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Die Geburt einer neuen Kultur

Die Geburt einer neuen Kultur

Die Geistesströmung der Metamoderne versucht das Streben nach universeller Wahrheit mit skeptischem Relativismus in Einklang zu bringen. Exklusivauszug aus „Die Metamoderne“.

Die Entwicklungen, Herausforderungen und Krisen der Gegenwart — Digitalisierung, Internet, künstliche Intelligenz, Klimawandel, Migrationsdruck, neue Kriege et cetera — erzeugen bei vielen Menschen mehr oder weniger starke Verunsicherungen ihrer Situation, aber auch ihres Blickes in die Zukunft. Werden diese Krisen die Menschheit zurückwerfen in Zeiten von Not und Unfreiheit? Oder sind die Krisen eine Art von Geburtswehen des Übergangs in eine neue, nachhaltige und globale Menschheitskultur? Und wird beides, Aufbrüche ins Neue und Rückfälle, längere Zeit parallel laufen, bis irgendwann zukunftsfähige Stabilisierungen global gelingen? Entstehen die Anfänge dieser möglichen Zukunft als neue Ideen und Strukturen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur? Oder beginnen sie eher als experimentelle, teilweise sogar künstlerische Einstellungen und Gefühle, als neue Lebenspraktiken und Lebensqualitäten, aus denen sich erst später auch entsprechende nachhaltige Strukturen kristallisieren? Oder läuft auch hier beides parallel?

Diese Fragen zur künftigen Entwicklung können wir nicht beantworten, die Zukunft wird sie entscheiden. Doch um uns der Situation, ihrer Gefahren und Möglichkeiten bewusster zu werden und so vielleicht sogar individuell und zusammen mit anderen Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können, scheint es wichtig, sie zumindest zu stellen. Um ein differenzierteres Bild und mögliches Verständnis der Situation zu gewinnen, macht es Sinn, die in verschiedenen Kultur- und Wissenschaftskreisen laufenden Diskussionen dazu zu verfolgen. Denn darin deutet sich eine spannende Selbstverständigung darüber an, welche neuen Entwicklungen möglich werden und wie wir diese verstehen, kommunizieren und mitbeeinflussen könnten.

Kulturen und Kultur generell sind wie ein sich ständig verändernder Fluss, ein permanentes Entstehen und Vergehen von Gesellschaften und deren Selbstreflexionen in Sprache, Kunst und Wissenschaften.

Dennoch lassen sich darin größere Epochen und/oder Phasen voneinander abgrenzen und unterscheiden, die sich jeweils durch bestimmte kulturelle Muster — Meme, Symbole, Werte, Normen, alltags- und tiefenkulturelle Gewohnheiten, Techniken, Wirtschafts- und Sozialformen et cetera — auszeichnen. Die gängige moderne Sozial- und Kulturwissenschaft beziehungsweise -philosophie unterscheidet dabei meist drei in ihren kulturellen Mustern stark divergierende Epochen: Vormoderne, Moderne und Postmoderne. Seit einigen Jahren entwickelt sich mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft jedoch eine weitere Differenzierung und entsprechende Begrifflichkeit: die Metamoderne.

Deutet sich damit eine neue Kultur und Epoche an? Wünschenswert wäre das, denn fast jeder denkfähige Mensch fragt sich, warum die lange Zeit prosperierenden Qualitäten der Moderne und dann Postmoderne gegenwärtig von einer Krise in die nächste geraten und kaum Potenzial für deren Lösung zu haben scheinen.

Der Kulturphilosoph Jean Gebser charakterisierte das Entstehen neuer Epochen vor allem dadurch, dass diese in der Lage sind, die defizienten Eigenschaften der bisherigen zu transzendieren und neue, komplexere und integrativere Qualitäten und Potenziale zu ermöglichen.

Neue Kulturen, so auch die Metamoderne, sind anfangs kaum sichtbar, da die Bilder, Worte und sogar Wissenschaften von den Gewohnheiten bisheriger Kultur besetzt sind. Daher lohnt es sich, die Spuren des Neuen zu verfolgen und sie sichtbar zu machen. Die verzweigte und zuerst unabhängig voneinander sich ereignende Herausbildung der Anzeichen und des Begriffs der Metamoderne schildert Jonathan Rowson in seinem Beitrag in detaillierterer Form, daher erwähne ich hier nur einige prägnante Wegmarken und ergänze sie durch weitere Vorläufer.

