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Lichtvolle Freunde

Lichtvolle Freunde

Wer mehr Gesundheit und Lebensfreude will, sollte Pflanzen in seinem Leben eine Hauptrolle geben.

„So ist sein verzaubertes Herz nicht menschlich mehr, sondern von kaltem Metall; wer keine Blume mehr liebt, dem ist alle Liebe und Gottesfurcht verloren.“ Der Vater in Ludwig Tiecks romantischer Erzählung „Der Runenberg“ macht sich Sorgen um seinen Sohn Christian. Dieser, gerade aus dem Gebirge in den heimischen bäuerlichen Betrieb heimgekehrt, will sich weder auf den Acker noch in den Garten begeben, er „scheint sich vor allen Pflanzen und Kräutern wie vor Gespenstern zu entsetzen“. Was hat es mit dieser fast einer Geistesstörung ähnlichen Anwandlung auf sich?

Wir finden hier ein interessantes, mit Blick auf unsere Gegenwart geradezu prophetisches Szenario vor: Jemand ist an einer rätselhaften Abneigung gegen Pflanzen erkrankt — verbunden mit einer leidenschaftlichen Affinität zu allem Mineralischen, in der Erzählung symbolisiert durch Reisen in steinige Gebirgslandschaften. Aber auch mit dem die Seele deformierenden Geldbesitz. Betrachtet man unsere modernen Großstadtlandschaften, aber auch die modischen Kellergewölbe von vollendeter Künstlichkeit — Diskotheken zum Beispiel —, so gewinnen wir den Eindruck, dass sehr viele Menschen sich an eine Welt fast ohne Pflanzen gewöhnt haben. Wo sie diese dennoch antreffen — den Gummibaum im Büro, die verwilderte Wiese zwischen zwei Wohnblöcken —, bedeuten sie ihnen nichts: Wie verschlossene Bücher scheinen Pflanzen aufgehört zu haben, zu uns zu sprechen.

Die Melancholie der Endlichkeit

Der Grund für die Phythophobie — Pflanzenangst — von Ludwig Tiecks Helden Christian ist mindestens so interessant wie die bloße Existenz dieser „Krankheit“: Es ist die Vergänglichkeit der Pflanzen, die ihn mit Furcht, ja Ekel erfüllt. „In den Pflanzen, Kräutern, Blumen und Bäumen regt und bewegt sich schmerzhaft nur eine große Wunde, sie sind der Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, sie bieten unserm Auge die schrecklichste Verwesung dar“, klagt Christian. Die ganze belebte Natur scheint ihm von einer großen Klage erfüllt, von der Melancholie der Endlichkeit.

Dem vergehenden Lebendigen, das mit jeder Sekunde gleichsam dem unausweichlichen Ende entgegentreibt, kann man jedoch nur entkommen, indem man sich mit dem Toten, jedoch Unvergänglichen verbindet: dem kalten Metall oder dem Gestein. Auch Geldvermögen (Kapital) ist ja ein Versuch, den Verfall aufzuhalten, Werte gleichsam einzufrieren, indem man sie der Wirksamkeit der Zeit entzieht.

Ein Versuch jedoch, der, wenn er zu weit getrieben wird, die Seele krank machen kann. Denn am Vergänglichen hängen wir mit unserer Liebe, weil es uns — als ebenfalls vergänglichen Wesen — gleicht. Dies gilt für unsere Mitmenschen wie für Tiere und Pflanzen.

Normalerweise ist es so: Wir lieben Vergängliches, oder wir haben nie geliebt.

Unbewegliche Dinge wie einen in der Ferne aufragenden eisgrauen Berggipfel bewundern und bestaunen wir als etwas Erhabenes, unserem Alltagsleben Entrücktes; für das Alpenveilchen auf unserer Fensterbank dagegen können wir eine fürsorgliche Zuneigung empfinden, weil es uns — bei allen Unterschieden der Lebensformen — ähnlich ist. „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, heißt es in der Bibel. Und das sprießende und welkende Gras ist ein Gleichnis unseres Körpers.

