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Die Anmaßung des Strafens

Die Anmaßung des Strafens

Gefängnisaufenthalte „bessern“ die Insassen nur selten und verschleiern die Tatsache, dass die Kriterien dafür, was man für ein Verbrechen hält, höchst relativ sind.

Eine Untersuchungshaft soll Menschen nicht zerstören. Nach der Haft geht das Leben weiter und vielleicht zeigt die Strafuntersuchung, dass der in Haft genommene sogar unschuldig ist. Daher werden in Zürich und Bern nun neue Maßnahmen zur Verbesserung der U-Haft geprüft. Mittels Eintrittsgesprächen und anderen Maßnahmen soll die Situation für Verhaftete verbessert werden. Eine Untersuchungshaft kann sehr lange, sogar Monate, dauern (1).

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Bezirksgefängnis in Dietikon, Kanton Zürich. In den schalldichten Zellen dieses Betonbunkers werden auch Untersuchungshäftlinge wochen- und monatelang eingesperrt. Foto: Heinrich Frei


Kurze Freiheitsstrafen sind sehr schädlich

Bekannt ist schon lange: „Kurze Freiheitstrafen“ — auch die Untersuchungshaft — „sind sehr schädlich. Sie bedrohen die berufliche Existenz, wirken stigmatisierend, belasten die Beziehungen zu Angehörigen und Verwandten, ohne irgendwelche Impulse zur Wiedereingliederung geben zu können. Es bestehe die Gefahr, dass nach dem Aufenthalt in einem Gefängnis die kriminelle Karriere erst richtig beginnt, statt gestoppt wird“, sagte schon vor Jahren der Basler Anwalt Urs Pfander. Suizide und psychische Erkrankungen in der Haft sind häufig.

Ersatzfreiheitsstrafe: Statt Buße zahlen ins Gefängnis

Fast die Hälfte aller jährlichen Haftantritte in der Schweiz erfolgt, weil die Betroffenen ihre Bußen oder Geldstrafen nicht begleichen können (2).

Für eine Buße oder Geldstrafe von 100 Franken sitzt man dann einen Tag im Gefängnis oder kann in gewissen Fällen auch gemeinnützige Arbeit leisten. Ein Häftling kostet die Schweiz 390 Franken pro Tag …

Mein verstorbener Bekannter Hans Heinrich Zürrer bekam vor über 40 Jahren 20-mal eine Gefängnisstrafe aufgebrummt, weil er die Militärpflichtersatzsteuer als Kriegsdienstverweigerer nicht zahlte. Seine Ferien verbrachte er regelmäßig hinter Gittern.

Die Kriminellen mit den weißen Kragen sehen selten einen Knast, dort sitzen meist die armen Leute.

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Ausschaffungsgefängnis neben der Piste des Flughafens Zürich-Kloten

Hier werden Flüchtlinge inhaftiert, die kein Delikt begangen haben. Foto: Heinrich Frei, siehe auch (3)

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht das Gleiche …

Verbrechen werden in unserer Gesellschaft mit verschiedenen Ellen gemessen. Für Mord sieht das Strafgesetzbuch in Deutschland die höchste Strafe vor, lebenslange Haft. Nach 15 Jahren kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Wenn jedoch ein Soldat auf Befehl des Staates als Feinde bezeichnete Menschen tötet, die er nicht kennt, ist dies erlaubt, beispielsweise die Ermordung eines Taliban in Afghanistan, eines Russen in der Ukraine oder anderswo ein Soldat einer fremden Macht oder ein Terrorist.

Kurt Tucholsky: Soldaten sind Mörder

Kurt Tucholsky schrieb 1931: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt, ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder“ (4).

Cyprian von Karthago: Straflosigkeit bei großen Verbrechen

Cyprian von Karthago schrieb um 200 nach unserer Zeitrechnung:

„Der Mord ist ein Verbrechen, wenn ein einzelner ihn begeht; aber man ehrt ihn als Tugend und Tapferkeit, wenn ihn viele begehen! Also nicht mehr Unschuld sichert Straflosigkeit zu, sondern die Größe des Verbrechens!“ (5).

Bürgerkrieg in Nigeria: Flugzeuge des Roten Kreuzes werden beschossen

1968 wurde aufgedeckt, dass die Firma Bührle & Co zwischen 1963 und 1968 für insgesamt rund 90 Millionen Franken Embargostaaten Kriegsmaterial mit gefälschten Ausfuhrzertifikaten geliefert hatte — das waren rund 16 Prozent des Umsatzes aus Waffenverkäufen des Unternehmens.

Während des nigerianischen Bürgerkriegs und der Hungerkatastrophe wurden schweizerische Charterflugzeuge des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mit schweizerischen Geschützen der Firma Bührle beschossen (6).

Gefängnis für Kriegsdienstverweigerer, bedingt für Dieter Bührle

Im November 1970 wurde der Generaldirektor der Waffenfabrik, Dieter Bührle, dann wegen Verstoßes gegen den Bundesratsbeschluss über das Kriegsmaterial zu 8 Monaten Gefängnis und einer Buße von 20.000 Franken verurteilt — drei seiner Mitarbeiter wegen Urkundenfälschung zu 15 bis 18 Monaten Haft. Alle Strafen wurden bedingt verhängt. Korrektur zu DODIS: Ein Direktor von Bührle musste die Strafe absitzen in der offenen Strafanstalt Saxerriet im Rheintal. Der Bührle Direktor Gabriel Lebedinsky arbeitete ins Saxerriet während seiner Haft auf dem Büro, wie mir mein Bekannter Robert Widmer erzählte. Robert war damals wegen Kriegsdienstverweigerung in Saxerriet inhaftiert. Eine Konsequenz der Verurteilung von Dr. Dieter Bührle war auch, dass er als Oberst der Schweizer Armee den Generalstab verlassen musste.

