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Linker Utopismus

Linker Utopismus

Die geplante linke Sammlungsbewegung ist vor allem eines: eine Kopfgeburt.

Die Idee einer neuen Bewegung geht besonders auf Teile der untereinander zerstrittenen Partei Die LINKE zurück. Sie ist als Reaktion auf diese innere Zerstrittenheit und die schwindende Bedeutung der Partei in der Gesellschaft zu verstehen. Diese Kräfte scheinen zu merken, dass man mit dem eigenen bisherigen Auftreten angesichts der Probleme wie der zunehmenden Kriegsgefahr, aber auch der Flüchtlingsfrage nicht weiter kommt. Ihre Politik zeichnete sich bislang dadurch aus, dass man einerseits die Regierung und die Kanzlerin als unfähig darzustellen versuchte, eben ganz normale Oppositionsarbeit. Man erging sich im Entlarven und Anprangern der Regierung und des Kapitalismus.

Andererseits entwickelte die LINKE Konzepte, wie die Gesellschaft verändert werden sollte. Es sollte mit alternativen Ideen sowohl der Nachweis erbracht werden, dass man selbst alles besser machen könnte, wenn man denn die Macht hätte, als auch ein Ausblick in eine bessere Gesellschaft gegeben werden. Die Fehler, die man in der Arbeit der Regierung zu erkennen glaubte und kritisierte, wurden teilweise zurückgeführt auf individuelles Versagen beziehungsweise mangelnde Kompetenz oder gar charakterliche Defizite der Handelnden.

Dagegen stellte man eigene Forderungen, was anders oder besser gemacht werden müsse – angesichts der Fehlentwicklungen, die man in der Gesellschaft zu beobachten glaubte. Aber bisher stellte die LINKE sich nie die Frage nach der Grundlage der eigenen Konzepte und Vorschläge.

Wie kamen diese zustande? Handelte es sich dabei überhaupt um Forderungen, die dem Interesse der Bevölkerung, hier im Besonderen der Arbeiterklasse, entsprangen? Oder waren es doch eher Ideen, von denen man annahm, dass sie den Interessen der „kleinen Leute“ entsprechen müssten? Betrieb man also wie die anderen Parteien eine klassische Stellvertreterpolitik, nur eben eine linke?

Es zeigt sich jetzt, dass man dem Volk weniger „aufs Maul geschaut“ hatte, wie Luther es gefordert hatte, als dass man ihm mehr das in den Mund gelegt hatte, was man selbst gerne hören wollte.

Dementsprechend schwach war und ist die Unterstützung aus der Bevölkerung. Besonders was die Flüchtlings- und Genderpolitik angeht, treffen manche Vorschläge aus den Reihen der Linkspartei auf wenig Gegenliebe oder gar Unverständnis in der Bevölkerung. Sie sind geboren aus idealistischen Vorstellungen über die Wirklichkeit statt aus der materialistischen Analyse der Realität.

Darüber hinaus hat die LINKE offensichtlich keine Vorstellung davon, wie die Kräfte entwickelt werden sollen, die diese Forderungen umsetzen könnten. Das zeigte sich sehr deutlich am Auftritt von Sahra Wagenknecht vor dem Brandenburger Tor anlässlich des Raketenhagels der drei NATO-Mächte auf Syrien im April dieses Jahres für eine neue Friedensbewegung. Das einzige Mittel sieht sie in der Verbesserung der Wahlergebnisse. Alles soll anders werden, wenn nur genug Menschen die Linkspartei wählten. Das ist das Konzept. Ein anderes hat man bislang nicht.

Die Sammlungsbewegung soll es richten

Auch die Idee der Sammlungsbewegung beruht bisher nur auf der Vorstellung, mehr erreichen zu können, wenn man mehr Masse hinter sich versammeln kann. Ein Kernpunkt ist zunächst natürlich, mit welchen Themen wirklich mehr Menschen aktiviert werden können. Jedoch auch mehr Masse allein bringt nicht automatisch mehr Erfolg, wenn man keine Vorschläge machen kann, wie dieses Mehr an Beteiligung in ein Mehr an politischer Wirksamkeit umgesetzt werden kann. Aber gerade daran mangelt es.

Die Linkspartei bietet der Bevölkerung keine Handlungsvorschläge an, die von dieser als erfolgversprechend angesehen werden. Es fehlen offensichtlich die Fähigkeiten, eine Kampagne ins Leben zu rufen und erfolgreich zu führen, die sich auf eine Stimmung in der Bevölkerung stützt.

Zudem stellt sich die Frage, wer oder was da gesammelt werden soll: die sogenannte Linke? Das ist doch ein vollkommen beliebiger Begriff, unter den sich jeder einordnen kann, der ein bisschen am Kapitalismus herummäkelt.

