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Merz, Goebbels und das Stadtbild

Merz, Goebbels und das Stadtbild

Der deutsche Bundeskanzler liefert die Skandalaussage schlechthin und setzt damit eine Debatte in Gang, die die eigentlichen Probleme unangetastet lässt.

Am 14. Oktober 2025 äußerte sich Bundeskanzler Friedrich Merz bei einer öffentlichen Veranstaltung in Potsdam so:

„Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

Er muss nicht jene beim Namen nennen, die das „Problem“ darstellen: die Ausländer, die Migranten. Wenn man sie jedoch loswird, also abschiebt, dann ist das Stadtbild wieder picobello in Ordnung.

Man könnte meinen, er hätte bessere Berater als sich selbst und man hätte ihm geraten, dies ein bisschen zu relativierten oder im Ungefähren zu belassen.

Das Gegenteil ist der Fall.

Am 20. Oktober 2025 bekräftige Merz seine rassistische Aussage, die ntv am 21. Oktober veröffentlichte:

„Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, sagte er.

„Im Gegenteil, ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern, und der Bundesinnenminister ist dabei, daran etwas zu ändern, und wir werden diese Politik fortsetzen.“

Das Stadtbild

Es gibt viele Bilder einer Stadt, die man in Erinnerung hält und hat. Nehmen wir einmal Frankfurt, die Finanzmetropole. Wer in der Goethestraße flanieren und shoppen geht, der beklagt sich nicht über das Stadtbild. Alles ist blitzblank, sauber und hipp. Ein Juweliergeschäft, ein Modegeschäft neben dem anderen. Ganz sicher auch Prada und Gucci. Die Stadtreinigung tut alles, dass kein Müll zurückbleibt. Dort sind mehr Ausländer unterwegs als Deutsche. Sie haben zwar keinen Arierausweis, aber sie sind reich, meist sehr reich. Bis heute sind mir keine Klagen bekannt, dass dort zu viele Ausländer das „Stadtbild“ beeinträchtigen.

Wechseln wir den Stadtteil und flanieren durch Frankfurt-Höchst. Bekannt ist er eigentlich nur, weil sich dort der Chemiekonzern Hoechst AG angesiedelt hatte und mehr oder weniger der Mäzen von Hoechst ist. Er hat unter anderem die pittoreske Altstadt, das Schloss und das Schwimmbad finanziert. Genau das, was man woanders als Merkmale einer Oligarchie hervorhebt.

Wenn man die Bahnhofs-Unterführung betritt, dann stinkt es nach Urin und die Beleuchtung gleicht einer Dunkelkammer. Über 60 Prozent der in Höchst lebenden Menschen sind Ausländer, Arbeitsmigranten, die ab den 1960er Jahren „angeworben“ wurden. Man wollte sie als „Gastarbeiter“ haben und nach Hause schicken, wenn man sie nicht mehr braucht. Stattdessen blieben viele von ihnen.

Die Juweliergeschäfte dort sind rar, dafür gibt es viele Handyläden, Ein-Euro-Shops und Döner-Buden. Die Einkaufsmeile ist schäbig und die Stadtreinigung selten präsent.

Man kann diesen kurzen Vergleich auch so zusammenfassen: Das Stadtbild wird nicht von der Herkunft, der Hautfarbe geprägt, sondern von dem Einkommen der dort lebenden Menschen, also von Konzernen, die Menschen beschäftigen und gegebenenfalls sehr schlecht bezahlen.

Auch Joseph Goebbels machte sich seine Gedanken über das Stadtbild in Deutschland. Das war 1941:

„Sie verderben nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Stimmung.“

Auch in seinem Fall brauchte der damalige Propagandaminister gar nicht sagen, wen er damit meint. Die Juden natürlich.

Dass Friedrich Merz nicht mehr begründen muss, warum ausgerechnet Ausländer für das Stadtbild verantwortlich sind, liegt an der Selbstverständlichkeit des Herrenmenschentums.