1999 verkaufte der Bührle Konzern seine Kanonenproduktion, die Oerlikon Contraves Defence, an den deutschen Waffenhersteller Rheinmetall.

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Justitia die Göttin der Gerechtigkeit. Brunnen in der Bieler Altstadt. Justitia wiegt oft mit falschen Gewichten, Foto: Heinrich Frei


Waffen für Terroristen und Waffen für Kriege

Das Beispiel Bührle zeigt, dass in unserer Gesellschaft mit verschiedenen Ellen gemessen wird.

Beihilfe zum Mord durch Waffenlieferungen ist fast ein Kavaliersdelikt, während Kriegsdienstverweigerung in der Schweiz bis 1996 sehr hart bestraft wurde.

Auch heute werden Menschen, die einem Terroristen Waffen verkaufen hart bestraft, aber Firmen, die Krieg führende Staaten mit Kriegsmaterial beliefern, Kriege mit oft hunderttausenden Toten, haben keine Konsequenzen zu befürchten. Die Waffenexporte erfolgen mit dem Segen des Bundesrates, von Bern. Auf dem Papier ist zwar seit 1973 festgeschrieben: Es werden keine Ausfuhrbewilligungen für Kriegsmaterial erteilt, „nach Gebieten, in denen ein bewaffneter Konflikt herrscht, ein solcher auszubrechen droht oder sonst wie gefährliche Spannungen bestehen“. Das „Schlupfloch“, das es in den letzten Jahren angeblich der Schweiz legal erlaubte, Krieg führenden Regimes Rüstungsgüter zu liefern, war die Aufrechterhaltung der industriellen Kapazität der einheimischen Rüstungsindustrie. Der Bundesrat bewilligte laufend Kriegsmaterialexporte an Krieg führende NATO-Staaten, nach Saudi-Arabien, Pakistan, der Türkei und so weiter.

Warum Gefängnisse niemandem nützen

Im Vordergrund des heutigen Strafrechts steht zwar nicht mehr der alttestamentlich geprägte Vergeltungs- und der Sühnegedanke, sondern die Prävention und die Resozialisierung des Missetäters, wie Peter Haffner in der Neue Zürcher Zeitung am 2. Februar 2015 schrieb.

Grundsätzlich stellt sich aber die Frage zum Strafrecht und zum Apparat der Strafanstalten: Können Kriminelle durch einen Gefängnisaufenthalt gebessert werden?

Der Direktor der Zürcher Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf Andreas Naegeli meinte, „Eigentlich ist unser System“ (der Gefängnisse) „verrückt, aber es ist das einzige, dass wir haben.“ In der Pöschwies versucht man Kriminelle zu resozialisieren. Laut den Aussagen des Direktors Nägeli auch mit gewissem Erfolg, „die große Mehrheit der Strafgefangenen in Regensdorf wird nicht rückfällig“. „Eigentlich ist unser System verrückt“, schreiben Isabel Heusser und Fabian Baumgartner am 13. März 2023 in der Neue Zürcher Zeitung.

Zu dem System Gefängnis gibt es Alternativen

Zu der Situation in den Gefängnissen in Deutschland verfasste der Jurist Thomas Galli das Buch „Weggesperrt, warum Gefängnisse niemandem nützen“. Er stellte in seinem Buch die heute allgemein üblichen Gefängnisstrafen in Frage.

Zudem schildert er in diesem Buch, wie er im Studium die mathematischen Regeln des Strafrechts lernte:

„Wenn A so handelt, ergibt dies den entsprechenden Strafbestand B und dann die Rechtsfolge C von x Monaten oder Jahren Haft.“

In seiner ersten Stelle arbeitete Galli als Abteilungsleiter in der bayerischen Justizvollzugsanstalt Amberg. Dort war er zuständig für 200 Inhaftierte. Bei Verstößen gab es Arrest. Wenn ein Häftling mit Heroin erwischt wurde, gab es bis zu vier Wochen Isolationshaft, mit Bett und Bibel.

Im Nachhinein wurde Galli bewusst, welche durch nichts zu rechtfertigende Behandlung ein solcher Arrest einem Menschen antut, insbesondere einem Suchtkranken. Dass der Mensch so nicht zu bessern ist, spürte er schon früh.

Galli zeigt in seinem Buch, dass es zu dem System Gefängnis Alternativen gibt. Durch Alternativen zu Gefängnissen könnten wir alle sicherer leben und müssten weniger Angst vor Kriminalität haben, schreibt Galli.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Zürich und Bern testen eine humanere U-Haft www.tagesanzeiger.ch/untersuchtungshaft-modellversuch-von-bern-und-zuerich-126598769347
(2) Ersatzfreiheitsstrafen: Es geht nicht ums Geld | WOZ Die Wochenzeitung
(3) Abgewiesene Flüchtlinge in der Schweiz, in einem reichen und glücklichen Land — IFOR Schweiz — MIR Suisse (ifor-mir.ch)
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Cyprian_von_Karthago
(5) (dodis.ch/33501). dodis.ch/36188)

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