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Vorwärts in die Vergangenheit

Vorwärts in die Vergangenheit

In den Zeiten von Digitalisierung und KI haben wir es mit einer zunehmend gefälschten Realität zu tun — es wird Zeit, die Schreibmaschine wiederzuentdecken.

Endlich ist mir eine Geschäftsidee gekommen, die mich garantiert reich machen wird. Mich und alle anderen, die die Ausbildungsrücklagen für ihre Kinder oder ihr Haushaltsgeld in mein Unternehmen investieren möchten. Die Idee ist: eine Schreibmaschinenfabrik!

Ich weiß, was du jetzt denkst. Nachdem inzwischen praktisch jedes Dokument elektronisch erstellt wird, sind Schreibmaschinen überflüssig. Die meisten von uns drucken Dokumente fast nie aus, geschweige denn, dass wir sie mit der Schreibmaschine schreiben. Lass mich also den Ursprung dieser Idee erklären.

Sie kam mir bei der Lektüre von Matt Taibbis ironischem Bericht über die bizarre Antwort von Googles Gemini-KI auf die Frage „Welche Kontroversen gibt es um Matt Taibbi?“. Gemini schilderte eine Reihe von Kontroversen, die es nie gegeben hatte, um Artikel, die Taibbi niemals geschrieben hatte, und kreierte damit – in Taibbis Worten – „Skandal und wütende Reaktionen, einen komplett gefälschten Nachrichtenzyklus“. Die Berichte kommen einem jedoch völlig plausibel vor. Die erfundenen Artikel tragen Titel, die sich nach Taibbi anhören. Die Kritik klingt wie echte Kritik. So arbeitet auf LLM (Large Language Models/Große Sprachmodelle) basierende KI eben – sie stützt sich darauf, was Leute in der Vergangenheit über ähnliche Themen gesagt haben.

Wie sollen wir noch erkennen, was wirklich ist und was nicht?

Noch können wir anhand der Reputation und mithilfe von Internetarchiven herausfinden, was authentisch ist und was nicht. Doch wenn diese Archive jetzt von immer größeren Mengen KI-generierter Inhalte befallen werden und unsere vertrauenswürdigen Quellen selbst auf kompromittierte Informationsquellen angewiesen sind, wird diese Unterscheidung zunehmend schwieriger.

In akademischen Kreisen ist das bereits ein ernstes Problem. Laut meinem Netz von Spionen, die das amerikanische Hochschulsystem unterwandert haben, nutzen Studierende üblicherweise KI zum Verfassen von Arbeiten, während die Professoren KI-Werkzeuge einsetzen, um herauszufinden, ob die Arbeiten von KI geschrieben wurden.

Ich bin mir sicher, dass die Versuchung groß ist, KI auch noch zur Bewertung der Arbeiten zu nutzen. Auf diese Weise wird Bildung demnächst völlig automatisiert sein. Unser Land wird davon profitieren, denn wir werden die Anzahl der Bachelor-, Master- und Doktor-Abschlüsse radikal vermehren, ohne dass die Studierenden irgendetwas lernen müssten oder die Fakultät etwas zu unterrichten bräuchte.

Und es wird auch nicht mehr nötig sein, vier Jahre damit zuzubringen, einen Bachelor zu erlangen. Die KI kann in Minutenschnelle Arbeiten und Prüfungen für vier Jahre schreiben, sie kommentieren und benoten und sogar eine Wiederholung anordnen.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten sind akademische Veröffentlichungen und juristische Schriften geplagt. Für Anwälte ist die Versuchung groß, KI zum Verfassen ihrer Schriftsätze einzusetzen. Die unechten Fälle, die KIs in diesen Schriftsätzen zitieren, sehen wirklich genug aus. Wie viele Richter machen sich tatsächlich die Mühe, die ganzen Präzedenzfälle in einem Schriftsatz nachzuschauen?