In den 1950er Jahren hatte man immer noch etwas gegen Juden, aber die schweigende Mehrheit, auf die viele Politiker stolz waren, biss sich auf die Lippen. Manchmal rutschte es dennoch raus, wenn „die Juden“ an die Shoa erinnerten und Wiedergutmachungszahlungen einforderten. Man hatte also nicht mehr die Juden als Sündenböcke, dafür aber noch die Kommunisten, die an allem schuld sind.

Also waren die eben dran. Die KPD wurde 1956 verboten. In den 1960er bis 1980er Jahren waren „Terroristen“ und ihre geistigen Brandstifter an allem schuld. Zu den Vorstufen des Terroristen zählten Langhaarige, Politrocker oder ganz schlicht Stoerer.

Dann kam mit dem Jahr 2001, mit „9/11“ ein ganz neues Feindbild dazu. Zwar wusste kaum jemand in Deutschland etwas über den Islam, aber von einem Tag auf den anderen wimmelte es nur so von „Islamisten“, die man für die Anschläge in den USA verantwortlich machte. Und wenn man sie partout nicht erkennen konnte, machte man aus ihnen „Schläfer“, die unerkannt unter uns leben, um dann wie eine Bombe von heimlichen Mächten ferngezündet zu werden.

Wenn also Friedrich Merz im Jahr 2025 die „Palästinenser“ und Ausländer für das Stadtbild verantwortlich macht, dann muss er nicht von ganz vorne anfangen, damit die Saat aufgeht und alle verstehen, warum sie es sein müssen.

Eigentlich konnte sich auch Joseph Goebbels auf die lange Tradition des Antisemitismus und Antikommunismus verlassen. Sie sind keine Erfindung des deutschen Faschismus, sondern wurden seit Jahrzehnten von Kirche und Feudalismus, für den Untertanengeist und sich durchsetzendem Kapitalismus gepflegt und gehegt.

Dennoch gab sich Joseph Goebbels selbst im Kriegsmodus 1941 die Mühe, seinen Antisemitismus den aktuellen Umständen anzupassen, also „kriegstauglich“ zu machen. Er schrieb für das NSDAP-Blatt Das Reich am 16. November 1941 einen ausführlichen Artikel mit dem klaren, eigentlich grotesken Titel: „Die Juden sind schuld.“

Diesen Beitrag fasste er am Ende noch einmal idiotensicher zusammen:

„Darum sei es noch einmal zu allem Überfluss gesagt:
Die Juden sind unser Verderb. Sie haben diesen Krieg angezettelt und herbeigeführt.

(…)

Es gibt keinen Unterschied zwischen Juden und Juden. (…)

Jeder deutsche Soldat, der in diesem Kriege fällt, geht auf das Schuldkonto der Juden. (…)

Wenn einer den Judenstern trägt, so ist er damit als Volksfeind gekennzeichnet. Wer mit ihm noch privaten Umgang pflegt, gehört zu ihm und muss gleich wie ein Jude gewertet und behandelt werden. (…)

Die Juden genießen den Schutz des feindlichen Auslandes. Es bedarf keines weiteren Beweises für ihre verderbliche Rolle in unserem Volk. (…)

Die Juden sind Sendboten des Feindes unter uns. Wer sich zu ihnen stellt, läuft im Kriege zum Feinde über.

Die Juden haben kein Recht (…), weil sie grundsätzlich Unrecht haben (…)

Die Juden sind schuld am Kriege.

Wenn man den „Juden“ durch „Russe“, „Palästinenser“ oder einfach „Ausländer“ ersetzt, und bei der Logik der Goebbel‘schen Rhetorik bleibt, dann bekommt man eine gruselige Ahnung davon, wie weit ein Friedrich Merz von den Goebbels der Nazi-Zeit entfernt ist.

