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Im Sog der Auslöschung

Im Sog der Auslöschung

Wer den Krieg Russlands gegen die Ukraine als „Vernichtungskrieg“ bezeichnet, agiert geschichtsvergessen und relativiert die Verbrechen Hitler-Deutschlands.

Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wurde in Kiew immer wieder erklärt — und von den deutschen Leitmedien begierig aufgegriffen —, Russland führe einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Ukraine. Und genau dieses „Argument“ wird nun wieder ins Feld geführt, um offizielle Vertreter Russlands und Weißrusslands von den Gedenkfeiern zum 8./9. Mai auszuschließen.

In einem Land, in dem bei gefühlt jeder dritten öffentlichen Debatte ein unzulässiger „Hitler-Vergleich“ oder eine „Relativierung des Holocaust“ dingfest gemacht wird, überrascht die Gedankenlosigkeit, mit der dieser Begriff seitdem fast überall nachgeplappert wird. Den Vorwurf einer Relativierung der deutschen Verbrechen im Krieg gegen die Sowjetunion hat man in diesem Zusammenhang jedenfalls noch nirgends vernommen. Wenn aber jemals ein Krieg die Bezeichnung „Vernichtungskrieg“ verdient hat, dann der, den Wehrmacht und SS zwischen 1941 und 1944 auf dem Territorium der Sowjetunion führten.

„Der russische Magen ist dehnbar!“

„Armut, Hunger und Genügsamkeit erträgt der russische Mensch schon seit Jahrhunderten. Sein Magen ist dehnbar, daher kein falsches Mitleid.“

Dies schrieben nicht etwa Hitler, Himmler oder Goebbels. Der Satz stammt von Herbert Backe, Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Er findet sich in einem als „Gelbe Mappe“ bezeichneten Papier, das Görings Ernährungsbeauftragter genau drei Wochen vor dem Überfall auf die Sowjetunion unter dem Rubrum „Geheime Kommandosache“ über 10.000 Landwirtschaftsführern im „Reich“ zukommen ließ.

Die gesamte künftige Besatzungspolitik des riesigen zu erobernden Raums im Osten solle unter dem obersten Prinzip „Was nützt es Deutschland?“ stehen.

Bereits einen Monat zuvor, am 2. Mai 1941, hatte es in einer Sitzung von Staatssekretären und führenden Offizieren der Wehrmacht geheißen:

„Der Krieg ist nur zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“

Der Überfall als „Kriegsnotwendigkeit“

Im zweiten Jahr des von ihnen entfesselten Krieges hatten die deutschen Aggressoren sich in eine Sackgasse manövriert. Trotz erfolgreicher Blitzkriege gegen Polen, Dänemark, Norwegen, die Niederlande, Belgien und Frankreich war es Hitlers Wehrmacht nicht gelungen, England in die Knie zu zwingen. Der kriegsentscheidende Sieg an der Westfront war damit in weite Ferne gerückt. Nach wie vor konnte die britische Schlachtflotte mittels Seeblockade Deutschland in existenzielle Bedrohung bringen.

Schon zu Friedenszeiten war das Deutsche Reich nicht in der Lage gewesen, sich aus den Erträgen der eigenen Landwirtschaft hinreichend zu ernähren. Wie der Historiker Götz Aly in seinem vielbeachteten Band „Hitlers Volksstaat“ herausgearbeitet hat, „gelang es der NS-Führung auch mit äußerstem Kräfteaufwand allenfalls, 83 Prozent der eigenen notwendigen Lebensmittel im Inland produzieren zu lassen. In jedem Fall blieben Einfuhren — insbesondere von Pflanzenfett und Futtergetreide — notwendig, um die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Die Mobilisierung der Streitkräfte führte zwangsläufig zum Mangel an Kunstdünger, für den derselbe Stickstoff gebraucht wurde wie für die Pulverproduktion; ferner fehlte es bald an Männern, Pferden, Traktoren, neuen Maschinen und Treibstoff.“ All diese Importgüter, und nicht zuletzt das kriegsnotwendige Erdöl, waren unter den Bedingungen der britischen Seeblockade zu schwer erreichbarer Mangelware geworden.