Das größte Wunder

Pflanzen sind zugleich etwas höchst Geistiges. Sie gestalten Form aus Licht — Photosynthese — mit relativ wenigen zusätzlichen Hilfsmitteln: Wasser und Nährstoffen, die sie aus dem Boden ziehen. Tierische Organismen — Menschen zähle ich dazu — vollbringen demgegenüber das geringere Wunder, indem sie Feststoffe — Teile von Pflanzen und Tieren — verspeisen und daraus ihre ebenfalls festen Körper formen. Den eigentlichen Qualitätssprung von Licht zu Festkörper, von Energie zu Materie vollziehen dagegen die Pflanzen. Der Umwandlungsprozess, den sie durchlaufen, ist dem des Feuers, zum Beispiel einer Kerze, entgegengesetzt, das Feststoffe — Wachs — schrittweise in etwas Flüchtiges — Licht und Rauch — umwandelt.

Die größten Wunder bei einer Pflanze sind zwei scheinbare Selbstverständlichkeiten: das Leben in ihnen und ihre Form.

Warum wächst aus einem kleinen Samenkorn oder einer Zwiebel diese und keine andere Form? Welche Kraft belebt sie, welche bewirkt Wachstum und Verzweigung, Keimung, Blüte und Vermehrung in genau der vorgesehenen Form? Machen Sie sich einmal bewusst, wie außerordentlich dies alles ist!

Pflanzen bringen Licht in die Sichtbarkeit, und sie erschaffen daraus eine fantastische Vielfalt berückender Formen: Schönheit. Sie tun dies auf der Basis eines formschöpferischen „Programms“, das, wie allgemein angenommen wird, in den kleinsten Samenkörnern verborgen liegt und schlummert, bis es erweckt wird — im Fall von Krokussen zum Beispiel von den ersten Strahlen der Frühlingssonne.

Phytophilie heilt

Manche, wie die Findhorn-Begründerin Eileen Caddy und der „Pflanzenschamane“ Wolf-Dieter Storl, meinen sogar, dass die Morphogenese nicht vom Samenkorn organisiert wird, sondern von Pflanzenseelen, die man sich auch als riesige, bewegliche, feinstoffliche Wesen vorstellen kann. Der Idee nach sind es Kollektivseelen, die in den Werdeprozess jedes Einzelexemplars einer Pflanzenspezies eingreifen. Pflanzendevas wurden diese Gruppenseelen auch genannt. Tritt eine Pflanze in ihren Wachstumsprozess ein, fährt die Deva in sie hinein wie ein Geist; welkt sie, so zieht sich diese belebende und organisierende Kraft schrittweise zurück.

Wir können nun schlussfolgern: Wo Phytophobie — auch in ihrer milderen Form: der Gleichgültigkeit gegenüber pflanzlichem Leben — Menschen krank macht, da kann Phytophilie, Liebe zu Pflanzen, sie heilen. Und dies geschieht ja schon andauernd, auch wenn es nicht jedem gleichermaßen bewusst ist. Auch wer nicht genauestens über die gesundheitsfördernde Wirkung der Pflanzen informiert ist, genießt manchmal den wohlschmeckenden Kräutertee, den belebenden Waldspaziergang, die Freude über die im Kleingarten sprießenden Tulpen und Narzissen. Diese erscheinen vielen jedoch nur als Nebenaspekte in einem Leben, das vom Nichtbelebten dominiert wird: von den Steingebirgen der Hochhauslandschaften unserer Städte, den glatten Oberflächen unserer Bildschirme, von den Maschinen, den Fahrzeugen, den Wänden und Möbelstücken unserer Wohnung — dem Geld nicht zuletzt.

Die Abschaffung der Naturliebe

Unpolitisch ist das Thema dieses Artikels übrigens nur bedingt. In Aldous Huxleys Klassiker „Schöne neue Welt“ gibt es eine irritierende Stelle über Blumen. In sogenannten neo-pawlowschen Normungssälen werden in dem Zukunftsroman 8 Monate alte Kinder vor mit Rosen gefüllte Schalen gesetzt. Daraufhin werden ihnen schmerzhafte Stromstöße versetzt. Bei der nächsten Begegnung mit Blumen weichen die Kleinkinder entsetzt zurück.

