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Die neue Gretchenfrage

Die neue Gretchenfrage

„Auswandern oder Standhalten“ ist die Frage, die sich vielen kritischen Bürgern nach den Corona-Jahren stellt und der im neuesten Sammelwerk von Ullrich Mies nachgegangen wird.

In seinem neuesten Buch gibt Herausgeber Ullrich Mies mitsamt 19 Autoren, die überwiegend anschauliche Einblicke ihrer Exilerfahrungen liefern, Antworten, weshalb sie Deutschland, Österreich oder den Niederlanden in den letzten Jahren den Rücken gekehrt haben.

Bereits in der Einleitung, die mit dem Zusatz „Die westliche Welt im Ausnahmezustand“ versehen ist, nimmt Mies in gewohnter Weise kein Blatt vor den Mund und zeigt auf, wohin die Reise geht. Dabei zeichnet der bereits seit 38 Jahren in den Niederlanden Lebende das Bild von Staaten, welche den permanenten Ausnahmezustand ausgerufen haben — eine Entwicklung, die mit einer nie da gewesenen Vertrauenskrise vieler Menschen gegenüber Politikern, Medien und staatlichen sowie wissenschaftlichen Institutionen einherging- und geht. Spätestens seit Beginn des „Coronaregimes“ (Seite 11 beziehungsweise auch Herfried Münkler, 2021) sieht Mies den sogenannten Wertewesten und Deutschland mittels „Kriegszustand“ im Umbau zu einer totalitären Gesellschaft und einem „Konzernstaat“ im Mittelpunkt.

Dabei sind die omnipräsenten politisch-medialen Agenden „Corona“, „Klimakrise“, „Ukrainekrieg“ — und seit Kurzem „künstliche (Pseudo-)Intelligenz“ — nur die Spitze eines gigantischen transatlantischen Eisbergs, an dessen Hang bereits seit der Wende 1990 (Seite 12) besonders durch die Orgien im Finanz- und Wirtschaftssystem immer mehr Schneemassen aufgefahren wurden. Mies konstatiert für das „beste Deutschland aller Zeiten“ (Frank-Walter Steinmeier, 2020) daher zu Recht einen „Niedergang auf allen Ebenen“ (Seite 19). Und tatsächlich erkennen immer mehr Menschen, dass dieses Land und seine Gesellschaft politisch, moralisch, sozial und finanziell nicht mehr zu retten sind.

Doch nicht überall auf der Welt sieht es ganz so düster aus. Bereits vor 2020 war Schweden ein beliebtes Exil: Nordischer Liberalismus, viel unberührte Natur und ein — noch — funktionierender sowie fairer Sozialstaat haben viele Bundesbürger bereits damals angesprochen.

Die Österreicherin Sophia-Maria Antonulas beschreibt im ersten Beitrag „Menschen selbstverständlich die Hand reichen“, wie sie 2021 aus Berlin nach Stockholm ging. Dort suchte sie vergebens nach Maskenträgern, und die Medien kannten tatsächlich noch andere Themen außer „Corona“. Nur beim Thema „Impfen“ zeigte sich auch im hohen Norden, wenn auch weniger vehement, der mächtige Einfluss von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Co.

Kayvan Soufi-Siavash alias Ken Jebsen, dessen erfolgreichem YouTube-Channel mit mehreren Hunderttausend Abonnenten auf dem Höhepunkt der „Coronakrise“ über Nacht der Stecker gezogen wurde, gibt eine ähnliche Diagnose. Sein Beitrag „Skandinavien — Demokratie gibt es nicht geschenkt“ ist eine lesenswerte, weil schonungslose Abrechnung mit Deutschland, dem Großteil seiner Bürger/Untertanen und dem politischen System:

„Unsere repräsentative Demokratie ist nichts anderes als das effizienteste Mittel einer obszön reichen Clique, das Volk von tatsächlicher Mitbestimmung maximal fernzuhalten. Nicht der Bürger wird in repräsentativen Demokratien repräsentiert, sondern der Geldadel. Die oberen 5 Prozent. Das erklärt Bankenrettungen, Aufrüstung und permanente Kriegseinsätze“* (Seite 240).

Daher ist nachvollziehbar, warum auch er es vorgezogen hat, lieber „in den Weiten Skandinaviens unbehelligt seiner Arbeit nach(zu)gehen“ (Seite 248) — auch wenn Sven Böttcher in seinem Beitrag über Dänemark, „Freigang als Bewährung“, zunächst die gruselige Dystopie einer ultrakapitalistischen, durchdigitalisierten, streng bürokratischen und reaktionären Überwachungsgesellschaft gezeichnet hat. Doch all das ist für ihn offenkundig besser zu ertragen als das „extreme und sofortige Umkippen eines ganzen Volkes ins Totalitäre“ (Seite 67). Was dann doch für das kleine Land im Norden spricht: „Freundlichkeit. Solidarität. Hilfsbereitschaft. Und rote Linien“ (Seite 72). Treffer. Versenkt.

