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Pflugscharen zu Schwertern

Pflugscharen zu Schwertern

Bei den Grünen ist das ernsthafte Eintreten für den Frieden einer Attitüde moralischer und intellektueller Überlegenheit gewichen.

Werte, Werte über alles

Grüne wie Alternative und so manche, die sich als Linke verstehen, haben ihre Wurzeln in der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Das Wettrüsten zu beenden, um einen atomar ausgetragenen Dritten Weltkrieg zu verhindern, war das Anliegen dieser damaligen Massenbewegung. Ein Umdenken innerhalb der Völker des Westens gegenüber den Russen hatte zu dieser Entwicklung geführt.

Trotz aller Angst, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschürt worden war, hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Völker der Sowjetunion wie die im Westen auch nichts anderes als ein friedliches Leben wollen und eine freundliche Zukunft für ihre Kinder.

Nach der Niederlage der USA im Vietnamkrieg war ab Ende der 1970er Jahre der Kampf für die Menschenrechte die neue Strategie des Westens gegenüber der Sowjetunion. Die Niederlagen im Osten Asiens hatten deutlich gemacht, dass der Sozialismus militärisch nicht zu besiegen war. Für dieses Ziel hatte sich die Menschenrechts-Strategie als erfolgreicher erwiesen. Mit dem Untergang der Sowjetunion und der Vernichtung Jugoslawiens schien auch der Sozialismus besiegt. Die westliche Demokratie schien sich als überlegene Gesellschaftsform herausgestellt zu haben.

Die Friedensbewegung hatte die Aufstellung neuer Raketen in Europa nicht verhindern können. Sie zerfiel nach dieser Niederlage und konnte keine neue Perspektive entwickeln. In der Folge durchdrang die siegreiche Werteorientierung immer mehr die westlichen Gesellschaften und bestimmt seitdem das Denken ihrer Eliten besonders in Bildung, Kultur, Medien und Politik. Werteorientierung ist Teil der westlichen DNA geworden.

In Schulen und Universitäten waren immer größere Teile der Gesellschaft mit dieser Nährlösung aufgezogen worden. Das Denken der nachfolgenden Generationen wurde durch sie geprägt, denn mit dem Untergang des Sozialismus gab es kein anderes Weltbild mehr. Allgegenwärtig in den westlichen Gesellschaften blieb der Einfluss des Wertedenkens auch nicht ohne Auswirkungen selbst auf jene Kräfte, die Kapitalismus, NATO und dem westlichen Imperialismus ablehnend gegenüberstanden.

Diese Kräfte, zu denen besonders die Grünen sowie weite Teile der Linken, Alternativen und Intellektuellen gehören, lehnten diese Werte nicht ab. Im Gegenteil: Sie sahen sich aufgrund ihrer Vergangenheit im Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit als die wahren Verteidiger der Werte. Je mehr aber die Kriegsgefahr nach dem Ende der Blockkonfrontation in den Hintergrund getreten war, umso mehr engagierten sich die Werteorientierten besonders für all jene, die als schutzbedürftig und benachteiligt angesehen wurden.

So setzten sich Grüne, Linke und Alternative immer stärker ein für Themen wie den Schutz von Umwelt und Tieren, die Identitätsrechte von Minderheiten und gegen jegliche Form von Diskriminierung.

Das politische Bewusstsein, das die frühe Friedensbewegung noch sehr stark geprägt hatte, war mehr und mehr einer emotionalen, moralischen und eigentlich unpolitischen Haltung gewichen. Harmoniestreben ersetzte zunehmend das Benennen der Interessengegensätze.

Ganz aus dem politischen Denken verschwunden war das Wissen um die verschiedenen gesellschaftlichen Klassen mit ihren entsprechenden Interessen.

Missbrauch der Werte

Wertegeleitetes Denken und Handeln bestimmt mittlerweile Medien, Kultur und Politik. Vor allem hier wird die öffentliche Meinung gebildet. Dieses Denken erreicht seinen Höhepunkt bei Gruppen wie Fridays for Future (FfF) und all jenen, die sich dem Kampf gegen jede Art vermeintlicher Diskriminierung verschrieben haben. Das Gendern ist das öffentliche Zurschaustellen des eigenen diskriminierungsfreien Verhaltens, worin aber gleichzeitig auch Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft mitschwingt.

