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Gleichschritt statt Fortschritt

Gleichschritt statt Fortschritt

Die Bundeswehr behindert einen gesellschaftlichen Umschwung hin zu mehr Achtsamkeit und Respekt.

von Adriana Sprenger

„Mach, was wirklich zählt“. So wirbt die Bundeswehr. Aber was zählt denn wirklich? Keine andere Generation ist so sehr auf der Sinnsuche wie die unsere und die, die nach uns heranwachsen wird. Es geht immer mehr jungen Menschen um die Frage „Was erfüllt mich?“ anstatt „Was füllt mir den Kühlschrank?“. Gerade in der heutigen Zeit wird sehr viel Wert auf respektvolle Mitarbeiterführung und Förderung gelegt.

Ich arbeite in diesem Bereich und kann aus Erfahrung sprechen. Wie sinnführend diese Beraterkultur im Einzelnen ist, kann und möchte ich hier nicht näher erläutern oder beurteilen — es geht lediglich um die Entwicklung unserer Sicht auf die Arbeit im Allgemeinen, die sich in einigen Bereichen und Branchen deutlich gewandelt hat. Ein Berater — beziehungsweise ein Coach — nach dem anderen sprießt aus dem Boden, und alle wollen sie mit verschiedensten Ausbildungen und Programmen die Mitarbeiter individuell weiterentwickeln und fördern; Menschen, die auf die Bedürfnisse und Kompetenzen eines jeden einzelnen eingehen, um somit unseren Arbeitsalltag etwas achtsamer zu gestalten. Wertgeschätzte Mitarbeiter sind zuverlässiger und glücklicher bei der Arbeit, die sie Tag für Tag verrichten. Viele Firmen stecken aus diesem Grund einen großen Teil des vorhandenen Budgets in die individuelle Förderung ihrer Angestellten.

Auch die heutigen Startups erfinden ganz neue Unternehmensmodelle — 5-Stunden-Tage und vieles mehr —, die unser Arbeitsleben nachhaltig wandeln und ein anderes Bild unserer Arbeitswelt kreieren. Dieses Bild vereint Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und Respekt, wird hoffentlich auch irgendwann einmal fest in unserer Gesellschaft fundiert und — noch wichtiger — in Zukunft in allen erdenklichen Branchen gelebt und praktiziert.

Hier spielt der respektvolle Umgang sowie auch die respektvolle Kommunikation eine große Rolle:

Thema „Achtsamkeit in Unternehmen“. Es findet ein regelrechtes Umdenken statt. Man greift die Bedürfnisse der Mitarbeiter auf und versucht diese zu bedienen. Hier wird viel Zeit und Geld investiert, da sich die heutige Arbeitskultur gegenüber derjenigen vorangegangener Generationen gewandelt hat.

Das ist definitiv nur in bestimmten Branchen der Fall, aber dieser Prozess findet statt, und das ist meiner Meinung nach der erste Schritt in die richtige Richtung. Kurz gesagt, die Arbeitskultur ist drauf und dran, eine regelrechte 180-Grad-Drehung zu machen.
Die Bundeswehr dagegen ist stehen geblieben. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn das Kerngeschäft einer Armee ist alles andere als achtsam und respektvoll. Und nun reicht die schon seit einigen Jahren immer weiter gerührte Marketingtrommel nicht mehr aus, ja, es musste eine neue Kampagne her, die nun auch explizit Frauen ansprechen und ihnen vermitteln möchte, dass die Berufswahl „Soldatin“ eine sinnvolle Tätigkeit sei.

Frauen im Militär — bis 2001 undenkbar

Zwar konnten Frauen vor der Jahrtausendwende schon auf freiwilliger Basis im Militärmusikdienst oder im Sanitätsdienst ihren Dienst leisten, doch eine Verpflichtung bei der kämpfenden Truppe war nicht möglich. Erst eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2000 öffnete den Militärdienst für das weibliche Geschlecht uneingeschränkt. Seit 2001 stehen alle militärischen Laufbahnen in den Streitkräften auch Frauen offen. Mittlerweile leisten knapp 22.300 Soldatinnen ihren Dienst bei der Bundeswehr — Tendenz steigend.