Dieselbe Prozedur wird übrigens auch mit Büchern durchgeführt. „So wachsen sie mit einem instinktiven Hass gegen Bücher und Blumen auf. Wir normen ihnen unausrottbare Reflexe an“, triumphiert der Versuchsleiter. Warum der ganze Aufwand? In der dystopischen Gesellschaft des Romans wird das Bewusstseinsniveau von Angehörigen der „niederen Kasten“ von staatlicher Seite bewusst herabgestuft. „Primeln und Landschaft“, so der Versuchsleiter, „hätten einen großen Nachteil: Sie seien gratis. Die Liebe zur Natur halte keine Fabrik in Gang. Man hatte daher beschlossen, die Liebe zur Natur abzuschaffen.“

Nur eine unwirkliche dystopische Geschichte? In China unter Mao Zedong, so berichtet Jung Chang in ihrer Biografie über den chinesischen Staatsmann, soll es zeitweise eine pflanzenfeindliche Stimmung gegeben haben. „Mao drängte sogar auf die Ausrottung des Gartenbaus. ‚Das Anpflanzen von Blumen ist ein Überbleibsel aus der alten Gesellschaft‘, sagte er. ‚Ein Zeitvertreib für die feudale Gelehrtenklasse, die Bourgeoisie und andere Nichtstuer.‘“

Versuchte Mao noch, die Pflege von Blumen als Klassenverrat abzukanzeln, so wurden im Westen Pflanzen überwiegend wegen ihrer psychoaktiven Wirkung verboten. Das berühmte Reinheitsgebot für bayerisches Bier richtete sich vor allem gegen die Verwendung des Bilsenkrauts, dessen Einnahme euphorisierende oder gar aphrodisierende Wirkung haben soll. Der Aztekensalbei, der ein starkes Halluzinogen enthält, darf in vielen Ländern nicht mehr angebaut und verkauft werden.

Die Zuhausebleiber-Gesellschaft

Naturverbote oder negative Konditionierungen mit Bezug auf Naturerlebnisse gibt es in unserer Gesellschaft zwar nicht. Jedoch werden Menschen während der Coronakrise mithilfe von Verweilverboten an Uferpromenaden, durch die Maskenpflicht in etlichen Parks, durch die Schließung von botanischen Gärten und Gartenmärkten sowie Polizeikontrollen, die „unnötige“ Inlandsausflüge verbieten sollen, tendenziell aus den Naturräumen vertrieben. Häufig lautet die Parole nicht nur „Wir treffen keine Menschen“, sondern auch „Wir bleiben zu Hause“. Diese Propaganda hat teilweise zur Folge, dass Menschen sogar auf Erlaubtes verzichten, weil schon die kurze Autofahrt zum Waldrand mit unbehaglichen Gefühlen verbunden ist.

Gezüchtet wird so eher der jeder Bewegung entwöhnte, naturferne, blasse Technik-Zombie in seiner Wohn-Einzelzelle.

Auch in vielen Filmen und Serien, die up to date sein wollen und eher für junge Menschen konzipiert wurden, herrscht ein urbaner Hässlichkeitskult. Da durchwandern die Helden pflanzenlose Beton- und Stahlwüsten oder prügeln und beschießen sich auf mit Graffiti übersäten verlassenen Fabrikgeländen — wenn die Handlung nicht ohnehin komplett in einem Raumschiff voll piepsender Armaturen spielt. Dergleichen gilt als cool, und das ist es wohl auch: kühl. Warmherzigkeit und landschaftliche Schönheit in Filmen existiert noch in einer schrumpfenden Nische für Vergreisende weiter, im ZDF-Herzkino oder in Jane-Austen-Verfilmungen.

