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Die Zeit der Monster

Die Zeit der Monster

Wenn Angriffskrieg zur geschätzten „Drecksarbeit“ wird, Angst organisiert und Kritik pathologisiert wird, verschmilzt der autoritäre Charakter mit der Staatsräson des Kriegsstaates.

Krieg und Faschisierung als Formen kapitalistischer Krisenbewältigung

In der gegenwärtigen Epoche erleben wir nicht bloß die sich zunehmend beschleunigende Eskalation des globalen Krieges und eine politische ‚Rechtsverschiebung’, wir erleben den Prozess der Rebarbarisierung als Ausdruck der final scheiternden Transformation des kapitalistischen Reproduktionsregimes im Stadium des faulenden Imperialismus. Die Hegemonie des neoliberalen Konsenses zerfällt — nicht in einem Paukenschlag, sondern schleichend. Was Gramsci als „Interregnum“ beschrieb, hat sich erschöpft: Das Alte stirbt, ohne dass das Neue geboren wird. Was sich nun formiert, ist ein autoritär-repressiver Krisenmodus, der sich weniger durch neue Ideen als durch das organisierte und kriegerisch orchestrierte Management von Desintegration auszeichnet. Die Zeit der Monster hat längst begonnen — Faschisierung als neue, kalte Normalität.

Die Tendenz zur Faschisierung speist sich nicht allein aus politischen Entscheidungen oder dem Erstarken einzelner Parteien, sondern aus den sozioökonomischen Verwerfungen, die breite Teile der Gesellschaft in Prekarität, Kontrollverlust und Entfremdung treiben.

Der autoritäre Staat tritt an die Stelle des sozialen — nicht als Abweichung, sondern als neue Normalität.

Die Bourgeoisie reagiert nicht mit Reform, sondern mit Repression: Abschottung, Aufrüstung, autoritäre Urbanität, Kontrolle. Die Exekutive verselbständigt sich zunehmend von der Kontrolle, das Recht wird situativ gebogen, Institutionen militarisiert. Trump, Putin, Orban, Netanjahu, Fratelli d´Italia, Rassemblement National, die AfD und andere national autoritäre Akteure mobilisieren in diesem Kontext eben nicht die von ihnen behauptete Revolte gegen „die da oben“ und das „ Establishment“ im emanzipatorischen Sinne, sondern betreiben eine reaktionäre Selbstermächtigung derjenigen, die sich von der kapitalistischen Moderne zu recht ausgesondert und zurückgelassen fühlen.

Diese Massenmobilisierung geschieht entlang von Linien des Rassismus, Antifeminismus, Klassismus und Nationalismus — sie transformiert reale Krisenerfahrungen in Ressentiment und Aggression gegen marginalisierte Gruppen. Diese Form des reaktionären „Klassenhasses“ richtet sich dabei nicht gegen das Kapital, sondern gegen jene, die als „nutzlos“ im Verwertungsprozess erscheinen — Erwerbslose, Geflüchtete, queere Menschen, die Menschen im globalen Süden.

Was daraus folgt, ist nicht nur die viel und hysterisch beschriebene „Krise der liberalen Demokratie“, sondern die drohende finale Zerstörung ihrer letzten progressiven Potenziale.

Emanzipatorische Politikentwürfe stehen einer autoritär mobilisierten Massenbasis gegenüber, deren Bewusstsein durch die Praxis der radikalen Rechten strukturell transformiert wurde.

Faschisierung ist dabei nicht bloß ideologischer Drift, sondern der reale Umbau gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse im Interesse des Kapitals — nur ohne dessen offene Führung, sondern unter chaotischen, repressiven Vorzeichen.

Faschisierung ist in diesem Sinne kein Betriebsunfall der Moderne, sondern ihre defensive Selbstbehauptung. Sie greift nicht erst, wenn Uniformen marschieren, sondern beginnt mit Diskursverschiebungen, Entsolidarisierung, Notstandsrhetorik. Sie entwickelt sich im Alltag — in Sprache, Verwaltung, Medien, Gesetzgebung — und formiert einen neuen, repressiv autoritären Konsens.

