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Die maskierte Öffentlichkeit

Die maskierte Öffentlichkeit

Die Regierenden und „ihre“ Medien haben abweichende Meinungen weitgehend unsichtbar gemacht, aber die Wut wächst im Verborgenen.

Öffentlichkeit: Das ist ein Ort der Begegnung, der für die Politik ganz ähnlich funktioniert wie der Markt für die Wirtschaft (1). Was immer der Staat sich ausdenkt, muss vor der Bürgerschaft bestehen. Das heißt auch: Wir müssen darüber sprechen können. Rede, Gegenrede. Alles auf den Tisch. Normalerweise überlassen wir dieses Gespräch Organisationen und Auserwählten. Parteien, Gewerkschaften, Verbände. Der Präsident der Ärztekammer sagt dies, die Professorin das und die CSU etwas ganz anderes. Zu sehen oder zu hören in Presse, Funk und Fernsehen.

Diese Medienrealität beobachten wir aus drei Gründen. Wir wollen erstens wissen, wer die Macht hat. Wer hat es geschafft, sich selbst, seine Themen und seine Deutungen in die Öffentlichkeit zu bringen? Macht ist heute Definitionsmacht (2). Macht hat, wer einen „Grenzwert“ festsetzen kann und einen „Schwellenwert“, die dann zu einer Realität werden, der sich auch deshalb niemand entziehen kann, weil Kritiker entweder gar nicht gehört oder diffamiert werden.

Das führt direkt zu Grund zwei: Wir nehmen an, dass sich die anderen, die Menschen um uns herum, an der Medienrealität ausrichten werden. Also müssen wir diese Realität kennen. Sonst sind wir überrascht, dass der Sitznachbar im ICE austickt, wenn die Maske verrutscht. Drittens aber, und das ist für die Argumentation hier am wichtigsten, drittens wollen wir auf Nummer sicher gehen. Ist das, was wir selbst denken und für wichtig halten, wirklich präsent in der großen Arena? Kennt die Politik unsere Sorgen und Nöte, wenn sie über Sperrstunden entscheidet?

Die Öffentlichkeitstheorie beschreibt ein Wechselspiel zwischen drei Ebenen. Ganz oben stehen dabei die Leitmedien. Wer oder was hier nicht erscheint, bleibt unsichtbar. Auf den beiden Ebenen darunter aber, in Versammlungen und im Alltag, bei den vielen zufälligen Begegnungen hier und dort, kommen wir ins Spiel. Hier können wir die Medienrealität und uns selbst auf die Probe stellen. Sehe nur ich die Dinge so oder gibt es Gleichgesinnte? Können wir uns vielleicht sogar zusammentun und eine Demonstration organisieren, eine Mahnwache, eine Petition — etwas, was erst von den Redaktionen wahrgenommen werden muss und dann auch von der Politik?

Und damit zu den Masken. Mona Pauly hat das in einem Beitrag für die Freitag-Community auf den Punkt gebracht. Zusammengefasst: Die Politik braucht Bilder. Wie produziere ich Angst und das Gefühl, bedroht zu sein, wenn die Betten in den Kliniken leer sind und man auch kaum Kranken- oder gar Sterbegeschichten erzählen kann, die vom Normalen abweichen und damit die Medienlogik bedienen würden? Genau. Die Masken sind überall. Beim Bäcker und im Supermarkt sowieso. Jetzt auch im Kinosaal, auf den Bürofluren, im Klassenzimmer. Und damit in der Zeitung und in der Tagesschau.

Selbst die paar Fans, die hin und wieder in die Stadien dürfen und dort so weit auseinandersitzen, dass sie sich kaum hören können, tragen Masken. Im Freien wohlgemerkt und bitte nicht durchsichtig. Die Bilder. Und jeder Kommentator rügt die Nachlässigen, wenn die Kamera bei ihren Fahrten durch das Rund doch noch eine Nasenspitze entdeckt. Selbst diese Fußballkommentatoren sind maskiert. Allein, hoch oben unter dem Stadiondach. Vielleicht vergessen sie sonst, den Besorgten neues Futter zu liefern.

Die Öffentlichkeit wird so erstickt. Die Maske ist kein „Instrument der Freiheit“ (Markus Söder), sondern ihr Tod.

Es gibt keine Gegenrede mehr, nicht einmal beim Spaziergang durch die Stadt. Die Leitmedien transportieren Bilder der Zustimmung (maskierte Menschen überall), erzwungen von der Exekutive und durchgesetzt per Bußgeldkatalog. Und die beiden anderen Öffentlichkeitsebenen sind de facto ausgeschaltet. Wie will ich im Bus, auf der Straße oder im Geschäft mit jemandem ins Gespräch kommen, der nicht zu meiner Blase gehört?

Wie will ich den erkennen, der irgendeine Bemerkung genauso blöd oder genauso gut findet wie ich? Selbst im Museum (Abstand! Maske!) oder in der Gaststätte geht das nicht mehr. Keine Fremden mehr am gleichen Tisch. Überhaupt nur noch fünf Personen, die sich am besten schon kennen sollten. Alles andere verhindern das Plexiglas zwischen den Tischen und die Masken auf dem Weg zum Klo. Selbst die Toilettenwand dürfte so als Ort der Öffentlichkeit verschwinden. Und der Zapfhahn wird einfach zugedreht, wenn es abends spannend werden könnte.

