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Die Wissenschafts-Dogmatikerin

Die Wissenschafts-Dogmatikerin

Bei der TV-Influencerin Mai Thi Nguyen-Kim driften rationalistisches Ideal und Wirklichkeit auseinander, wie ihr jüngstes Buch zeigt.

Die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim hat durch ihre Auftritte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sowie auf YouTube, wo sie unter dem Namen maiLab Videos produziert, einige Bekanntschaft erlangt. Stets setzt sie sich als aufgeklärte Wissenschaftlerin in Szene, die versucht, Komplexes verständlich zu erklären. Gerade in der Coronazeit nahm sie allerdings eine eher unrühmliche Rolle als Propagandistin des öffentlichen Narrativs ein.

Wiederholt hat sie Maßnahmenkritikern und Impfverweigerern die Wissenschaftlichkeit abgesprochen und Werbung für die Impfung gemacht, hat sogar versucht, eine allgemeine Impfpflicht zu rechtfertigen, und dabei jeden Einwand mit der Begründung weggefegt: „Die Wissenschaft hat festgestellt“ — als ob sich Wissenschaftlichkeit durch Einstimmigkeit auszeichnen würde. Für dieses Engagement wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Zumindest ich fand sie bereits zuvor eher wenig sympathisch, doch spätestens seit 2020 schien mir ihr Auftreten vermehrt auf eine gefährliche Art überheblich. Aber nun gut, das kann eine subjektive Wahrnehmung sein und muss ja nicht gegen die Qualität der Inhalte sprechen.

Dennoch hätte ich mir ihr 2021 erschienenes Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ aus eigenem Antrieb wohl eher nicht zugelegt. Durch Zufall fiel es in meine Hände und gerade aufgrund meiner persönlichen Abneigung habe ich es tatsächlich gelesen. Hier erläutert Nguyen-Kim in neun Kapiteln die Methoden der Wissenschaft, aber auch ihre Tücken. Sie macht anhand gesellschaftlich relevanter Themen — wie der Schädlichkeit von Drogenkonsum, dem angeblichen Einfluss sogenannter „Killerspiele“ auf die Gewalt von Jugendlichen oder dem „Gender Pay Gap“ — auf die Probleme aufmerksam, die eine dogmatische Verkündigung „der Wissenschaft“ mit sich bringt, sowie auf die Schwächen wissenschaftlicher Methoden und Grenzen der Aussagekraft.

Die subjektive Wissenschaft

Das Buch eignet sich für eine erste Annäherung an oder eine Auffrischung von wissenschaftlichen Grundbegriffen und Methoden. So legt sie verständlich den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität sowie die begrenzte Aussagekraft von Korrelationen dar. Sie betont, dass in der Wissenschaft gerade die Methoden eine wichtige Rolle spielen. Denn mit unterschiedlichen Methoden kann man zur selben Fragestellung ganz unterschiedliche Daten erhalten. Auch die Gewichtung der Daten sollte man sich genau anschauen, wenn man wissenschaftliche Studien liest. Denn diese ist oftmals hochgradig subjektiv, wie sie am Beispiel des Drogenrankings von David Nutt zeigt, der Alkohol ganz eindeutig als gefährlichste Droge noch vor Heroin einordnet.

Doch wie kann man die mit Drogen einhergehenden Gefahren am besten bewerten und gewichten? Verständlich erklärt sie, dass mit Drogen nicht nur die unmittelbaren Gefahren, die vom Stoff selbst ausgehen, verbunden sind, sondern dass ebenfalls das Umfeld eine Rolle spielt. So ist der gesellschaftliche Schaden beispielsweise von Heroin auch deshalb hoch zu bewerten, weil die Droge verboten und ihre Beschaffung und der Konsum daher extrem zeitaufwändig und umständlich sind. Ganz reines Heroin sei jedoch für den Körper nicht sonderlich schädlich. Welche Faktoren — toxikologische, gesellschaftliche oder juristische — man mit welcher Gewichtung in die Bewertung einfließen lässt, ist sehr subjektiv, wie auch David Nutt zugegeben hat.

