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„Lasst uns Syrien aufteilen!“

„Lasst uns Syrien aufteilen!“

Ein diplomatisches Dokument entlarvt den US-Plan für Syrien. Exklusivabdruck aus der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar.

Washington an seine Verbündeten: Lasst uns Syrien aufteilen
von Mohammad Ballout und Walid Scharara

Die USA-Politik in Syrien hat sich verändert. Nach langem Zögern und nach der Niederlage des „Islamischen Staates“ haben die USA sich nun dafür entschieden, den Krieg fortzusetzen. Dafür weiten sie ihre militärische Präsenz östlich des Euphrat aus, um Syrien nach einem detailliert festgelegten Plan zu zerteilen. In den vergangenen zwei Monaten waren rege diplomatische Aktivitäten zu verzeichnen, bei denen die USA ihre Verbündeten über ihren Plan informierten und sie auf dessen Umsetzung vorbereiteten. Der libanesischen Tageszeitung „Al Akhbar“ wurde eine diplomatische Depesche zugespielt, die von der britischen Botschaft in Washington stammt. Darin wird die amerikanische Strategie für die Aufteilung Syriens zusammengefasst, wie sie von David Satterfield (US-Außenministerium) bei einem Treffen der „Syriengruppe“ vorgetragen wurde. Dazu hatten die USA am 11. Januar 2018 nach Washington eingeladen.

Der US-amerikanische Plan zur Aufteilung Syriens hat weder mit einer theoretischen Analyse noch mit der russisch-US-amerikanischen Auseinandersetzung zu tun, die auf dem Schlachtfeld der Diplomatie ausgetragen wird. Auffällig war die Äußerung des russischen Außenministers Sergej Lavrov, der kürzlich davon sprach, dass „die USA die Aufteilung Syriens“ plane. Dem vorausgegangen waren massive militärische Angriffe der US-Luftwaffe und Artillerie, die unter russischen und syrischen paramilitärischen Kräften ein Massaker anrichteten, als diese versucht hatten über Pontonbrücken den Euphrat nach Osten zu überqueren. Das Blutbad richtete sich gegen Mitarbeiter des russischen militärischen Sicherheitsunternehmens „Wagner“, das an der Seite der russischen Armee in Syrien eingesetzt wird. Die Entwicklung war keine Überraschung. Mit den Angriffen zogen die USA eine Trennlinie zwischen zwei Syrien: eines westlich, eines östlich des Euphrat. Der Angriff markierte eine Grenze, mit der die Zukunft eines (syrischen) Territoriums östlich des Euphrat festgelegt werden soll. Eine Zukunft, die bereits vor einigen Wochen von den USA ausgearbeitet worden war.

Die neue Syrien-Strategie war im US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrat beschlossen worden. Vor sechs Wochen informierten die USA dann ihre Verbündeten darüber, welche Ziele sie auf syrischem Territorium verfolgen. Das östliche Territorium soll vom Rest Syriens abgetrennt werden, wofür das Weiße Haus jährlich 4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellt. Mit dem Geld soll u.a. eine Grenzschutztruppe ausgebildet werden, die auch die Aufgabe hat, die Dominanz der kurdischen Verbände innerhalb der kämpfenden „Syrischen Demokratischen Kräfte“ zurückzudrängen. Um das zu befördern, sollen Kräfte der syrischen Opposition östlich des Euphrat erschaffen und die Rückkehr der syrischen Armee verhindert werden.

In einem fünfseitigen Dokument der britischen Botschaft in Washington (Al Akhbar liegt eine Kopie vor), fasst der britische Diplomat und Nahostexperte Benjamin Norman für das britische Außenministerium die neue US-amerikanische Strategie zur Aufteilung Syriens zusammen, wie sie bei einem Treffen der von den USA zusammengestellten „Syrien-Gruppe“ in Washington am 11. Januar 2018 von David Satterfield (US-Außenministerium) vorgetragen worden war.