Merz ist kein Goebbels

Wer sich bei der Aussage von Merz die gesagte Rede von Goebbels in Erinnerung ruft, dann heißt das nicht, dass er sie gleichsetzt. Vielmehr geht es darum, aufzuzeigen, wie sehr die Grenzen zwischen einer Grundrechte garantierenden Ordnung und einer „postdemokratischen“ Ordnung verschwimmen. Um es noch deutlicher zu sagen: Es wird keinen Faschismus der 1930er Jahre geben. Es sind schlicht andere politische, gesellschaftliche und globale Koordinaten, die mit dem 1930er Jahren nicht gleichzusetzen sind. Heute gibt es die Volksrepublik China, die ökonomisch, geopolitisch und militärisch die alte US-dominierte Weltordnung in Frage stellt.

Es gibt einen weiteren sehr wichtigen Grund, den Faschismus nicht mit Hitler oder Goebbels gleichzusetzen. Es wird heute und morgen keinen Faschismus mehr mit Antisemitismus als zentrales konstitutives Element geben. Niemand der postfaschistischen Parteien in Europa — wie Rassemblement national in Frankreich, Fratelli d’Italia in Italien — werden den Judenhass zur Agenda ihres Programmes machen. Im Gegenteil: Von Italien bis Frankreich sind die postfaschistischen Parteien „glühende“ Anhänger des reaktionären und genozidalen Israels geworden. Das verbindet sie, das vereint sie heute. Deshalb geben sich in Israel auch faschistische Regierungsmitglieder wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir und Abgeordnete postfaschistischer Parteien in der Welt die Hand.

Was ich mit Blick auf Merz und Goebbels hervorheben möchte, ist ein anderer, sehr bedeutsamer Aspekt. „Merz“ ist kein Faschist. Er will vielmehr die AfD mit ihren eigenen rassistischen Themen schlagen, indem er sie übertrumpft, indem er als der starke Mann auftritt, der das „Straßenbild“ in Deutschland wieder in Ordnung bringen will — mit dem berühmten eisernen Besen.

Diesbezüglich kann man jedoch sehr wohl aus der Geschichte lernen: Noch nie, noch nie ist es gelungen, die faschistische Gefahr zu besiegen, indem man ihre Agenda mitpfeift. Im Gegenteil: Die bürgerlichen Parteien in der Weimarer Republik haben mit dieser „Taktik“ der NSDAP den Weg geebnet.

Das Stadtbild, Herr Merz, trägt deutsche Uniformen

Der Bundeskanzler ist ein sehr wirtschaftlich kalkulierender Rassist. Er hat nichts gegen Inder, die in der Küche für einen Hungerlohn arbeiten. Er hat nichts gegen Polen, die als „Erntehelfer“ für ein paar Monate deutschen Boden betreten und beackern dürfen. Herr Merz hat auch nichts mehr gegen Juden, wenn sie die „Drecksarbeit“ für uns erledigen.

Wogegen er entschieden etwas hat, sind Menschen, die seine Kriegspolitik ablehnen. Dazu gehören insbesondere „Palästinenser“, wobei man dies als ortsfreie Bezeichnung verstehen darf. Alle, die den Genozid in Gaza, die die Beihilfe zum Völkermord stören, sind „Palästinenser“.

Kurz nach Bekanntgabe des „Friedensplanes“ für sich, also für die Business Class von Donald Trump & Co ließ Bundeskanzler Merz die Welt wissen, dass die „Palästinenser“ auf deutschen Straßen jetzt endlich nach Hause gehen können, damit er und sie in Ruhe weiter Kolonialismus und Imperialismus betreiben können.

Um das zu beschleunigen, müssen Denunziationen und Polizeigewalt eng zusammenarbeiten. Pionierarbeit leistet dabei die CDU-regierte Landesregierung in Berlin. Sie begrüßt und deckt die neue Polizeistrategie:

Aus den 1980er und 1990er Jahren kennt man Polizeieinheiten, die mit Schlagstöcken und Tonfas auf Demonstranten einschlagen. Gegen die Demonstranten, die sich seit zwei Jahren gegen Massenmord und Verhungerungsstrategien einsetzen, setzt die Berliner Polizeiführung auf Körpereinsatz. Man tritt, man schlägt, man stößt, man stürzt sich zu zehnt auf einen Demonstranten. Man rennt Kindern mit einer Palästinaflagge hinterher, man bildet Schlägereinheiten aus, die sich quer durch eine Menschenmenge prügeln. Und man verwendet dabei gezielt und geübt Techniken der Demütigungen und Desorientierung: Ganz oft sieht man Polizeibeamte, die Menschen abführen, indem sie ihnen die Augen zuhalten. In Israel nimmt man dafür Augenbinden. Unerträglich viele Bilder gibt es von halbnackten Palästinensern, die mit Augenbinden durch die zerbombte Stadt geführt werden.

Das unterscheidet Israel von Deutschland. Noch.

Nichts rechtfertigt diese Art der psychischen Demütigung. Weder in Gaza/Palästina, noch in Deutschland. Es ist vielleicht eine Kleinigkeit. Sie zeigt aber eben auch, wie diese Praktiken hingenommen werden, mit welcher Skrupellosigkeit sie von Stadt-, Landes- und Bundesregierung gedeckt werden.

Das wirklich neue Stadtbild

Uniformen ziehen die Goebbels und Merze an.
Wenn etwas wirklich neu im Stadtbild ist, dann sind es diese Schläger in Uniform. Seit zwei Jahren prügeln sie sich durch Demonstrationen, deren Teilnehmer den Genozid in Gaza nicht gut finden. Wer es nicht gesehen hat, nicht miterleben wollte, der bekommt hier einen klitzekleinen Einblick:

Facebook

Diese Formen der Polizeirepressionen werden in den deutschen staatsdevoten Medien vollkommen unterschlagen. Die UN stellte dazu am 16. Oktober 2025 fest:

„Die Experten stellten fest, dass Deutschland seit Oktober 2023 die Beschränkungen für palästinensischen Solidaritätsaktivismus und Proteste verschärft und ausgeweitet hat, obwohl die Aktionen insgesamt friedlich verliefen und dazu dienten, legitime Forderungen auszudrücken, wie etwa die Forderung nach einem Stopp der Waffenexporte nach Israel, die Beendigung des Völkermords und der illegalen israelischen Besatzung, die Gewährleistung des Zugangs humanitärer Hilfe nach Gaza, die Anerkennung des Staates Palästina, und Rechenschaftspflicht für diejenigen, die Gräueltaten begangen haben.“


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Quellen und Anmerkungen:

Bundeskanzler Merz zum besenreinen „Stadtbild“ im Interview: https://www.facebook.com/watch/?v=813737741582005&aggr_v_ids[0]=813737741582005&aggr_v_ids[1]=1458477735447291&aggr_v_ids[2]=1365473548467682&notif_id=1760373637107751&notif_t=watch_follower_video&ref=notif
Die Juden sind schuld! Aus: Das Reich vom 16. November 1941 von Joseph Goebbels.
„Sollte verbal etwas abrüsten“, CDU-Sozialflügel kritisiert Merz für „Stadtbild“-Aussage, ntv vom 21. Oktober 2025: https://www.n-tv.de/politik/CDU-Sozialfluegel-kritisiert-Merz-fuer-Stadtbild-Aussage-article26108847.html
Strafanzeige gegen Friedrich Merz durch Christina Christiansen vom 20. Oktober 2025: https://www.facebook.com/search/top?q=christina%20christiansen&__stsd__=eyJwcmltYXJ5Ijp7InR5cGUiOiJUWVBFQUhFQURfUEVPUExFX0VOVElUSUVTIn19
UN-Experten fordern Deutschland auf, die Kriminalisierung und Polizeigewalt gegen palästinensischen Solidaritätsaktivismus zu stoppen, vom 16. Oktober 2025: https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/10/un-experts-urge-germany-halt-criminalisation-and-police-violence-against
Geschichte, Rassismus und das Boot. Wessen Kampf gegen welche Verhältnisse. autonome L.U.P.U.S.-Gruppe. Verlag: Edition ID-Archiv, 1993

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