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Ungeliebte Freunde

Ungeliebte Freunde

Wenn die falschen Leute richtige Aussagen über Corona treffen, geraten wir oft in ein Gefühlswirrwarr — sorgfältige Analyse lässt wieder klarer sehen.

Für jeden ist es irgendwann das erste Mal. Und für die meisten ist es zunächst ein Schock. Ich selbst war fast 50 Jahre alt, bevor ich meinen ersten Nazi-Vergleich erntete. Als ich in einem Webmagazin, für das ich arbeitete, einen Artikel über die Nachteile der Fleischernährung postete, machte mich ein besonders eifriger „antifaschistischer“ Autor darauf aufmerksam, dass Adolf Hitler Vegetarier gewesen ist. Nun, das war mir nicht neu. Ich wusste aber auch nicht so genau, was ich mit dieser Information hätte anfangen sollen. Meine geliebten Bratkartoffeln mit Zwiebeln durch eine Schlachtplatte mit Blut- und Leberwurst ersetzen? Hätte ich so beweisen können, dass ich meine Lektion aus dem verhängnisvollsten Abschnitt deutscher Geschichte gelernt hatte?

Mit manchen Antifaschisten komme ich nicht gut zurecht. Ehrlich gesagt, sind sie mir zu rechts. Einmal werden mit Nazi-Vergleichen die Schlachthöfe und ihr blutiges Geschäft tapfer gegen Kritiker verteidigt, ein andermal die zinsbasierte Finanzwirtschaft gegen jene, die für sozialen Ausgleich plädieren — und in jüngster Zeit sind natürlich nicht jene, die unter Berufung auf Corona einen zunehmend autoritären Zwangsstaat errichten, „rechts“ — sondern paradoxerweise: deren Gegner. Verkehrte Welt. Man wird den Verdacht nicht los, dass sich hier Menschen in Symbole und Reizworte verbeißen, um davon abzulenken, wie nahe sie selbst bereits den modernen Spielarten der Unmenschlichkeit stehen.

Speziell viele „Rote“ geben willig argumentativen Geleitschutz beim Marsch in eine tiefschwarze, autoritäre Gesellschaft, der durchaus in eine voll entwickelte Diktatur abgleiten kann.

Noch ein Beispiel — es mag niemanden mehr überraschen bei einem Autor, der schon einmal ein Tofurezept von Attila Hildmann ausprobiert hat: Die Nazis hatten sehr gute Tierschutzgesetze. Ehrlich wahr, keine Ironie. Ich war selbst überrascht darüber und keineswegs erfreut. Denn jeder wünscht sich doch eine geordnete Welt, in der Schwarz und Weiß sorgfältig voneinander geschieden sind? Aber es scheint zu stimmen. Claus Hant beschreibt in seiner neuen Biografie „Hitler — Die wenig bekannten Fakten“ eine Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933, die unter anderem regelte, wie „unnötige Aufregung und Schmerzen“ bei der Schlachtung von Tieren vermieden werden könnten. Hant berichtet:

„Ohne vorherige Debatte ließ Hitler am 24. November 1933 vom Reichstag das Reichstierschutzgesetz verabschieden. Dieses erste deutsche Tierschutzgesetz räumte den Tieren in Deutschland mehr Rechte ein als in jedem anderen Land.“

Hermann Göring sagte in einer Radioansprache:

„Für den deutschen Menschen sind die Tiere nicht nur Lebewesen im organischen Sinn, sondern Geschöpfe, die ein eigenes Empfindungsleben führen, die Schmerz empfinden, Freude, Treue und Anhänglichkeit zeigen. Niemals hätte es dem Volksempfinden entsprochen, das Tier einer leblosen, toten und unempfindlichen Sache gleichzusetzen, das Tier nur als ein empfindungs- und seelenloses Objekt der Ausbeutung zu betrachten, als ein Hilfsmittel der Arbeit, das man vielleicht aus Gründen der Nützlichkeit gebrauchen und aus ebensolchen Nützlichkeitsgründen quälen oder vernichten kann.“

Eine gewisse Irritation bei der Lektüre dieses Textes ist unvermeidlich, speziell wenn man ein Tierfreund ist. Im Wissen um die furchtbaren Verbrechen, die Göring, Hitler und Konsorten zu verantworten haben, sucht man geradezu verzweifelt nach irgendetwas, was man an diesem Text falsch finden kann. Dass hier vom „deutschen Menschen die Rede ist“, nicht von der ganzen Menschheit — ja vielleicht. Der beherrschende Eindruck ist jedoch: Göring hatte völlig Recht. Leider.

