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Verschwört Euch!

Verschwört Euch!

Sven Böttcher sinniert im Rubikon-Interview über den gegenaufklärerischen Trend, eigenständiges Denken zu pathologisieren.

Bei längeren Interviews mit über 30 Minuten Laufzeit staunen wir bei Rubikon zuweilen nicht schlecht, wenn dann bereits nach wenigen Sekunden oder Minuten schon die ersten Kommentare darunter stehen. Liest man diese, stellt man fest, dass so manches Klischee über Schwurbler doch seine Daseinsberechtigung hat. Häufig beinhalten diese Kommentare — bar jeden Bezugs zu den Inhalten des Interviews — warnende Hinweise vor der Neuesten Neuen Weltordnung, vor finsteren Plänen. Zudem findet man den Rat, man müsse unbedingt ganz wichtige Videos teilen, damit die finsteren Mächte im Hintergrund ob der hohen Klickzahlen zu zittern beginnen. So gibt es scheinbar wirklich verlorene Seelen in den Weiten des Netzes, die einfach wahllos jeden Videobeitrag anklicken, um dort ihren alarmierenden Senf unter die virtuellen Leute zu bringen.

Bedauerlicherweise liefern diese Menschen — ohne dass sie dies vermutlich beabsichtigen — den Stoff, aus dem die Stricke gemacht werden, die dieser Tage sämtlichen Menschen um den Hals gebunden werden, die es auch nur wagen, das genehmigte Corona-Narrativ anzutasten. Allesamt werden diese als Spinner, Verschwörungstheoretiker und sektiererische Anhänger dubioser Glaubensgemeinschaften gebrandmarkt.

In meinem ausführlichen Artikel zum Thema Verschwörungstheorie als Kampfbegriff vom April 2019, sah ich diese Entwicklung bereits kommen. Zur damaligen Zeit, die in ihrer Explosivität in keinster Weise mit der heutigen zu vergleichen ist, schrieb ich bereits:

„im Pressespiegel (wurde) sprachlich eine neue Eskalationsstufe gezündet. Es fallen nicht mehr nur Worte des Hohnes und des Spottes, sondern des Kampfes! Heutzutage geht es um ‚den Kampf gegen Verschwörungstheoretiker‘. Es reicht nicht mehr, sich über sie lustig zu machen, ihren Lack zu ruinieren. Nein! Sie müssen jetzt bekämpft werden! Zum Schweigen gebracht und unschädlich gemacht werden! (…) Ich bekomme Angst, ob der geistigen Eindimensionalität der breiten Masse, ganz gleich ob jung oder alt, die häufig lediglich nur noch dazu imstande ist, in kurzen Parolen, hippen, kecken Sprüchen oder gar nur in #Hashtags zu denken. Teilweise wollen viele deutsche Mitmenschen gar keine Gegenargumente mehr hören, da eine Auseinandersetzung mit diesen einiges an Zeit und Denkaufwand kosten würde. Eine solch eindimensionale Denkweise, die außerstande ist, im 360-Grad-Raum zu denken, macht es natürlich wunderbar einfach, das Feindbild des ‚Verschwörungstheoretikers‘ zu programmieren und die Geister darauf zu konditionieren.“

Einiges von dem, was ich antizipierte, bewahrheitete sich — oder noch schlimmer — übertrumpfte das, was ich mir zum damaligen Zeitpunkt vorstellte.

Verschwörungstheoretiker — Verlorene Kinder und Patienten zugleich

So finden sich heute in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen Anleitungen, wie man denn damit umgehen solle, wenn plötzlich Freunde oder Familienmitglieder Verschwörungstheorien anheimfallen. Bis ins Detail wird dargelegt, wie man mit derlei bedauerlichen Fällen menschlicher Existenzen umzugehen habe, ob und inwieweit das Social Distancing vielleicht erweitert werden müsse, damit auch dieser geistige Virus sich nicht noch weiter Bahn bricht. Man zieht sämtliche Register der Küchen-Philosophie, um sich irgendwelche Psycho-Krankheitsbilder aus dem ideologischen Hintern zu ziehen, die man den Selbstdenkenden anheften kann.

