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Sympathie für den Teufel

Sympathie für den Teufel

Ein ehemaliger Soldat erzählt, wie ihm die Begegnung mit einem ehemaligen „Feind“ die Absurdität des Krieges vor Augen führte — ergänzend empfiehlt er ein Lied der Stones.

Leichen und Idioten sind seine Hauptprodukte. Ich hatte Glück: In meiner bisher einzigen Teilnahme machte der Krieg mich zu Letzterem. Wie bei Idioten üblich, hat es mich Zeit gekostet, diesen Umstand zu erkennen.

„I’ve been around for a long, long year. Stole many a man’s soul and faith.“

Nach dem Abi 1998 zog es mich in den Stabilisation-Force-, kurz: SFOR-Einsatz zur „Stabilisierung des früheren Jugoslawien“. Es zog mich dorthin, da ich als Wehrpflichtiger der Luftwaffe die dortige Verschwendung meiner Lebenszeit nicht mehr ertrug. Als Angehöriger einer der letzten Jahrgänge Wehrpflichtiger musste ich über zehn lange Monate Wehrdienst erfahren, wie wenig dieser Staat die Lebenszeit seiner Wehrdienstopfer benötigte — und wie brutal er sie zur Demonstration seiner Macht verschwendete. Rückblickend trug diese Erfahrung wohl zu meinem heutigen Misstrauen gegenüber Instanzen bei.

Nach Monaten des Geschäftszimmer-Dienstes (= Warten auf Dienstschluss) wurde ich in einer Mischung aus Verzweiflung und Abenteuerlust beim Stabschef des Divisionskommandos vorstellig. Aus Gründen, die eine weitere Geschichte rechtfertigen würden, hatte ich meinen nutzlosen Posten in dieser höheren Kommandoeinheit erhalten. Jedenfalls erbat ich nun einen Auslandseinsatz. Der Stabschef war ein kluger Mann und reagierte auf mein Ansinnen mit dem Versuch, mich von ihm abzubringen. Wild entschlossen wie ich aber war, gab er sich schließlich damit zufrieden, mich von einem Einsatzort zu überzeugen, an dem Kriegsgefahren weitgehend ausgeschlossen schienen: einer Messestadt in Norditalien.

Von dort aus führte das Einsatzgeschwader 1 (EG 1) der Luftwaffe seine Beobachtermission mit ganzen zwei Jagdflugzeugen vom Typ Tornado. Teil des EG 1 war eine kleine Gruppe Propaganda-Soldaten, deren Aufgabe die Verbreitung von Hurra-Nachrichten innerhalb der Truppe und die Betreuung von Pressevertreten vor Ort war. Als Unterling dieser Gruppe zog ich also in ein Vier-Sterne Hotel in Norditalien. Über die Geschehnisse in Norditalien bin ich bis heute bei allerlei Strafandrohungen zum Stillschweigen verpflichtet. Sie waren in Teilen irritierend und in noch größeren Teilen absurd. Für mich endeten sie mit der routinemäßigen Verleihung einer Einsatzmedaille und der Auszahlung einer für einen Abiturienten horrenden Summe an Gefahrenzuschlägen.

Das Wesentliche dieser damaligen Ereignisse ist heute allgemein bekannt. Mir hat es sich im Winter 1998/99 erstmals durch den Gesichtsausdruck der Tornado-Besatzungen eröffnet: Diese Beobachtermission war Krieg. Sie sollte damals nicht so genannt werden. Regimetreu wie die Massenmedien auch damals waren, stützten sie die Lüge der Politik. Und auch ich hielt damals die NATO-Rationale eines Schutzeinsatzes der Kosovo-Albaner gegen die serbische Aggression für eine gute Sache. Den Suff der Flieger nach dem Einsatz, die fehlende Bewaffnung nach dem Ende ihrer Beobachterflüge. Das alles schien mir so hart wie unvermeidlich. Für eine gerechte Sache.

„But what’s confusin’ you is the nature of my game.“

Wenige Jahre später reiste ich mit Freunden nach Belgrad. Über sie lernte ich eine Familie kennen, die uns zu einer Hochzeit in der Provinz Vojvodina einlud. Das Fest, die Musik und der Selbstgebrannte haben mich bis heute für jede bundesdeutsche Hochzeit verdorben. Gegen die Lebensfreude dieser serbischen Hochzeit wirken alle anderen bis heute auf mich wie Schulaufführungen.

An jenem Abend freundete ich mich — über unser gemeinsames Interesse an der jüngeren Tochter des Hauses — mit einem Mann meines Alters an. Er war Jurastudent und in der Politik aktiv. Ein baldiger EU-Betritt Serbiens war sein Ziel.

Über diese Perspektive sprach er mit Begeisterung, mit echter Emotion. Sie schien ihm nach der Verheerung des Krieges die Wunschzukunft seines Landes. Obwohl er wenige Monate zuvor noch als serbischer Soldat auf der anderen Seite stand. Ich lernte viel über die Vorgeschichte des Kosovo, die Verheerungen sowohl des Bürgerkrieges wie auch der NATO-Bombardements. Vor allem aber lernte ich etwas über meine Naivität. Dieser Kerl war drei Jahre älter als ich, schien mir mit seiner Erfahrung von Zerstörung und Neuanfang aber um Jahrzehnte weiter. Mein eigener Einsatz, als Etappenhase mit Bett im Vier-Sterne-Hotel, erschien mir noch absurder als zuvor.