Denn diese orientiert sich mehr an Interessen als an Werten und fühlt sich durch das pädagogische Auftreten der Wertemissionare von oben herab behandelt. Sie sieht darin das Bestreben, Andersdenkende belehren und erziehen zu wollen. Mit ihrem demonstrativ gutmenschlichen und diskriminierungsfreien Gebaren rufen die Wertegeleiteten Unmut und Groll im Rest der Gesellschaft hervor. Soweit sie diesen Konflikt überhaupt spüren, lösen sie ihn für sich auf, indem sie der Mehrheit Gleichgültigkeit oder mangelndes Bewusstsein unterstellen.

Denn die Wertevertreter halten sich nicht nur für moralisch überlegen sondern aufgrund ihrer meist höheren formalen Bildungsabschlüsse für besser informiert und damit auch intellektuell auf einem höheren Stand. Solch elitäres Denken gipfelt in einer feministischen Außenpolitik, die glaubt, anderen Staaten und Völkern Vorschriften machen zu dürfen, wie diese ihre Gesellschaften zu gestalten haben.

So hat sich schleichend in der Gesellschaft aus einer ehemals breiten Massenbewegung für den Frieden besonders im intellektuellen Milieu eine elitäre Denkweise entwickelt.

Die Grundlage dieses Denkens ist die Vorstellung eigener Überlegenheit. Die Eliten des Kaiserreichs glaubten sich überlegen durch die deutschen Tugenden, an denen die Welt genesen sollte, der Faschismus durch die angebliche rassische Überlegenheit des arischen Herrenmenschen. Heute soll die Welt an den westlichen Werten genesen. Das westliche Überlegenheitsdenken ist geblieben, nur hat es andere Formen angenommen und neue Vertreter gefunden.

Unantastbar

Dieses Gefühl der Überlegenheit macht die Werteorientierten unerreichbar für Zweifel und andere Sichtweisen und damit auch unbelehrbar. All diese zur Schau getragene moralische und intellektuelle Überlegenheit ist aber nur vordergründig, hat wenig Festigkeit, wenig Tiefe.

Die Werteorientierten leben nicht von der Überzeugungskraft ihrer Werte sondern von deren Unantastbarkeit. Sie profitierten von der Scheu des Rests der Gesellschaft, dem Wertegesäusel auf den Zahn zu fühlen. Sie nähren sich aus dem Tabu, dass die westlichen Werte und ihre Inhalte nicht hinterfragt werden dürfen, ohne sich dem Vorwurf der Rückständigkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit oder gar Rechtslastigkeit auszusetzen.

Diese Eiferer setzen auf die Lautstärke ihrer Empörung und moralischen Entrüstung. Aber sie können nur unzureichend argumentieren, kaum überzeugen. Was ihnen fehlt, ist die Klarheit eines Weltbildes, das nur entsteht aus der vorurteilsfreien Betrachtung der Welt und aus dem Ringen um das Erkennen der Wirklichkeit.

Das aber entsteht allein aus einem Meinungsaustausch im Interesse an Erkenntnisgewinn.

Darin liegt gerade die Schwäche der Werteorientierten. Es fehlt ihnen an politischem Bewusstsein, es fehlen die klaren Standpunkte, die ihre Festigkeit erworben haben im Austausch mit anderen Ansichten, Meinungen und Argumenten. Die Werteorientierten erhalten ihren Standpunkt gerade, indem sie den Meinungsaustausch vermeiden. Sie schotten sich ab von den Widersprüchen, indem sie sich hinter ihren Werten verbarrikadieren. Vor allem aber fehlt es ihnen an Klarheit über die Grundlagen von Entwicklung, wie sie der Materialismus anbietet.

Dass sie sich mit politischen Themen beschäftigen, bedeutet nicht, dass sie über politisches Bewusstsein verfügen. Dazu fehlt ihnen das Erkennen politischer Zusammenhänge. Sie begnügen sich mit dem Gefühl, aufgrund der Werte, die sie vertreten, und aufgrund der Bildung, die sie zu haben glauben, die Vorgänge in der Welt zu durchschauen. Und da die Gesellschaft beides nicht infrage stellt, bekommt dieses Selbstbild auch kaum Risse.