Naturliebe als Widerstandshandlung

Mit der Entfremdung von der äußeren Natur wird dem Menschen auch seine innere fremd. Natur ist, wie das Regime in „Schöne neue Welt“ bemängelt, gratis oder kostet — für Gartenfreunde — nur wenig Geld. Natur macht im guten Sinne genügsam und versetzt in eine meditative Stimmung. Natur verbindet die Generationen, die durch immer neue Technologien eher getrennt werden. Natur lässt uns auf langsame, aber nachhaltige Weise gesunden und macht uns unabhängig von pharmazeutischen Substraten. Natur schafft Verbundenheit, wo „Abstandsregeln“ nur trennen. Natur fördert das Einfühlungsvermögen in das ganz Andersartige und ein Gefühl dafür, wie alles mit allem zusammenhängt. Natur ist nicht „hygienisch“, aber sie trainiert und fördert das Immunsystem. Natur ist für das nekrophile Gesamtkonzept der Megamaschine der Feind. Schon deshalb sollte sie unser Freund sein.

Mein Vorschlag ist nun, Pflanzen eine Hauptrolle in unserem Leben einzuräumen und daran zu gesunden. Denn Pflanzen strahlen ruhige, unaufdringliche Präsenz aus. Sie sind nie laut oder „übergriffig“ wie ein kläffender Hund oder ein ungebetener Werbeanruf. Womit ich nicht in Abrede stelle, dass auch Tiere und Menschen sehr liebenswert sein können und mitunter heilsame Wirkungen haben; dies ist aber nicht Thema dieses Artikels. Der Lebensrhythmus von Pflanzen ist langsam, sodass wir durch ihre Betrachtung selbst zur Ruhe kommen können. Sie beglücken durch ihre Schönheit. Wie bei einem wertvollen Gemälde erschließt sich ihr vollständiger Effekt jedoch nicht beim flüchtigen Darüber-hinweg-Gleiten unseres Blicks. Wir müssen länger dabei verweilen, bis sich gleichsam ihr Aroma für uns erschließt.

Pflanzen sind nicht nur ein Hobby von vielen wie Briefmarkensammeln. Diese Wesen gehören zu den wesentlichen und überlebenswichtigen Hervorbringungen unseres Planeten.

Sie begegnen uns fast überall — zum Glück, wenn wir lernen, dieses Glück zu würdigen. Eine besondere Liebe und Affinität zu Pflanzen, ein „grüner Daumen“, ist nicht ausschließlich eine Frage der Veranlagung. Man kann auch üben, sich einen vertieften Zugang zu Pflanzen zu verschaffen. Unsere Gesundheit und unser seelisches Gleichgewicht danken es uns immer.

Daher hier ein paar praktische Tipps. Ich nenne sie die

Acht Pfade, um die heilsame Wirkung von Pflanzen für sich zu nutzen

1. Schönheit betrachten

Der erste Schritt ist, Pflanzen im eigenen Wohnumfeld nicht nur zu platzieren, sondern sie auch bewusst wahrzunehmen. Und die Bäume, Sträucher und Blumen zu registrieren, die uns außerhalb der Wohnung im Alltag begegnen, zum Beispiel in der Nachbarschaft und auf dem Weg zur Arbeit. Bleiben Sie gelegentlich länger davor stehen. Welche Arten gibt es? Welche gefallen Ihnen besonders? Wie heißen sie? Ich selbst habe von Pflanzenbestimmungsbüchern sehr profitiert, weil man Lebewesen, die man benennen kann, intensiver — oder überhaupt erst — wahrnimmt. Vielleicht taucht beim Wiedererkennen bestimmter Exemplare auch so etwas wie Freude auf. „Begrüßen“ Sie die Pflanzen und würdigen Sie sie mehr als eines Blicks

2. Auf Pflanzen meditieren

Hierzu müssen Sie keine Esoteriker sein, nur hinschauen und eine Weile in der Gegenwart einer Pflanze verweilen. Setzen Sie sich bequem vor eine Zimmerpflanze oder, wenn Sie allein sind, vor eine Wildpflanze in der Natur. Betrachten Sie diese sorgfältig und für einen längeren Zeitraum. Lassen Sie Ihren Blick über jedes Detail gleiten. Riechen Sie ihren Duft und berühren Sie sie — falls sie nicht zu zart dafür ist. Registrieren Sie den Einfluss der Jahreszeit und die Wechselwirkung mit der unmittelbaren Umgebung. Versuchen Sie das Leben in der Pflanze wahrzunehmen und — soweit der Begriff angebracht ist — ihre Seele.