Außer Satterfield (Generaldirektor der Abteilung für Nahostfragen im US-Außenministerium) nahmen folgende Personen an dem Treffen teil: Hugh Cleary, Leiter der „Syrien-Gruppe“ im britischen Außenministerium. Jerome Bonnafont, Leiter der Abteilung für den Nahen Osten und Nordafrika im französischen Außenministerium. Zwei arabische US-Verbündete, die Syrien ebenfalls aufteilen wollen, hatten Vertreter zu dem Treffen entsandt: Nawaf Wasfi al-Tall, Berater des jordanischen Außenministers und seit 2011 verantwortlich für die Syrien-Politik Jordaniens sowie General Jamal Al-Aqeel, Sicherheitsbeauftragter im Innenministerium Saudi Arabiens.

Satterfield sprach in aller Deutlichkeit über die Pläne der USA und ihre Entschlossenheit, diese auch umzusetzen. Syrien soll aufgeteilt werden, der Osten und Nordosten soll vom Rest des Landes getrennt werden. Satterfield führte aus, dass für die Umsetzung fünf Punkte ausgearbeitet wurden: 1. Syrien soll geteilt werden. 2. Die Gespräche in Sotschi sollen zum Scheitern gebracht werden. 3. Die Türkei soll umworben werden. 4. De Mistura (UN-Sonderbotschafter für Syrien) soll angewiesen werden, die Genfer Gespräche zu reaktivieren. 5. Das Acht-Punkte-Papier als Grundlage für eine politische Lösung für Syrien soll umgesetzt werden. Dieses Papier war von Washingtons Gesandten sowohl den Vertretern der syrischen Regierung als auch den Vertretern der Opposition bei dem Treffen in Wien am 26. Januar 2018 übergeben worden. Aus dem diplomatischen Bericht geht hervor, dass die Teilnehmer die US-amerikanischen Vorschläge begrüßten. Es wurde eine Frist beschlossen um „im Jahr 2018 (in diesem Sinne) konkrete Fortschritte auf syrischem Territorium zu erreichen und damit den angeblichen Siegeszug der Russen“ zu widerlegen.

Satterfield informierte die Teilnehmer auch über die Entscheidung von Präsident Trump, trotz Niederschlagung des IS weiterhin ein bedeutendes US-Truppenkontingent auf syrischem Territorium zu belassen. Dafür hat das Weiße Haus jährlich 4 Milliarden US-Dollar bewilligt. Westliche Quellen erwarten, dass mit dem Geld auch der weitere Ausbau US-amerikanischer Stützpunkte in dem Gebiet finanziert werden soll, das von syrischen Kurden kontrolliert wird. Das betrifft insbesondere die US-Militärbasis Al Rmeilan, im äußersten Nordosten Syriens als auch den Stützpunkt bei Ain al-Arab (Kobane) an der syrisch-türkischen Grenze. Die US-Truppenpräsenz soll zudem den Iran davon abhalten, ihren Einfluss in Syrien auszudehnen, Verbände auf syrischem Boden langfristig zu stationieren und Einfluss auf die politischen Anstrengungen zur Beilegung der Krise in Syrien zu nehmen.

Die Anwesenden kamen überein, die Absicht Russlands zu torpedieren, allein über die Zukunft des politischen Regimes in Syrien bestimmen zu wollen. Um den in Sotschi eingeschlagenen Weg zu stoppen, soll (der UN-Sonderbeauftragte für Syrien Staffan) De Mistura die notwendige Unterstützung für eine Konsolidierung der Genfer Syriengespräche erhalten. Alle waren mit diesen Vorschlägen einverstanden und unterstrichen die Notwendigkeit, weitere praktische Maßnahmen gegen das „Vorgehen Russlands für eine politische Lösung zu ergreifen.“ Für die Umsetzung des US-amerikanischen Teilungsplans für Syrien sollen nach dem Willen der Teilnehmer die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle spielen. Priorität liege bei den Genfer Syriengesprächen, deren Bedeutung untermauert werden soll. In dem Zusammenhang teilten die USA den Anwesenden mit, dass sie in Zukunft nicht mehr an den Astana-Gesprächen teilnehmen würden. Die US-Präsenz (dort) werde auf die niedrigste diplomatische Ebene heruntergeschraubt.