Auch sind sich viele dieser sogenannten Linken untereinander spinnefeind. Da steht in den seltensten Fällen das gemeinsame politische Ziel im Vordergrund. Vielmehr dominieren persönliche Eitelkeit, Geltungsbedürfnis und Konkurrenz, die nur vordergründig auf unterschiedliche politische Ansichten zurückzuführen ist.

Vor allem aber stellt sich die Frage, um welchen Konvergenzpunkt diese Sammlung stattfinden soll. Was soll der Kern sein, um den sich die Bewegung kristallisieren soll? Sind es Personen wie Wagenknecht und Oskar Lafontaine oder gibt es ein Thema, eine Forderung, die den Menschen unter den Nägeln brennt? Da geht es schon los mit den Problemen. Schon meldete sich Ulrich Gellermann, der Betreiber des Forums Rationalgalerie, zu Wort und brachte sein Steckenpferd Medienkritik als Kristallisationspunkt der Sammlungsbewegung ins Gespräch):

„Ein linker Kampf um die Macht muss beim Kampf gegen die herrschenden Massenmedien beginnen.“

Das Thema Frieden nimmt jeder für sich in Anspruch, nicht nur die Linke, sondern selbst Trump und Merkel. Auch sie rüsten vermeintlich nur um des Friedens willen. Viele westliche Politiker sind ehrlich davon überzeugt, dass Bedrohung und Kriegsgefahr von Russland und China ausgehen, nicht vom Westen. Aber auch sie wollen keinen dritten Weltkrieg, denn die atomare Gefahr ist ihnen bewusst, auch wenn ihre Gegner das Gegenteil behaupten. Sie wissen, dass niemand einen Atomkrieg überleben wird und er deshalb keinen Sinn macht. Denn es würde danach kein Leben geben, zumindest keines, das diesen Begriff verdient auf einer verseuchten Erde im Permafrost des nachatomaren Dauerwinters.

Aber westliche Politiker fühlen sich getrieben, unter Druck gesetzt durch die wieder erwachte militärische Stärke der Russen, bedroht durch die ausgreifende Wirtschaftsmacht Chinas. In dieser Sichtweise folgen ihnen viele Menschen. Wenn die Herrschenden ihre Interessen mit Diplomatie nicht durchsetzen können, kennen sie keine anderen Mittel als das militärische Kräftespiel. Denn alles ist recht, was zur Aufgabe des Gegners führt. Das ist ihre Lehre aus dem Kalten Krieg. Man muss den Gegner durch Rüstung in die Knie zwingen, nicht durch Krieg, denn der könnte auch verloren gehen. Auch darin stimmt ein Großteil der Bevölkerung ihnen zu.

Das heißt aber, dass mit der Angst vor dem dritten Weltkrieg keine Politik zu machen ist gegen Politiker, die sich alle Mühe zu geben scheinen, diesen zu verhindern. Auch darin liegt das nachlassende Interesse der Bevölkerung an diesem Thema begründet. Die Menschen fühlen sich zwar bedroht, sehen aber keinen Weg, wie sie selbst dazu beitragen können, den Krieg zu verhindern. Sie überlassen das Thema den Politikern, die sie gewählt haben und denen sie trotz aller Politikverdrossenheit zutrauen, in dieser Frage das Richtige zu tun.

Um nicht missverstanden zu werden: Das Kriegsthema ist das wichtigste überhaupt. Aber es ist unter den derzeitigen Bedingungen keine Lösung in Sicht außer der Angst der Herrschenden selbst vor diesem Krieg. Aus der Bevölkerung heraus ist im Moment keine Bewegung zu erkennen, die einen Krieg verhindern könnte. Dazu fehlt ihr die Führung, die in der Lage wäre, diesem Wunsch der Bevölkerung organisierten Ausdruck zu verleihen. Und die ständigen Prophezeiungen der sogenannten Linken offenbaren mehr deren Hilflosigkeit und Realitätsferne. Sie stärken nicht den Widerstand sondern nähren eher das Gefühl der Unausweichlichkeit dieses Krieges.

Der Kern einer Sammlungsbewegung

Was also bleibt als Inhalt einer Sammlungsbewegung, die nicht nur die versprengte Linke zusammenführt und eint, sondern auch Ansehen und Einfluss der Linken in der Gesellschaft wieder wachsen lässt? Als Erstes muss die LINKE sich entscheiden, was für eine Linke sie sein will. Will sie materialistisch analysierend die gesellschaftlichen Entwicklungen untersuchen und darstellen oder will sie moralisierend den Rest der Gesellschaft belehren und ermahnen? Will sie sich also in Bescheidenheit und Demut üben oder überheblich und besserwisserisch auftreten? Will sie sich als Elite betrachten und aufführen oder wirklich den Kontakt zu den Menschen suchen, zu denen sie mittlerweile den Anschluss verloren hat?