Die Aufgabe einer materialistischen Analyse liegt darin, diese Tendenzen als Reaktion auf objektive Krisenlagen zu begreifen — und nicht moralisch zu denunzieren. Der Faschismus ist kein Gespenst der Geschichte, sondern eine reale Option im Arsenal kapitalistischer Krisenstrategien.

Die neue Weltordnung ist die Unordnung des Kapitalismus in der Krise

Der eskalierende globale Krieg um Vorherrschaft — zwischen USA, China, NATO, EU, Russland, BRICS+ — ist keine Abfolge isolierter Konflikte. Er ist Ausdruck der tiefen Erschöpfung des Kapitalismus in seiner imperialistischen Spätphase. Die Kriege in der Ukraine, in Gaza, im Westjordanland, in Syrien, Kurdistan, im Kongo, im Sudan, die seit Jahren verschärfte Eskalationen im südchinesischen Meer, und ganz aktuell der mit ‚Bunkerbustern’ aktiv US unterstützte Israelische Angriff auf den Iran markieren die Phase, in der der Kapitalismus im imperialistischen Stadium seine globale Dominanz nur noch durch Zerstörung aufrechterhalten kann.

Krieg als wiederentdecktes außenpolitisches Instrument der „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, wird begleitet von Militarismus und Militarisierung als innenpolitischer Strategie. Die gegenwärtige Form faschistischer Transformation beruht wesentlich auf der Integration militärischer Logiken in alle gesellschaftlichen Bereiche.

Krieg wird zum gesellschaftlichen Normalzustand — nicht erst, wenn geschossen wird, sondern lange zuvor: in Sprache, öffentlichem Diskurs, Werbung, Erziehung, Gesundheitsplanung, Produktion und nicht zuletzt in der massiven Bevorzugung der Verwendung öffentlichen Reichtums.

Das erst kürzlich dekretierte und vom SPD-Finanzminister Klingbeil für Deutschland akzeptierte und verordnete 5 Prozent(BIP)-Ziel der NATO bedeutet auf Dauer, dass mehr als 50 Prozent der zukünftigen Bundeshaushalte für aktive Kriegsvorbereitung bereitgestellt werden.

Die „Zeitenwende“ markierte dabei den Übergang von einer symbolischen zu einer materiellen Kriegsökonomie. Mit der Entgrenzung der Rüstungsausgaben und der systematischen Reorganisierung der Industrie entlang sicherheitsindustrieller Interessen wie Rüstung, KI, Biotech und Energieautarkie entsteht ein neuer militärisch-industriell-digitaler Komplex. Er schafft Profite, Disziplin und geopolitische Schlagkraft — und dient zugleich als Fluchtpunkt für ein erschöpftes Kapital, dem in den klassischen Akkumulationsfeldern längst die Luft ausgeht.

Die systematische Umdeutung von Verteidigung in Angriff, von imperialistischer Expansion in „Werteordnung“, von Eskalation in „Verantwortung“ führt zu einer tiefen moralischen und politischen Verdrehung. Wer den Krieg kritisiert, wird nicht nur diskreditiert, sondern pathologisiert — als „Naivling“, „Putinversteher“, „Antisemit“.

Opposition wird zur psychopolitischen Abweichung erklärt. Wie weit die diskursive Kriegsformierung bereits fortgeschritten ist, zeigte zuletzt die Reaktion auf das sogenannte ‚Manifest der SPD-Friedenskreise’.

Darin wurde keineswegs ein radikaler Pazifismus vertreten, sondern unter grundsätzlicher Akzeptanz des eingeschlagenen Kurses („Für Verteidigungsfähigkeit und Rüstungskontrolle“) lediglich vor einer Aufrüstungsspirale gewarnt, „die zukünftige Konflikte eher wahrscheinlicher macht, als sie zu verhindern“. Doch bereits diese minimale Irritation des herrschenden Kriegsertüchtigungs-Dogmas löste einen Furor aus, der selbst für den postdemokratischen Diskursraum bemerkenswert war.

