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Neue Medien braucht das Land

Neue Medien braucht das Land

Wie Kapitalismus, Neusprech und Verkennung das kritische Bewusstsein gefährden.

Die Herausforderungen der alternativen Medien
von Timon Krause

Im Kapitalismus ist Profit wichtiger als Glaubwürdigkeit. Wer unsorgfältig arbeitet oder gar betrügt und dennoch sein Produkt verkauft, handelt laut den ökonomischen Lehrsätzen besser als derjenige, der akribisch seiner Pflicht nachkommt. Es wundert nicht, dass sich im Kapitalismus auch die Medien diesem Prinzip nicht entziehen.

Authentische Berichterstattung lohnt sich nicht. Stattdessen werden Meldungen wiedergekäut, die von Nachrichtenagenturen als Futter bereitgestellt werden. Maßgeblich dafür verantwortlich sind die Trends, an denen sich die Journalisten der Leitmedien orientieren. Aus dieser Massenjournalistenhaltung kommend schmecken die Beiträge verständlicherweise fad.

Die digitale Revolution hat diese Monotonie angegriffen. Die neue Konkurrenz durch die sogenannten alternativen Medien lässt die Preise der Leitmedien fallen. Werbeanzeigen werden billiger, Zeitungsartikel werden sogar kostenlos auf den Websites zur Verfügung gestellt. In der Wettbewerbstheorie bezeichnet man die Leitmedien deshalb als morphologisches Oligopol.

Aber die bedeutsameren Akteure sind andere. Die neuen Leitmedien der digitalen Welt heißen Google, Twitter und Facebook. Dort finden sich Journalisten der alten Leitmedien sowie die neuen alternativen Medien wieder. Während manche angeblich unabhängige Journalisten behaupten, sich nur durch Crowdfunding zu finanzieren, werden Werbeanzeigen geschaltet oder Daten gesammelt, die gewinnbringend verkauft werden.

Ob das alternative Medium selbst davon profitiert, ist unerheblich. Wichtig ist, dass der Konsument alternativer Medien so selbst zum Produkt wird und die alternativen Medien der digitalen Welt überwiegend eingebettet im kapitalistischen System sind. „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“, forderte bereits Karl Marx.

Aus diesem Grund sind öffentlich-rechtliche Medien die eigentlich freien Medien. Sie können ohne den Druck eines Gewerbes durch gemeinschaftliche Finanzierung unabhängigen Journalismus betreiben. Dazu müssten diese Anstalten jedoch anderen Geldern eine Absage erteilen, basisdemokratisch organisiert sein und sich der wissenschaftlichen Methode verpflichten.

Spätestens seit die Konsumenten diskutieren, ob es sich bei einem Medium um Lügenpresse, Lückenpresse und bei den Nachrichten um Fake News handelt, wird klar, dass private und öffentliche Leitmedien die gleiche Propaganda servieren. Viele alternative Medien bemühen sich, Lücken zu füllen und Lügen aufzudecken. Information statt Exformation.

Deshalb führen die etablierten Leitmedien diverse Verunglimpfungskampagnen und entgegnen gleichsam ihrer eigenen Unglaubwürdigkeit. Nicht umsonst hat das britische Collins Dictionary „Fake News“ zum Wort des Jahres 2017 gewählt. Mit diesem Kampfbegriff, der allzu sehr an den Neusprech aus Orwells 1984 erinnert, versuchen neoliberale Politiker und private Großkonzerne ihre Interessen durchzusetzen, indem sie alternative Medien wegen ihrer scheinbaren Falschmeldungen diskreditieren.

Es ist völlig nachvollziehbar, dass Portale, die gegen den Kapitalismus kämpfen, werbeuntauglich sind und somit in ihrer Reichweite beschränkt werden, schließlich beanspruchen sie die Produktionsmittel von den Betreibern. Durch die algorithmische Zensur entsteht auf Seite des Social-Media-Nutzers eine „Echokammer“. Ein Wort, das ebenfalls für das Wort des Jahres nominiert gewesen ist. Letztendlich sind Echokammern nichts anderes als die von den kulturellen Linken gewünschten „safe spaces“, in denen Menschen vor Kritik und Provokation bewahrt und im vollen Umfang bestätigt werden.

Der progressive Neoliberalismus befriedigt damit ein selbst erzeugtes Bedürfnis: Der politische Diskurs dreht sich um die Anerkennung von Identität – getrennt von sozialer Gerechtigkeit.

Ein investigativer Bericht kann beim Konsumenten ein Trauma erzeugen. Beispielsweise wirkt die Desillusionierung einer traumhaften Vorstellung der Politik durch die Offenbarung einer korrupten Realität verstörend. Wenn ein Trauma der verkannten Wirklichkeit zu groß ist, als dass es psychisch ausgehalten werden kann, wird es sogar verdrängt, um das eigene Weltbild vor der Kollision zu schützen.