Was ist die Metamoderne, und wie und woraus entsteht sie?

Die Entwicklung der modernen Gesellschaft, die im Unterschied zur vormodernen Gesellschaft zahlreiche Bereiche des Lebens nach den Kriterien von Arbeitsteilung, Effizienz und Rationalität organisierte, war schon immer von zahlreichen Initiativen begleitet, die sich dieser Effizienzlogik zumindest teilweise entzogen. So gab es Sebastian Kneipps und zahlreiche weitere Impulse für naturverbundene Spiritualität und Gesundheit. So auch die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber benannte Gartenbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstehende sogenannte Jugendbewegung — inklusive neuer Kunstformen wie dem Jugendstil — oder später der Kulturaufbruch der 68er-Bewegung.

All die dabei aktiven Menschen verspürten Sehnsucht nach diesen oder jenen ganzheitlich-erfüllteren Formen des Lebens und Arbeitens, der Kunst und Kultur; und sie folgten dieser Sehnsucht auf diese oder jene Weise. Da damals jedoch die progressiven wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungspotenziale der Moderne noch nicht ausgeschöpft waren, blieben es letztlich Randerscheinungen verschiedener Bereiche, die keinen gemeinsamen Nenner oder Fokus zu haben schienen.

Das scheint sich jedoch zu ändern, und ein gemeinsamer Nenner entsteht. In ihrem 2010 erschienenen Aufsatz „Notes On Metamodernism“ im Journal of Aesthetics & Culture und als eigenes Buch auch in Deutsch 2014 schlugen die Kulturtheoretiker Timotheus Vermeulen und Robin van den Akker die Kategorie der Metamoderne als übergreifende Kategorie für verschiedene Tendenzen vor, die sowohl über die Kennzeichen der Moderne als auch der Postmoderne hinausgehen (Vermeulen und van den Akker, 2010; 2014).

Sie entdeckten diese neuen Tendenzen und Qualitäten zuerst in der Kunst, insbesondere in neoromantischen Arbeiten junger Künstler. Diese „metamoderne Sensibilität" beschrieben sie unter anderem als eine Art „informierter Naivität“ und als „pragmatischen Idealismus“ und verstanden diese auch als kulturelle Reaktionen auf die jüngsten globalen Entwicklungen und Ereignisse wie den Klimawandel, die politische Instabilität und die digitale Revolution.

Das Präfix „meta“ beziehen sie dabei bewusst auf Platons Begriff der Metaxie, der eine Bewegung zwischen entgegengesetzten Polen und darüber hinaus bezeichnet.

Jonathan Rowson differenziert diese für ein möglichst konkretes und umfassendes Verständnis der Metamoderne wichtige Begriffsbedeutung in seinem Beitrag weiter und beschreibt es als das kulturelle Dazwischen, das gesellschaftliche beziehungsweise politische Danach und das mystische beziehungsweise transzendente Darüberhinaus.

Rowson beginnt und endet seinen Buchbeitrag mit der bedenkenswerten These, dass die Metamoderne auch und vor allem ein neues Gefühl, ja sogar „eine neue, ganzheitlichere Struktur des Fühlens“ sei. Und diese neue Struktur des Fühlens sei „wichtig, weil sie den Strukturen des Denkens und der Gesellschaft sowie den Bereichen des Politischen und des Epistemologischen vorgelagert ist“.

Um die hier unten weiter ausgeführten Qualitäten der Metamoderne, aber auch deren Zusammenhang mit dieser neuen Struktur des Fühlens zu verstehen, ist es hilfreich, das sogenannte „Eisbergmodell von Kultur“ (2023) aufzugreifen. Dieses zeigt uns, dass ein Großteil der uns alltäglich umgebenden Kulturgüter wie Sprachen und Künste, aber auch Bau- und Kommunikationsstile, Moden und Techniken mit dem zu vergleichen ist, was die über dem Wasser sichtbare Seite eines Eisbergs ausmacht.

Der größere Teil eines Eisbergs liegt jedoch unterhalb der Wasseroberfläche, und ähnlich ist es mit der Kultur. Diese uns im Alltag weitgehend unbewusste und somit unsichtbare Seite von Kultur besteht aus Gefühls-, Denk- und Handlungsgewohnheiten sowie diesen entsprechenden Codes, Normen und Werten.