Die mediale Kampagne ließ nicht lange auf sich warten: „Als hätte Putin mitgeschrieben“, lautete der Tenor in *BILD, FAZ & Co., flankiert von einer orchestrierten Empörung auch aus der SPD Führung. Dort wurde den Unterzeichner*innen „Realitätsverweigerung“ attestiert, ihre Warnung als „sicherheitspolitisches Risiko“ verunglimpft . Die FAZ aktualisierte das Scholz-Paradigma von Pazifisten als „Engel aus der Hölle“ in Bezug auf die Manifest-Autor*innen zu „Tauben am Tor zur Hölle“. Was hier sichtbar wird, ist die schleichende Kriminalisierung jeder Position, die nicht auf „Kriegstüchtigkeit“ eingeschworen ist. Wer sich dem imperialen Konsens entzieht, wird nicht argumentativ widerlegt, sondern moralisch delegitimiert — als Bedrohung, als Kollaborateur, als Fremdkörper. Die politische Debatte ist damit nicht nur militarisiert, sondern funktional gleichgeschaltet: Differenz wird zum Feind, Kritik zur Gefahr, Friedenswille zum Sicherheitsrisiko.

Gleichzeitig wird nach innen aufgerüstet. Bundes- und Länderpolizeien werden zunehmend bewaffnet und militarisiert, Demonstrationen kriminalisiert, Versammlungsrechte eingeschränkt, das Gewaltmonopol politisch aufgeladen. Der Ausnahmezustand des Gemeinsamen Europäischen Migrationsregimes — Pushbacks, Lager, Entrechtung — bildet die Blaupause für den Ausnahmezustand der Innenpolitik. Geflüchtete, Klimaaktivisten, Streikende: Wer den Konsens stört, wird zum zum Verstummen zu bringenden und wegzusperrenden „Sicherheitsrisiko“.

Der autoritäre Charakter und die emotionale Ökonomie des Faschismus

Wilhelm Reichs Analyse der „Massenpsychologie des Faschismus“ liefert bis heute zentrale Erkenntnisse zur inneren Dynamik autoritärer Formierung. Für Reich entsteht Faschismus nicht primär auf der Ebene von Ideologie oder Strategie, sondern in der affektiven Struktur der Subjekte — in ihrer libidinösen Ökonomie, in ihren Angststrukturen, in der Repression von Begehren. Der autoritäre Charakter ist für ihn das Resultat von autoritärer Erziehung, patriarchaler Sexualmoral, ökonomischer Unterdrückung und emotionaler Verpanzerung.

Reichs zentrale Einsicht lautet: Menschen ordnen sich nicht gegen ihre Interessen autoritären Führern unter, weil sie verführt wurden — sondern weil sie emotional darauf vorbereitet, geformt, deformiert wurden.

Diese Formierung beginnt früh: in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, in den Medien. Der autoritäre Charakter ist kein individuelles Pathologikum, sondern ein psychosozial produzierter und verallgemeinerter Normalzustand in einer repressiven Gesellschaftsformation verallgemeinerter Unsicherheitszustände.

Das erklärt, warum Wut, Abstiegsangst, Verunsicherung nicht automatisch zu Klassenbewusstsein führen — sondern häufig zur Identifikation mit den eigenen Ausbeutern und Unterdrückern und den autoritären Lösungsversprechen der Rechten. Reich erkannte: Der Faschismus hat keine „eigene“ ökonomische Grundlage — er verwertet die zyklisch wiederkehrenden Krisen der kapitalistischen Reproduktion und übersetzt sie in ein affektives Angebot: Ordnung statt Chaos, Sicherheit statt Freiheit, kleinbürgerlich patriarchal formierte autoritäre Familie statt Vielfalt, Nation statt Klasse.

Die aktuelle faschistische Formierung greift diesen Mechanismus auf — und aktualisiert ihn. Der Hass auf queere Lebensweisen, „Wokeness“, Feminismus, Pazifismus und nicht zuletzt auf die Klimabewegung ist nicht bloß kulturelle Reaktion — sondern Ausdruck einer tiefen autoritären Regression. Die „natürliche Ordnung“ wird gegen das vermeintlich „Künstliche“ verteidigt — gegen Transpersonen, gegen gendergerechte Sprache, gegen postkoloniale und antimilitaristische Kritik. In den USA wurde diese Ideologie inzwischen per Präsidialdekret gesetzlich fixiert: Nur zwei Geschlechter, keine geschlechtliche Selbstbestimmung, keine Diversity-Erziehung. Was dort offiziell wird, wirkt längst in die politischen Diskurse Europas hinein.