„Beifall von der falschen Seite“ — die Checkliste

Man tut gut daran, hier einmal seine Gedanken zu ordnen und sich klar zu machen, was die Tatsache eines guten Tierschutzgesetzes der Nazis bedeutet und was sie nicht bedeutet.

Etwas Gutes wird nicht unbedingt schlecht, wenn schlechte Menschen es sagen.

Wenn zum Beispiel ein „Rechter“ behauptet, die Sonne gehe im Osten auf, würde man das nicht einfach als Nazipropaganda abtun. In Fragen der politischen Weltanschauung tut man aber gut daran, den „Fall“ etwas näher zu durchleuchten.

Wir sollten nicht aufhören, zu sagen, was richtig ist, wenn die „Falschen“ dasselbe sagen.

Wenn wir uns daran orientieren, was „unsympathische“ Personen und Gruppen sagen, wären wir darauf fixiert und würden unsere Meinung nicht mehr frei wählen können, sondern reflexartig jeweils das Gegenteil dessen behaupten, was der Gegner für richtig hält. „Tiere sind empfindende Lebewesen“ ist niemals ein falscher Satz, auch wenn ein Mörder ihn ausspricht.

Gute Aussagen von schlechten Menschen entschuldigen und relativieren nicht deren schreckliche Taten.

Dies ist ein wichtiger Punkt. Die abgrundtief bösen Taten der Nazis, die Toten des Krieges, der Konzentrations- und Vernichtungslager werden nicht aufgewogen dadurch, dass Schweine und Kühe im Dritten Reich vielleicht etwas „achtsamer“ geschlachtet wurden. Es erscheint vielmehr in höchstem Maße pervers, wenn Personen, die Tieren gegenüber durchaus „humane Ansichten“ vertraten, ihre Mitmenschen offenbar ohne jedes Mitgefühl verfolgten, folterten und in den Tod schickten.

Wegen ein paar positiver Aspekte sollte man sich niemals einer Gruppierung anschließen, die ganz überwiegend eine negative Kraft darstellt.

Dieser Satz wird auf Anhieb einleuchten. Ich schließe mich auch nicht Scientology an, weil mir Tom Cruises Film „Minority Report“ gefiel.

Es ist nicht überraschend, wenn sich Licht und Schatten bei Menschen und Gruppierungen mischen.

Im Grunde gehört es zum Wesen der Menschen, wenn wir — wie in gut geschriebenen Drehbüchern — überall gemischte Charaktere vorfinden. Wie in dem berühmten chinesischen Yin-Yang-Symbol finden wir immer einen weißen Fleck auf schwarzem Grund und umgekehrt einen schwarzen Fleck auf weißem Grund. Dies ist keine Bagatellisierung von Verbrechen, sondern Basis-Psychologie. Selbst wohlmeinende Menschen — wie sicher die meisten von uns — werden auf dem Grunde ihrer Seele aber auch „Abgründiges“ entdecken können. Auf der anderen Seite werden Sie auch Menschen, die in Ihrem Leben eine eher destruktive Rolle spielten, ein paar starke Seiten zugestehen können.

Wenn falsche Leute etwas Richtiges sagen, geschieht das vielfach aus den falschen Gründen.