Dem Protokoll zufolge räumten die Teilnehmer ein, dass es De Mistura nicht gelungen sei, die Genfer Syriengespräche zu beleben. Zudem äußerten sie sich angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse auf dem Schlachtfeld kritisch über weitere Waffenstillstandsvereinbarungen. Fraglich sei, ob es überhaupt nützlich sei, im Rahmen der Genfer Gespräche einen Waffenstillstand zu erreichen, denn – so die syrische Lagebeschreibung im Protokoll der britischen Botschaft - „uns fehlt schlicht die nötige Kraft, um das Regime daran zu hindern, die verbliebenen Oppositionsgebiete in Idlib und in der östlichen Ghouta von den Rändern her aufzurollen.“

Auf dem Weg „Syrien zu zerteilen“ spielt die Forderung nach einer provisorischen/Übergangsregierung für die USA keine Rolle. Auch die Umsetzung des entsprechenden Paragraphen in der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 sei unerheblich, sagte Satterfield den Anwesenden: „ Wir haben der Opposition geraten, die Idee einer provisorischen/Übergangsregierung nicht weiter in den Vordergrund zu stellen (….) und nicht bei jeder Gelegenheit das Thema anzusprechen.“ Das, so die US-Amerikaner, solle ihr (Opposition) Erscheinungsbild verbessern. „Sie sollen sich flexibel zeigen (…) ohne das endgültige Ziel aus den Augen verlieren: Syrien zu teilen und Assad zu beseitigen.“

Die US-Amerikaner legten größten Wert auf die Umsetzung ihres Plans, der vorsieht, Institutionen aufzubauen und die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen, die einen Sieg Assads unmöglich machen. Dann sei es nicht mehr erforderlich, die Teilnahme von Assad an den Wahlen zu verbieten. Hinsichtlich Russlands einigten sich die Teilnehmer auf eine Strategie, mit der getestet werden soll, ob Russland bereit ist „auf das Regime einzuwirken (….) Wahlen unter der Aufsicht der Vereinten Nationen zuzulassen und (….) über eine neue Verfassung zu verhandeln“. Und zwar konkret und „nicht in den schönen Worten und Versprechungen von Außenminister Sergej Lavrov“. Satterfield fügte hinzu: „Wir werden die Angreifbarkeit des Herrn Putin während der Präsidentschaftswahlen bestens zu unseren Gunsten zu nutzen wissen. Wir werden die Stimmung gegen Assad unter den russischen Wählerinnen und Wählern intensiv anheizen, mehr Sitzungen im UN-Sicherheitsrat beantragen und begleitend eine Medienkampagne gegen ihn“ starten.

Zum Botschafter bei den „Syrischen Demokratischen Kräften“ (SDK) haben die USA (den bisherigen US-Botschafter in Bahrain) William Roebuck ernannt. Damit soll eine diplomatische Ebene sowohl mit den Kurden als auch mit dem gesamten Gebiet östlich des Euphrat aufgebaut werden. Weitere Vorschläge sehen vor, den Kurden mehr diplomatische Anerkennung und politisches Gewicht bei Verhandlungen zu verschaffen. Um die Türkei nicht zu provozieren, wurde sie von den USA vorab über die Pläne informiert, sagte Satterfield. Damit sei die türkische Militäroffensive gegen Afrin zu erklären. Weiterhin schlagen die USA vor, bei zukünftigen Verhandlungen in Genf eine Delegation für das Gebiet „Ost-Euphrat“ zu bilden, an der die kurdische Vertretung unter der Fahne der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ teilnehmen soll. Mit der Delegation des „Hohen Verhandlungsrates“ könnten sie dann die Regierungsdelegation in die Zange nehmen und blockieren“.