Diese affektive Dynamik ist anschlussfähig an große Teile der Gesellschaft — weil sie sich auf reale Desorientierung, soziale Deklassierung und emotionale Überforderung bezieht. Die autoritäre Lösung erscheint als Rettung — nicht weil sie rational überzeugt, sondern weil sie emotional entlastet. In Reichs Worten: „Das Unbewusste ist reaktionär, solange es nicht bewusst gemacht wird.“

Die Verselbständigung der Exekutive: Ausnahmezustand als Regelfall

Ein zentrales Kennzeichen faschistischer Transformation bürgerlicher Herrschaft ist die schleichende Entmachtung der Legislative und die Verselbständigung der Exekutive. Nicht nur in autoritären Staaten wie den USA, Ungarn oder Israel, sondern zunehmend flächendeckend vollzieht sich eine Machtverschiebung: weg von parlamentarischer Kontrolle, hin zu Regierung per Dekret, Notstandsverordnung, informeller Hinterzimmerpolitik.

Auch in Deutschland lässt sich diese Dynamik exemplarisch nachzeichnen: Der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet im Februar 2022 die sogenannte „Zeitenwende“ — ohne Parlamentsvorbehalt, ohne offene gesellschaftliche Debatte, mit einer exekutiv verkündeten Grundsatzentscheidung zur Aufrüstung und kürte sich damit zum ersten Kriegskanzler des wiedererstarkten Deutschland. Das erste Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro wird aufgesetzt, ohne dass dieses Manöver eine haushaltsrechtliche oder demokratische Auseinandersetzung erfährt.

2024 folgt der nächste Bruch: Scholz und US-Präsident Biden vereinbaren im bilateralen Rahmen, am Rande eines NATO-Gipfels, die Stationierung erstschlags- und atomar bewaffnungsfähiger US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026 — ein Schritt, der sicherheitspolitisch und völkerrechtlich hochbrisant ist, aber öffentlich kaum diskutiert, geschweige denn parlamentarisch beschlossen wird.

Nach den Bundestagswahlen 2025 eskaliert die Situation: Die alte Ampelkoalition ist gescheitert, CDU/CSU gehen als stärkste Kraft hervor, die AfD wird zweitstärkste Partei. Noch bevor sich der neue Bundestag konstituiert oder eine neue Regierung im Amt ist, beschließt das alte Parlament — mit Zweidrittelmehrheit von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen — eine Grundgesetzänderung, die die finale Entgrenzung der Rüstungsausgaben ermöglicht. Eine parlamentarische Farce, juristisch fragwürdig, historisch beispiellos — Ausdruck eines Durchregierens im Vorgriff auf die autoritär veränderten Mehrheitsverhältnisse.

Die Regierung Merz, ermöglicht von einer historisch marginalisierten und politisch abgehalfterten SPD, repräsentiert diese Exekutivmacht in Reinform: Parlament und Öffentlichkeit werden zu Zuschauern gemacht, während zentralisierte Entscheidungen über Aufrüstung, Krieg, Sozialabbau und Asylrecht durchregiert werden.

Als der neue Kriegskanzler Friedrich Merz beim G7-Treffen im Juni 2025 den völkerrechtswidrigen Angriff Israels auf den Iran mit den Worten begrüßt, Israel habe „die Drecksarbeit für uns erledigt“, spricht er nicht nur als Einzelperson — er artikuliert den autoritären Konsens einer entgrenzten Exekutive, die sich vom Souverän längst verabschiedet hat. Eine Formulierung, die den völkerrechtswidrigen Angriff in einen aggressiven Erlösungsmythos umdeutet, der zugleich zur Unterwerfung verpflichtet. Wer „wir“ in diesem Satz ist, bleibt unklar. Doch deutlich wird: Die Bevölkerung soll affektiv vereinnahmt, in nationale Verantwortung genommen, in „Inobhutnahme“ gezwungen werden. Die Soldatisierung des Subjekts erfolgt nicht nur über Kasernen und Haushaltszahlen, sondern über Sprache, Medien, Moral. Die Formierung des autoritären Charakters zielt auf emotionale Identifikation mit Gewalt — nicht aus Überzeugung, sondern aus Gehorsam. Das ist, mit Reich gesprochen, die höchste Stufe der Charakterpanzerung: Wenn Angst in Stolz, Ohnmacht in Gehorsam und Lust in Opferbereitschaft verwandelt wird.