Können Sie sich vorstellen, dass die Pflanze auch Sie wahrnimmt? Können Sie spüren, dass sich Sympathie, ja Liebe für dieses Lebewesen in Ihnen regt? Vielleicht geraten Sie nach einiger Zeit in einen „gehobenen“ Bewusstseinszustand, fühlen sich entspannt und beglückt und sind eine regelrechte Beziehung zu der Pflanze eingegangen, die Sie mit diesem Exemplar, aber auch mit anderen Vertretern ihrer Spezies weiterpflegen können.

3. Sich mit einer Pflanzenspezies anfreunden

Wählen Sie ein paar Arten aus, die Sie besonders mögen und die für Sie leicht zugänglich sind. Prägen Sie sich ein, an welchem Ort und zu welcher Jahreszeit diese zu finden sind, und pflegen Sie diese Freundschaft.

Mich zieht es im März immer zur Leberblümchenblüte in verschiedene Schluchtenlandschaften. Meist wachsen sie auf abschüssigem Gelände nahe einem Bach und sprenkeln den Waldboden mit ihrem leuchtenden Lilablau. Auch die violetten Küchenschellen im April und die rosa Sumpfgladiolen im Juni, die etwas seltener sind, suche ich regelmäßig in ihrer natürlichen Umgebung auf. Unter den Bäumen pflege ich eine besondere Beziehung vor allem zu Birken und zu Linden, auch Lieblingszimmerpflanzen besorge ich mir immer wieder, zum Beispiel die Bromelie oder den orangefarbenen Stern des Ornithogalum dubium. Diese Vorlieben sind für mich leicht organisierbare, sich wiederholende Freuden des Alltags.

4. Zimmer- und Gartenpflanzen sorgfältig hegen

Für Pflanzen in der Natur sind wir nicht persönlich verantwortlich; im Garten, Zimmer und auf dem Fensterbrett jedoch sind es „unsere“ Pflanzen, um die wir uns in besonderer Weise kümmern müssen. Schon der Gang zum Gartencenter kann ein Vergnügen sein, wenn man vorfreudig genau die Blumenstöcke auswählt, die einen anzuleuchten scheinen. Man versucht sie dann optimal zu platzieren und sich, zum Beispiel im Internet, ein bisschen über ihre Bedürfnisse und die ideale Pflege zu informieren.

Jeden Tag sollte man sich nun ein paar Momente Zeit nehmen, um zu beobachten, wie sie sich verändern, wachsen und in einem bestimmten Stadium auch verfallen. Kenner glauben fest daran, dass die Pflanzen unsere Aufmerksamkeit und Liebe auch bemerken und — durch sie beseelt — noch besser gedeihen. Ein Alpenveilchen mochte ich besonders gern, zumal es im Winter in Gartencentern nur wenige Alternativen zu ihren leuchtend rosa Blüten gibt. Als das Veilchen in seinen scheinbar natürlichen Sterbeprozess eintrat und alle Blätter gelb wurden, wollte ich mich mit dem Ende meiner „Gefährtin“ nicht so schnell abfinden. Ich entfernte abgestorbene Pflanzenteile, achtete sorgfältig darauf, nicht zu viel und nicht zu wenig zu gießen und verordnete dem Veilchen einen besseren Fensterplatz, der auch im Winter nicht überheizt wird.

Als ich die Pflanze fast schon entsorgen wollte, zeigten sich ein paar winzige Knospen: Zukunftshoffnung. Heute scheint mein Alpenveilchen vor Kraft nur so zu strotzen und zeigt eine erfreuliche Blütenfülle. Es ist eine wertvolle Lernerfahrung, ein Lebewesen ganz anderer Art unter den eigenen Händen gedeihen zu sehen. Man kann dies im Rahmen seiner Möglichkeiten bei mehreren Spezies und in mehreren Umgebungen — Balkon, Beet, Fensterbrett und so weiter — wiederholen.

5. Wald- und Gartenbaden

Pflanzen helfen dem Menschen auf verschiedenen Ebenen: durch ihren Anblick, den Duft, den Luftreinigungseffekt und auch durch Absondern von Feinstpartikeln, den Terpiden, bei denen inzwischen verschiedene gesundheitsfördernde Effekte nachgewiesen sind.

