welt — dabei verbreitet gerade der Mainstream viele davon.

Sitzen zwei beim Bier. Der eine raunt verschwörerisch: „Ist doch klar: Die ganzen Verschwörungsgeschichten werden von Putin gesteuert!“ Vorsicht, nicht laut lachen! Der Cartoon in einer konservativen Tageszeitung ist subversiv; erfüllt er gar den Tatbestand der verfassungsschutzrelevanten Delegitimation des Staates? Jedenfalls trifft er punktgenau die verrückte Propaganda von Politik, Geheimdiensten und Medien.

Große Tageszeitungen berichten über die Befragung der deutschen Geheimdienste. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang äußerte sich besorgt über den Brand eines Luftfrachtpaketes. Sein Fazit: Mutmaßlich von Russland initiiert, vermutlich russische Sabotage. Belege? Keine. Rückfragen? Keine. Auch Bruno Kahl, Chef des Bundesnachrichtendienstes, analysiert scharf: „Der Kreml sieht den Westen und damit auch Deutschland als Gegner.“ Propaganda kann auch lächerlich wirken. Die täglichen Lügen durch Weglassen, die Stimmungsmache durch Feindbilder, die regierungs- und militärtreue Selbstzensur bewirken zunehmend das Gegenteil: Die Glaubwürdigkeit tendiert gegen null, man schaltet ab, hat die Nase voll von den allgegenwärtigen Beeinflussungsversuchen. Und hält die eigene Meinung zurück wegen der bekannten Repressalien: Grundrechte werden effektiv außer Kraft gesetzt.

Die Bundesregierung informiert: Sie leiste „humanitäre Hilfe (im Gazastreifen) zur Bewältigung akuter Notlagen. Ziel ist es, Menschen ein Überleben in Würde und Sicherheit zu bieten.“ Gleichzeitig liefert sie Waffen an Israel. Wofür? Die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensergebiete, Francesca Albanese, spricht von einer „langfristig angelegten, systematischen, staatlich organisierten Zwangsvertreibung und Verdrängung der Palästinenser“ und von „Genozid als koloniale Auslöschung“. Ein anderes Beispiel: Minister Robert Habeck wettert bei Wirtschaftsvertretern gegen das „Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz“ und fordert, „die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen“. Welch verrohte Sprache, welch opportunistischer Populismus. Als wäre das Gesetz nicht in jahrelangen Auseinandersetzungen mit Lobbyisten einer unkontrollierten Ausbeutung nach tödlichen Katastrophen – wenn auch sehr verwässert – durchgesetzt worden.

Die Perversion kennt keine Grenzen. Die US-polnische Historikerin Anne Applebaum bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Wofür? Dass sie Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg rigoros ablehnt, denn der Sieg der Ukraine sei „the only acceptable endgame“.

Als wäre das nicht empörend genug, verleiht ihr die Stadt Oldenburg den Carl-von-Ossietzky-Preis. Während also die Bellizistin mit Friedenspreisen geehrt, ihre Bücher in Zeitungen empfohlen werden, erntet etwa eine differenziert und sachkundig argumentierende Gabriele Krone-Schmalz wegen ihres Einsatzes für Völkerverständigung, gemeinsame Sicherheit und Friedensverhandlungen Beleidigung und Diffamierung, zuletzt besonders infam in der FAZ.

Ein Buch wird in großen Buchhandlungen präsentiert: „Putins Angriff auf Deutschland: Desinformation, Propaganda, Cyberattacken. Fake News aus Moskau: wie Russland unsere Demokratie angreift.“ Mehr plumpe Stimmungsmache hat nicht in den Titel gepasst. Einer der beiden Autoren, der Ex-Botschafter Arndt Burchard Ludwig Freiherr Freytag von Loringhoven, war Vize-Präsident des BND und koordinierte später die Geheimdienstarbeit der Nato. Ein anderes Buch mit dem Titel „Propaganda-Presse“ liegt nicht aus, man muss es bestellen. Sein Autor, der Politikwissenschaftler Patrik Baab, ist wegen seiner Recherchen in der Ukraine publizistischen Angriffen und Denunziationskampagnen ausgesetzt und hat zwei Lehraufträge verloren.

Wegen der Haushalts- und Personallage wird es in Baden-Württemberg keinen Ethikunterricht an Grundschulen geben. Aber die Jugendoffiziere der Bundeswehr haben in den Jahren 2022 und 2023 über elftausend Veranstaltungen für mehr als dreihunderttausend Kinder und Jugendliche durchgeführt. Bundesminister Boris Pistorius, SPD, lobt die stärkere Rolle des Militärs an Schulen. Kein Ethikunterricht, aber Militärpropaganda für Kinder: Missbrauch für Kriegstüchtigkeit?

Die wirtschaftliche Lage ist desaströs, die soziale Ungleichheit nimmt obszöne Ausmaße an. Verzweifelt hält Deutschland an der Rolle des transatlantischen Vasallen fest. Trotz aller Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermords des israelischen Staates versichert die politische Elite der Bundesrepublik die felsenfeste Unterstützung, auch mit Waffen. Die Repressalien gegen jede Form der Unterstützung des Existenzrechts der Palästinenser nehmen an Schärfe zu. Gerade verabschiedete der Bundestag gegen den ausdrücklichen Rat von Wissenschaftlern und von zahlreichen jüdischen Organisationen und Einzelpersonen eine „Antisemitismusresolution“, die primär die Politik des Staates Israel schützt.