Faschistische Formierung als gesellschaftliches Gesamtprojekt

Die Entgrenzung exekutiver Gewalt ist kein deutscher Sonderweg. In Russland, seit der Machtübernahme Putins und der Entmachtung beziehungsweise Gleichschaltung der postsowjetischen Oligarchie, seit Jahrzehnten geübte Praxis, unterlaufen in den USA seit dem zweiten Amtsantritt von Trump präsidentielle Dekrete systematisch und erklärter Maßen mit dem Ziel der Zerstörung der historischen ‚checks and balances’ die parlamentarischen Prozesse und Gerichtsentscheidungen, selbst oberster Instanzen. Die aktive Kriegsbeteiligung im Angriff auf den Iran wurde allein im Oval-Office ohne jede parlamentarische Beteiligung entschieden. In Polen wurde das Verfassungsgericht entmachtet, in Italien regiert Meloni an Parlament, öffentlichem Widerstand und Gerichtsentscheidungen vorbei. Der Ausnahmezustand ist nicht mehr das Andere der ‚Normalität’ — er ist ihre neue Form.

Doch faschistische Herrschaft basiert nicht allein auf der Entgrenzung staatlicher Exekutivmacht — sie beruht in der Regel auch, wie Wilhelm Reich eindringlich analysierte, auf einer aktiven, formierten und emotional organisierten Massenbasis.

Ohne deren affektive Mobilisierung, ohne deren verallgemeinerte autoritäre Charakterstruktur, ohne ihre systematisch aufgebaute Identifikation mit Nation, Militär und Ausschluss lässt sich keine faschistische Gesellschaft stabilisieren, es sei denn durch repressive militärische Gewalt, zum Beispiel Chile unter Pinochet.

Diese autoritäre Massenbasis ist keine bloße Reaktion auf ökonomische Krisen, sondern Ergebnis gezielter psychopolitischer Formierung: durch Schule, Medien, Erziehungsapparate, durch patriarchale Familienverhältnisse und sexualfeindliche Moral. Genau deshalb war die „Zeitenwende“ nicht bloß eine fiskalische oder sicherheitspolitische Wende, sondern eine massenpsychologische Mobilisierung zur autoritären Einpassung.

Der Schulterschluss von Exekutive, Rüstungsindustrie und militärisch-industriell-digitalem Komplex geht einher mit dem Umbau der Gesellschaft in Richtung einer militarisierten Alltagskultur: Uniformierung von Sprache, Betonung nationaler Opferbereitschaft, mediale Glorifizierung des Soldatischen. In dieser Dynamik wirkt, was der israelisch-deutsche Gruppenanalytiker und Psychotherapeut Robi Friedman als „Soldatenmatrix“ bezeichnet: eine strukturelle, psychodynamische Einpassung des Subjekts in eine kollektiv internalisierte Ordnung von Gehorsam, Disziplin und nationaler Identifikation.

Deutsche Besonderheiten

So richtig wie es ist, dass die Entgrenzung exekutiver Gewalt kein deutscher Sonderweg ist, so wichtig ist es, spezifische deutsche Besonderheiten der beschriebenen globalen Tendenz zu berücksichtigen. Der deutsche Nationalstaat ist historisch tief verwoben mit Militarismus, autoritärem Denken und der spezifisch bürgerlich-nationalistischen ‚alldeutschen’ Ideologie, die über Generationen hinweg systematisch in Gesellschaft und Bildungswesen verankert wurde. Diese ideologische Formation diente nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der Sicherung staatlicher Macht im Interesse der herrschenden Klasse. Schon im Kaiserreich war der Staat nicht bloß Instrument, sondern konstituierendes Moment einer Gesellschaft, die sich auf Gehorsam, Disziplin und die Vergötzung der Gewalt gründete. Der Militarismus war keine Begleiterscheinung — er war das Zentrum des preußisch-deutschen Kasernenhofstaates.