Was Hitler in „Mein Kampf“ unter dem Stichwort „Lebensraum im Osten“ noch eher vage als ideologisches Fernziel angedeutet hatte – die Eroberung der Sowjetunion bis zum Ural sowie die Vertreibung, Versklavung und Ermordung der dortigen Bevölkerung – und was er noch am 11. August 1939 gegenüber dem Schweizer Völkerbundkommissar Carl Jacob Burckhardt so formuliert hatte:

„Alles was ich unternehme, ist gegen Russland gerichtet; wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies zu begreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit den Russen zu verständigen, den Westen zu schlagen, und dann nach seiner Niederlage mich mit meinen versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden. Ich brauche die Ukraine, damit man uns nicht wieder wie im letzten Krieg aushungern kann“

— dies wurde nun im Frühjahr 1941 aus der Perspektive der Täter zur dringenden „Kriegsnotwendigkeit“.

„Sie starben, damit Deutschland lebe“

Hitlers letzter Satz bringt das Trauma der Nazis auf den Punkt: Eine aus Hunger, Mangelernährung und Kriegsmüdigkeit geborene Revolution der eigenen Bevölkerung gegen das Regime, wie im November 1918, sollte um jeden Preis – sprich: auf Kosten der sowjetischen Bevölkerung – verhindert werden. Oder mit den späteren Worten Görings vom 24. August 1942:

„Bevor das deutsche Volk in eine Hungerkatastrophe kommt, sind die besetzten Gebiete und ihre Bevölkerung dem Hunger auszuliefern.“

Am 8. November des Vorjahres hatte er vom „größten Sterben seit dem Dreißigjährigen Kriege“ gesprochen.

Sein Kollege, der Reichsführer SS Heinrich Himmler gab bereits Mitte Juni 1941, eine Woche vor dem Überfall, bei einem Treffen mit hohen SS-Führern auf der Wewelsburg als Planziel eine „Dezimierung der sowjetischen Bevölkerung um 30 Millionen Menschen“ vor.

Am 22. Juni 1941 fiel die Wehrmacht mit rund drei Millionen Soldaten und 625.000 Pferden in die Sowjetunion ein, wo sie anfangs gegen eine sich zäh verteidigende, aber schlecht organisierte Rote Armee — Stalin hatte sie zuvor der meisten ihrer führenden Köpfe beraubt — weite Geländegewinne verzeichnen konnte und bei den großen Kesselschlachten Hunderttausende sowjetische Soldaten in Gefangenschaft nahm. Um die Bevölkerung im „Reich“ zu entlasten, hatte die Wehrmacht die Devise, sich „aus dem Lande“ zu ernähren. Hitlers allgemeine Anweisung „Es kommt darauf an, den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten, drittens ausbeuten können. Der Riesenraum im Osten muss zunächst schnellstmöglichst befriedet werden, am besten dadurch, daß man Jeden, der nur schief schaut, totschießt“, war von Verwaltung und Wehrmacht bereits in konkrete Pläne für die Besatzungspolitik operationalisiert worden.

Die Bevölkerungs- und Ernährungsspezialisten aus der Verwaltung teilten den sowjetischen Raum westlich des Urals in sogenannte „Überschuss-“ und „Zuschussgebiete“ ein. Geplant war, die fruchtbaren „Überschussgebiete“, die sie im Schwarzerdegebiet, der Ukraine und im Kaukasus ausmachten, von den nördlich gelegenen „Zuschussgebieten“ hermetisch abzuriegeln und die Bevölkerung dem Hungertod preiszugeben. In den „Wirtschaftspolitischen Richtlinien für Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft“ vom 23. Mai 1941 las sich das so:

„Die Bevölkerung dieser Gebiete, insbesondere die Bevölkerung der Städte, wird größter Hungersnot entgegensehen müssen. Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern (ein Euphemismus für brutale Vertreibung; L.E.) müssen.“

In der Realität erwies sich dieser Plan jedoch über weite Strecken als schwer praktikabel, da die deutsche Besatzungsmacht sich außerstande sah, die hungerbedingten Wanderungsbewegungen zu unterbinden. Punktuell konnte er allerdings durchaus — und im Sinne der deutschen Aggressoren infernalisch erfolgreich — umgesetzt werden: Dies gilt insbesondere — ein klarer Verstoß gegen das damals geltende Kriegsvölkerrecht – für die sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen 3,3 Millionen (das heißt 57,9 Prozent) in deutschem Gewahrsam an Hunger, Entkräftung und Seuchen elendig verreckten.