Tendenz steigend also … Wie passt dies mit der im ersten Teil beschriebenen Entwicklung unserer Arbeitskultur und der damit verbundenen Sinnsuche zusammen? Mit allen Mitteln wird versucht, unsere Jugend wieder an die Front zu bringen. Das ist vielleicht etwas provokant formuliert, jedoch leider wahr. Hier kommt noch mal die Frage ins Spiel:

„Was macht denn wirklich Sinn?“ — Eine Jugend, die es als sinnstiftend empfindet, der Bundeswehr beizutreten? Diese Grundausbildung ist keine lustige Jugendveranstaltung, auch wenn sie teilweise so dargestellt wird.

Total modern und cool werden dem Zuschauer in „Die Rekrutinnen“ die ersten Tage und Wochen der jungen Mädchen in der Kaserne weisgemacht, das Zusammengehörigkeitsgefühl wird schnell in den Mittelpunkt gestellt. Aber, direkt gefragt: Worauf werden die Jugendlichen vorbereitet? Darauf, an die Front zu gehen. Das ist das Ziel einer solchen Grundausbildung: die Verteidigung Deutschlands — nur im nötigen Ernstfall natürlich.

Wir. Dienen. Deutschland.

Ist es das also, was wirklich zählt? Es reicht jedoch nicht aus, dass das Ziel einer solchen Ausbildung der Einsatz an der Front ist, nein, in der neuen Kampagne „Die Rekrutinnen“ ist hautnah mitzuerleben, welcher Umgangston herrscht, was das Tragen der Uniform bedeutet und welche Ideologien und Umgangsformen hier in die Köpfe genau dieser jungen Menschen, dieser jungen Frauen, betoniert werden. Sie werden gelockt mit einem „tollen“ Gemeinschaftsgefühl, den spaßigen Sportaktivitäten, der Möglichkeit, kostenfrei die Dienste der Deutschen Bahn in Anspruch zu nehmen und damit, dass sie alle Bildungsmöglichkeiten wie auf einem schillernden Silbertablett frei Haus geliefert bekommen — leider erfolgreich.

Wie kann in einer Gesellschaft — die meines Erachtens in manchen Teilen bereits im Umdenkprozess steckt, die es wieder zulässt, respektvoll und achtsam miteinander umzugehen, und die vor allem die Bedürfnisse jedes Einzelnen langsam wieder in den Fokus rückt — eine solche kriegstreibende Kampagne mit dem klaren Ziel, die Bundeswehr mit mehr Frauen zu füllen, gestartet und vor allem gestattet werden?

Wie kann eine Gesellschaft wollen, dass junge Menschen — hier gezielt Frauen — das „Kriegspielen“ und das „Sich-auf-den-Krieg-vorbereiten“ als wirklich sinnvolle und mögliche Alternative für ihre eigene und individuelle Arbeitslaufbahn erachten?

In der Zeit, in der die bedürfnisorientierte Förderung junger Menschen, der achtsame und respektvolle Umgang miteinander sowie das sinnerfüllende und nachhaltige Arbeiten immer mehr an Wichtigkeit gewinnt, wird eine Kampagne gestartet, die diesen kleinen Fortschritt im Gleichschritt niedertrampelt.



Adriana Sprenger, Jahrgang 1993, ist schon seit sie denken kann auf der Suche nach dem Sinn unseres Daseins. Diese Suche führte sie bereits über verschiedenste berufliche Stationen bis hin zu ihrem derzeitigen Studium der Wirtschaftspsychologie. Sie beschäftigt sich eingehend mit dem Zusammenspiel von Politik und Psychologie sowie mit Achtsamkeit und Nachhaltigkeit in unserer Welt. Das schöne Leben im noch schöneren München hielt sie nicht davon ab, über den gesellschaftlichen Tellerrand zu blicken und ihre Suche weiterzuführen.


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