Es ist also nicht bloß „so ein Gefühl“, wenn Menschen anmerken, ein Waldspaziergang tue ihnen einfach gut. Ähnlich wohltuend ist der Besuch botanischer Gärten und artenreicher Naturbiotope wie Schluchten, Feuchtwiesen, Moore, Flussauen und Bergwiesen. Hier wirkt die Kombination von Pflanzen mit attraktiven Landschaftsformen und dem guten Effekt von Bewegung besonders wohltuend. Wichtig ist auch, sich auf die Landschaft wirklich einzulassen und gelegentlich zu rasten, anstatt sie nur in düsteren Gedanken versunken zu durcheilen.

6. Kräuter selbst pflücken

Nach einem harten Winter leiden Tiere und litten früher auch Menschen unter Vitamin- und Nährstoffmangel. Da waren die ersten Kräuter, die die Sonne im Frühling hervorbringt, geradezu lebensrettend. Auch uns Zivilisationsmenschen tun sie gut, denn die Kombination aus wertvollen und heilsamen Stoffen, die in Bärlauch & Co. stecken, sind auf synthetischem Weg schwer zu kopieren. Tiere essen die „richtigen“ Pflanzen ja instinktiv, ohne sich zuvor im Internet über ihre Wirkstoffe informiert zu haben. So wirken sie vorbeugend für eine ganze Reihe von Krankheiten.

Gerade im Frühling kochte man aus einer selbst gepflückten Kräutermischung die Gründonnerstagssuppe, die natürlich auch an anderen Tagen genossen werden kann. Machen Sie ein Experiment: Informieren Sie sich — so noch nicht bekannt — über die Kräuter Bärlauch, Giersch, Gundermann, Spitzwegerich, Löwenzahn, Brennnessel, Knoblauchrauke, Sauerampfer und versuchen Sie, Exemplare davon in Wiesen und Wäldern zu finden. Versuchen Sie eine Suppe aus gemischten Kräutern und zur Abwechslung auch einen Salat mit gehacktem Grünzeug. Was Ihnen schmeckt, verwenden Sie in Zukunft öfter. Und im Sommer wachsen neue Heilpflanzen, etwa die Lindenblüte, das Johanniskraut oder der Holunder.

7. Selbst einen Tee herstellen

Mit einem Kräutertee nehmen Sie das heilsame Energiefeld einer Pflanze in sich auf. Überlegen Sie sich, welche Beschwerden Sie sanft behandeln, welche Organe Sie stärken, welche psychisch aufbauende Wirkungen Sie erzielen wollen. Und suchen Sie sich in der Fachliteratur oder im Internet die geeigneten Pflanzen dazu. Einige werden Sie selbst pflücken können, die meisten Kräuter werden Sie jedoch im Fachhandel bestellen müssen. Ich selbst habe mir unter anderem Johanniskraut für die Seele, Weißdorn für das Herz und Thymian für die Atemwege verordnet.

Ich mache aus sechs oder sieben Kräutern einen durchaus schmackhaften Haustee. Das Geheimnis ist, den Tee über einen längeren Zeitraum als Kur zu trinken. Eine einmalige Gabe wird nicht viel bei Ihnen verändern. Manchmal bringt einen auch ein „Zufall“ auf die richtige Spur. So fühlte ich mich zu Aussehen und Duft des Mädesüß spontan hingezogen, der im August am Rand von Wassergräben unserer Umgebung wächst. Ich zog ein Buch zu Rate und fand heraus, dass die Pflanze gegen Schmerzen, Entzündungen und Erkältung hilft. Seither pflücke ich mir in der Saison immer einen Vorrat davon und trockne ihn.

8. Nahrhafte Speisepflanzen

Schließlich begegnen wir Pflanzen auch auf ganz alltägliche Weise: in unserer Nahrung. Es spricht sogar viel dafür, sich ausschließlich von Pflanzen zu ernähren, denn das schont Tiere, ist gut für Gesundheit und Umwelt. Mit Pflanzen nehmen wir deren umgewandelte Lichtenergie und eine Menge an wertvollen Stoffen auf. Biologische, ungespritzte und frische Kost ist vorzuziehen.