Wer eine Meinung abseits der Regierungslinie — ach was! — der Parlamentslinie vertritt — die Trennlinie zwischen Regierung und Opposition ist ja mittlerweile gänzlich verschwommen — ist ein für den Staat verlorenes Kind, ein kranker Ausreißer, der Mutti Merkel und Vater Staat entflohen ist.

Besonders bizarr wird diese Erzählung über die Abweichler in einer ARD-Satire-Dokumentation — die sich selber nicht als Satire verstehen möchte — dargestellt. Satire deswegen, da das Skript an allen Enden und Ecken dieser Dokumentation hervorquillt und es wahrhaftigem Geschwurbel gleichkommen würde zu behaupten, diese Dokumentation sei authentisch und nicht geskripted. Es wird peinlich genau jedes, wirklich jedes Klischee wie bei einer Checkliste abgearbeitet, damit wirklich der Letzte versteht, was die Abweichler für Spinner seien. Im Konkreten handelt es sich bei diesen Abweichlern um ehemalige Verschwörungstheoretiker, die durch dieses sogenannte Internet in den Strudel der Verschwörungstheorien gerissen und dadurch Freunde, Familie, die Ehefrau, sprich ihr soziales Leben verloren haben.

Die Macher bedienen sich bei der Porträtierung dieser zwei „Verschwörungsaussteiger“ eines ganz eigenen Verschwörungsmythos: Alle Abweichler würden institutionalisiert, in trauter Einigkeit und mit der starren Hierarchie einer Sekte agieren. So als gebe es einen eingetragenen Truther-Verein oder eine Aluhut-Kirche. Ein Verbund, der die Abgehängten der Gesellschaft vereinigt, ihnen das Gefühl gibt, in diesen Riegen etwas ganz besonderes, Erwachte zu sein, ein Neo, der die Matrix verlassen habe und nun auf dem rechten Wege zur Wahrheit sei. So wie die beiden Protagonisten dieser „Dokumentation“, deren Inhalt — man muss es oft genug erwähnen — geschauspielert sein muss! Es werden haargenau dieselben Narration-Schablonen herangezogen, die man sonst bei Dokumentationen anwendet, um Aussteiger aus der Neonazi- oder Salafisten-Szene zu porträtieren.

Erst gerieten sie in diese Kreise, radikalisierten sich, verloren ihr soziales Umfeld, dann wachten sie – schon wieder – auf und schafften letztlich den Absprung. Nicht frei von Hindernissen, schließlich hatten sie ihr altes Umfeld verloren und wurden jetzt auch noch aus dem Kreis der Aluhüte bedroht. Was das für Drohungen gewesen sein sollen — Verpetzen bei der Annunaki-Polizei oder das Runterstoßen von der Kante der Flacherde — lassen die Macher offen. Man bedient sich haarklein der selben Rahmenerzählung von Aussteigern extremistischer Milieus, um Abweichler in die selbe Ecke zu rücken.

All das, nur um eines nicht zu machen: sich mit dem Inhalt der Kritik auseinanderzusetzen.

Nein, bloß nicht! Davor wird sogar gewarnt. Man solle sich ja auf keine Diskussion mit einem Verschwörungstheoretiker einlassen, weil — hört! hört! — er sich davor schon viel mit dem Thema befasst habe. Das ist auch wieder ein geistiger Purzelbaum, den man kinästhetisch rekonstruieren muss. Spinner ist nicht der, der sich mit einer Thematik nicht auseinandergesetzt hat und lediglich den immer gleichen Experten nach dem Mund redet, sondern der, der sich mit einem Gegenstand ausgewogen (!) befasst hat. Die Problematik einer einseitigen Annäherung an ein Thema in einer Weise, die nur das eigene Weltbild nährt, soll hierbei keinesfalls in Abrede gestellt werden.