Diese Menschen sind die „kleinen“ Leute in den Betrieben und überall dort, wo in täglicher zuverlässiger Arbeit für das Funktionieren der Gesellschaft gesorgt wird, unauffällig und bescheiden. Das sind die „einfachen“ Menschen, die sich aus den großen Diskussionen, die in Polit-Talk-Shows und Medien geführt werden, verabschiedet haben. Dies, weil sie sich dort nicht wieder finden, nicht zu Wort kommen und nicht ernst genommen werden. Sie aber sind das Salz in der Suppe. Denn sie sind diejenigen, die das Rad der Gesellschaft am Laufen halten, nicht die neunmalklugen Intellektuellen mit ihren alternativen Ideen, tollen Plänen, phantasievollen Konzepten und neuen Sprachregelungen.

Diese „kleinen“ Leute werden aber immer häufiger, zunehmend auch in den Betrieben, von politischen Gruppen aufgefangen, die die einfachen Lösungen zu haben scheinen, damit alles wieder so werden soll wie früher. Die Linke, selbst die SPD-nahen Gewerkschafter, verlieren zu diesen Leuten, die früher einmal als das Proletariat bezeichnet wurden, immer mehr den Kontakt, weil sie sich in erster Linie den großen politischen Themen zuwenden, nicht den Alltagsproblemen der Menschen (1).

Was aber sind die Alltagsprobleme? Da muss man genau in die Gesellschaft hineinhören. Das ist nicht der Genderismus und der Kampf um alle möglichen sprachlichen und gesellschaftlichen Korrektheiten.

Das sind beispielsweise die Auswirkungen des Dieselskandals, der für viele eine Bedrohung wird, weil sie befürchten, mit ihrem Auto bald nicht mehr zur Arbeit fahren zu können. Das ist das Gerangel an den Tafeln um Reste. Das aber sind nicht die Themen, die die Linke aufgreift und zu einer Bewegung macht. Das ist der Linken zu banal. Unterhalb des Niveaus von Weltrevolution rührt sie keinen Finger.

Solange aber die Linke nicht erkennt, dass sie die Alltagsprobleme der Menschen aufgreifen muss, wird sie das Feld denen überlassen, denen sie Populismus vorwirft. Die Linke, und hier ist die materialistisch-denkende Linke gemeint und nicht die Moralapostel, kann nur dann eine Sammlungsbewegung auf die Beine stellen, wenn sie dies erkennt. Sie muss die Themen haben, um die herum die Menschen sich sammeln, weil sie eine Lösung des Problems brauchen. Aber dazu gehört auch, dass man sich die Fähigkeit erarbeiten muss, Bewegung zu organisieren.

Parteien wie die LINKE haben die grundlegenden Voraussetzungen für eine solche Aufgabe, denn sie verfügen über eine landesweite Organisation. Nur muss man diese Voraussetzungen auch nutzen können, nicht nur als Wahlkampf-Hilfeverein, der alle vier Jahre Kugelschreiber verteilt und ansonsten politisch über wenig Anziehungs- und Überzeugungskraft verfügt.

Die landesweite Organisation ist Voraussetzung für die schnelle Durchdringung der Gesellschaft mit einer Forderung und ein einheitliches und kraftvolles Handeln zur Durchsetzung dieser Forderung. Der Dieselskandal wäre eines der richtigen Themen dafür. Denn die Menschen sind empört, dass sie betrogen wurden und nun selbst noch die Folgen tragen sollen – statt der Autoindustrie als Verursacher. Aber ihre Empörung findet keinen Ausdruck, weil sie über keine Organisation verfügen.

Will die materialistische Linke an Einfluss gewinnen, dann muss sie sich diese Themen zu eigen machen, auch wenn – oder gerade weil – sie schmutzig sind wie der Diesel. Sie muss den Betroffenen aufs Maul schauen, nicht über den Mund fahren. Sie muss hinhören, was die Menschen wollen, wo sie der Schuh drückt, statt vorschnelle Ratschläge zu erteilen. Sie muss versuchen zu verstehen, statt den Eindruck zu erwecken, dass sie schon alles weiß oder gar besser weiß. Und dann aus dem Gehörten die Vorschläge entwickeln, die von den Zuhörern als umsetzbare Lösung angesehen werden.

Bertolt Brecht drückte dieses Verhältnis einmal so aus:

„Ich habe Vorschläge gemacht, ihr habt sie angenommen“.

Er stellte damit beide Seiten auf die gleiche Stufe, weil beide Seiten verstanden, was der andere wollte. Beide kamen zur gemeinsamen Erkenntnis als Voraussetzung für gemeinsames Handeln.


Quellen und Anmerkungen:

(1) FAZ vom 31.1.18: Hoch die nationale Solidarität


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