Hiermit beginnt die Detailanalyse. Die Formulierungen „Für den deutschen Menschen“ und „Volksempfinden“, die Hermann Göring verwendete, bringen uns auf die Spur. Tierschutz bei den Nazis entsprang auch einem biologistischen Natürlichkeitsideal, das an anderer Stelle zu extremen Auswüchsen der Unmenschlichkeit führte. Hitler-Biograf Claus Hant führt dazu aus:

„Dass das NS-Regime hilflose Tiere unter seinen Schutz stellte, hilflose Kinder und Behinderte aber gnadenlos ermordete, erschient nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Führt man sich die Gedankenwelt Hitlers vor Augen, ist es aber nur konsequent, denn Rassenhass, Eugenik und Tierliebe entsprangen derselben Ideologie. Die Tiere waren als Teil der ‚ewigen Natur‘ zu schützen. Genauso musste diese ‚ewige Natur‘ aber auch vor ‚entartetem‘ und ‚widernatürlichem‘ Leben geschützt werden.“

Ich fasse zusammen: Nicht den Tierschutz selbst würde ich aufgrund dieser Überlegungen anzweifeln wollen, wohl aber die Motive gewisser „Tierfreunde“.

Wenn falsche Leute etwas Richtiges sagen, widerspricht dies häufig ihrem Wesen, wirkt daher unglaubwürdig und geheuchelt.

Hant schreibt zwar, Hitlers Tierliebe sei „nicht vorgetäuscht“. Wir können aber an anderen Beispielen zeigen, dass „gütige“ Sätze hartherzigen Menschen häufig nur als Feigenblatt und Alibi dienen. So finden wir im Umkreis von fremdenfeindlich denkenden Menschen manchmal „Vorzeige-Migranten“. Diese sollen signalisieren, dass der Betreffende nicht grundsätzlich etwas gegen Ausländer hat, solange diese sich „anständig“ benehmen und am besten zuhause bleiben.

Bei guten Aussagen schlechter Menschen kann man also fragen: Ist ein positives Statement typisch für die Weltanschauung dieser Person oder eher eine seltene Ausnahme? Bei den Nazis können wir klar sagen: Mitgefühl und Güte gehören nicht zu ihrer ideologischen und charakterlichen Grundorientierung. Und selbst wo sie mitfühlend scheinen, hat die Sache noch einen Haken.

Ich habe nun relativ weit ausgeholt, weil ich auf etwas Bestimmtes hinauswill. Es geht mir um die auffällige Häufung sympathischer Äußerungen unsympathischer Menschen, die man speziell in den letzten Monaten, in der Corona-Krise, hören konnte. Zugleich ist ein ebenso auffälliges Versagen der „Sympathischen“ in Anbetracht dieses historischen Angriffs auf Demokratie und Menschenwürde festzustellen.

Ich nenne jetzt — nur als Beispiele — ein paar Namen von Menschen, die früher für mich relativ positive Gestalten gewesen sind: Katja Kipping, Robert Habeck, Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer. Das auch in diesem Magazin vielfach beklagte Schweigen der Prominenten — oder ihre überraschend regierungsfrommen Äußerungen — erlebe ich als große Irritation. Und sicher können auch Rubikon-Leserinnen und -Leser eine eigene Namensliste derer erstellen, die sich in den vergangenen Monaten für sie als Enttäuschung herausstellten.

Die Stunde der „Unsympathen“

Im Gegensatz dazu äußerten sich Personen, von denen ich dies niemals erwartet hätte, überraschend hellsichtig.

Wolfgang Schäuble (CDU):

„Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen.“

Wolfgang Kubicki (FDP):

„Nach einem Jahr Pandemie ist es nicht mehr akzeptabel, dass wir uns immer noch im verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand befinden. (…) Ich halte es aus verfassungsrechtlichen Gründen für einen unhaltbaren Zustand, dass Entscheidungen über Grundrechtsfragen weiterhin in einem Gremium getroffen werden, das die Verfassung nicht vorsieht.“

Tino Chrupalla (AfD):

„Ich halte nichts davon, dass man sich von Organisationen, die eine große Unterstützung auch in der Mittelschicht haben, auch in der Bürgerschaft haben, für Menschen, die auf die Straße gehen, die für ihre Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gehen, dass man sich pauschal distanziert.“

Alexander Gauland (AfD):

