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Warum ist Palästina wichtig?

Warum ist Palästina wichtig?

Es gibt gute Gründe, nach Palästina zu schauen.

Warum ist Palästina wichtig?
von Sheldon Richman

Warum ist Palästina wichtig? Diese Frage stelle ich mir fast täglich. Man könnte sie auch anders stellen: „Macht man sich einer Besessenheit verdächtig, wenn man der Not und dem Leid der Palästinenser einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit widmet oder ist diese Aufmerksamkeit eine angemessene Reaktion auf eine schlimme historische und anhaltende Ungerechtigkeit?“
Es kommt wahrscheinlich wenig überraschend, wenn ich antworte, dass große Aufmerksamkeit eine angemessene Reaktion ist. Palästina ist wichtig und sollte auch wichtig sein. Ich werde versuchen zu erklären, warum.

Apartheid

Erstens, und vielleicht am grundlegendsten, erfordert die schiere Grausamkeit – das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen, der Verletzung natürlicher individueller Rechte also –, mit der Israel die Palästinenser behandelt, die Aufmerksamkeit all jener, denen Freiheit und andere (klassische) liberale Tugenden am Herzen liegen: Gerechtigkeit, soziale Kooperation, freier Austausch und Frieden.

Lassen Sie uns mit den besetzten palästinensischen Gebieten beginnen. B´Tselem, das Israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten, erklärt ganz zentral auf seiner Website: „Israels Besatzungs-Regime ist aufs Engste mit Menschenrechtsverletzungen verknüpft.“ Jeder, der die Scheuklappen des offiziellen Narrativs ablegt, wird sich der institutionellen Hürden schmerzlich bewusst, die das Alltagsleben verunmöglichen – ganz zu schweigen von der tatsächlichen Zerstörung von Leben. All dies sind feste Bestandteile der Herrschaft Israels über die Westbank (mit fast 3 Millionen Palästinensern), Ost-Jerusalem (über 300.000) und den Gaza-Streifen (fast 2 Millionen).

Es ist sicher keine Übertreibung, das System als ein Beispiel für Apartheid zu beschreiben – eine Bezeichnung, die israelische Menschenrechtsorganisationen und frühere Regierungsbeamte benutzen (schon 1976 verwendete der damalige israelische Premierminister Jitzchak Rabin diesen Ausdruck als Warnung – genau wie Israels erster Premierminister, David Ben-Gurion, nach seinem Rückzug aus allen politischen Ämtern nach dem Krieg von 1967).

Wassermangel für die einen, Pools für die anderen

Seit über einem halben Jahrhundert leben die palästinensischen Einwohner dieser Gebiete bereits unter einer brutalen Militärherrschaft. Diese Herrschaft äußert sich in „niederschwelliger“ Unterdrückung, beispielsweise in Form von Checkpoints (sogar für Krankenwagen), Reisegenehmigungen, Straßen, die nur für Juden bestimmt sind und eine tägliche Demütigung für die Palästinenser bedeuten, dazu noch Belästigungen und Soldaten, die nach Lust und Laune die belagerte Bevölkerung unter Kontrolle halten.

Stellen Sie sich vor, ein normales Leben zu führen – arbeiten zu gehen, sich um Ihre Kinder zu kümmern –, ohne zu wissen, wie lange Sie auf dem Weg von A nach B aufgehalten werden, weil Sie angehalten, befragt, durchsucht werden von unverantwortlichen, schwer bewaffneten Regierungsbeamten, die Sie wegen Ihrer Rasse, Ethnie oder Religion nicht mögen oder die Menschen misstrauen, die es natürlich hassen, unterdrückt zu werden. Stellen Sie sich weiter vor, ein Leben in Armut zu führen, ein Leben, in dem Wasser (im trockenen Mittleren Osten!), Strom und Bildung knapp und nicht zuverlässig zu haben sind, ganz einfach, weil die staatlichen Versorgungsunternehmen subventionierte, solvente Siedler bevorzugen, von denen viele aus den USA kommen und in der Nähe wohnen.

Dass Palästinenser Wassermangel erleiden müssen, während sich gleichzeitig Juden in Swimming Pools tummeln, ist so himmelschreiend, dass es keines Kommentars bedarf.