Die Wahl der Methode zur richtigen Untersuchung einer Frage ist daher in der Wissenschaft ein zentrales Problem, und viele Studien sind in der Regel nur begrenzt aussagekräftig. So können dieselben Datensätze von verschiedenen Wissenschaftlern ganz unterschiedlich interpretiert werden. Teilweise werden aus relativ wenig aussagekräftigen Studienbefunden total gegensätzliche Schlüsse gezogen. Das veranschaulicht Mai Thi Nguyen-Kim am Beispiel der angeblich Aggressionen fördernden „Killerspiele“. Hier sind die beiden Psychologen J. Bushman und Craig A. Anderson in zwei Metaanalysen einerseits zu der Auffassung gelangt, Videospiele förderten Gewalt, während der Psychologe J. Ferguson andererseits das genaue Gegenteil festgestellt hat. Die interpretierten Datensätze waren dabei jedoch recht ähnlich. Das Problem ist, dass die Effektgrößen der Studien extrem gering waren. Die Effektgröße beschreibt, wie relevant ein Unterschied zwischen zwei Durchschnittswerten zweier Gruppen ist.

Auch hier macht sich also die Subjektivität der Wissenschaft bemerkbar. So interpretieren verschiedene Wissenschaftler dieselben Daten ganz unterschiedlich aufgrund ihrer eigenen Prioritäten, Vorurteile und Prägungen.

Diesen Schluss, dass Wissenschaft oftmals sehr subjektiv ist, zieht Nguyen-Kim aber das ganze Buch hinweg nicht, zumindest nicht eindeutig.

Stattdessen verklärt sie die Wissenschaft zu einem Nonplusultra der Wahrheitsfindung — zumindest dann, wenn eine solche Postulierung notwendig erscheint, um eine Meinung zu einem unangreifbaren Dogma zu erklären, wie die Beispiele Impfungen und Corona zeigen. Das tut Nguyen-Kim, obwohl sie schon ziemlich zu Beginn des Buches selbst schreibt, dass Wissenschaft eigentlich keine absoluten Wahrheiten generieren kann und ständiges Überprüfen und Hinterfragen Teil des wissenschaftlichen Prozesses ist.

Anspruch und Wirklichkeit

Durch das Buch zieht sich wie ein roter Faden, dass Nguyen-Kim ein Ideal von Wissenschaft beschreibt, so, wie Wissenschaft sich selbst versteht und wie sie seit der Aufklärung verstanden wird. Diesem Ideal wird sie selbst dabei jedoch bei einigen Themen in keiner Weise gerecht. Denn auch sie kanzelt bestimmte Themen mit einem Wissenschaftlichkeits-Dogma einfach ab. So beinhaltet das Buch sowohl ein Kapitel zum Thema Alternative Medizin versus Pharmaindustrie als auch eines zum Thema Impfungen im Allgemeinen. Dabei offenbart sie nicht nur ein sehr einseitiges Verständnis von Wissenschaft, sondern zudem eine extreme Naivität dem wissenschaftlichen und pharmazeutischen Betrieb gegenüber.

Zu Beginn des Pharmakapitels macht sie sich über Theorien lustig, die eine Verschwörung der Pharmaindustrie zulasten der Menschen beinhalten. Eine solche sei, so sagt sie, doch viel zu groß, als dass sie lange geheim gehalten werden könne. Stattdessen stellt sie die rhetorisch gemeinte Frage, warum die Pharmaindustrie nicht an der Produktion wirkungsvoller Heilmittel Geld verdienen solle. Das läge doch viel näher.