„Eine Corona-Diktatur auf Widerruf verträgt sich nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“

BILD online:

„Warum gibt es nach über einem Jahr keine zentrale Analyse der sogenannten Kollateralschäden? Wie viel Lebenszeit, wie viele Lebensjahre nehmen wir, weil wir Krebs, Schlaganfälle, Herzinfarkte nicht rechtzeitig erkennen? Es ist verständlich, dass Politiker ‚Leben retten‘ und als Lebensretter wahrgenommen werden wollen. Aber Politiker können Leben nicht retten, sie können sie nur verlängern. Sie müssen sich dabei fragen, wie viele Leben sie durch ihre Maßnahmen ungewollt verkürzen.“

Michael Wendler, Schlagersänger und ehemaliger Juror von „Deutschland sucht den Superstar“:

„Ich werfe der Bundesregierung bezüglich der angeblichen Corona-Pandemie und deren resultierenden Maßnahmen grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung und das Grundgesetz vor.“

Henryk M. Broder, konservativer Publizist:

„Es kommt mir vor, als wäre das Glücksgefühl des Deutschen gebunden an die Erfahrung, unterdrückt zu werden. (…) Ich habe den Eindruck — das erschreckt mich beinahe mehr als die Pandemie —, dass die deutsche Seele aufblüht, wenn ihr Befehle gegeben werden.“

Dieter Nuhr, Kabarettist:

„Freiheitsrechte sind nicht zu diskutieren. Vielmehr müssen die Einschränkungen begründet werden.“

Alle genannten Persönlichkeiten hatte ich bisher nie zu meinen Freunden oder Idolen gerechnet. Broder, der König des schikanösen und ungerechtfertigten Antisemitismusvorwurfs. Nuhr, der früher sehr angepasst wirkende bürgerlich-konservative Fernseh-Spötter. Wendler, der Sänger des beklagenswerten Schlager-Liedchens „Egal“, der offenbar weit mehr Zeit im Bräunungs- und Fitnessstudio als auf politischen Veranstaltungen verbracht hat. Von den hier aufgeführten durchaus gefährlichen Politikern ganz abgesehen. Hinzu kommen noch internationale Superstars der Corona-Skepsis wie Donald Trump und der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro.

Darf man überhaupt noch kritische Fragen zu den Corona-Maßnahmen und ihren Negativfolgen stellen, wenn „die“ mit im Boot sind? Möchte man mit ihnen in ein und derselben Mannschaft sein? Und wenn nicht, sollte man dann nicht besser mit Reinhard Mey schweigen oder mit Udo Lindenberg Corona-Demonstranten als „hirntote Risikopiloten“ beschimpfen?

Hier komme ich zu meinen Einstiegsgedanken über das Tierschutzgesetz der Nazis zurück. Mit denen möchte ich natürlich keinen der genannten „unsympathischen“ Prominenten vergleichen — außer unter dem Aspekt, dass sie meine Gegner sind oder waren. Beifall von der falschen Seite macht nicht die Sache selbst falsch. Wir dürfen uns für Tierschutz engagieren, selbst wenn dies auch Hermann Görings Anliegen war. Tiere bewusst schlecht zu behandeln, um sich von Nazis abzugrenzen, macht keinen Sinn. Es brächte uns sogar denen näher, von denen wir uns angestrengt zu distanzieren versuchen.

Ein Schock für Hannes Wader

Der von mir sehr geschätzte linke Liedermacher-Veteran Hannes Wader hatte vor Jahren eine unheimliche Begegnung der faschistischen Art. Sein rechts orientierter Kollege Frank Rennicke überreichte dem Sänger in einer Konzertpause eine CD mit seiner Version des „Bürgerlieds“, eines Volkslieds, das auch Wader aufgenommen hatte. Offenbar müssen Rechte noch weitere Titel des Altbarden adaptiert haben, denn 2004 veröffentlichte Wader auf seiner CD „Und es wechseln die Zeiten“ einen gesprochenen Text, in dem er sich über die Zweckentfremdung durch Neonazis beklagte:

„Als erklärter Feind alter und neuer Nazis habe ich immer damit rechnen müssen, von ihnen beschimpft und bedroht zu werden. Aber derzeit geschieht etwas, was mich, als ich davon erfuhr, getroffen hat wie ein Stiefeltritt ins Gesicht: Neonazis singen meine Lieder. Nein, das ist kein Witz. Neben Fassungslosigkeit und Zorn empfinde ich auch Scham darüber, dass sich meine Lieder offenbar, so wie sie sind, in das Gegenteil ihrer Bedeutung verkehren lassen und im Dienste dessen missbraucht werden können, was ich auf dieser Welt außer Krieg am meisten verabscheue und fürchte: Nationalismus, Verfolgung Andersdenkender, Fremdenhass bis zur Mordgier.“

Das ist ärgerlich, sicher können sich aber alle, die Wader kennen, darauf einigen, dass ihm selbst hier kein Vorwurf gemacht werden kann. Wie sollte man auch verhindern können, dass Sätze, die man selbst in guter Absicht verfasst hat, in falsche Hände geraten? Entweder, weil die neuen Nutzer deren Sinn verdrehen oder weil die Aussagen so allgemein gehalten waren, dass sie an so gut wie jede Weltanschauung „anschlussfähig“ sind. Man denke dabei zum Beispiel an das ebenfalls von Neonazis adaptiere Volkslied „Die Gedanken sind frei“. Sowohl Wader als auch Heino haben das Heimatlied „Ännchen von Tharau“ gesungen. Beide werden diese unbeabsichtigte geistige Nähe überleben.

Während es aber bei Wader jedem sofort klar ist, dass er bezüglich der Beliebtheit seiner Lieder bei Neonazis unschuldig ist, beharren Corona-Linientreue meist darauf, den Kritikern der Regierungsmaßnahmen jede ähnlich lautende Aussage der AfD unter die Nase zu reiben.

Wer sich im öffentlichen Raum politisch äußert, verwendet deshalb oft mehr Mühe darauf, AfD-Meinungen zu umschiffen, als darauf, sich eine eigene zu bilden.

Die Kontaktschuld-Keule

Erfahrungen mit Beifall von der falschen Seite machte auch Marlene Lufen, Moderatorin des Sat 1-Frühstücksfernsehens sowie der Sendereihe „Promi Big Brother“. Wohl kaum einer hätte sie auf dem Schirm gehabt auf der Suche nach kritischen Prominenten. Stattdessen starrt man wie gebannt auf andere, vermeintlich „Anspruchsvolle“, denen aber kein unfreundliches Wort über die Regierungsmaßnahmen über die Lippen kommt.

Marlene Lufen setzte sich in einem viel gesehenen Instagram-Video vehement für die Opfer der psychosozialen „Nebenwirkungen“ der Corona-Politik ein. Sie recherchierte selbst, befragte Experten für Depressionen und andere seelische Erkrankungen, für Gewalt gegen Frauen und Kinder. Das Ergebnis: Überall nehmen die Notfälle seit Beginn der Epidemie drastisch zu. Die Medien, so Lufen, sind fixiert auf die Infektionszahlen; die Zahl derer, die in der Folge von Isolation, Maßnahmenkoller und De-facto-Berufsverboten beträchtlich leiden, wird dagegen verschwiegen.

Doch Lufen hatte Pech. Die AfD Nordrhein-Westfalens verwendete ihr Foto ohne vorherige Absprache für eine Twitter-Werbeaktion. Dieser „Skandal“ nahm ihrer Aktion den Schwung, dem Einsatz für die Opfer der „Kollateralschäden“ haftet seither ein Makel an. Sie musste sich öffentlich von den Deutschalternativen distanzieren und ging gerichtlich gegen sie vor. Mein Tipp: Wenn Ihnen die Argumente ausgehen und Sie einräumen müssen, dass ein politischer Gegner vollkommen Recht hat — suchen sie nach einem „Rechten“, der etwas ähnliches gesagt hat. Sie können Andersdenkende so mit wenig Mühe ausknocken und müssen sich nicht unnötig in Sachfragen vertiefen.