Nackte Gewalt

Diese tägliche Misshandlung akzentuiert die Militärregierung regelmäßig durch unverhohlene Gewalt: durch brutales Verprügeln, Folter, Morde, die Zerstörung von Häusern als kollektive Bestrafung und zur ethnischen Säuberung, unbegrenzte Inhaftierung ohne Anklage oder Gerichtsverfahren und so weiter. Diese Methoden kommen immer dann verstärkt zur Anwendung, wenn Palästinenser größtenteils gewaltfreie Intifadas (Aufstände) machen und massiven zivilen Ungehorsam üben. All dies würde, so hofft man zumindest, in den USA und überall sonst im Westen als untragbar angesehen werden.

Vergessen wir aber auch nicht Israels fortdauernde de-facto-Annexion der Westbank (Ost-Jerusalem ist de jure annektiert worden) durch die Ausbreitung der nach dem Völkerrecht illegalen Siedlungen, die ausschließlich für Juden bestimmt sind – und vergegenwärtigen wir uns auch die Mauer, die sich durch die Westbank schlängelt und palästinensische Städte isoliert, Gemeinschaften voneinander und von ihrem Ackerland trennt sowie die „Zwei-Staaten-Lösung“ verhöhnt (nicht dass Israels Staatschefs jemals vorgehabt hätten, die Gebiete zu räumen, die sie 1967 während eines gewollten Expansionskrieges gegen vier arabische Nationen erobert hatten. In diesem Krieg griff die israelische Luftwaffe auch das US-Geheimdienstschiff USS Liberty an und tötete dabei 34 Matrosen und verletzte mehr als 170).

Der Horror im Gazastreifen

Dieser Horror kommt jedoch nicht annähernd dem gleich, was die fast zwei Millionen Menschen, die Hälfte davon Kinder, im stark besiedelten Gazastreifen heute erleben. Ihr Gebiet wurde selbst von Israelis bereits als Freiluftgefängnis beschrieben.
Israels Verteidiger behaupten, dass der jüdische Staat sich vor mehr als zehn Jahren „zurückgezogen“ habe, ohne eine Friedensdividende dafür erhalten zu haben. Dies ist jedoch irreführend. Ja, das Militär hat sich entfernt, und die Siedler sind mit ihm gezogen. Man könnte aber genauso Gefängniswärtern zujubeln, wenn sie sich lediglich aus dem Gefängnis zurückziehen, um ihre Posten außerhalb der Gefängnismauern einzunehmen. Während der bereits zehn Jahre bestehenden Blockade bestimmt der Staat, wer oder was Zugang zu Gaza bekommt und es verlassen darf. Wie Norman Finkelstein in seiner umfangreichen Forschung zu Gaza betont, dürfen nicht einmal Spielsachen, Schokolade und Kartoffelchips eingeführt werden. Das Trinkwasser ist verseucht, weil die Blockade auch Ersatzteile für Anlagen betrifft, die das israelische Militär zerstört hat.

Palästinenser, die sich zu nahe an den Zaun entlang der Grenze in Gaza heranwagen, riskieren es, von Soldaten beschossen zu werden. Friedliche Demonstranten in großer Entfernung vom Zaun gehen das gleiche Risiko ein. Israel kontrolliert auch die Mittelmeerküste am Gazastreifen, was die wichtige Fischerei jenseits einer bestimmten Linie beeinträchtigt. Näher zum Land hin sind die Fische mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Abwässer vergiftet, den Grund dafür haben wir bereits erfahren.

Diese tägliche Not – selbst dieser Ausdruck ist eine Untertreibung der Wirklichkeit – wird durch regelmäßige Massaker unterstrichen, die nach dem Völkerrecht nichts anderes sind als Terrorismus und die von israelischen Kampfflugzeugen, Drohnen und Bodentruppen ausgeführt werden: unglaublich brutale Angriffe, die viele Zivilisten, einschließlich Kinder, getötet und verstümmelt, sowie Tausende von zerstörten Häusern und Tonnen über Tonnen an Schutt und Trümmern hinterlassen haben.

Diese gewaltsamen Attacken gegen die Menschen in Gaza, mit einem Maß an Gewalt, das selbst jene Menschen schockiert, die sich in den schlimmsten Kriegsgebieten aufgehalten haben, dienen zweierlei Zielen:
Anderen gegenüber Israels Abschreckungsmacht zu demonstrieren (nach demütigenden Niederlagen durch die Hisbollah im Südlibanon) und „den Rasen kurz zu halten“, das heißt, die Menschen in einem Stadium von Mangelernährung und fehlendem Kampfgeist zu halten, damit sie keinen Widerstand leisten können, nicht einmal gewaltlosen Widerstand.
„Israels Modus Operandi für die Wiederherstellung seiner Abschreckungskapazitäten“, so Finkelstein, „entwickelte sich zu einer Kurve, die zunehmend in die Barbarei zurückfällt.“ Nachdem viele Experten davon ausgehen, dass Gaza bald „unbewohnbar“ sein wird, nimmt diese Kampagne die Dimensionen eines Völkermordes an.