Während ich das schreibe, kommen zwei aktuelle Meldungen: Donald Trump hat die US-Wahl für sich entschieden. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hat Finanzminister Christian Lindner entlassen. Das bedeutet baldige Neuwahlen. Können wir erfreut aufatmen? Wird jetzt endlich Politik für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung gemacht, sind Friedensverhandlungen zu erwarten, steht endlich der Ausbau der Daseinsvorsorge an? Mitnichten. Ob Clinton, Bush, Obama, Biden oder Trump, ob Kohl, Schröder, Merkel oder Scholz: An den Grundlagen einer von den Interessen der Machtelite bestimmten Politik gegen die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung hat sich nichts geändert.

Die westlichen Machthaber halten unbeirrbar daran fest, der Welt ihre Herrschaftsansprüche aufzuzwingen und dafür sogar einen neuen Weltkrieg in Kauf zu nehmen. Die Menschen in Deutschland, aber auch in der EU und den USA sind sozial ausgepowert und emotional überfordert; es wächst eine Stimmung wie im Vorkrieg.

Vertrauen in Staat und Parteien, Demokratie und Medien schwinden, Angst und Ohnmacht ergreifen die Menschen. Laut Shell-Studie ist die größte Angst der Jugendlichen in Deutschland die vor einem großen Krieg in Europa: 81 Prozent der Jugend! 2019 lag diese Angabe noch bei 46 Prozent.

Ein Gemeinwesen bricht zusammen, wenn nicht ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, Anerkennung, Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit und Frieden garantiert ist. Von Kindheit an werden aber die Leute von Influencern geködert, von Politikern belogen und aufgehetzt, mit Scheinlösungen abgespeist. Manipulation in Medien, Propaganda von Nato, Geheimdiensten und Zeitungen steigern die seelische Konfusion. Wer vertritt ihre Interessen, wer nimmt sie ernst, wo erleben sie Demokratie und Selbstbestimmung? Sie werden zu Mitleidlosigkeit erzogen und auf Kriegstüchtigkeit gedrillt.

Was ist „wahr“? Das Nato-akkreditierte „Exzellenzzentrum“ Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) beriet 2015 unter dem Titel „Strategic Communication“ über die Beeinflussung der Öffentlichkeit im Nato-Gebiet. Man plädierte dafür, in Konflikten die Grausamkeit des Gegners herauszustellen, um die Weltöffentlichkeit für militärische Handlungen bis zum Krieg zu gewinnen (Bernhard Trautvetter in NachDenkSeiten, 14.10.2024). Die Nato zielt auf Denken und Fühlen, auf eine Fake-Reality (G.R. in Ossietzky, 14/2024): „It is therefore a war against its ways of thinking, its mental logics, its spontaneous representations and its conceptual processes. The goal is to alter the representation of the world, but this has the consequence of undermining the whole-of-society in a very likely durable way“ (François du Cluzel: Cognitive Warfare, a Battle for the Brain. Nato, o. D.).

Die politisch durchgesetzten Corona-Maßnahmen der Isolation waren für Kinder und Jugendliche besonders schädlich, viele leiden jetzt noch darunter. Keiner Abwägung wert sind die Folgen der kriegsvorbereitenden Planungen. Kinder erleben täglich Krieg, Tod, Bilder totaler Zerstörung: Das bewirkt Angst. Feindbilder werden geradezu gezüchtet; ihren Realitätsgehalt können Kinder nicht einschätzen, empfinden aber die Bedrohung, der sie nicht entgehen können. War früher, vor der „Zeitenwende“ zum Militarismus, gewaltfreie Konfliktlösung ein wichtiges Erziehungsziel, lernen sie jetzt, dass Waffen das einzige Mittel sind, Probleme aus der Welt zu schaffen.

Auch Erwachsenen wird durch erzwungene Amnesie, Meinungsmanipulation, Aufpeitschen von Stimmungen und Realitätsverzerrung eine Orientierungslosigkeit und ein Gefühl des Ausgeliefertseins aufgezwungen. Sie werden lenkbar, aber sie reagieren oft irrational, wütend und hasserfüllt. Sie richten ihre Wut nicht gegen die Verursacher, sondern gegen Schwache.

Will man für elementare Grundsätze von Menschlichkeit einstehen, braucht es inzwischen Mut zur Dissidenz.

Bertolt Brecht wird mir nachsehen, dass ich seinen Titel ausgeliehen habe. „Deutschland – ein Greuelmärchen“ hatte er zunächst für das Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ vorgesehen. Dieses wird derzeit im Karlsruher Staatstheater aufgeführt. Laut Kritik demonstriert das Stück „die schrecklichen Folgen einer kollektiven Gehirnwäsche als Vorbereitung und Nebenwirkung von Krieg. (…) Immer geht es um die Unterwerfung der Figuren unter ein System von Gewalt und Lügen, Denkverboten und Verblendung. Das Wirken der Täter durch Propaganda und Manipulation zeigt sich hier im Handeln der Opfer, die aus Angst zu angepassten Handlangern und selbst zu Tätern werden“ (BNN, 30.10.2024).


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Deutschland – ein Greulmärchen“ bei Ossietzky.


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