Ihr politisches Bewusstsein geht über Appelle, Forderungen und platte Parolen kaum hinaus. In dieser Form tragen sie ihr Weltbild vor sich her wie die Katholiken die Monstranz an Fronleichnam. Beiden ist gemeinsam, dass die wenigsten von ihnen ihr Handeln begründen, die Hintergründe verständlich machen und Zusammenhänge darstellen können. Werteorientierung ergeht sich in oberflächlichen Aussagen, die meist nur das Offensichtliche feststellen.

Zeitenwenden

Dieser Verfall von politischem Bewusstsein hatte erstmals schwerwiegende Folgen beim Krieg gegen Jugoslawien. Der grünen Führungsriege genügte die amerikanische Behauptung, dass in Jugoslawien ein Völkermord drohe. Man müsse diesen Krieg führen, um ein zweites Auschwitz zu verhindern. Dazu wurde die Formel der Antikriegsbewegung „Nie wieder Krieg“ geschickt umgewandelt in den Appell „Nie wieder Völkermord“, „denn es gibt noch Wichtigeres als „Nie wieder Krieg!“ (1).

Mit dieser Manipulation wurde Verwirrung geschaffen und der Angriff auf Jugoslawien möglich. Denn wer hätte sich schon vorwerfen lassen, Völkermord nicht verhindern zu wollen? Besoffen von Wertedenken und gebauchpinselt in der Rolle, endlich mitentscheiden zu dürfen, liefen die Grünen den Amerikanern hinterher.

Dass es sich dabei um dieselben Amerikaner handelte, gegen deren Vietnamkrieg noch Jahre zuvor Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und viele grüne Friedenstauben demonstriert hatten, spielte keine Rolle mehr. Über Nacht schien alles vergessen: die Fragwürdigkeit amerikanischer Aussagen und Zusicherungen. Die Erfahrungen mit der Rücksichtslosigkeit der US-Politik in Südostasien, in Chile, Kuba und Südamerika.

Vergessen die Invasion in der Schweinebucht und all die anderen Putsche, Putschversuche und Förderung von Putschen in Südamerika und überall sonst in der Welt. Vergessen die weltweit von der CIA geförderten Umstürze und die Errichtung und Unterstützung von Folterregimen unter dem Schah, unter Augusto Pinochet und den vielen anderen.

Vergessen die Unterstützung regierungsfeindlicher Gruppen. Vergessen all die niedergeschlagenen Proteste der Völker der Welt für ein besseres Leben. Vergessen Hiroshima und Nagasaki. Vergessen die lange Geschichte der amerikanischen Verletzungen der Menschenrechte, auch all die Lügen, mit denen diese Verbrechen gerechtfertigt worden waren. Alles gelöscht aus dem politischen Bewusstsein und grünen Gedächtnis.

Die Grünen waren auf einmal wichtig. Endlich sahen sie sich anerkannt in ihrer Rolle, von der sie glaubten, dass sie ihnen zukam aufgrund ihres moralischen und intellektuellen Niveaus. Nun konnten sie beweisen, dass sie Politik nicht nur gut machen konnten, sondern sogar besser als die anderen.

Die Macht, an der man endlich teilhaben durfte, wollte man nutzen und sich ihrer würdig erweisen. Da standen alle moralischen Zweifel und politischen Bedenken zurück, da wurden die letzten Reste politischen Bewusstseins im Rausch der Macht ertränkt.

Nicht zu unrecht sagt der Volksmund: „Wem Gott ein Amt gibt, dem nimmt er den Verstand.“ Es ist vielleicht kein Zufall, dass Zeitenwenden immer mit der Regierung der Grünen zusammengefallen sind. Ihr Denken unterscheidet sich kaum von dem der etablierten Parteien, die bisher die Macht unter sich aufgeteilt hatten, bis auf einen entscheidenden Unterschied: Die Grünen glauben, es sogar noch besser machen zu können aufgrund ihrer intellektuellen Überlegenheit.

Das wollen sie mit größerer Entschlossenheit, aber auch mit weniger moralischen Vorbehalten unter Beweis stellen. Das gilt nicht nur für die Grünen sondern auch für viele andere linke und alternative Kräfte, die ebenso in den Vorstellungen moralischer und intellektueller Überlegenheit denken. Mit einer guten Begründung im Ärmel können dann aus Pflugscharen auch wieder Schwerter geschmiedet werden. Es muss aber etwas mit Werten zu tun haben.


Quellen und Anmerkungen

(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Februar 2023: „Nie wieder Völkermord


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