Dass Patienten dauerhaft zu heilen aber kein gutes Geschäftsmodell ist, hat auch Goldman Sachs schon vor einigen Jahren festgestellt. Für die Pharmaindustrie wird diese Erkenntnis damals keine Neuigkeit gewesen sein, erfindet sie doch regelmäßig neue Krankheiten wie PMS oder senkt, wie im Falle von Bluthochdruck, einfach die medizinischen Grenzwerte, die festlegen sollen, ab wann dieser zu behandeln sei. Im Ergebnis können mehr Medikamente verkauft werden. Dass die Pharmaindustrie mit solchen Tricks arbeitet und hierzu auch politischen Lobbyismus betreibt, ist ein offenes Geheimnis.

Aber vor dieser Realität verschließt Nguyen-Kim die Augen. Dass sich Pharmakonzerne und Staat zusammentun könnten, um den Absatz von Medikamenten zu erhöhen, auch wenn diese potentiell schädlich sind, erscheint ihr gänzlich abwegig. Da wäre es interessant zu erfahren, inwieweit sich ihre Überzeugung im Zuge der Corona-„Impfkampagne“ geändert hat, für die Staat und Konzerne gemeinsam notzugelassene und durch und durch schädliche Mittel auf den Markt bringen und milliardenfach in die Menschen hineinzwingen.

Nguyen-Kims Doppelstandard offenbart sich dann bei ihren Aussagen zur Alternativmedizin. Denn hier lobt sie die Pharmaindustrie, die ja aufgrund der strengen Regulierung einen hohen Qualitätsstandard habe, und zieht über die Alternativmedizin her, für die andere Kriterien bei der Zulassung gelten. Gleichzeitig jedoch hält sie daran fest, dass beispielsweise homöopathische Mittel keinerlei pharmakologische Wirkung hätten, und schiebt jeden Effekt eines Homöopathikums einfach auf den Placeboeffekt.

Da stellt sich doch die Frage, wieso sie sich dann gleichzeitig über die laschen Zulassungsstandards beschwert. Anschließend legt sie eine vermeintliche Gefahr durch Alternativmedizin nahe, indem sie mehrere Geschichten von Menschen aufführt, die sich auf alternativem Wege Heilung gesucht haben und dann dennoch gestorben sind.

Und auch Nguyen-Kims Umgang mit Quellen ist fragwürdig. Für den Fall von Anja Weiß, die an Brustkrebs erkrankt ist und eine konventionelle Behandlung abgelehnt hat, nennt sie als Quelle ein Video des Spiegel. Wie „seriös“ manche Berichterstattung des Spiegel ist, sollte spätestens seit Claas Relotius klar sein. In diesem Artikel wird die Gegendarstellung der Biomedizinischen Klinik, der Nguyen-Kim implizit vorwirft, eine Mitschuld am Tod der Frau zu tragen, ausgelassen. Nähme man den Anspruch der Wissenschaftlichkeit ernst, so hätte das Medium zumindest darauf verweisen müssen.

Der zweite Fall, in dem angeblich drei Patienten durch Überdosierung eines alternativen Heilmittels durch den Heilpraktiker gestorben sein sollen, ist nicht einmal mit einer Quelle belegt – er kann ebenso gut ausgedacht sein. Dies soll nicht heißen, dass solche Fälle nicht tatsächlich passieren könnten. Auch in der Alternativmedizin gibt es kompetentere und weniger kompetente Therapeuten. Nur gilt das ebenso für die klassische Schulmedizin.

Nguyen-Kim schießt hier mit zwei vermutlich unvollständig dargestellten Fällen gegen die Alternativmedizin und verschweigt gleichzeitig die ungleich größere Menge an Todesfällen durch Behandlungsfehler „klassischer“ Ärzte oder durch tödliche Medikationen, wie sie allein unter der Überschrift „Corona“ zuhauf zu finden sind. So gab es nicht nur tausende Todesfälle durch Fehlbehandlung, beispielsweise durch die Beatmungsgeräte, die mehr Leben gekostet als gerettet haben, oder die Verweigerung von Medikamenten wie Hydroxychloroquin oder Ivermectin, sondern es werden jetzt auch milliardenfach vollkommen nutzlose oder sogar tödliche „Impfungen“ verteilt, die unglaublich viele Leben fordern.