Wir fanden schließlich heraus, dass dieser Mann während meiner eigenen Einsatzzeit als Militärpolizist an einer Donaubrücke Dienst tat. Auch an einem Abend, den ich aus meiner SFOR-Teilnahme erinnerte. An einem Abend, da seine Donaubrücke in Belgrad durch einen US-Marschflugkörper zerstört wurde. Knapp, aber unverletzt, entkam er damals seinem Tod. Einem Tod, an dem ich ausreichend Mitschuld getragen hätte. In diesem Moment wich all meine Heiterkeit einem tiefen Gefühl der Scham. Der Scham vor mir selbst und der Tatsache, dass ich mich zu einem Vollidioten gemacht hatte. Nein, ich kannte diesen Mann kaum und konnte keine Gewissheit über seine Taten haben. Mein Urteil über ihn beruhte lediglich auf einer gemeinsamen Feier. Die aber genügte, um mit ausreichend Sicherheit sagen zu können: Dieser serbische Soldat, mein Feind, war von keiner geringeren Differenziertheit und Vernunft als ich zu meinen besten Zeiten. Bis heute verfolgt mich die Tatsache, dass ich Idiot nur knapp und durch Zufall der Mittäterschaft an seiner Ermordung entgangen bin.

„Or I’ll lay your soul to waste.“

In Gedanken an jenen Abend habe ich vor wenigen Wochen der Bundeswehr geschrieben. Ich habe ihr mitgeteilt, dass ich angesichts der Kriegstreiberei unseres Regimes jeden weiteren Dienst als Soldat verweigere. In der Welt der Armeebürokraten wurde meine Feststellung als Antrag auf Kriegsdienstverweigerung interpretiert. Man teilte mir mit, dass er nun geprüft werde und ich von einer anderen Stelle darüber einen Bescheid zu erwarten hätte. So wenig diese Bürokraten wohl auf meine Mitteilung geben, so wenig interessiert mich ihr Bescheid. Sie mögen ihn sich in jenen Ort einführen, in den ich bereits damals meinen Kampfschuh (amtliche Bezeichnung) hätte platzieren sollen. Einen Idioten macht der Krieg kein zweites Mal aus mir.


The Rolling Stones - Sympathy For The Devil (Official Lyric Video)


Medienpartner

Nacktes Niveau (Paul Brandenburg), Punkt.preradovic, Kaiser TV,
Hinter den Schlagzeilen, Demokratischer Widerstand,
Eugen Zentner (Kulturzentner), rationalgalerie (Uli Gellermann), Protestnoten, Radio München (Eva Schmidt), Basta Berlin, Kontrafunk und Ständige Publikumskonferenz.

Weitere können folgen.

Ablauf

Samstag 9.7.2022 SONG Fortunate Son (Creedence Clearwater Revival)
TEXT Marcus Klöckner, Die Doppelmoral der Kriegsmacher — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 15.7.2022 SONG Redemption Song (Bob Marley)
TEXT Jens Fischer Rodrian, Botschafter für eine gerechte Welt — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 23.7.2022 SONG Friedensbewegung (Kilez More)
TEXT Eugen Zentner, Liebe und Leidenschaft — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 30.7.2022 SONG Es ist an der Zeit (Hannes Wader)
TEXT Roland Rottenfußer, Der wirkliche Feind — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 6.8.2022 SONG War — what is it good for? (Edwin Starr)
TEXT Lüül, Wozu ist Krieg gut? — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 13.8.2022 SONG Another brick in the wall (Pink Floyd)
TEXT Alexa Rodrian, Der Ziegel in der Wand — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 20.8.2022 SONG Anthem (Leonard Cohen)
TEXT Madita Hampe, Durch alles geht ein Riss — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 27.8.2022 SONG Feeding off the love of the land (Stevie Wonder)
TEXT Nina Maleika, Zurück zur Verbundenheit — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 3.9.2022 SONG Drei Kreuze für Deutschland (Prinz Pi)
TEXT Nicolas Riedl, Der Sog des Krieges — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 10.09.2022 SONG Masters of war (Bob Dylan)
TEXT Wolfgang Wodarg, Meister der Kriege — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 24.09.2022 SONG Die Welt im Fieber (Karat)
TEXT Maren Müller, Die Welt im Fieber — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 1.10.2022 SONG Wehre have all the flowers gone (Joan Baez)
TEXT Ulrike Guérot, Der Kreislauf des Krieges — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 8.10.2022 SONG Peace (Ajeet Kaur)
TEXT Philine Conrad Der Wunsch nach Frieden — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 22.10.2022SONG Le déserteur (Boris Vian)
TEXT Ulrike Guérot Das Vorbild — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 15.10.2022 SONG Working Class Hero (John Lennon)
TEXT Tom-Oliver Regenauer Das Musik-Monument — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 29.10.2022 SONG Imagine (John Lennon)
TEXT Kenneth Anders Sich den Frieden ausmalen — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 5.11.2022 SONG (What's So Funny 'Bout) Peace, Love and Understanding (Nick Lowe)
TEXT Sabrine Khalil Unbequeme Wahrheiten — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 12.11.2022 SONG I Can't Write Left Handed (Bill Withers
TEXT Uli Masuth Fragwürdiger Mythos — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 19.11.2022 SONG Sag mir wo die Blumen sind (Marlene Dietrich)
TEXT Oliver Ginsberg Vom Krieg verweht — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 26.11.2022 SONG Meinst du, die Russen wollen Krieg? (Jewgeni Jewtuschenko)
TEXT Ulrich Gellermann Die Russen wollen keinen Krieg — Zur Aktion Friedensnoten

Samstag 3.12.2022 SONG Sympathy For The Devil (Rolling Stones)
TEXT Paul Brandenburg Sympathie für den Teufel — Zur Aktion Friedensnoten


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