Die Rolle der Hamas

„Aber die Hamas …“ ist kein Gegenargument für das eben Beschriebene. Israel hat in den 1980ern den Aufbau der muslimischen Hamas unterstützt und zwar in einer „teile und herrsche“-Aktion, also als Konkurrenz zur säkularen Fatah und zur PLO, die Israel bereits als Staat anerkannt und somit 78 Prozent des historischen Palästina den Zionisten zugestanden hatten. Der Einfluss der Hamas ist eine direkte Folge von Israels Weigerung, in guter Absicht mit der moderaten palästinensischen Führung zu sprechen. Kurz gesagt: Die Hamas ist eine von Israel hausgemachte Bedrohung.
Zudem hat Israel mehrmals Waffenstillstände verletzt, die die Hamas eingehalten hatte. Als die Hamas dann mit fälschlicherweise „Raketen“ genannten Reaktionen aufwartete, antwortete Israel mit ungeheuerlicher Gewalt, tötete dabei viele Unbeteiligte, darunter auch Kinder, und legte Gaza in Schutt und Asche.

„Falsche“ Wahlergebnisse

Außerdem wählten die Palästinenser in Gaza während George W. Bushs Amtszeit im Jahr 2006 die Hamas in einer überwachten und fairen Wahl, weil sie von der Korruption und Untauglichkeit der palästinensischen Führung der Westbank genug hatten. Für diese Wahl wurden sie mit harten Sanktionen von Seiten der USA und der EU bestraft. Eine weitere Folge war ein von den USA unterstützter, misslungener Putschversuch durch die Palästinensische Autonomiebehörde – Israels Subunternehmer für innere Sicherheit in den besetzen Gebieten. (Die bankrotte PLO-Führung hat diesen lukrativen Kollaborationsauftrag im Rahmen des trügerischen Abkommens von Oslo übernommen).
Bushs Funktionäre hatten zwar eine Wahl in Gaza verlangt, bereuten dies jedoch, als sie die Ergebnisse sahen.

In der Tat hat die Bush-Kritikerin und Senatorin Hillary Clinton nach der Wahl gesagt, „Ich finde nicht, dass wir auf Wahlen in den besetzten Gebieten hätten drängen sollen. Aber wenn wir uns schon unbedingt dafür einsetzen mussten, hätten wir zumindest dafür sorgen müssen, zu bestimmen, wer gewinnt“. (Was sagt sie jetzt noch gleich über angebliche russische Wahl-Einmischungen, die sie davon abgehalten hätten, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen?)

Am Wichtigsten ist jedoch, dass die Hamas ihre aufrührerische Charta dahingehend verändert hat, dass sie nun – im Gegensatz zu späteren israelischen Regierungen – Israels Grenzen von 1967, also die Zweistaatenlösung, akzeptiert. Diese sieht nach dem Völkerrecht einen vollständigen Rückzug Israels – einschließlich Siedlungen und Mauer – aus der Westbank und aus Gaza vor. Das spielt aber keine Rolle. Die Hamas war einfach eine viel zu willkommene Ausrede für Israel zu behaupten, keinen einheitlichen Partner für den Frieden zu haben. Als die Hamas sich dann aber mit der palästinensischen Regierung der Westbank zusammentat, behauptete Israel, es könne mit keinem Partner der Hamas sprechen – obwohl dieser Partner 78 Prozent Palästinas an Israel abgetreten hatte, wie die PLO vor 30 Jahren schon.
(Auf den verbliebenen 22 Prozent, mit denen sich die Palästinenser abgefunden hätten, baute Israel Siedlungen für 600.000 Juden und kontrolliert im Übrigen mehr als die Hälfte dieses Gebietes direkt).