Weil das eigene Weltbild auf dem Mainstream der Leitmedien basiert und von der Masse geteilt wird, gibt der traumatisierte Konsument das kritische Bewusstsein auf und sucht in einer unbewusst resignierenden Sphäre Zuflucht. Seine Augen müssen weit geschlossen sein. Auf diese Weise scheint seine gesellschaftliche Teilhabe gesichert zu sein, zumindest gefühlsmäßig. Die öffentliche Meinung wird zum selbst gewählten Diktator und der Verkünder der Wahrheit wird – gleichnamig zu Ibsens Drama – zum Volksfeind deklariert. Das erklärt die gegenwärtige Popularität der Satire. Die Fakten werden absurd, komisch und als Witz irgendwie erträglich.

Die mit Humor verpackte Wahrheit wird ein massenkompatibles Produkt. Marx hatte für Harlekinaden nur dies übrig:

„Ein Volk, welches (…) das Recht, die Wahrheit zu denken und auszusprechen, den Hofnarren vindiziert, kann nur ein Volk der Abhängigkeit und der Selbstlosigkeit sein.“

Das Recht nach vernünftiger Aufklärung schlägt in ein Bedürfnis nach der nächsten Pointe um. Das kritische Bewusstsein wird in primitiver Weise in eine groteske Ironie sublimiert. Und wenn sie mal über Armut, Hunger und Kriegsopfer berichten, formen die Leitmedien die Verantwortung für die Konsequenzen ihres Konsums in ein Gefühl der Dankbarkeit um. Der Kapitalismus wird als objektive Vernunft präsentiert, schließlich seien diese Missstände auf dem Allzeittiefpunkt. Sinneswandel und Verhaltensänderung sollen ausbleiben.

Anstelle einer vernunftorientierten Realität scheint nun die gefühlsmäßige Wahrnehmung entscheidend. Das erinnert an das Wort des Jahrs 2016 von den Oxford Dictionaries: „postfaktisch“. Angeblich sei das postfaktische Zeitalter ein neues Phänomen. Der Masse wird suggeriert, dass die bisherige Politik und der bisherige Journalismus den Fakten entsprechen, also wahrheitsgemäß sind und die Masse sich nicht mehr mit vom Mainstream abweichenden Auffassungen zu beschäftigen brauche.

Verbunden damit wird oftmals die Anschauung, dass es vernünftig sei, allen Fakten einen erkenntnisvermittelnden Wert zuzuschreiben, aber es unvernünftig sei, es dem rein Subjektiven gleichzutun. In der Philosophie beschäftigt man sich seit jeher mit der Dialektik zwischen Vernunft und Trieben und dem Verhältnis von Schein und Sein.

Im Zuge der Phänomenologie und der Psychoanalyse wird die präsentierte Anschauung immer stärker kritisiert, denn Emotionen und Fiktionen seien auch Phänomene, welche über das Bewusstsein vermittelnde Erkenntnisse geben können. Natürlich kann Vernunft nur äußerst schwer absolut geltend werden.

Die phänomenologische Methode geht aber davon aus, dass alle Phänomene zuerst als seiende Gegenstände betrachtet werden sollten. Des Einen Fiktion ist des Anderen Realität. Diese Spannungsfelder genießen auch in der Kunst hohe Rezeption. Obwohl ein Künstler stets seine Perspektive offenbart, kommen die verschiedenste Interpretationen seines Kunstwerkes und manchmal auch neue Erkenntnisse zustande.

Unabhängiger Journalismus funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Was letztendlich abseits von den selektierten Geschehnissen passiert ist, bleibt für den Konsumenten unklar. Zu den Fakten liefert der Journalist zusätzlich die eigene Perspektive. Und die ist möglichst authentisch, wenn der Journalist seine Ziele konsequent und aktiv vertritt.

Solch ein aktivistischer Journalismus trägt zur gesellschaftlichen Emanzipation bei, indem er Menschen anregt, eigenständig zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Vielleicht bedarf es auch einer unabhängigen Institution, die den Verbraucherschutz für die Konsumenten gewährleistet. Doch die Gefahr, dass daraus ein Wahrheitsministerium entsteht, das vermeintliche Fakten aufoktroyiert und potentiellen Widerstand zensiert, ist real.

Unter dem Deckmantel einer Fake-News-freien Medienlandschaft und der politischen Korrektheit könnte dann ein akzeptabler Diskurs diktiert werden. Umso wichtiger ist es, dass die alternativen Medien unabhängig werden, indem sie sich nicht auf die angreifbare Infrastruktur verlassen, sich ungewerblich organisieren und evidenzbasiert arbeiten. Nur durch basisdemokratische Strukturen außerhalb des Internets können sie sich dem Druck der Autoritäten entgehen.

Stetige Aufrufe, die dargebotenen Informationen kritisch zu prüfen und eigene Erfahrungen zu machen, an denen man wachsen soll, verschaffen den alternativen Medien zu Glaubwürdigkeit. Sie verkörpern damit die Ideale der Aufklärung. Auf diesem Wege kann dann ein kritisches Bewusstsein der Massen erreicht werden.


Lügen die Medien?


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.rubikon.news/artikel/gemeinsam-verandern-wir-die-welt
(2) https://www.rubikon.news/kolumnen/leser-aktion


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