Die Teilnehmer:

  • Benjamin Norman (Protokoll), Experte für Außenpolitik und Sicherheit im Nahen Osten an der britischen Botschaft in Washington. Das Protokoll wurde dem britischen Außenministerium zugestellt.
  • Hugh Clare, Leiter der Syrien-Gruppe im britischen Außenministerium.
  • Jerome Bonnafont, Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika im französischen Außenministerium.
  • David Satterfield, US-Außenministerium, stellvertretender Staatssekretär für den Nahen Osten.
  • Nawaf Wasfi Al-Tal, Berater des jordanischen Außenministers und (seit 2011). zuständig für die Syrien-Politik Jordaniens.
  • Brigadegeneral Jamal al Aqeel, Sicherheitsbeauftragter im Innenministerium Saudi Arabiens.

Einführung in das diplomatische Dokument

„Zusammenfassung: Erstes Treffen der neu gegründeten kleinen US-Gruppe zu Syrien, nachdem Trump der dauerhaften US-Militärpräsenz in Syrien zugestimmt hat. Vereinbarung, Staffan de Mistura umgehend zu unterstützen, um die russischen Aktivitäten auszugleichen und um Genf strukturell zu reaktivieren, in dem Diskussionen über die humanitäre Lage, Gefangene und so weiter wieder auf die Tagesordnung zurückgeholt werden. Die Kleine Gruppe wird Vorschläge zur Syrischen Verfassung und zu den Wahlen vorlegen. Russland gegenüber wird sie ihre Erwartungen klar machen, welche Verpflichtungen seitens Assad in der kommenden Runde der Genfer Gespräche am 26. Januar (2018) in Wien zu erbringen sind. Die Minister werden sich am 23. Januar (2018) in Paris treffen um sich abzustimmen und Russland unmißverständlich den Fehdehandschuh hinzuwerfen (herauszufordern). Tillerson wird in der kommenden Woche eine Grundsatzrede zu Syrien halten.“

„Anmerkungen (des Protokollführers):

  • Punkt 18: Im syrischen Sinne hat dieses Treffen gewisse Fortschritte gebracht. Den USA ist es gelungen, in der kleinen Runde ihre Führungsrolle zu bekräftigen. Das wird in der kommenden Woche in aller Öffentlichkeit durch die Tillerson-Rede zu Syrien am Hoover Institut bekräftigt werden. Satterfield wiederholte mehrmals, dass die USA am politischen Weg festhalten will. In getrennten Treffen (zum Beispiel mit (dem Berater des US-Außenministers) Brian Hook) wurde klar, dass Tillerson sich dafür ins Zeug legen wird.
  • Punkt 19: Wir haben jetzt einen festen Plan für die nächsten drei Wochen. Allerdings wurde wenig darüber diskutiert, wie wir den Druck auf Russland aufrechterhalten oder nötigenfalls erhöhen können, wenn sie sich weigern sollten unsere Forderungen gegenüber dem Regime umzusetzen. An dieser Front sollten wir damit weitermachen, was wir bereits tun – die schlimme humanitäre Situation und die russische Komplizenschaft bei den Luftangriffen gegen zivile Ziele anprangern.
  • Punkt 20: Vielen Dank an Sie (gerichtet an Satterfield) und Hugh für Ihre Teilnahme an diesem Treffen. Anschließend hörte ich von US-Seite wie sehr sie unsere Vorschläge und Unterstützung in den vergangenen Monaten geschätzt haben, bis sie sich schließlich auf ihre Strategie einigten. Es war ein guter Arbeitstag. Beste Grüße, Benjamin Normann.

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Redaktionelle Anmerkung: Die Kollegen Ballout und Scharara leisten — mit Unterstützung ihrer Zeitung Al Akhbar — wichtige Aufklärung über den Krieg in Syrien und seine machtpolitischen und geostrategischen Hintergründe. Rubikon bedankt sich für die Genehmigung der Autoren, den Artikel in deutscher Übersetzung exklusiv zu veröffentlichen. Die Übersetzung des Textes erfolgte durch Issam Haddad, die deutsche Bearbeitung durch Karin Leukefeld.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Al Akhbar, Beirut, 22. Februar 2018; http://al-akhbar.com/node/291239


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