Auch der Rubikon wurde Opfer von Diffamierungen aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher Überschneidungen seines Corona-Narrativs mit dem der AfD. Das Neue Deutschland widmete dem Webmagazin einen ganzen, natürlich ziemlich ungnädigen Artikel. Sicherlich hatte der Autor, Michael Bittner, bei seinen Recherchen auch nach Indizien gesucht, die den Vorwurf rechtfertigen könnten, die Seite sei „rechts“. Die Ausbeute erwies sich jedoch als ziemlich mager.

Bittner versuchte karikierend, dem Rubikon eine absurde Verschwörungstheorie zu unterstellen. „Die Eliten der ganzen Welt hätten sich mit willfährigen Ärzten, Wissenschaftlern und Journalisten zu einem ‚totalitären Umgestaltungsprojekt‘ verschworen.“ Dann holte er zum finalen Vernichtungsschlag aus: „Damit liegt ‚Rubikon‘ auf der Linie der AfD.“ Mehr kam nicht, keine Begründung, keine weiteren Details. Bittner konnte mit diesen sehr dünnen Anwürfen wohl nur durchkommen, weil er auf sein anspruchsloses Publikum vertrauen durfte.

Unheimliche Begegnungen mit dem Wahlprogramm der AfD

Kein Zweifel: Richtige Aussagen der falschen Leute verursachen bei uns eine Verwirrung der Gefühle und Gedanken. Wenn wir aus dem ideologischen Irrgarten herausfinden wollen, hilft vor allem eine Frage: Ist eine politische These für die betreffende Person oder Partei typisch? Entspricht sie ihrem „Wesen“ oder widerspricht sie diesem eher? Schauen wir uns als Beispiel an, wie es die AfD mit der Freiheit hält. Die Corona-Protestbewegung, die von der AfD teilweise — und verspätet — unterstützt wird, definiert sich ja vor allem durch den Widerstand gegen Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen durch den Staat, der gegenüber seinen Bürgern zu übergriffig geworden ist.

Wenn wir uns das Wahlprogramm der AfD, speziell zum Thema Innen- und Sicherheitspolitik, anschauen, so dominiert der Eindruck einer zutiefst reaktionär und autoritär denkenden Partei. Diese steht für einen „starken Staat“, der gegenüber Regelverletzern „durchgreifen“ sollte. Da findet sich die Forderung nach einer „Erleichterung der Ausweisung, insbesondere die Wiedereinführung der zwingenden Ausweisung auch schon bei geringfügiger Kriminalität“ gegenüber Migranten. Da soll bei jugendlichen Intensivtätern „das Strafmündigkeitsalter auf 12 Jahre abgesenkt werden“. Und natürlich wird pauschal gefordert, man müsse „die Polizei stärken“ — als hätte die bei Corona-Demonstrationen nicht schon genügend „starke“ Auftritte hingelegt.

Generell ist — wie nicht anders zu erwarten — der sicherheitspolitische Diskurs fremdenfeindlich aufgeladen. „Der erhebliche Anteil von Ausländern gerade bei der Gewalt- und Drogenkriminalität führt derzeit viel zu selten zu ausländerrechtlichen Maßnahmen.“ Die AfD ist ferner gegen eine Verschärfung des „ohnehin schon restriktiven Waffenrechts“ sowie für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Coronaskeptische Sprüche hin oder her — wir haben es hier keineswegs mit einer „Freiheitspartei“ zu tun. Wäre die AfD in der Regierungsverantwortung, dürften wir wohl mit einer Ausweitung der Rechte von Polizei und Staat rechnen, speziell im Umgang mit Zuwanderern, mit einem verschärften Strafrecht mit dem Fokus auf Repression statt Wiedereingliederung und mit einer Wiedermilitarisierung des zivilen Lebens. Neben anderen Auswüchsen einer rigiden Geisteshaltung, der die „Buntheit“ des Lebens widerstrebt.

Immer muss im politischen Diskurs auch unterschieden werden zwischen dem Köder und den wahren Absichten des Anglers.