Die ideologische Kontinuität von Bismarck über Wilhelm II. bis hin zu Hitler bildet keine historische Ausnahme, sondern zeigt den Normalzustand einer Gesellschaft, die in Krisenlagen immer wieder bereit war, demokratische Prinzipien zugunsten der Aufrechterhaltung autoritärer Ordnung zu opfern. Die militärische Durchdringung aller Lebensbereiche, der autoritäre Erziehungsstil, die Geringschätzung von Ethik und humanistischen Werten: All dies sind Ausdrucke eines Staatsverständnisses, das unter dem Deckmantel der heute nicht zufällig wieder verschärft heraufbeschworenen Staatsräson Macht über Recht stellt, Krieg als Vater aller Dinge preist und den Menschen zum bloßen Funktionskörper innerhalb nationalistischer Mobilmachung degradiert.

Diese Tradition wurde nach 1945 nicht gebrochen, sondern bloß rhetorisch abgefedert. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den geistigen und politischen Wurzeln des Faschismus blieb aus. Stattdessen wurde der Zeitraum von 1933 bis 1945 isoliert betrachtet, als hätte die nazistische Diktatur aus dem Nichts begonnen und sei mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endgültig überwunden worden. In Wirklichkeit aber überlebten seine geistigen Voraussetzungen in Parteien, Schulen, Universitäten, Behörden und Rentensystem — und dies bis in die Gegenwart.

In dieser Kontinuität sind auch die heutigen Erscheinungen der politischen Rechten zu verorten. Die nationale Rhetorik, die Konstruktion eines äußeren und inneren Feindes, die Feindseligkeit gegenüber allem als „fremd“ identifizierten, all das ist keine neue Entwicklung, sondern das Echo eines unbewältigten historischen Erbes; einer tief verankerten, transgenerational verallgemeinerten ideologischen Disposition, die seit jeher mobilisiert werden kann, wenn es gilt, soziale Unsicherheit in autoritäre Antworten zu überführen.

AfD und autoritäre Formierung: Spitze des Eisbergs

Die AfD ist nicht der Ursprung der autoritären Dynamik — sie ist ihr beschleunigter Ausdruck. Ihre Popularität basiert auf der erfolgreichen Bearbeitung gesellschaftlicher Desorientierung: ökonomische Prekarität, kulturelle Verunsicherung, nationale Regression. Was sie anspricht, ist kein Randphänomen — es ist die bürgerliche Mitte, in der sich die autoritäre Lösung längst normalisiert hat. Sie steht nicht außerhalb der Ordnung, sondern an ihrer Spitze. Sie ist Ausdruck einer sich ausbreitenden aktiven subjektiven Verarbeitung gesellschaftlicher Widersprüche in Zeiten verallgemeinerter Unsicherheit — einer rassistisch-nationalistischen Selbstermächtigung, in der Einzelne sich selbst als Teil einer imaginären Volksgemeinschaft verorten, um der eigenen sozialen Marginalisierung symbolisch zu entkommen.

Rassismus fungiert hier als soziale Technik zur Abwehr drohender Deklassierung. In der Abwertung der „Anderen“ — etwa migrantischer oder muslimischer Menschen — stabilisiert sich das eigene Ich in einem System relativer Vergleiche.

Wie Stuart Hall analysierte, wird „Rasse“ zur „Modalität, in der Klasse gelebt wird“: nicht als abstrakte Struktur, sondern als konkret erfahrenes Gefühl von Zugehörigkeit, Überlegenheit und Handlungsfähigkeit. Migration erscheint dann nicht nur als „Bedrohung“, sondern als Projektionsfläche für all jene Ängste, Widersprüche und Ohnmachtsgefühle, die die kapitalistische Gegenwart unablässig produziert — und die nicht mehr kollektiv-solidarisch, sondern nationalistisch-autoritär aufgelöst werden sollen. Das Resultat ist eine Form ‚autoritärer Volksermächtigung’, die nicht nur nach unten und außen ausschließt, sondern die Arbeiterklasse selbst spaltet. Das hat Folgen für die gesamte Klasse: Ein Teil wird — über nationale Zugehörigkeit und rassistische Abgrenzung — funktional in ein Herrschaftsprojekt von oben integriert. Diese populistisch-autoritäre Formierung erweitert die Spielräume jener Machtfraktionen, die auf neoliberale Disziplinierung setzen, und begrenzt zugleich die Handlungsmöglichkeiten emanzipatorischer Kräfte. Denn wo Rassismus als Antwort auf soziale Widersprüche verinnerlicht wurde, ist Solidarität keine Selbstverständlichkeit mehr — und Emanzipation erscheint nicht als Hoffnung, sondern als Bedrohung.