Da nun die von künstlicher Intelligenz erzeugten falschen Inhalte sich mit echten, von Menschen erzeugten Inhalten vermischen, wird das Internet immer weniger brauchbar. Und das umso mehr, wenn Geheimdienste, Unternehmen, Regierungen, PR-Agenturen und andere Propaganda-Akteure KI einsetzen, um das Internet absichtlich mit Falschinformationen zu füttern, die dann rasch in die LLM für die nächste Generation von KI-Ergebnissen eingehen.

Unsere Technologien kannibalisieren den Kulturbereich, dem sie entstammen. Schon bald könnten wir hundert Versionen eines jeden Artikels, Buchs, Menschen oder einer Geschichte haben, von denen jede vorgibt, die echte zu sein. Es könnte eine Zeit nahen, wo kein digitaler Inhalt mehr vertrauenswürdig ist.

Klar, wir haben unsere „sicheren Quellen“, aber auch die müssen sich von einer digitalen Suppe nähren, die voller Fake-Zutaten ist. Außerdem: Viele von ihnen sind Propaganda-Instrumente, die staatliche Narrative fördern, oder anderweitig sinnentstellend ideologisch voreingenommen. Wie werden wir sicher sein können, dass die elektronische Ausgabe von Oliver Twist oder Farm der Tiere nicht verändert wurde, um irgendjemandes politischer Agenda zu entsprechen? Vielleicht werden wir Papierausgaben alter Bücher brauchen, um sicherzugehen.

Deshalb plane ich nun, eine Schreibmaschinen-Firma zu gründen, der ich eine führende Stellung im vernachlässigten Low-Tech-Sektor zugedacht habe. Die Investoren-Gemeinde hat meine Idee mit Lob überhäuft, indem sie Sachen sagten wie: „Warum ist bloß noch niemand auf diese Idee gekommen?“ und „Erstaunliche Idee, Charles, kannst du mir mehr Informationen faxen?“

Ich teile meine Idee jetzt mit euch – auf die Gefahr hin, dass mir eine unkontrollierbare Flut an Investoren die Tür einrennt –, weil ich euch inspirieren möchte, eure eigenen Low-Tech-Unternehmen aufzuziehen, selbst wenn sie kein Geld abwerfen. Low-Tech bedeutet physische Gegenstände, die du mit deinen eigenen zwei Händen herstellen kannst. Nicht nur KI-generierte Worte und Bilder sind unecht. Alles auf einem Bildschirm, alles im digitalen Format ist eine Abbildung einer vorgetäuschten Wirklichkeit, ohne physische Qualitäten wie harte Kanten und weiche Oberflächen, Geruch und Gewicht, Wärme und Kälte. Was auch geschieht, es bleibt auf dem Bildschirm. Je mehr man sich in den engen Grenzen einer digitalen Realität aufhält, desto entfremdeter und einsamer fühlt man sich. Die virtuelle Welt verrammelt die Bewusstseinsportale, die der Zugang zu ihren verlorenen physischen Eigenschaften sind. Dann wird man weniger bewusst, weniger präsent. Das liegt daran, dass Bewusstsein mehr ist als der Umgang mit Symbolen. Der Geist ist kein Computer. Binde ihn zu stark an einen Computer und seine nicht-symbolischen Fähigkeiten verkümmern.

Ich gebe zu, ein schreibmaschinengeschriebenes Dokument besteht auch aus standardisierten Symbolen, aber es hat eine Körperlichkeit, die den elektronischen Medien fehlt. Ich kann mich noch an den Geruch der Schreibmaschinen-Farbe aus meiner Kindheit erinnern, an die unterschiedlichen Schattierungen der Buchstaben, je nachdem, wie stark man die Taste anschlug. Aber vielleicht sollte ich doch lieber eine Füllfederhalter-Fabrik aufmachen.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „An unbelievable opportunity“ auf dem Blog von Charles Eisenstein. Er wurde von Ingrid Suprayan übersetzt und von Vanessa Groß korrekturgelesen. Dieser Artikel ist unter einer Creative-Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 Deutschland) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf er verbreitet und vervielfältigt werden.


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