Das heißt: Es könnte gut sein, dass eine AfD-Regierung eine noch weit schlimmere Politik realisiert, als sie vorher angekündigt hat. Allerdings haben wir dasselbe bei CDU und SPD erlebt, die im Wahlkampf ja nicht mit damit geworben hatten, dass sie die Bürger einsperren, die Grundrechte schleifen und das wirtschaftliche Leben des Landes zerstören wollten.

Alice Weidels „Sternstunde“

Noch etwas muss im Auge behalten werden, bevor man Gefahr läuft, „wegen Corona“ den Schulterschluss zur AfD zu suchen. Es ist die Frage des „Framings“. In welchem Kontext steht eine coronaskeptische Äußerung? Die Ex-Parteichefin Alice Weidel griff in einer viel beachteten Rede im Bundestag am 9. Dezember 2020 die Bundeskanzlerin hart an: „Wie viel Unheil wollen Sie in Ihrer verbleibenden Amtszeit noch anrichten?“ Sie zitierte den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz mit seiner Formulierung „Verlogene Lockdownpolitik“ und warf Merkel vor, sie klammere sich „an die untaugliche Holzhammermethode Lockdown, die mehr Kollateralschäden anrichtet, als Nutzen im Kampf gegen das Corona-Virus zu bringen.“

Markus Söder, so Weidel, greife „noch tiefer in die Trickkiste autoritärer Herrschaft“ und sie nannte speziell die Ausgangssperren. Anstatt besonders Gefährdete zu schützen, sperre Angela Merkel die Bürger ein, vernichte Existenzen, treibe ganze Branchen in den Ruin und versuche „bis an den Wohnzimmertisch in das private Leben der Bürger hineinzuregieren“. Über weite Strecken konnte man also mit Weidels Rede recht gut mitgehen. Selbst gegen die Diffamierung von Maßnahmen-Kritikern, gegen Wasserwerfer und Polizeigewalt nahm die AfD-Politikerin Stellung.

Nun kommen wir aber zum „Framing“. Weidel umrahmte die Kritik an der verfehlten Corona-Politik der Kanzlerin, indem sie weitere Missetaten aufzählte: „Die schwersten Grundrechtseingriffe seit Bestehen der deutschen Nachkriegsdemokratie, die Sie zu verantworten haben, reihen sich nahtlos an die drei schweren Rechtsbrüche, die für immer mit Ihren Regierungsjahren verbunden bleiben werden.“ Nun zeigt sich, was Weidel vor allem stört: neben der Umwandlung der EU in eine „Schuldenunion“ vor allem „Energiewende, Kohle- und Atomausstieg“ sowie — ein AfD-typischer Vorwurf — „die unkontrollierte Einwanderung unter Missbrauch des Asylrechts“. Deutschland sei zu einem Land geworden, „das seine Grenzen nicht gegen illegale Einwanderung schützen will, aber seine Bürger mit Ausgangssperren überzieht“.

„Blinde Hühner“ unterwegs

Wir sehen nun deutlich:

Wenn jemand der AfD wegen ihrer Corona-Kritik die Türen seines Herzens weit öffnet, dann schlüpft möglicherweise unbemerkt die Ausländerfeindlichkeit gleich mit hinein.

Ebenso übrigens wie Ignoranz in der Klimafrage. Wenn die Partei die repressive Maßnahmen-Politik der Regierung kritisiert, dann nicht, weil sie generell etwas gegen Repressionen hätte. Vielmehr sollen die jetzt zur Kontrolle der Maskenpflicht eingesetzten Polizisten unmittelbar zum Schutz der deutschen Grenzen gegen illegale Zuwanderer abgestellt werden. Der Tenor von Weidels Ausführungen: Lasst doch unsere deutschen Mitbürger in Frieden und konzentriert euch auf die Bekämpfung derer, die das eigentliche Problem darstellen: die Ausländer.