Dass die auf diese Weise ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen — ihr Tod war von vorneherein „als Kriegsnotwendigkeit“ einkalkuliert — nach den europäischen Juden die zweitgrößte Opfergruppe der Nationalsozialisten darstellen, ist nach wie vor im deutschen Bewusstsein nicht angemessen präsent.

Durchsetzen ließ sich der Plan ebenfalls bei der um die 500 Tage dauernden systematischen Einschließung von Leningrad — das später wie Moskau und die anderen großen Städte „dem Erdboden gleichgemacht“ werden sollte —, die 900.000 bis eine Million Opfer forderte. Andere Städte, wie Charkow, glichen aufgrund der rigiden Requirierungen durch die Besatzer und der Abriegelung der Stadt zeitweise einem Hungerghetto. In der Ukraine und auf der Krim wurden ganze Regionen zu „Kahlfraßzonen“, in denen keinerlei Lebensmittel oder andere verwertbare Güter mehr vorhanden waren.

Kurz: Das zynische Epitaph des „Völkischen Beobachters“ vom 4. Februar 1942 für die gefallenen deutschen Stalingradkämpfer „Sie starben, damit Deutschland lebe“ trifft zu hundert Prozent zu, wenn man es auf die Millionen Sowjetbürger bezieht, die zugunsten der Deutschen in Wehrmacht und „Reich“ Hungers sterben mussten.

Verbrecherische Befehle und Massenmord

Die Wehrmacht leistete hier keineswegs, wie später in der Nachkriegszeit suggeriert, höchstens widerwillig „Dienst nach Vorschrift“. Bereits Hitlers Anweisung, jeden totzuschießen, „der nur schief schaue“, war von ihr schon vor dem Überfall auf die Sowjetunion „proaktiv“ in verbrecherische Befehle gegossen worden.

Mit dem am 13. Mai 1941 vom Oberkommando der Wehrmacht (OKH) verfügten „Kriegsgerichtsbarkeitserlass“ wurde unter anderem der Verfolgungszwang für „Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht gegen feindliche Zivilpersonen begehen“, aufgehoben. Dies sollte auch dann gelten, „wenn die Tat ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist“.

Damit wurde den deutschen Soldaten de facto ein Freibrief erteilt und die sowjetische Zivilbevölkerung schutzlos der Willkür lokaler Befehlshaber ausgeliefert.

Nur wenige Wochen später, am 6. Juni 1941, erließ das OKH den „Kommissarbefehl“. Die politischen Kommissare galten als die ideologischen Funktionäre innerhalb der Roten Armee und wurden nicht als Soldaten anerkannt. Sie sollten im Kampf oder sofort „nach durchgeführter Absonderung“ getötet werden.

Mit beiden Befehlen setzte die Wehrmachtsführung — in voller Kenntnis der verbrecherischen Folgen ihrer Anordnungen — wesentliche Bestandteile des damals geltenden Kriegsvölkerrechts außer Kraft, das eine Reihe von international anerkannten Grundsätzen, vor allem zum Schutze der Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen, enthielt. Damit schuf die Führung der Wehrmacht die wesentlichen Voraussetzungen für einen bis dahin präzedenzlosen Rassen- und Vernichtungskrieg, vor allem gegen die jüdische Bevölkerung.