Doch auch außerhalb des Coronageschehens hat es Tote und Schäden durch Behandlungsfehler gegeben. Dass viele Medikamente die gesundheitliche Gesamtsituation der Patienten verschlechtern oder sogar zum Tode führen, ist ebenfalls keine neue Erscheinung. So sterben vermutlich die meisten Krebspatienten eher an den harschen Folgen der Behandlung als an der Krankheit selbst. Beides verschweigt Nguyen-Kim jedoch, um die Alternativmedizin zu einem Nebenschauplatz der Medizin zu degradieren, welcher allenfalls unterstützende Placebo-Wirkungen entfalten könne.

Spätestens beim Thema Impfung wird deutlich, wie wenig Nguyen-Kim in der Lage ist, über den ihr „von der Wissenschaft“ vorgebeteten Horizont hinaus zu denken. Denn stets wiederholt sie nur das verkündete Narrativ einer tödlichen Corona-Seuche, für die eine rettende Impfung der einzige Ausweg sei. Dabei wird deutlich, dass sie in ihrem Denken auch durch ihre eigene Angst behindert wird. Sie spricht von einer grassierenden Krankheit, die unzählige Opfer fordere, und bringt ihre Furcht dadurch zum Ausdruck, dass sie behauptet, eine Party anlässlich der Fertigstellung eines Coronaimpfstoffes zu feiern, wäre lebensgefährlich.

Alternative Ansichten, die etliche Wissenschaftler und Ärzte vertraten und nach wie vor vertreten, ein Infragestellen des herrschenden Narrativs, also tatsächliche, wissenschaftlich-journalistische Arbeit, der sie als „Wissenschaftsjournalistin“ eigentlich verpflichtet ist, suchen Leser in ihrem Buch vergeblich.

Die konsequente Anwendung des Grundsatzes, dass „Korrelation“ nicht dasselbe ist wie „Kausalität“, unterlässt sie dann auch in Bezug auf die durch Corona angeblich verursachten Todesfälle, obwohl sie selbst zu Beginn des Buches diese Unterscheidung noch so betont.

Weiterhin postuliert sie die Sicherheit der Coronaspritzen, obwohl diese zum Zeitpunkt, als sie diesen Teil geschrieben hat, nicht einmal auf dem Markt waren. Sie reproduziert hier im Wesentlichen die Konzernpropaganda von vielversprechenden Tests und wenigen bis gar keinen Nebenwirkungen. Daraus zieht sie den fatalen Schluss, die Impfungen seien wissenschaftlich unumstritten. Man staunt nicht schlecht, wenn man das liest, denn einerseits postuliert sie, dass Streit ein wichtiger Bestandteil von Wissenschaft sei, andererseits will sie diesen bei Corona und den Impfungen gar nicht zulassen. Dabei gab es wahrscheinlich in der Geschichte der modernen Wissenschaft kaum ein Thema, das umstrittener war.

So ist Nguyen-Kim wohl auch Opfer der Propaganda und Zensurorgien der letzten Jahre geworden. Die zahlreichen kritischen Ärzte und Wissenschaftler scheinen ihr einfach nicht bewusst zu sein, oder sie verdrängt sie erfolgreich. Eine Alternative wäre, dass sie diese verschweigt. Dann aber widerspricht sie ihren eigenen Prinzipien vom wissenschaftlichen Streit, der Darstellung unterschiedlicher Meinungen, dem steten Hinterfragen und Prüfen. Damit beweist sie entweder, dass auch Wissenschaftler nicht objektiv und unvoreingenommen auf die Welt blicken, oder aber, dass sie sich bereitwillig vor ideologische Karren spannen lassen. Beides ein Armutszeugnis für die religiös überhöhte Wissenschaft.