Ich weiß nicht mit Sicherheit, wie es in einer AfD-geführten Regierung zugehen würde. Meine Vermutung ist aber: Für jedes Problem, das die lösen würden, würden sie mindestens zwei neue schaffen. Man sollte einen zutreffenden Satz aus der „falschen“ Richtung durchaus auch einmal als solchen anerkennen, sollte würdigen, wenn ein „blindes Huhn auch einmal ein Korn findet“. Es ist aber bei all dem wichtig, bei bestimmten Kräften misstrauisch und auf Distanz zu bleiben.

Wir können jetzt zusammenfassend feststellen: Wir werden niemals verhindern können, dass unliebsame Zeitgenossen „unsere Lieder singen“. Und wir werden bestimmte Überschneidungen niemals ausschließen können — schon weil sie mitunter im „allgemein-menschlichen“ Bereich liegen — auch die „Bösen“ müssen essen und schlafen und lieben ihre Kinder, ihren Partner und ihr Haustier. Oder weil auch „Rechte“ mitunter — pro forma oder tatsächlich — an einer intakten Umwelt, am Weltfrieden oder daran interessiert sind, nicht von ihrer Regierung in ihren Wohnungen eingesperrt zu werden. Gegen diese Überschneidungen könnten wir uns nur wehren, wenn wir eine Position in dem Augenblick aufgeben würden, sobald „Rechte“ sie ergreifen — und seien es Umweltschutz, Frieden oder Freiheit. Das wollen wir nicht und das sollten wir auch nicht tun.

Wer ist hier eigentlich „AfD-nah“?

Wir dürfen davon ausgehen, dass es all jenen, die uns aktuell diffamieren — und damit meine ich jetzt die „Mitte“ des politischen Spektrums wie auch die eingebettete „Linke“ — ohnehin nicht um Fairness und Differenzierung geht. Vielmehr sollen wir über Kontaktschuldthesen und das Aufspüren von Überschneidungen mit unbeliebten Personen zu Fall gebracht werden. Diese Strategie ist schon deshalb heuchlerisch, weil die neoliberale, bellizistische und staatsautoritäre „Mitte“ selbst erhebliche Überschneidungen mit der AfD aufweist. Die Flüchtlingspolitik Horst Seehofers etwa weist ihn absolut als Gesinnungsbruder von Alice Weidel & Co. aus. Diese Kritiker, die sich für moralisch blütenrein halten, sind in Wahrheit Steinewerfer im Glashaus. Und ist es nicht eher peinlich, wenn diejenigen, die sich stets für die Guten halten, in der Frage der Grund- und Freiheitsrechte nicht einmal so viel „Protestpotenzial“ aufbringen wie ein Wolfgang Kubicki oder eine Alice Weidel?

Es kommt in dieser verwirrenden politischen Gemengelage darauf an, sorgfältig zu differenzieren — Überschneidungen zu ertragen, wie auch Unterschiede deutlich zu machen. Wichtig ist vor allem, welche Thesen und Verhaltensweisen dem Wesen von „Rechts“ und „Links“ entsprechen. Und noch wichtiger: dem Wesen von „Menschlich“ und „Unmenschlich“.

Wer von sich ehrlich sagen kann, dass er in seinen Lebensäußerungen die Freiheit und die Humanität nicht verraten hat, der kann damit leben, wenn nicht von allen Seiten Hosianna-Gesänge auf ihn niederregnen.

Ich bin ja kein Freund des Spruchs „Viel Feind‘, viel Ehr‘“ — aber um einer guten Sache willen angefeindet zu werden, ist weder eine wirkliche Überraschung, noch ist es ehrenrührig.

Ich habe übrigens nicht zu Ende erzählt, wie Hannes Wader auf den Missbrauch seiner Lieder durch Nazis reagiert hat. Er hat sich aufgeregt, hat den Vorgang publik gemacht, hat sich öffentlich, sogar auf einer CD, von der Weltanschauung der Rechten distanziert. Auch juristische Schritte leitete Wader ein. Eines jedoch hat er nicht getan: Er hörte nicht auf, seine Lieder zu singen.

Und wir sollten nicht aufhören, die unseren zu singen.


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