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Draußen vor der Tür

Draußen vor der Tür

Materiell arm zu sein ist nicht angenehm — noch schlimmer aber, arm an Mitgefühl und politischem Durchblick zu sein, wie es die Mitläufer der Coronajahre waren.

Sagen wir es einmal so: Mit einem silbernen Löffel im Allerwertesten bin ich nicht auf diese Welt gekommen. Eher mit einem grob bearbeiteten Holzlöffel. Und bis auf den heutigen Tag gehöre ich der Holzlöffelklasse an.; fühle mich dieser meiner Klasse tief verbunden. Aus welchem Holz ich aber geschnitzt bin, das frage ich mich bis heute und immer wieder. An manchem Tag fühle ich mich wie feucht-morsches Fichtenholz, an einem anderen stark und anmutig wie Ebenholz.

Edelmetallen fühle ich mich nicht verbunden. Ich besitze kein Gramm Silber, keine Unze Gold. Keine einzige Aktie von Rheinmetall oder einen Bitcoin. Wozu auch. In der Krise wären Schokolade, Tabak, Schnaps, ein fetter Schinken die bessere Währung. Auch habe ich keinerlei Geldreserven unter der Matratze, die mir seit meinen Wohngemeinschaftszeiten in den Achtzigern die Treue hält. Und würde morgen in der Früh die alte Waschmaschine ihren Geist aufgeben, eine neue käme mir nicht ins angemietete Haus, eine gebrauchte würde es sein. Sollte ich einen Unfall haben, mir ein Missgeschick geschehen, so hätte ich ein Problem: Keine Lebens-, Unfall- noch Haftpflichtversicherung trägt meine Unterschrift.

Einzig eine Sterbeversicherung habe ich abgeschlossen. Es war an der Zeit. Ich mag nicht in einem anderen EU-Land, weil es den Staat billiger kommt, verbrannt und irgendwo massenkompatibel entsorgt werden. In heimischer Erde möchte ich unter einem selbst ausgesuchten Baum liegen, den Menschen, die das wollen, eine Möglichkeit geben, sich von mir und meiner langjährigen Nörgelei an einem bekannten Ort zu verabschieden.

Diese Möglichkeit des Abschiednehmens habe ich immer seltener, mich von einem guten Freund, einer langjährigen Freundin auf einem Begräbnis zu verabschieden. Viele meiner Freunde gehören ebenfalls der Holzlöffelkaste an. Das bedeutet, für sie kommt ein Amt, der Staat für das Begräbnis auf. Ist dies der Fall, erfährt man nicht ohne Weiteres den Bestattungstermin oder den Ort. Wenn das nicht armselig ist, dann weiß ich es auch nicht.

Wie dem auch sei: Arm in einem reichen Land unter wohlhabenden Menschen zu leben ist wahrscheinlich ähnlich frustrierend, wie als farbiger Mensch muslimischen Glaubens in einem kleinen Dorf im deutschen Nirgendwo zu stranden.

Obwohl: Als weißer, hier geborener Mann kann ich das nicht nachempfinden. Ich bin eben nur im finanziellen Sinne arm, jedoch weißer Hautfarbe und im Land geboren. Na gut, ich habe einen nicht typisch deutschen Nachnamen. Im Gesicht funkeln keine blauen Augen, und blond bin ich schon mal gar nicht. Doch letztlich zu wenig, um Aufmerksamkeit für verletzte Gefühle wecken zu dürfen. Zwar wird man als armer Mensch nicht minder ausgegrenzt und gemieden, so als ob Armut eine ansteckende Krankheit wäre, und in der Tat auch diskriminiert, doch gilt das irgendwie nicht als rassistisch. Es sei denn, eine arme Person hat zudem die Möglichkeit, sich auf Herkunft, Sprache, Hautfarbe oder Religion zu berufen. Nur arm zu sein reicht nicht.

Doch wie wird Armut eigentlich definiert? Ab wann gilt denn ein Mensch in Deutschland heute als arm?

In Deutschland gilt 2024 laut Statistischem Bundesamt als armutsgefährdet beziehungsweise arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen) zur Verfügung hat, was im Klartext bedeutet, wem als Einzelperson monatlich weniger als 1.400 Euro bis 1.600 Euro netto zur Verfügung stehen. So betrachtet kann ich mich durchaus als doppelarm betrachten. Stehen mir doch weitaus weniger als 1.400 Euro monatlich zu Verfügung. Aber fühle ich mich denn arm, wenn ich dies finanziell derart abgestempelt vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen bekomme? Das ist eine völlig andere Sache.