Denkverbote indoktrinierter Wissenschaftler

Tatsächlich merkt man an mehreren Stellen, dass Nguyen-Kim mit der gängigen, schulmedizinischen oder medial verordneten Wahrheit aufgewachsen oder von ihr indoktriniert ist. Alternativmedizin und Impfungen sind die zwei eindeutigsten Beispiele in diesem Buch. Hier gelten wissenschaftliche Prinzipien auf einmal nicht mehr.

Anstatt zu hinterfragen und zu prüfen, postuliert sie hier „wissenschaftliche“ Wahrheiten als nicht zu hinterfragende Dogmen. So erwähnt sie zum Beispiel keine einzige Studie, die eine schädliche Langzeitwirkung von Impfungen belegt, sondern fegt in einem Nebensatz die Autismus-Studie beiseite. Viele Menschen werfen ihr daher vor, Teil einer groß angelegten Verschwörung zu sein, wie sich aus unzähligen Verbindungen zwischen ihr und diversen Wissenschaftlern und Einrichtungen zeige. Diese Vorwürfe thematisiert sie in ihrem Buch sogar selbst.

Die Wahrheit ist wahrscheinlich eher, dass sie einfach Opfer typischer, gesellschaftlicher Denkverbote ist, wie so viele andere Menschen auch. So ist, wer die Wirksamkeit von Impfungen im Allgemeinen und die von Corona im Speziellen hinterfragt, grundsätzlich ein Verschwörungstheoretiker, ebenso wie jemand, der der Pharmaindustrie nicht nur gute Absichten unterstellt. Nguyen-Kim ist damit ein Beleg dafür, dass solche Denkverbote sich auch in der Wissenschaft niederschlagen.

Gleichzeitig wurde sie in den Institutionen und Universitäten, in denen sie geforscht und gelernt hat, natürlich mit einem bestimmten Weltbild ausgestattet, das zu hinterfragen ihr einfach nicht mehr in den Sinn kommt. Sie ist damit nur ein Produkt einer Gesellschaft, die von Ideologien und Dogmen begrenzt wird, die anzugreifen gar nicht vorstellbar ist. Dabei ist sie ein Beispiel dafür, dass auch die Wissenschaft von diesen Ideologien und Dogmen nicht befreit und damit eben nicht wirklich wissenschaftlich ist.

Dass die Wissenschaft oftmals auch von der Pharmaindustrie bezahlt wird, sieht Nguyen-Kim übrigens nicht als Problem, sondern als Möglichkeit, dass manche Studien überhaupt erstellt und die entsprechenden Medikamente — im Sinne des Auftraggebers — zugelassen werden.

Denn Konzerne seien ja daran interessiert, sichere Produkte auf den Markt zu bringen. Dass, wer die Musik bezahlt, diese auch bestimmen kann, und dass es personelle Überschneidungen von Zulassungsbehörden und Pharmakonzernen geben könnte, kommt ihr dabei offenbar nicht in den Sinn. Man muss ihr zugutehalten, dass die Dokumente von Pfizer erst nach Veröffentlichung ihres Buches ans Licht gekommen sind, sonst hätte man ihr diese um die Ohren hauen müssen. Interessant zu wissen wäre, wie sie diese heute bewertet. Es ist auf ihrem Kanal allerdings diesbezüglich erstaunlich ruhig geworden.

Inkonsistente Einseitigkeit

Alles in allem zeichnet sich Nguyen-Kim, wie sie sich in ihrem Buch unfreiwillig preisgibt, durch ihre zutiefst systemgläubige Naivität aus, die Pharmakonzernen nur die besten Absichten unterstellt und alle Skandale, die es diesbezüglich gab, als reine Versehen euphemisiert. Sie ist, das merkt man ganz deutlich, geprägt von einem streng materialistischen Weltbild und dem festen Glauben an viele in der Gesellschaft tief verankerte Dogmen, wie zum Beispiel der bedingungslosen Gläubigkeit an die Schulmedizin. Dabei verengt sich ihr Fokus sehr auf die wissenschaftliche Betrachtungsweise, mit der Folge, dass all das, was mit Daten und Zahlen eben nicht belegt werden kann, weil es dafür keine Methoden gibt, eben im besten Fall Gegenstand wissenschaftlichen Streits ist.