Die Hamas muss jedenfalls vor dem Hintergrund größerer Zusammenhänge beurteilt werden, nämlich der israelischen Besatzung, der de-facto-Annexion palästinensischen Eigentums und der totalen Unterjochung des palästinensischen Volkes. Zivilisten zu töten ist natürlich unmoralisch, aber Israel, das routinemäßig Wohngebiete in Gaza und der Westbank beschießt, hat hier auch keine weiße Weste.

Bürger dritter Klasse

Die 1,5 Millionen palästinensischen „Staatsbürger“ innerhalb Israels (20 Prozent der Bevölkerung) haben es besser als ihre Pendants in den israelisch besetzten Gebieten, aber nur geringfügig.
Nachdem sie zwischen 1948 und 1966 unter einer Militärherrschaft gelebt hatten, ließen sich die Palästinenser in Israel als Bürger zweiter, oder eher dritter, Klasse nieder.
Als selbsternannter jüdischer Staat (für die Juden in aller Welt) behandelt Israel seine nicht-jüdischen Bürger nicht wie die jüdischen. Dabei handelt es sich um eine ethnisch-nationale Bezeichnung und nicht um eine religiöse, wenngleich es keine jüdische Ethnie oder Rasse gibt.

Obwohl die Palästinenser – also alle, die die ethnischen Säuberungen zwischen 1947 und 1948 überlebt haben – wählen, politische Parteien bilden und Ämter innehaben dürfen, dürfen sie Israel nicht in eine demokratische Republik für all seine Bürger verwandeln.

Der jüngste Anlauf dazu in der Knesset wurde ohne Debatte oder Wahl abgeschmettert. Auch können sie nicht die systemische Diskriminierung beenden, die Palästinensern beim Zugang zu Land (das meiste Land ist für Nicht-Israelis tabu), sowie hinsichtlich der Leistungen der öffentlichen Versorgungsbetriebe und Schulbildung widerfährt.

Dazu kommt, dass Palästinensern, die in der Nakba zwischen 1947 und 1948 aus ihren Häusern vertrieben wurden, das Recht auf Rückkehr verweigert wird, während jeder, der eine jüdische Mutter hat oder von einem Rabbi konvertiert wurde, automatisch ein israelischer Staatsbürger ist, unabhängig davon, wo er geboren wurde oder wo er derzeit lebt.

In Anbetracht all dessen möchte ich Sie auf die Bedeutung der kürzlich erhobenen Forderung Israels hinweisen, dass die Palästinenser der Westbank und in Gaza Israel nicht nur als rechtmäßigen Staat, sondern als jüdischen Staat anerkennen sollen. Ein solches Zugeständnis wäre ein Verrat an den nicht-jüdischen Bürgern Israels.

Amerika macht´s möglich

Palästina ist noch aus einem zweiten Grund wichtig, weil nämlich US-amerikanische Steuerzahler gezwungen werden, dieses System der Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu finanzieren. Die US-Regierung gibt Israel, der einzigen Atommacht des Mittleren Ostens, jährlich mehr als drei Milliarden US-Dollar an Militärhilfe, zu den besten Bedingungen.
Selbst die angeblich anti-israelisch eingestellte Obama-Regierung stellte einen Rekord in der Militärhilfe für Israel auf, die das US-Recht wie auch das Völkerrecht bricht, weil die Waffen dazu dienen, Palästinenser zu unterdrücken und einen Krieg gegen Zivilisten zu führen.
Kein einziges Mal bestrafte Obama Israel wegen der Ausweitung der Siedlungen in der Westbank und in Ost-Jerusalem, obwohl die US-Regierung diese offiziell stets als Völkerrechtsbruch angesehen hat.

Manche rechtfertigen diese großzügige und einzigartige Unterstützung Israels damit, dass Israel eine „strategische Investition“ für die USA ist; auch israelische Führungskräfte nutzen zynisch genau diese Worte.
Das ergibt aber keinen Sinn. Erstens ist Israel mehr Risiko denn Investition, wie viele Spitzenpolitiker und -militärs seit 9/11 bestätigen:
Ein wichtiger Grund für muslimischen, gegen US-Amerikaner gerichteten Terrorismus ist ja gerade der bedingungslose US-Beistand für Israel, ganz zu schweigen von seiner diplomatischen Unterstützung. Die enormen Summen, die Israel erhält – über 10 Millionen US-Dollar täglich – verdankt es der Israel-Lobby, die sich ihres Einflusses auf US-Politiker brüstet (siehe dieser Artikel eines früheren Mitarbeiters der AIPAC, der amerikanisch-israelischen Kommission für Öffentliche Angelegenheiten, M. J. Rosenberg). Die AIPAC und andere Organisationen haben ein Klima geschaffen, in dem Kritik an Israel oder am Zionismus als Antisemitismus verleumdet wird, obwohl diese haltlose Assoziation so langsam nicht mehr wirkt. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass die ersten und scharfsinnigsten Anti-Zionisten selbst Juden waren.