Den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich beschreibt Andrea Drescher in ihrem Beitrag „Als deutsche Maßnahmenkritikerin in Österreich“ treffend mit „Der Deutsche gehorcht, der Österreicher auch, aber unter sichtbarem Protest“ (Seite 83). Auch die Piefke-„Antifa“ ist kurioserweise „deutscher“, als es ihr schlimmster Albtraum sein könnte (Seite 88):

Gewalt bei Demonstrationen gegen Andersdenkende und die dümmliche Hommage an die Pharmaindustrie „Wir impfen euch alle!“ auf Bannern konnte man nur beim europäischen Musterland des woken Wertewestens nördlich der Alpen „erleben“.

Dann bitte doch lieber „Durch‘s Reden kummat‘ Leit z‘samm“ in Österreich (Seite 90)!

Wer will, kann es aber auch exotischer haben: Simone Hörrlein hat den Sprung über den großen Teich bereits 2018 nach Kanada — „Endlich wieder frei atmen“ — gewagt, da sie keine Lust hatte, weiter Zahlmeister für „dieses gescheiterte System und eine gescheiterte EU“ (Seite 91) und „den inszenierten Niedergang des Industriestandortes Deutschlands“ (Seite 93) zu sein — eine weise Entscheidung. Auch wenn das Weltwirtschaftsforum (WEF) und Konsorten vor dem zweitgrößten Staat der Erde keinen Halt mach(t)en, zeigte sich:

„Wir wurden wie Freunde aufgenommen, und ich musste mich an dieses freundliche Miteinander und die Hilfsbereitschaft der Menschen erst einmal gewöhnen“ (Seite 96).

Für deutsche Großstädter sicher eine neue Erfahrung — genau wie die Bilder wütender kanadischer LKW-Fahrer, die keine Lust auf Pfizers Premium-Produkte hatten, um ihren Job weiter ausführen zu können.

Im Süden der „Neuen Welt“ schwärmt Wolfgang Jeschke von indigenen und christlichen Werten: In Paraguay sind neben „Kollaboration und Kolibri“ auch „Familie, Tradition, Respekt, Freundlichkeit, Schöpfung, Jesus — nicht der kirchliche, sondern die Lehre seines Wortes — zentrale Attribute des Gemeinschaftslebens. Anderslebende gibt es hier auch. Aber das ist Privatsache. Es wird akzeptiert. Aber nicht ideologisch überhöht“ (Seite 107). Ein Grund für den in der DDR aufgewachsenen und später ins russische Nischni Nowgorod ausgewanderten Remo Kirsch — „Russisch-deutsche Dorfgemeinschaft“ — lag in seiner Erziehung:

„Wir sind damals russisch-freundlich erzogen worden und deshalb offener für Russland. Im Westen ist das genau andersherum. Dort sind alle pro Amerika erzogen worden, und Russland wurde immer als gefährlich und böse dargestellt. Das kann jeder täglich in der Berichterstattung über die Ukrainekrise erkennen“ (Seite 127).

Doch im Gegensatz zu Russland ist die Bundesrepublik für Kirsch „am Arsch“. Sie „wird abgewickelt“ (Seite 141).

Gelernte DDR-Bürger haben so etwas schon einmal erlebt. Ähnliche Erfahrungen, besonders die Willkür der Staatsmacht während der Coronakrise, schildern Anselm Lenz, den es nach Polen —„Bereits nach einem Lockdown hatten die praktischen wie intelligenten Polen den Spuk durchschaut“, Seite 165 — verschlagen hat („Nur weg aus Deutschland“), und Tom-Oliver Regenauer, für den die Schweiz ein „Ausnahmeland inmitten Europas“ (Seite 213) ist.

Walter Weber setzt ziemlich am Schluss einen Kontrapunkt: im Beitrag „Deutschland. Ich bleibe — das ist unser Land“. Er will den „Haien des WEF“, auch als „Globalisten“ (Seite 273) bekannt, nicht die Bundesrepublik überlassen und schließt mit einer etwas naiven Hoffnung:

„Da ich Optimist bin, hoffe ich auf ein Einsehen der Mehrheit“ (Seite 280).

Doch allein Hoffnung wird zu wenig sein. Aufklärung dagegen, wie sie die zahlreichen lesenswerten Beiträge liefern, die Ullrich Mies zusammengetragen hat, ist ein effektiverer Schritt.


Hier können Sie das Buch bestellen:Auswandern oder Standhalten? Politisches Exil oder Widerstand?“.


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