Ernährung kann auch für sich schon Medizin sein, ihre Wirksamkeit hängt aber auch von unserer Konstitution und davon ab, welche körperlichen Probleme vorliegen. Jeder wird Speisepflanzen aufgrund von persönlichen Vorlieben auswählen; es lohnt aber, sich darüber zu informieren, welche mit besonders wertvollen Inhaltsstoffen aufwarten. Äpfel, Kartoffeln, Tomaten, Karotten, Weißkohl, Olivenöl und Reis bieten zum Beispiel eine gute Basis; Dinkel, Linsen, Spinat, Soja, Nüsse, Datteln und Beerenobst sind großartige Ergänzungen.

Diese Tipps, die ich notgedrungen kurzfassen musste, sind lediglich Wegweiser, nicht der Weg selbst. Sie beschreiben Umgewöhnungsprozesse, die sich bei jedem Menschen über viele Jahre hinziehen können. Ich habe diese „Acht Pfade“ jedoch persönlich als außergewöhnlich hilfreich empfunden: für die Gesundheit, für mein allgemeines Wohlbefinden und die Lebensqualität.

Eine wunderbare Philosophie über den Sinn der Liebe zu Pflanzen finden wir an einem Ort, wo ich sie am wenigsten erwartet hätten. In der Grusel-Serie „Spuk in Bligh Manor“ auf Netflix erklärt die Gärtnerin Jamie den Grund für ihre Berufswahl. Interessanterweise hatte ihr Vater dem gegenteiligen Prinzip gedient: der Stein- und Mineralwelt. Er war Bergmann gewesen. Da er wenig zu Hause war, trieb sich seine junge Frau mit Liebhabern herum.

„Unten in einer Kohlengrube gibt’s keine Pflanzen, gar kein Leben. All diese Männer: Wir schicken sie runter in diese Dunkelheit, um nach etwas Totem zu graben. Nach toten Klumpen, die durch Tod entstanden sind, so alt und leblos, nur um sie danach verbrennen zu können. (…) Und dieser Tod, dieser dunkle, staubige Tod ist auf seinem Gesicht, auf seinen Händen und in seinen Lungen, wenn er hochkommt. In seiner Welt gibt es kein Blatt, keinen Zweig und keine Blume.“

Nach einer schweren Kindheit und einem holprigen Start ins Erwachsenenleben fängt Jamie an zu gärtnern.

„Und besser konnte es nicht kommen. Scheiße, ich liebe es. Es wurde dadurch so klar, dass Menschen es nicht wert sind. Aber Pflanzen. Du gießt deine Liebe, deinen Aufwand und deine Nahrung in sie hinein. Und es nimmt seinen Lauf. Du siehst sie wachsen. Und alles ergibt Sinn.“

Natürlich vergeht die Schönheit von Pflanzen wieder. Dies ist für Jamie aber nicht von Nachteil. Gerade dadurch werden sie zum Sinnbild des Lebens selbst — auch unseres.

„Menschen sind organisch. Es ist Fakt: Wir müssen sterben. Es ist natürlich und wunderschön. Und alles bricht zusammen und steigt wieder empor. Und bricht wieder zusammen. Und alles Lebendige wächst aus etwas Sterbendem. Wir hinterlassen etwas, das unseren Platz einnimmt. Und es wird erfrischt und aufbereitet.“

So macht es auch Sinn, dass sich Jamie besonders liebevoll um eine Mondblume kümmert, die nur einmal in ihrem Leben für kurze Zeit aufblüht: nachts. „Weißt du, darin liegt ihre Schönheit: in ihrer Sterblichkeit.“

Also nicht traurig sein über die Vergänglichkeit dieser wunderbaren Lebewesen! Pflanzen sind nicht nur Symbole des Welkens und Sterbens, sondern auch der Auferstehung. Alles, was uns erfreut und genährt hat, wird wiederkommen — wenn wir Menschen es nicht mutwillig zerstören. Der DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann sagte es sehr tröstlich: „Immer wieder wächst das Gras.“


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