Würde sich die Lage drastisch verändern, wenn die USA ihre Hilfsleistungen einstellen würden? Dies ist schwer zu sagen; finanziell wäre dies sicher ein harter Schlag, die ideologische Entschlossenheit jedoch, die Palästinenser klein zu halten, ist ausgeprägt. Dennoch muss der erzwungenen Mitschuld der US-Amerikaner an der Ungerechtigkeit ein Ende gesetzt werden.

Gefahr eines Flächenbrandes

Der dritte Grund, den ich anführen möchte, ist ein drohender umfassenderer Krieg, der über Palästina und Israel und sogar über den Mittleren Osten hinausgehen könnte.
Analytiker warnen schon lange davor, dass von dieser Region aus ein Krieg gezündet werden könnte, der auch den Iran, eine schon lange bestehende regionale Macht, und Russland hineinziehen würde.
Schauen wir nur nach Syrien, wo sich Russland und Iran im Auftrag ihres Verbündeten Assad eingemischt haben, während die USA und Israel versuchen, Assad zu schwächen – wobei sie natürlich Gruppen unterstützen, die der al-Qaida nahestehen, den Tätern von 9/11. Es liegt im Bereich des Möglichen, sich einen Zusammenstoß zwischen US-amerikanischen und russischen Streitkräften in Syrien vorzustellen. Außerdem haben die USA und Israel verdeckt Krieg geführt und terroristische Aktionen gegen den Iran unterstützt. Das kam israelischen Politikern sehr gelegen, haben diese Aktionen doch von ihrer Unterdrückung der Palästinenser im eigenen Land abgelenkt.
Sollte Israel die Islamische Republik angreifen, wäre ein Krieg der USA gegen den Iran praktisch unvermeidlich und käme einer regionalen, wenn nicht größeren Katastrophe gleich.

Die sogenannte Friedensinitiative Trumps, angeführt von dessen so offenkundig unqualifiziertem und voreingenommenem Schwiegersohn Jared Kushner und anderen unverblümt pro-israelisch eingestellten Gestalten, war letztendlich nicht mehr als der Versuch, Israel und die arabischen Länder (vor allem die nicht liberalen Regimes in Saudi-Arabien und Ägypten) gegen den Iran zu vereinen – und dabei die Palästinenser zu opfern.
Von den Saudis wird erwartet, dass sie „die Palästinenser aushändigen“ – eine Formulierung, die nur so trieft vor Herablassung – für einen Deal, der im Wesentlichen Israels Herrschaft bewahrt und die Hoffnung der Palästinenser auf Selbstbestimmung zerschlägt (Details dazu sind hier, hier und hier zu finden).

Der Versuch, Palästinas Not der verantwortungslosen Anti-Iran-Kampagne unterzuordnen, wird die Lage nur verschlechtern – sowohl durch die Provokation des Iran, der von Militäreinrichtungen der USA umgeben ist, als auch durch das Zerschlagen jeglicher Hoffnung der Palästinenser, endlich doch noch Gerechtigkeit zu erfahren.
Selbst aus praktischen Gründen ist nicht nachzuvollziehen, warum man es dem Iran allein überlassen sollte, sich für die leiderprobten Palästinenser einzusetzen.

Eigentlich ganz einfach

Angesichts meiner persönlichen Geschichte ist es mir nicht leicht gefallen, dies zu schreiben; es war entnervend und sogar schmerzhaft. Aber wie Finkelstein in üppig dokumentierten Büchern und Vorträgen auf YouTube (zum Beispiel hier) zeigt, ist der Israel-Palästina-„Konflikt“ wirklich nicht kompliziert.

Im Gegensatz zu den Aussagen pathetischer Experten, die einen genaueren Blick auf das Thema verhindern wollen und über den „Kampf der Kulturen“, die Fehde alter Religionen und sonstigen Unsinn schreiben, sind sich Historiker (einschließlich solcher aus Israel) weitgehend darin einig, dass die Feindseligkeit der Palästinenser den Zionisten gegenüber auf der berechtigten Furcht vor Landraub basiert und dass Israel mittels ethnischer Säuberung begründet wurde – denn was kann die Gründung eines jüdischen (Mehrheits-)Staates anderes zur Folge haben, als die Aussiedlung der Mehrheit von Nicht-Juden?