Genozide und Wüstenzonen

Der systematische Massenmord an den europäischen Juden begann auf dem Gebiet der Sowjetunion. Anfängliche punktuelle brutalste antijüdische Pogrome der lokalen Bevölkerung, vor allem in Litauen, Lettland und der Westukraine — von der SS „Selbstreinigungsaktionen“ genannt —, denen die als Besatzungsmacht verantwortliche Wehrmacht tatenlos zusah, wurden rasch abgelöst von systematischen Erschießungen durch die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD.

Beschränkte man sich anfangs „nur“ auf jüdische Männer im wehrfähigen Alter, so wurden spätestens ab August 1941 ganze jüdische Gemeinden durch Massenerschießungen ausgerottet.

In jedem kleineren weißrussischen oder ukrainischen Ort war die Opferzahl mindestens vierstellig. Schätzungen zufolge ermordeten die deutschen Besatzer zwischen 2,5 und 2,6 Millionen sowjetische Juden. Die Wehrmacht leistete nicht selten logistische Unterstützung.

Ähnlich gestaltete sich die mörderische Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht, SS und Ordnungspolizei im Rahmen des Anti-Partisanenkampfes, wo zwischen 1942 und 1943, vor allem auf dem Gebiet Weißrusslands, ganze Landstriche in „Wüstenzonen“ verwandelt wurden. Tausende von Dörfern wurden niedergebrannt, Hunderte von ihnen samt der Bevölkerung, die man zuvor in die Dorfscheune oder Kirche gesperrt hatte.

Allein für Belarus, das mit mehr als einem Viertel seiner Bevölkerung den prozentual größten Blutzoll zahlen musste, belaufen sich die Schätzungen auf 300.000 bis 350.000 getötete Menschen. Wer sich von den Gräueltaten einen Eindruck verschaffen will, sollte die weißrussische Gedenkstätte Chatyn, den „Friedhof der Dörfer“, besuchen oder, wenn er es ertragen kann, sich den Film „Komm und sieh/ Иди и смотри“ von Elen Klimow aus dem Jahre 1985 ansehen.

Bei ihrem erzwungenen Rückzug hinterließen die deutschen Truppen eine Spur der Verwüstung. Ziel der deutschen Führung war es nun, nur „verbrannte Erde“ zurückzulassen. Alles, was irgendwie lebenswichtig war, sollte zerstört werden: Industrieanlagen, Bergwerke, Wasser- und Elektrizitätswerke, Brücken, Dämme, Schleusen, das Schienennetz, Landmaschinen, Mühlen, Molkereien, die Ernte auf den Feldern, ebenso Transportmittel und Vorräte aller Art, soweit man sie nicht abtransportieren konnte. Die arbeitsfähige Zivilbevölkerung wurde zwangsevakuiert, oft unter grauenhaften Bedingungen. Der schnelle sowjetische Vormarsch verhinderte, dass dies überall im angestrebten Umfang geschah.

Zieht man eine Bilanz dieses barbarischsten aller Kriege und stellt man die Zahl der toten Sowjetbürger, fast 27 Millionen, den ursprünglich anvisierten 30 Millionen gegenüber, so muss man zynisch konstatieren, dass die Besatzer ihr national-sozialistisches Planziel annähernd erreicht haben.

Umso größer das Wunder — jeder, der dort hinreist, wird das bestätigen —, dass in den Bevölkerungen der am schlimmsten betroffenen Länder Belarus, der Ukraine und Russland keinerlei Hass auf die Deutschen herrscht. Dies ist eine zivilisatorische Vorleistung ohnegleichen, die in Deutschland immer noch nicht angemessen gewürdigt, geschweige denn zur Kenntnis genommen wird!

Nachkriegsamnesie …

Auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik, wo der Verfasser dieses Essays geboren wurde, verhinderte der aufkommende Kalte Krieg mit dem erneuerten Feindbild „Sowjetunion“ jahrzehntelang die Beschäftigung mit den beispiellosen Gräueltaten, die die deutschen Besatzer dort verübt hatten. Direkte menschliche Kontakte zwischen den Bevölkerungen beider Länder verhinderte auf Seiten des Westens der Eiserne Vorhang — und wir sind heute, was Russland angeht, in beiden Punkten wieder in derselben Situation. Manche Kriegsgefangene brachten immerhin den Satz „Der Russe an sich ist gut!“ mit nach Hause.