Dies genauer betrachtend, richte ich mir an dieser Stelle gedanklich ein T-Konto (schematische Darstellung eines Buchungskontos) ein. Mit einer Soll und einer Habenseite.

Auf der Sollseite im vermeintlichen Minus meines Lebens steht: deutlich unter der erklärten Armutsgrenze lebend. Kein Eigentum, kein Vermögen, keine Wertgegenstände und keine Ersparnisse. Keine Aussicht auf ein Erbe, eine Rente oder Pension. Dafür GEZ-Schulden von mehreren tausend Euro inklusive Vollstreckungsandrohung. Ich schau übrigens seit Jahrzehnten kein Fernsehen mehr. Und diverse andere Nebensächlichkeiten des materiellen Daseins, über die ich hier nicht schreiben mag.

Kommen wir zu meiner Habenseite: An Bargeld vermerke ich auf dieser 20 Euro. Die mir für den Rest des Monats zur freien Verfügung stehen. Ja, und? Was habe ich bisher denn nicht alles erlebt! Wie mein alter Freund Roger Trash sagte: „Wir sind Erlebnismillionäre.“ Und diese Erlebnisse reichen für mehr als drei langweilige Leben. Das kann ich auf die Habenseite schreiben und so stehen lassen.

Hatte ich Geld in der Tasche, oft der Lohn harter Arbeit, gab ich dieses schnell wieder aus. Für Erlebnisse. Ich produzierte Videos, Platten und CDs befreundeter Bands. Organisierte Konzerte und Veranstaltungen. Mehr als tausend waren es sicher in den Jahren. Machte hier eine Bar auf, dort einen Musikklub. Ich machte in Kunst und hatte Ausstellungen. Ich begann zu schreiben und meine Bücher herauszugeben. Gab Lesungen. Mal lief es eine Zeit, mal ging es den Bach runter. C’est la vie.

Kommen wir nun zu meinem ärmlichen Resümee.

Hätte ich vor 2020 das aufgestellte T-Konto mit Soll und Habenseite betrachtet, nun, dann wäre ich mir nicht arm vorgekommen. Vor 2020. In diesem Jahr veränderte sich von heute auf morgen vieles. Und das ja nicht für mich allein. Das Land wie seine Menschen — für mich etwa Bekannte und Freunde, die ich doch gut zu kennen glaubte, denen ich vertraute — schienen sich über Nacht verwandelt zu haben. Manche so sehr, dass ich meinte, sie nicht wiederzuerkennen.

Versuchte ich, mit ihnen über die ausgrenzenden Maßnahmen für Ungeimpfte zu reden, Anordnungen, die auch mir die Teilnahme am kulturellen Leben unmöglich machten, verstanden sie nicht, was ich meinte. Wieso ich mich denn ausgegrenzt fühle? Vieler meiner früheren Freiheiten beraubt sehe? Ich bräuchte mich doch nur impfen zu lassen. Schon wäre ich doch wieder aufgenommen in ihrer Mitte, und Schwamm drüber.

Hinzu kamen — und deprimierender — die Fragen, warum ich mich nicht mehr sehen ließe? Nicht auf ihre Konzerte gehe? Warum ich denn keine Veranstaltungen mehr organisierte? Wann es eine Lesung von mir gebe? Sie verstanden es nicht. Wollten es nicht verstehen. Dass ich doch gar nicht durfte. Es mir nicht erlaubt war, am kulturellen Leben teilzunehmen. Gar selbst Veranstaltungen durchzuführen.

Ich war draußen vor der Tür. Für Jahre. Heute könnte ich, wenn ich wollte, wieder rein. Doch ich will nicht mehr. Ich hatte damals für mich beschlossen, nicht mitzumachen, als so viele bereit waren, uns wenige auszuschließen.

Dieser schmerzende Stachel der Entrechtung sitzt noch immer viel zu tief in mir, als dass ich bereit wäre, mich mit jenen gemein zu machen, die damals wie heute die Oberhoheit über Einrichtungen haben, die früher meine Welt darstellten.

Nein, ich bin nicht arm durch eine materielle Brille gesehen. Ich bin jedoch verarmt, was mein Interesse betrifft, in der heutigen Gesellschaft kulturell Anteil zu nehmen. Ich sehe es so: Arm sind andere in ihrer entblößten Erbärmlichkeit. Trotz ihrer gefüllter Konten, Autos und Häuser. Unabhängig von ihren hoch dotierten Jobs in Politik, Wirtschaft, in ausländischen NGOs und insbesondere im heute noch verbliebenen Kulturbetrieb in Deutschland. Der im Interesse gefördert, finanziert und auf genehme Linie gebracht wurde. Das ist arm.


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