Bereits Max Weber, einer der Begründer der Kultursoziologie, erkannte, dass Werte wenig bewusst sind, sondern aus der Tiefe des Gefühls kommen. Aber er hatte seinerzeit wenig Hoffnung für eine rationale Verständigung darüber (1904 bis Mai 1988, Seiten 150 folgende). Auch ein späterer, ähnlich einflussreicher Soziologe, der Vordenker der sozialen Systemtheorien, Talcott Parsons, formulierte 1977 die Vermutung, dass Gefühle zentrale Austauschmedien in gesellschaftlichen Systemen sind und in ihrer Bedeutung für die Organisation von Handlungen in modernen Gesellschaften an die Stelle der traditionellen sozialen Schichtung getreten sind (nach Baecker, 2004, Seiten 5 folgende). Und Umberto Maturana, ebenfalls ein systemischer und fachübergreifender Denker, formulierte es 1993 wie folgt:

„In der Geschichte des Ursprungs der Menschheit gehen Emotionen der Sprache voraus (…). Kultur begann, als Sprache, als die Form des Zusammenlebens in konsensuellen Koordinationen von Koordinationen von Handlungen und Emotionen Teil der Lebensweise wurde (…). Es sind unsere Emotionen, die die Handlungsbereiche konstituieren, die wir in unseren verschiedenen Konversationen leben, in denen dann Naturschätze, Notwendigkeiten und Möglichkeiten in Erscheinung treten“ (Maturana, 1993, Seiten 21 folgende).

Andere in der Kulturwissenschaft entwickelten Begriffe, um diese eher verborgenen, doch für Veränderungen bedeutsamen Dimensionen von Kulturen auszudrücken, sind Tiefenideologie oder Tiefenkultur (Galtung, 1991). Ähnlich wie das Eisbergmodell von Kultur drücken diese aus, dass entscheidende Qualitäten von Kulturen an der Oberfläche des alltäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens kaum wahrgenommen und reflektiert werden. Da dies keine Theorieabhandlung werden soll, gehen wir darauf nicht weiter ein. Diese Begriffe können jedoch mithelfen zu verstehen, dass grundlegende Veränderungen beziehungsweise Transformationen von Kulturen und Gesellschaften zwar mit neuen Techniken und Begriffen, Moden und Kunstformen verbunden sind, dass die Stabilisierung einer neuen kulturellen Epoche aber immer auch mit der Herausbildung und Etablierung neuer Gefühle, Einstellungen, Normen und Werte einhergeht (Fränzle, Hosang und Markert, 2005).

Max Weber untersuchte dies für die Herausbildung der Moderne und beschrieb es sehr eindrucksvoll in seiner Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904 bis Mai 1996). Anhand zahlreicher konkreter Studien zeigt er darin, dass die moderne Industriegesellschaft nicht allein das Ergebnis von neuen Technologien — wie Buchdruck, Dampfmaschine, Webmaschine et cetera — war, sondern zu ihrer Durchsetzung auch neue Gefühls- und Wertestrukturen brauchte. Viele dieser Technologien waren ansatzweise auch bereits früher in China entdeckt worden, führten dort jedoch nicht zur Herausbildung der Moderne. Dazu brauchte es noch die von Weber kurz als „protestantische Ethik“ bezeichneten Emotions- und Motivationskomplexe. Er beschreibt sehr eindrucksvoll, wie diese Sublimationen christlicher Sinnstrukturen in ursprünglich vor allem protestantischen Gegenden die besonders erfolgsorientierten rationalen Handlungs- und Unternehmensqualitäten hervorbrachten, die moderne Industriegesellschaften von vormodernen Alltagswelten unterscheiden.

Mit aller Deutlichkeit charakterisierten zuerst Vermeulen und van den Akker (siehe oben) und in deren Folge zahlreiche weitere Forscher die Metamoderne als eine kulturelle Entwicklung, die nach der Moderne und der auf diese folgende Postmoderne kommt und Qualitäten beider auf neue Weise integriert. Daher ist es für das Verständnis der Metamoderne hilfreich, auch die Moderne und die Postmoderne kurz zu betrachten. Die folgenden Ausführungen wurden unter anderem inspiriert durch die Entstehung der Metamoderne reflektierenden Werke von Lene Rachel Anderson (2019), Daniel Görtz et alii (2021) sowie Jonathan Rowson und Pascal Layman (2021).