Vor dem Aufschwung des Zionismus sind die Araber recht gut mit den Juden ausgekommen, weit besser als die europäischen Christen.
Israelische Historiker berichteten vor mehr als 30 Jahren von den einschlägig belastenden offiziellen Dokumenten. An der Spitze dieses Unterfangens steht Benny Morris, der das massenweise „Entfernen“ und Töten von Palästinensern bestätigt, dokumentiert und gleichzeitig gutheißt. Er schreibt tatsächlich: „Die Angst vor Zwangsumsiedelung und Enteignung wurde zum Hauptgrund für die arabische Feindseligkeit gegenüber dem Zionismus.“
Morris schreibt auch, dass „die Umsiedlung [der Palästinenser aus Palästina] unvermeidbar und dem Zionismus inhärent war – weil er einen ‚arabischen‘ Staat in einen ‚jüdischen‘ transformieren wollte und ein jüdischer Staat ohne größer Vertreibung der arabischen Bevölkerung nicht hätte entstehen können …“ Diese Äußerung stammt von einem Verteidiger der Gründung Israels, der darüber klagt, dass die ethnische Säuberung nicht abgeschlossen wurde.

Das Problem ist, dass es keine ernsthafte Auseinandersetzung zum Sachverhalt gibt.
Des Weiteren sind sich alle angesehenen Menschenrechtsorganisationen (einschließlich solcher aus Israel) darin einig, dass Israel seit seiner Gründung die Palästinenser routinemäßig brutal behandelt und diskriminiert, am ungeheuerlichsten in der Westbank, in Jerusalem und Gaza, die völkerrechtswidrig durch einen Krieg übernommen wurden.
Und außerdem hat der Internationale Gerichtshof entschieden – mit einem Ergebnis von 14:1, wobei die eine Gegenstimme sogar mit dem Großteil der Mehrheitsmeinung übereinstimmte – dass die Mauer in der Westbank illegal ist, weil auch die Besatzung und die Siedlungen in der Westbank illegal sind.

Wo ist also die Kontroverse unter denen, die sich die Mühe machen, die Angelegenheit genau zu untersuchen? Es gibt sie nicht, weder zu bedeutenden moralischen, noch zu den wichtigen rechtlichen Fragen.
Im Gegensatz zu dem, was manche Verteidiger Israels uns glauben machen wollen, sind dieselben moralischen und rechtlichen Grundsätze, die den Holocaust als unbeschreiblich bösartig kennzeichnen, auch bei den Israelis wirksam (Es gibt allerdings noch einige politische Kontroversen, so zum Beispiel darüber, ob die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge realisierbar sei).

Schritte zur Wiedergutmachung

Die angemessenen winzigen Schritte in Richtung einer gerechten Wiedergutmachung wären also: ein vollkommener Abzug der Israelis aus der Westbank einschließlich des Abbaus der Siedlungen, der Entfernung der Mauer sowie Entschädigungszahlungen für all jene, deren Eigentum durch den Bau der Siedlungen beschädigt wurde. Weiter gehören dazu die Befreiung von Gaza und eine vollständige Autonomie der Palästinenser (Libertarismus ist heute leider nicht im Angebot), das Recht zur Rückkehr für all jene Palästinenser, die vor 70 Jahren aus ihren Häusern vertrieben wurden (eine finanzielle Entschädigung könnte dazu eine akzeptable Alternative sein) und volle Bürgerrechte für die palästinensischen Einwohner von Israel.

Ein- oder Zweistaatenlösung?

Das klingt nach der berühmten Zweistaatenlösung, doch eine Alternative, die einen einheitlichen demokratischen Staat mit gleichen Bürgerrechten für alle anvisiert, gewinnt derzeit an Bedeutung – und ist gleichzeitig das, was schon PLO-Chef Yassir Arafat vor 44 Jahren in seiner Ansprache an die UN-Generalversammlung gefordert hat. Letztendlich geht es darum, was realistischerweise kurzfristig machbar ist.
Einerseits gibt es da jene, die sagen, es sei zu spät für eine Zweistaatenlösung, weil seit 1967 de facto ein einziger Staat zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan existiert.
Insofern, so ihre Argumentation, ist die einzige zu beantwortende Frage die nach der Staatsform dieses einen Staates: Demokratie oder Apartheid?