Man unterstellt dieser Gruppe pauschal, den Gegenstand nur einseitig und nicht ergebnisoffen betrachtet zu haben, von Faktenbasiertheit ganz zu schweigen. Man darf sich mit den Argumenten dieser Gebrandmarkten nicht auseinandersetzen! Denn würde man dies tun und dann feststellen, dass ihre Thesen gar nicht so sehr an den Haaren herbeigezogen sind und sie auch über ein ordentliches wissenschaftliches Fundament verfügen, dann würde nämlich folgendes geschehen: Das Axiom, welches der Pathologisierung zugrunde liegt, würde sehr rasch seine Grundlage verlieren und einkrachen. Und dieses Axiom besagt, dass diese sogenannten Verschwörungstheoretiker allesamt durchgeknallt, geisteskrank und absolut außerstande seien, sich vernunftbasiert und Kraft ihres gesunden Menschenverstandes der Realität anzunähern.

Dieses Axiom ist der ideologische Verkehrspolizist, der immer dann zur Stelle ist, wenn das derzeit herrschende System einen Rohrbruch hat, Widersprüche wie eine nach Fäulnis miefende, grünliche Brühe ans Tageslicht treten und die Gefahr droht, dass Menschen durch den beißenden Gestank aus ihrer Hypnose erwachen. Dann, genau dann kommt der Verkehrspolizist, also das Axiom mit ausgebreiteten Armen und weist die potenziell neugierig werdenden Umstehenden, die Über-den-Tellerrand-Gaffer zurecht.

„Bitte weitergehen! Hier gibt es nicht zu sehen! Hier hat nur eine Säule gebrannt!“ „Bitte gehen Sie jetzt weiter, diese Dunstabzugshauben sind Massenvernichtungswaffen.“ „Bitte nicht hinsehen, hier werden gerade Babys von Irakern aus Brutkästen geworfen. Bitte weitergehen!“

Um dieses Axiom wird ein Draht mit Starkstrom gespannt, auf dass niemand es wagt, es anzutasten oder gar auf die verrückte Idee kommt, mit einem Delinquenten ins Gespräch zu kommen, der den Stempel des Verschwörungstheoretikers aufgedrückt bekommen hat.

Die Tinte im Stempelkissen des Verschwörungstheoretiker-Stempels ist eine solch aggressive Flüssigkeit, dass sie sogar akademische Titel durchdringt. Ein Doktor- oder gar Professorentitel und jahrelange wissenschaftliche Reputation schützen einen nicht davor, dass einem der Faktenfuchs ans Bein pinkelt.

Und wenn wir schon bei Menschen mit einer wissenschaftlichen Reputation sind, dann können wir in der ganzen Covid-1984-Farce ein weiteres interessantes Phänomen beobachten. Eine — neue — Unterteilung von Experten in zwei unterschiedliche Klassen.

Da gibt es zu einem die Klasse der Experten, die man für Interviews oder gar zu regelmäßigen Podcasts einlädt und dann die Klasse der Experten, die lediglich mit einem Faktencheck beglückt werden, der zumeist die Absicht hat, dem Gecheckten jegliche Kompetenz trotz seiner akademischen Laufbahn abzusprechen.

Den einen Experten lauscht man andächtig, hängt ihnen an den Lippen und den anderen klebt man die Lippen zu und erdreistet sich, sie mit einem kurzen „Check“ als Spinner abzuqualifizieren.

Dabei verdient es das Wort „Check“ genauer unter die Lupe genommen zu werden. Einen Check zu machen, bedeutet im Grunde genommen, kurz und grob eine Kontrolle durchzuführen, ob etwas funktioniert oder zusammenpasst. Das bedeutet, man befasst sich mit einer Materie nicht tiefgreifend, sondern wirft nur einen kurzen Blick drauf und beurteilt, ob etwas Sinn ergibt oder schlüssig ist.

Wer sind also diese unverschämt dreisten, nennen wir sie mal „Journalisten“, die sich einerseits von Experten der erstgenannten Klasse alles haarklein — teils ohne kritisches Nachfragen — erklären lassen, aber dann bei den Experten der anderen Klasse meinen, sie könnten deren jahrelange, manchmal jahrzehntelange Erfahrung und Forschungsarbeit mit einer zehnminütigen Google-Recherche wegfegen?