Die Herausbildung der Moderne wurde anhand von Max Webers Werk „Die protestantische Ethik“ schon kurz beschrieben. Davon ausgehend können wir sie als eine gesellschaftliche Epoche verstehen, die sich durch bestimmte kulturelle Gefühle, Werte und Codes sowie durch damit verbundene Weltsichten, Techniken, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen organisiert.

Die Moderne entstand im Zuge der Aufklärung, Industrialisierung und Demokratisierung und zeichnet sich durch Werte wie Wissenschaft und Vernunft, Fortschritt, Freiheit und universelle Menschenrechte aus.

Die Menschheit verdankt der Moderne viele Errungenschaften: allgemeine Bildung, moderne Medizin und Technologie, aber auch Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Versammlungsfreiheit. Sie befreite das menschliche Individuum aus vormodernen Abhängigkeiten geistiger oder politischer Art und ermutigte dazu, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. In den von modernen Werten regierten Nationen gibt es gleiche Rechte und zumindest potenziell auch gleiche Entwicklungschancen für alle, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion. All dies ist zu bewahren und möglichst allen Menschen zugänglich zu machen.

Für die Herausbildung des Begriffs und Selbstbewusstseins der Metamoderne interessant ist eine Erkenntnis von Jürgen Habermas, der in seinem „Philosophischen Diskurs der Moderne“ derstellt, dass auch die Moderne sich zuerst in im Vergleich zur Vormoderne neuen kulturellen, künstlerischen und ästhetischen Entwicklungen selbst erkannte. So schreibt er:

„Das erklärt, warum die Ausdrücke ‚Moderne‘ und ‚Modernität/modernité‘ bis heute eine ästhetische Kernbedeutung behalten haben, die durch das Selbstverständnis der avantgardistischen Kunst geprägt ist“ (Habermas, 1988, 8).

Im Laufe ihrer über 300 Jahre durchlief die Moderne verschiedene Phasen. Ihre Blütezeit erlebte sie im 20. Jahrhundert bis zur Mitte der 1970er-Jahre. Durch sensible Wahrnehmung bestimmter ökologischer, sozialer und seelischer Problemfelder, die trotz der Wirtschaftswunder westlicher Industriegesellschaften nicht verschwanden, verdichteten sich seitdem zunehmend auch kritische Reflexionen der Moderne. Diese wurden zuerst von französischen Kulturwissenschaftlern formuliert, die der sich daraus formierenden geistig-kulturellen Bewegung auch ihren Namen gaben. Besonders einflussreich dabei war Jean-François Lyotard mit seiner 1979 erschienenen Schrift „Das postmoderne Wissen“.

Der skeptische Blick der Postmodernisten relativiert den Fortschritts- und Erkenntnisglauben der Moderne in mehrfacher Hinsicht. Sie zeigen, dass Wissen immer kontextbezogen ist und daher sogenannte Wahrheiten immer auch hinsichtlich der diese erzeugenden und interpretierenden Machtgefüge zu hinterfragen sind.

Vor allem Michel Foucault untersuchte diese Verquickungen von Wissen und Macht und kommt in seinen kulturgeschichtlichen Untersuchungen zur Schlussfolgerung, dass es darauf ankommt, zu „begreifen, dass die Macht nicht im Staatsapparat lokalisiert ist und dass nichts in einer Gesellschaft verändert sein wird, wenn die Machtmechanismen, die außerhalb der Staatsapparate, unter ihnen, daneben, auf einem sehr viel niedrigeren, alltäglichen Niveau funktionieren, nicht verändert werden“ (Foucault, 1976, Seite 95).

Ähnlich fasst es der bereits oben mit seinen Erkenntnissen zur kulturellen Bedeutung von Emotionen und Gefühlen zitierte Umberto Maturana:

„Unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten bestehen nicht, weil wir nicht über ausreichendes Wissen verfügen oder weil es uns an technischen Fähigkeiten mangelt; unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten sind das Ergebnis eines Mangels an Sensitivität (...), eines Verlustes, den wir erleiden durch unser Eingebundensein in die Konversationen der Inbesitznahme, der Macht, der Kontrolle über das Leben und über die Natur, die unsere patriarchale Kultur bestimmen“ (Maturana, 1993, Seite 21 folgende).