Wahrscheinlich muss ich das für die Versammlungsöffentlichkeit gar nicht mehr im Detail ausführen. Die Regierenden haben die Sportarenen entvölkert, Veranstaltungen jeder Art bis zur Unkenntlichkeit verkleinert und Demos entweder kriminalisiert oder ihnen per Verordnung jede Wucht genommen: Teilnehmerzahl, Abstand, Maskenzwang. Und wenn trotzdem viele Menschen zusammenkommen wie im August gleich zweimal in Berlin, dann schaffen es die PR-Leute der Regierung, so starke Frames zu setzen, dass nichts von den Motiven der Protestierenden oder von ihren Forderungen auf der Ebene der Leitmedien ankommt.

Das Internet, natürlich: Blogs, Telegram- und WhatsApp-Gruppen, die Plattformen für den Gegendiskurs — hier findet sich all das, was früher Encounter und Versammlungen ausgemacht hat. Für den Einzelnen findet sich hier heute sogar viel mehr, weil ein Klick viel weniger kostet als jeder Gang ins Freie.

Die Grenze zu den Leitmedien ist heute aber viel höher als früher. Wer es in den großen Redaktionen wagt, Experten zu zitieren oder gar einzuladen, die vorher bei RT Deutsch waren, bei KenFM, Rubikon oder Multipolar, riskiert seine berufliche Reputation. Die Kollegin und der Kollege waren schon immer die besten Kunden des Journalisten. Heute sind diese Kunden auf Twitter, verfolgen dort alles, was von ihrer eigenen Haltung abweicht, und erzeugen so einen Resonanzraum, der schon deshalb nichts mit der guten, alten Versammlungsöffentlichkeit zu tun hat, weil der Zugang exklusiv ist und man eigentlich nur Ja oder Nein rufen kann, möglichst laut, versteht sich.

Damit das nicht falsch verstanden wird: Es gibt in den Redaktionen Menschen, die den Auftrag Öffentlichkeit ernst nehmen. Beim WDR zum Beispiel, der in der Sendung „Meine Meinung“ unter der Überschrift „Lockern oder Verschärfen?“ Pro und Contra aufeinanderprallen ließ, oder Alexei Makartsev, der gerade Sucharit Bhakdi für die Badischen Neuesten Nachrichten interviewt hat, sehr gut informiert und ohne Schaum vor dem Mund.

Auf der Ebene der Leitmedien aber, da wo die Realität geschaffen wird, die niemand ignorieren kann, wird das übernommen, was die Politik und Behörden wie das Robert Koch-Institut (RKI) der Bevölkerung gern weismachen möchten.

Uwe Krüger, ein Medienforscher aus Leipzig, hat das in einem anderen thematischen Zusammenhang „Verantwortungsverschwörung“ genannt (3). Der Journalist weiß, was gut ist und was schlecht (so ziemlich das gleiche, was die Regierenden gut oder schlecht finden), und er glaubt, dass er Einfluss auf die Menschen hat. Also nichts gegen die Maskenpflicht. Dass es dazu genug zu sagen geben würde, kann man gerade bei Oliver Märtens (4) lesen, der nach einer aufwendigen Durchsicht der Forschungsliteratur von „Körperverletzung im Amt“ spricht.

Der DDR mag man alle möglichen Gebrechen nachsagen, untergegangen aber ist sie, weil die Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten gestört war und die wirklich wichtigen Fragen nur in „internen Öffentlichkeiten“ diskutiert werden konnten — in Räumen, die für Beobachter aus dem Westen nicht zugänglich waren und deshalb von Herrschenden wie Beherrschten als Öffentlichkeitsersatz genutzt wurden (5).

Dieses System aus Eingaben, Leserbriefen, Parteiversammlungen und Expertentreffen hatte durch die Brille der Macht zwei Vorteile. Man hat Kritiker oft allein durch Zuwendung besänftigt — und diese Kritiker konnten nicht sehen, wer sonst noch auf ihrer Seite steht. Geändert hat sich das erst, als sie Erkennungszeichen in die Öffentlichkeit getragen haben — etwa: weiße Gardinenfetzen an der Autoantenne, um den Wunsch nach Ausreise zu signalisieren — und die Probleme auch sonst buchstäblich für jeden „öffentlich“ wurden — etwa: die Luftverschmutzung.

Mona Pauly hat in ihrem Beitrag für die Freitag-Community „eine grüne Maske als Protest“ vorgeschlagen. Die Bilder stören. Gegen Atemnot und Beklemmung hilft das nicht. In der DDR hat es außerdem sehr, sehr lange gedauert, bis solche Zeichen ganz oben angekommen sind. Und wer weiß, ob das ohne das Westfernsehen überhaupt funktioniert hätte.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Vergleich Jürgen Gerhards, Friedhelm Neidhardt: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit: Fragestellungen und Ansätze. Berlin, Wissenschaftszentrum Berlin 1990.
(2) Vergleiche Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Berlin, Suhrkamp 2017.
(3) Uwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München: C.H. Beck 2016, Seite 105.
(4) Vergleiche Michael Meyen: Öffentlichkeit in der DDR. Ein theoretischer und empirischer Beitrag zu den Kommunikationsstrukturen in Gesellschaften ohne Medienfreiheit. In: Studies in Communication / Media 1. Jahrgang, 2011, Seite 3 bis 69.
(5) Oliver Märtens: Die Maskenpflicht. Epidemieeindämmung oder Körperverletzung im Amt?, Multipolar, 18. Oktober 2020.
(6) Vergleiche Michael Meyen, 2011.


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