Die verantwortlichen Massenmörder, sofern sie überlebt hatten, zogen sich meist unauffällig in ein bürgerliches Leben zurück, die wenigsten von ihnen wurden juristisch belangt.

In den Fünfzigerjahren erschien eine ganze Rechtfertigungsliteratur ehemaliger Wehrmachtsgeneräle unter dem Motto: „Ohne Hitlers idiotische Kriegsführung hätten wir den Krieg doch noch gewonnen!“ Als die Verbrechen der SS-Einsatzgruppen nicht mehr zu leugnen waren, hielt man umso hartnäckiger am Bild der „sauberen Wehrmacht“ fest. Dies war psychohygienisch umso erforderlicher, als die 18 Millionen Wehrmachtssoldaten ja einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung darstellten. Grundsätzlich ins Wanken gebracht wurde diese Legende erst durch die beiden Wanderausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung „Verbrechen der Wehrmacht“ (1995 bis 1999, sowie in überarbeiteter Form 2001 bis 2004), die über einen langen Zeitraum massiven — nicht nur publizistischen — Gegenwind ernteten.

Dass es sich beim Krieg gegen die Sowjetunion um keinen Krieg im herkömmlichen Sinne handelte, sondern um einen Vernichtungskrieg, in dem die Regeln des damals geltenden Kriegsvölkerrechts von Beginn an willkürlich außer Kraft gesetzt worden waren, war jahrzehntelang überhaupt nicht und ist heute bestenfalls rudimentär im Bewusstsein der Deutschen verankert. Und man kann nur hoffen, dass dieser Begriff durch den nun zunehmenden Gebrauch nicht zur beliebig verwendbaren Floskel oder Kampfformel degeneriert. Entsprechend gering ausgeprägt ist nach wie vor die Empathie für das Leiden der Menschen in Russland, Belarus und der Ukraine während der deutschen Besatzung. Bezogen auf die Ukraine beginnt sich das gerade in den Leitmedien zu verändern — aus durchsichtigen Gründen, versteht sich!

Wirkliche Verständigungsversuche fanden bis zur Wiedervereinigung in Westdeutschland nur spärlich und eher „von unten“ statt: unter anderem in ersten interkonfessionellen Kontakten — die evangelischen Kirchen Deutschlands veröffentlichten „schon“ Ende der Achtzigerjahre eine Denkschrift „Versöhnung und Frieden mit den Völkern der Sowjetunion“ —, später von Mensch zu Mensch ab den Neunzigerjahren in den deutsch-russischen Städtepartnerschaften, dem Deutsch-Russischen Forum oder einer Reihe von Einzelinitiativen wie zum Beispiel der deutsch-russischen Initiative „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“.

All diese Kontakte sind — soweit sie überhaupt noch existieren — seit dem 24. Februar 2022 einer starken Belastungsprobe ausgesetzt.

… und aktuelle Gedenkverbote

Im offiziellen Gedenken wirkte vieles, zumindest im Westen Deutschlands, die meiste Zeit bestenfalls pflichtgemäß bemüht. Heute allerdings, 80 Jahre nach Kriegsende, wird das Gedenken auch noch im politischen und Mediendiskurs durch eine neue geopolitische Instrumentalisierung überlagert, bei der nun die Opfer Russlands, Weißrusslands und der Ukraine gegeneinander in Stellung gebracht werden: Das noch von Annalena Baerbock geführte Auswärtige Amt riet — angeblich aus Sorge vor „russischer und belarussischer Propaganda“ — in einer „Handreichung an Länder, Kommunen und Gedenkstätten des Bundes“ davon ab, die Teilnahme von Vertretern von Russland und Belarus bei Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zuzulassen und empfahl, ihnen gegebenenfalls den Zugang zu den Mahnmälern zu verwehren. Der Bundestag schließlich schloss sie auch noch von der zentralen Gedenkfeier aus.

Vergangenheitsbewältigung im auf „Kriegstüchtigkeit“ getrimmten Deutschland anno 2025.


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