Wilhelm Reichs Analyse der „Massenpsychologie des Faschismus“ trifft hier ins Schwarze: Faschismus wird dort möglich, wo autoritäre Identifikationen. Die autoritäre Formierung und Zurichtung reicht weit über die Parteigrenzen der AfD hinaus. CDU, CSU, FDP, BSW und sogar Teile der SPD und Grünen übernehmen diskursiv längst zentrale Begriffe („illegale Migration“, „Zustrombegrenzung“, „Remigration“), Gesetzesinitiativen (Genderverbot, Grenzregime) und autoritäre Symbolik. Der staatliche Apparat — Polizei, Justiz, Exekutive — beginnt, sich entlang dieser ideologischen Verschiebungen neu zu sortieren.

Beispielhaft: Das von der CSU in Bayern und in Kumpanei mit den Freien Bürgern 2024 durchgesetzte Genderverbot in Schulen, das es im Schatten von Corona durch Beschluss der CDU/Grünen/SPD-Regierung in Sachsen allerdings schon seit 2021 gibt. Oder das von der CDU/CSU mit ausdrücklicher Unterstützung von Teilen der FDP und der AfD in den Bundestag eingebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“, das faktisch eine völkerrechtswidrige Entrechtung von Geflüchteten legitimieren sollte. Zwar erhielt dieser Entwurf dann nicht die erforderliche parlamentarische Mehrheit. Sein Kern, die rechtswidrige Zurückweisung von Flüchtenden an den deutschen Grenzen wird aber nach Antritt der neuen CDU/CSU/SPD-Bundesregierung auch gegen Gerichtsbeschlüsse exekutiert. Das sind keine radikalen Ausnahmen, sondern der neue Standard.

Die AfD ist damit nicht das eigentliche Problem, sondern lediglich ein Indikator. Sie ist die Spitze des Eisbergs. Die autoritäre Umgestaltung vollzieht sich im Kernsystem — durch Koalitionen, Diskursverschiebungen und eine Exekutive, die sich zunehmend gegen parlamentarische Kontrolle verselbständigt und immunisiert.

Ihre Stärke wächst dort, wo keine emanzipatorische Alternative existiert, wo die Gewerkschaften reale gesellschaftliche Konflikte befrieden statt zuzuspitzen, wo die Linke marginalisiert ist, wo Kritik am Militarisierungs- und Kriegskurs als „Lumpenpazifismus“ diffamiert wird und die Regierenden die „Staatsräson“ zur obersten Tugend politischen Handelns erheben.

Faschisierung ist deshalb kein Phänomen der „Extremisten“, sondern konsequenter und erwartbarer Ausdruck eines sich aggressiv reorganisierenden Kapitalismus, der zu seinem Selbsterhalt nur noch auf Krieg nach außen und autoritäre Sicherheitslogiken, Disziplin und Ordnung nach innen setzen kann — statt auf die vormals propagierten Werte von internationaler friedlicher Verständigung, Gleichheit vor dem Gesetz, sozialem Ausgleich, Solidarität und demokratischer Teilhabe.

Exodus oder Fortsetzung der Barbarei bis zum kollektiven Exitus?

Die Zeit des Interregnums scheint zu Ende zu gehen. Die Monster sind nicht mehr bloße Schatten. Sie haben die Weltbühne längst betreten — organisiert, normalisiert, demokratisch legitimiert. Der Faschismus ist nicht plötzlich oder gar überraschend wieder da — er ist schleichend gewachsen, in der Mitte der Gesellschaft, durch die Institutionen hindurch, durch die Körper und Wünsche der Subjekte, durch Medien, Parteien, Polizei, Militär, Talkshows und Parlamentsprotokolle.

Faschisierung ist kein Betriebsunfall. Sie ist eine Option, die das Kapital in der Krise wählt, wenn andere Ordnungen — soziale Demokratie, neoliberale Globalisierung, ökologischer Kapitalismus als ‚green new deal’ — versagen oder an ihre Grenzen stoßen.