Zeitalter der Gegenaufklärung

In Sachen Aufklärung haben wir schon länger den Rückwärtsgang eingelegt. Aber seit der Coronoia geben wir auch noch Vollgas und rasen mit dem Blick nach vorne nach hinten in die Geschichte, in Richtung mittelalterlich anmutender Zeiten. Nun heißt es wieder Dogma, statt Zweifel. Glauben statt Wissen. Und auch das Vermögen vieler, sich einen gesunden, klaren Geist zu bewahren, scheint abhanden gekommen zu sein.

Wir fallen vielleicht nicht mehr in die Zeiten vor dem Guttenberg-Zeitalter, also vor der Erfindung des Buchdrucks zurück. Aber dennoch sind die Zeichen alarmierend, sieht man, dass Buchverkäufe dramatisch sinken, Analphabeten-Quoten steigen und selbst die sich als gebildet verstehende Bildungsbürgerschaft sich häufig nur noch in der Digital-Primatensprache aus Hashtags und sehr kurzen Posting-Texten auszudrücken vermag. Die Langlebigkeit eines Buchs auf dem Buchmarkt wird durch die visuelle Prägnanz seines Buchcovers sowie der provokativen Aufmachung des Titels bestimmt. Inhalte sind nachrangig.

Die Menschen — ganz gleich welcher Schicht — lesen weniger. Wann auch? Gilt es doch jeden Tag aufs Neue, die nächste Sau — aktuell „Verschwörungstheoretiker“ — durchs digitale Dorf zu treiben und sich in langen Kommentar-Battles darüber zu echauffieren. Dann gilt es noch, sich die nächste Must-See-Netflix-Dokumentation anzusehen, um mitreden zu können. Und wer darf schon den nächsten Output von Böhmermann oder das nächste Zerstörervideo von dem Schlumpfkopf auf YouTube verpassen? Ja, der Mensch der 2020er scheint einfach nicht mehr die Zeit zu haben, seinen Geist in ruhigen Stunden mit der Literatur guter Sachbücher zu düngen und dadurch die Perspektive zu erweitern. Und das ist die weit verbreitete Grundstruktur der breiten Masse, die dadurch beliebig gelenkt werden kann.

Wir erleben dieser Tage die dramatische Dynamisierung eines sich zuspitzenden Gesellschaftsphänomens, welches das eigenständige Denken tabuisiert, und jene, die es dennoch tun, kriminalisiert.

Gemäß dem Gesetz, dass die Energie der Aufmerksamkeit folgt, wird im verbitterten Engagement, Verschwörungspraktiken zu leugnen, vom Kollektiv unbewusst eine ganz eigene Verschwörungstheorie konstruiert. Nämlich die Verschwörungstheorie, dass es gar keine Verschwörung gibt.

Derzeit ackern wir uns noch an dem unerreichbaren Ziel ab, bei 10 hoch 33 — meist freundlich gesinnten — Viren auf dem Planeten eine komplett sterile Welt zu schaffen. Doch damit nicht genug! Massenmedial wird das Bild einer Welt skizziert, die — abgesehen von Kreml-Aktivitäten — von jeglichen Verschwörungen getilgt oder besser gesagt desinfiziert ist. Dem Sich-Zusammen-Schließen zweier oder mehrerer Personen oder Institutionen, mit der Absicht ein gemeinsames Ziel zum eigenen Vorteil und zum Nachteil eines oder mehrerer Dritter zu verfolgen, wird die Existenz abgesprochen.

Doch für was brauchen wir in so einer Welt noch Kartellbehörden? Oder Geheimdienste? Sind das dann nicht auch alles Verschwörungstheoretiker? Institutionalisierte Verschwörungstheoretiker, die auch noch von Steuergeldern finanziert werden!

Es entsteht ein gänzlich neues Glaubensdogma. Das Dogma, der Verschwörungsleugnung.

Völlig frei von gedanklichen Schranken und wenn überhaupt mit Scheuklappen, dann nur mit solchen, die so gefestigt sind wie lose Fensterläden bei Orkanböen, sinnierte Autor Sven Böttcher im Gespräch mit Jens Lehrich über diese Themen.



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