Geschrumpft - von 44 auf 11 Prozent

Schließlich, so argumentieren die Vertreter dieser Meinung weiter, wurden den Juden 56 Prozent und den Arabern 44 Prozent des Landes zugewiesen, als die UN-Vollversammlung 1947 die Teilung Palästinas in jüdische und arabische Staaten empfahl – die UN hat Palästina nie geteilt und hatte auch nicht die Befugnis dazu – obwohl die arabischen Muslime und Christen die überwältigende Mehrheit darstellten und Juden weniger als 7 Prozent des palästinensischen Landes erworben hatten (große Teile davon mit zweifelhafter Legitimität aufgrund des ottomanischen Feudalismus).

Nach der ethnischen Säuberung jedoch und den dürftigen Versuchen der arabischen Regierungen in den Nachbarländern, die überrollten Palästinenser zu verteidigen (im sogenannten Unabhängigkeitskrieg), hatte sich Israel auf fast 80 Prozent des Landes ausgebreitet. (Die Palästinenser hatten die Teilungsempfehlung zurückgewiesen; angefangen zu der Zeit, als in Großbritannien der Wunsch erwachte, den Mittleren Osten zu beherrschen, und als es dann während des Zweiten Weltkriegs Palästina eroberte, hielt man es nicht für nötig, die Palästinenser nach ihren eigenen Wünschen bezüglich des Schicksals ihres eigenen Landes zu befragen.)
Als sich Israel dann 1967 die besetzten Gebiete aneignete, hat Israel ganz methodisch „Fakten geschaffen“ – Siedlungen und Straßen nur für Juden, die Mauer und so weiter – um sicherzustellen, dass sie diese Gebiete nie mehr aufgegeben müssen.

So ist der palästinensische Staat von 44 auf 11 Prozent geschrumpft — bestehend aus Gemeinschaften, die voneinander abgeschnitten und von Gaza weit entfernt sind. „Was für eine Art von Staat ist das?“, fragen Befürworter eines einheitlichen demokratischen Staates. Sie fänden es besser, gleiche Rechte für alle Einwohner in Israel-Palästina zu erklären und Reformen von einer neuen demokratischen Umgebung ausgehen zu lassen.

Fürsprecher einer Zweistaatenlösung erwidern darauf, es sei viel leichter (wie schwer auch immer), Israel zu einem Rückzug aus den besetzten Gebieten zu bewegen, als den jüdischen Staat in einen säkulären, liberalen, demokratischen Staat zu verwandeln, in dem Juden sich bald in der Rolle einer Minderheit wiederfinden würden. Denn heute ist das Verhältnis in ganz Palästina-Israel etwa 50:50.

So groß die Versuchung auch sein mag, sich in diese Debatte einzuschalten, hat Norman Finkelstein es 2014 schon am besten auf den Punkt gebracht:

„Ich plädiere für gar nichts. Es steht mir nicht zu, mich für etwas einzusetzen. Erstens bin ich kein Palästinenser. Zweitens bin ich kein Israeli (…) Ich lebe weit entfernt von den betroffenen Gebieten. Jeder, der sich mit Politik beschäftigt, weiß, dass es in der Politik nicht um persönliche Vorlieben geht. Wenn Sie mich nach meinem persönlichen Wunsch fragen, würde ich sagen, dass ich nicht an die Zweistaatenlösung glaube – ich glaube auch nicht an die Lösung eines einzigen Staates – ich glaube überhaupt nicht an Staaten. In dieser Beziehung bin ich ein altmodischer Linker. Aber in der Politik geht es nicht darum, was einem lieber ist. Es geht um eine realistische Einschätzung des Kräftegleichgewichtes in der Welt.“

Ich würde hinzufügen, wie es Finkelstein des Öfteren getan hat: Das Beste, was wir tun können, ist, eine umfassende öffentliche Unterstützung für eine Lösung zu erreichen, die in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden für alle wurzelt und die fundierte moralische Intuition und bestehende liberale rechtliche Prinzipien beinhaltet, im Dienste realistisch erreichbarer Ziele.


Sheldon Richman ist Autor und bloggt unter „Free Association“. Er ist Vorsitzender des „Center for a Stateless Society“ und schreibt für „Antiwar.com“.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Why Does Palestina matter". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.


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