Um diese Verquickung von Wissen und Macht aufzulösen, fordert die Postmoderne die Anerkennung einer Vielfalt gleichberechtigt nebeneinander bestehender Perspektiven und eine ironische bis skeptische Distanz gegenüber Wahrheitsansprüchen aller Art. Die Postmoderne hält den unter der Wasserfläche des Eisbergs der modernen Kultur verborgenen tiefenideologischen Selbstverständlichkeiten der Moderne den Spiegel vor. Sie ermöglicht es, deren unbewusst-selbstverständliche Gefühle, Normen und Vorstellungswelten sowie verborgene Machtstrukturen zu sehen.

Diese modernekritischen Positionen der Postmoderne ergeben jedoch ihrerseits neue Vereinseitigungen wie Relativismus, Beliebigkeit und Skeptizismus. Die berechtigte Ablehnung von unbewussten oder verdrängten Machthierarchien verleitet leicht dazu, auch sinnvolle Kompetenz- und Wertehierarchien abzulehnen. Und die Betonung der Kontextbezogenheit allen Wissens und Sprechens gerät schnell zu sinnleerer Beliebigkeit allen Denkens und Tuns.

Die Metamoderne kann als kulturelle Bewegung verstanden werden, die sowohl die genannten Schwächen der Moderne als auch der Postmoderne reflektiert. Sie integriert und transzendiert Moderne und Postmoderne und verbindet beide zugleich auf reflektierte Weise mit bestimmten Qualitäten der Vormoderne, von denen sich die Moderne im Zuge ihrer Befreiungskämpfe erst einmal distanzieren musste: Werte wie Gemeinschaftlichkeit und Transzendenz.

Im Folgenden zur Verdeutlichung noch einige Beispiele dafür, wie sich bestimmte Einseitigkeiten der vorherigen Epochen in der Metamoderne verbinden könnten:

  • Die Moderne glaubt an den Fortschritt, die Vernunft und die Objektivität. Die Postmoderne zweifelt an diesen Idealen und betont die Relativität, die Vielfalt und die Ironie. Die Metamoderne schwingt zwischen diesen Polen hin und her und sucht nach einer Synthese, die beide Perspektiven berücksichtigt.
  • Die Moderne strebt nach einer universellen Wahrheit, die für alle gültig ist. Die Postmoderne lehnt diese Möglichkeit ab und akzeptiert nur lokale, kontextuelle und konstruierte Wahrheiten. Die Metamoderne versucht, eine neue Form von Wahrheit zu finden, die sowohl absolut als auch relativ ist, indem sie sich auf das Erleben, das Empfinden und das Mitfühlen stützt.
  • Die Moderne vertraut auf die großen Erzählungen der Geschichte, der Politik und der Kunst. Die Postmoderne dekonstruiert diese Erzählungen und zeigt ihre Widersprüche, Brüche und Machtverhältnisse auf. Die Metamoderne erfindet neue Erzählungen, die sich ihrer eigenen Fiktionalität bewusst sind, aber dennoch eine Bedeutung und einen Sinn stiften wollen.

Aus der Verbindung von vormodernen, modernen und postmodernen Qualitäten entstehen auch neue, teilweise paradoxe Sprachcodes wie ironische Ernsthaftigkeit, pragmatischer Idealismus, informierte Naivität und magischer Realismus.

Da diese für unsere an modernen und postmodernen Codes geschulte Gedanken und Gefühle noch ungewohnt sind, im Folgenden einige Beispiele dafür:

  • Ironische Ernsthaftigkeit: zum Beispiel eine Diskussion über Sinnfragen, bei der die Teilnehmenden sowohl ernsthafte Fragen zur Bedeutung des Lebens stellen als auch humorvolle Anspielungen auf spirituelle Themen machen.
  • Pragmatischer Idealismus: wenn Menschen sich für soziale oder politische Veränderungen einsetzen, indem sie pragmatische Ansätze wählen, die auf idealistischen Werten basieren. Dies könnte eine Gruppe sein, die nachhaltige Lebensstile fördert, indem sie konkrete Schritte zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks realisiert und weiterempfiehlt.
  • Informierte Naivität: Ein Beispiel für informierte Naivität könnte eine Kunstausstellung sein, die auf den ersten Blick naiv und einfach erscheint, aber bei genauerem Betrachten komplexe soziale oder philosophische Botschaften enthüllt.
  • Magischer Realismus: wenn in literarischen Werken oder Filmen fantastische Elemente in realistische Settings eingebettet werden, um metaphorische oder allegorische Bedeutungen zu transportieren. Ein Beispiel wäre ein Roman, in dem Menschen in einer alltäglichen Welt mit magischen Ereignissen konfrontiert werden, die symbolisch für psychologische Konflikte stehen.

Im Unterschied zur Skepsis und Beliebigkeit der Postmoderne erkennt und akzeptiert die Metamoderne auf eine neue, reflektierte und machtfreie Weise Qualitäten wie Fortschritt, Humanismus, Liebe, Träume und Visionen.

Donella Meadows, Jorgen Randers und Dennis Meadows (2004) kommen in ihren Untersuchungen über die Grenzen des modernen Wachstums zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Da ihre Worte ein sehr schönes Beispiel für frühe Vordenker der Metamoderne — ihre erste Veröffentlichung zu den „Grenzen des Wachstums“ ist ja 1972 erschienen — darstellen, zitieren wir sie hier etwas ausführlicher:

„In unserer Suche nach Wegen zur Ermutigung friedlicher Veränderungen eines Systems, das sich seiner eigenen Transformation ganz natürlich widersetzt, haben wir viele Mittel ausprobiert. Die offensichtlichsten haben wir ausgeführt — rationale Analyse, Datensammlung, Systemdenken, Computermodellierung und klare Worte. Dies sind die Mittel, die alle, die in Wissenschaft und Ökonomik ausgebildet sind, automatisch begreifen. Sie sind nützlich, notwendig, aber nicht ausreichend.

Wir wissen nicht, was ausreichend sein wird. Aber unsere Schlussfolgerung kommt zu anderen Mitteln, die unserer Erfahrung nach nicht optional, sondern essenziell sind für jede Gesellschaft, die langfristig zu überleben hofft. Diese werden oft als zu ‚unwissenschaftlich’ betrachtet und daher in der zynischen öffentlichen Arena nicht ernst genommen. Es sind: Visionsbildung und Vernetzung, Wahrheitserzählung, Lernen und Lieben.

In der industriellen Kultur ist es nicht erlaubt, über Liebe zu sprechen, außer im romantischen und trivialen Sinn. Jeder, der über die Fähigkeit der Menschen spricht, praktische Bruder- und Schwesterliebe zu praktizieren, Liebe der Menschheit als Ganzes und unseres Planeten, wird eher verspottet als ernst genommen (…).

Individualismus und kurzsichtige Interessen sind die größten Probleme der gegenwärtigen Gesellschaften und die tiefste Ursache ihrer Nichtnachhaltigkeit. Liebe und Mitgefühl, in sozialen Formen institutionalisiert, sind die bessere Lösung. Eine Kultur, die an diese besseren menschlichen Qualitäten nicht glaubt, diese nicht diskutiert und entwickelt, leidet an einer tragischen Begrenzung ihrer Möglichkeiten (…). Die nachhaltigen Transformationen werden vor allem solche sein, welche die besten Seiten der menschlichen Natur, eher als die schlechtesten, ausdrücken und hegen (…). Die Menschheit kann bei ihrem Abenteuer der Verringerung des menschlichen Fußabdrucks auf ein nachhaltiges Niveau nicht erfolgreich sein ohne einen Geist globaler Partnerschaft. Der Kollaps kann nicht vermieden werden, wenn die Menschen nicht lernen, sich selbst und die anderen als Teil einer integrierten globalen Gesellschaft zu sehen. Beides erfordert Mitgefühl, nicht nur mit dem Hier und Jetzt, sondern auch mit den Fernen und Zukünftigen. Die Menschheit muss lernen, die Idee eines lebendigen Planeten für zukünftige Generationen zu lieben“

(Meadows, Randers und Meadows, 2004, Seiten 269 folgende; Übersetzung Maik Hosang)



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