Im schlechtesten Fall ergreift Nguyen-Kim einseitig Partei im Sinne ihres Weltbildes, wenn sie gegen Alternativmedizin und „Impfgegner“ hetzt. Dabei verwechselt sie gerade in diesen Fällen Wissenschaft als Methode mit wissenschaftlichem Inhalt und sieht offenbar auch keine Notwendigkeit für einen Austausch von Argumenten und weiteren Streit, sondern beruft sich auf ihren Horizont der „Wissenschaft“, um Alternativen abzuwerten.

Nguyen-Kim, die sich als Verfechterin der Vernunft ausgibt, hält diese offenbar nur dann für gegeben, wenn die Menschen Entscheidungen im Sinne ihres Weltbildes treffen — und sich zum Beispiel gegen alles Mögliche impfen lassen. Damit ist sie selbst auch Opfer des „Confirmation Bias“, also der Voreingenommenheit, sodass sie nur Erkenntnisse zur Kenntnis nimmt, die dem eigenen Weltbild entsprechen. Dieses eingeschränkte Denken wirft sie regelmäßig „Verschwörungsgläubigen“ vor. Interessanterweise schreibt sie selbst, dass die wissenschaftliche Sicht eine sehr eingeengte Sichtweise auf die Welt ist. Konsequenzen zieht sie daraus allerdings offenbar keine.

Dadurch ist das ganze Buch geprägt von Einseitigkeit und Inkonsistenz. Denn postuliert sie zunächst durchaus wünschenswerte wissenschaftliche Ideale, lässt sie diese bei manchen Themen einfach nicht gelten. Auch ihre durchaus richtige Feststellung, man dürfe den Aussagen einer Person nicht nur deshalb großes Gewicht beimessen, weil sie sich mit einem Doktortitel schmückt, versagt dann leider bei Christian Drosten.

Ebenso lässt sie ihren eigenen Einwand dagegen, Wissenschaft als Handlungsanweisung für Politik zu nehmen, gerade bei Corona und Impfungen im Allgemeinen nicht zu, wenn sie in einem ihrer Videos die Impfpflicht fordert. Damit verwendet sie „Wissenschaft“ als Waffe zur Durchsetzung eines Weltbildes, das aber den Hauch des Religiösen in sich trägt und das sie offenbar teilt. Dabei zeichnet sich Nguyen-Kim zudem durch einen gewissen Kontrollzwang aus, denn sie scheint von der Idee überzeugt, dass man die Ausbreitung von Krankheiten „kontrollieren“ müsse, und hält es für schlecht, wenn diese sich „unkontrolliert“ ausbreiten, wie sie auch in einem neueren Video über die Affenpocken bekräftigt. Was zunächst vernünftig klingt, ist im Grunde nichts anderes als menschliche Hybris — der absurde Drang, die Natur beherrschen zu wollen.

Der Schreibstil des Buches ist in Teilen gewöhnungsbedürftig, denn Nguyen-Kim versucht ihren jugendlich daherkommenden YouTube-Stil mit überflüssigen Einschüben und Anglizismen in das Buch zu übertragen, was stellenweise etwas bemüht, stellenweise unprofessionell wirkt. Von einigen problematischen, weil dogmatisch-religiösen Teilen abgesehen, kann man dem Buch aber durchaus einige interessante Informationen abgewinnen. Man erfährt einiges über wissenschaftliche Methodik, ihre Probleme und Grenzen, und schärft somit den kritischen Blick für die nächste, angeblich großartige wissenschaftliche Sensationsmeldung. Denn, so lernt man zwischen den Zeilen, mit „Wissenschaft“ lässt sich beinahe alles belegen und jede Ideologie unterfüttern, da Wissenschaft ein sehr subjektiver Vorgang ist. Schade, dass Nguyen-Kim daraus nicht die für ihre Arbeit nötigen Schlüsse zieht.


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