Sie ist keine moralische Abweichung, sondern Funktion: zur Aufrechterhaltung von Akkumulation, Disziplin und geopolitischer Handlungsfähigkeit. Sie ist keine Rückkehr ins 20. Jahrhundert, sondern Ausdruck der tiefen systemischen Erschöpfung im gerade erst begonnen Einundzwanzigsten.

Die reaktionär autoritäre Formierung ist weltweit zu beobachten: In den USA wie in Russland, in Ungarn wie in Israel, in Argentinien wie in Italien — und eben auch in Deutschland. Die jeweilige nationale Ausprägung mag unterschiedlich sein — ihr Funktionskern ist der gleiche: autoritäre Lösung der Krise im alleinigen Interesse der Herrschenden.

Die AfD und ihre autoritär nationalradikalen Pendants weltweit sind in diesem Prozess nicht das Hauptproblem, sondern seine Zuspitzung. Sie steht nicht außerhalb, sondern an der Spitze einer nationalautoritären Normalisierung, die längst in die Diskurse, Institutionen und Praktiken der bürgerlichen Mitte eingezogen ist.

Emanzipatorische Politik steht vor einer existenziellen Herausforderung: Wer den globalen Krieg beenden will und der um sich greifenden Faschisierung noch Einhalt gebieten will, darf sich nicht mit Appellen an Demokratie und Menschenrechte begnügen oder gar seine Hoffnungen auf ein AfD-Verbotsverfahren durch genau den Staat setzen, dessen Strukturen deren Aufkommen erst ermöglichte. Er muss das Verhältnis von Klasse, Subjekt und Führung neu denken.

Wilhelm Reich hat bereits 1934 darauf bestanden: Revolutionäre Politik darf nicht nur die objektiven Bedingungen — Krise, Ausbeutung, Verelendung — analysieren. Sie muss zugleich die seelischen Strukturen der Massen begreifen, ihre Wünsche, ihre Ängste, ihre Bedürfnisse. Sonst bleibt sie leblos — selbst wenn sie programmatisch korrekt ist.

In dieser Situation braucht es mehr als Appelle. Es braucht eine doppelte Bewegung: die individuelle und kollektive Rückgewinnung des Bewusstseins über die eigenen objektiven Interessen — und den Aufbau einer Organisation, die diese Interessen nicht nur artikuliert, sondern verkörpert.

Kein Parteiaufbau aus dem Nichts, keine Ersatzreligion, kein Avantgardismus — sondern ein strukturierter Prozess der Wiederaneignung von Subjektivität, Klassenanalyse und konkreter Intervention. Und zwar antinational, internationalistisch, antirassistisch und klassenautonom und unzweideutig antikapitalistisch — nicht in Symbolpolitik oder Szeneidentität, sondern in der realen Fähigkeit, Klassenmacht zu organisieren. Nur so lässt sich die Dynamik von Globalem Krieg, Militarisierung, Faschisierung, sozialer Regression und eliminatorischer Mitweltvernutzung durchbrechen: mit einer politischen Kraft, die die Barbarei nicht nur benennt, sondern überwindet. Wenn es diese Kraft nicht gibt — dann wird sich die Barbarei fortsetzen. Nicht als Ausnahme, sondern als pervertierte ‚neue’ Weltordnung — bis zum globalen Kollaps und Gattungsexitus — ob atomar oder klimatisch, auf eher kurz denn lang.

Der Exodus ist noch möglich — aber er verlangt alles: Theorie, Organisation, Leidenschaft. Und vor allem: die Fähigkeit, nicht nur zu sagen, was ist — sondern zu erkämpfen, was werden muss.

Weniger ist zu wenig!


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Wenn Angriffskrieg zur geschätzten ´Drecksarbeit´ wird, und das verordnete ‚Wir‘ zu seiner ideologischen Uniform — Wo Begehren unterdrückt, Angst organisiert und Kritik pathologisiert wird, verschmilzt der autoritäre Charakter mit der Staatsraison des Kriegsstaates“ beim Gewerkschaftsforum.. Der Autor Andreas Buderus Mitinitiator ist Teil der gewerkschaftlichen Basisinitiative ´SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden.

 


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