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Wasser fürs Geschäft

Wasser fürs Geschäft

Die Geschichte der Toiletten sagt viel über den oft unbewussten Umgang unserer „fortschrittlichen“ Kultur mit dem wichtigsten aller Güter aus.

Mein Leben als Babyboomer im Westen Deutschlands kennt als normal und kulturellen Standard nur das WC, das Wasserklosett. Und zwar seit ich denken kann, also seit frühester Kindheit. Die bot Anfang der 1960er in einer kleinen Stadt am Rhein immerhin noch einen Spülkasten unter der Decke und mit scharfem Solinger Windmühlenmesser rechteckig geschnittenes Zeitungspapier, fein gestapelt, anstelle mehrlagig-flauschiger Rollen für die Hygiene danach. Also nach dem, was der Volksmund auch „Geschäft“ nennt.

Gekaufte Rollen, noch gar nicht flauschig, gab’s schon, aber meine Nennoma, die aus Solingen stammende Großtante mit der Mangelerfahrung zweier Kriege, lebte noch bei uns und führte das Lokalblatt wie gewohnt einer Zweitverwertung zu. Normalfall „Recycling“ aus Sparsamkeit, erlernt in der harten Schule eigener Not und ganz ohne idealistische Sorge um eine „Umwelt“.

Auch der hölzerne Toilettenstuhl der zuletzt kranken alten Dame gehörte zur Kindheit. Keins der hässlich funktionalen Exemplare heute, sondern ein ansehnliches altes Sitzmöbel. Es erfüllte seine Aufgabe bei der Pflege bis zum bitteren Ende und überlebte im Elternhaus beinah sogar die Pflegerin, meine Mutter. Zugleich war er die Ausnahme von der Norm.

Wasserklosetts dagegen waren selbst im armen Heimatdorf der Eltern schon normal, soweit ich mich an viele Besuche dort noch erinnern kann. Hühner, Schweine und Kühe machten ins Stroh, Opas Enkel machte ins Klo. Aus weißer Keramik. Dann zog er ab. „Abziehen“, versteht das noch jemand? Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) und Duden tun’s nicht, schade. Jedenfalls wurde das Geschäft weggespült.

Vorher erlaubten Flachspüler damals noch sinnliches Wahrnehmen. Der Geruch vom Geschäft war normal, verwandt mit dem im Stall, am Misthaufen und überhaupt der Luft im Dorf.

Alternativen lernte ich später öfter kennen, nur wieder als Ausnahme vom Standard. Der schien Mitte der 1970er, Anfang der 1980er überall zu gelten, wohin mich Jugendgruppen oder Semesterferien auch führten: auf entlegenen Anwesen in Frankreich und Spanien ebenso wie im Ferienlager im ärmeren deutschen Staat. In Skandinavien und Jugoslawien, in Wales und sogar im Istanbuler Studentenheim: fremdartig dort die Keramik zum Hocken statt Sitzen, aber Wasserspülung!

Draußen in der Natur

Abseits des Zivilisierten war das Abenteuer, das Wilde, die Natur. Als „Wölfling“ im Zeltlager gab’s „Donnerbalken“, selbst erbaut von den Älteren. Der Bauer wird die Grube nur zugeschüttet haben, was heute garantiert verboten ist. Damals vielleicht auch, aber es interessierte keinen.

Die erwachsenen Pfadfinder unterhielten nicht weit von unserer kleinen Stadt am Rhein, zugleich unweit entlegener Höfe, eine eigene Hütte. Vermutlich selbst errichtet, treffend „Häuschen“ genannt. Da lernte ich als Kind die heiße Ofenplatte kennen, die Nacht verbrachte man unterm kalten Dach im Schlafsack. Dort gab’s auch eine Küche und einen Abort, aber kein fließendes Wasser, keinen Kanalanschluss. Nur erinnere ich mich daran im Einzelnen nicht so wie an die Ofenplatte oder nächtliche Abenteuer. Denn auch das Geschäft auf einer Latrine war normal.

Die 1970er kannten sogar Plumpsklos mit Wasserspülung! Mit ihnen fuhr ich nach mittlerer Reife im „Silberling“ zur gymnasialen Oberstufe in die Großstadt. Zweimal stündlich passierten hinter der Lok drei n-Wagen der Bahn eine AKW-Baustelle. Zweimal täglich sahen wir Schüler den riesigen Kühlturm für modernste Technik in die Höhe wachsen — während am Bauzaun ungezählte Hinterlassenschaften frei ins Gleis plumpsten. Fast wie früher am Hofe, aber Wasserspülung!

In den 1980ern wuchs dann statt der AKWs das Pazifistische und „Grüne“. Als Jungerwachsener war ich mittendrin, während die berufliche Karriere ihren bescheidenen Lauf nahm. Das Wilde und Abenteuerliche mit kaum zivilisiertem Abort gab’s nun urlaubsweise, oft abseits des Haupthauses, in manch abgelegener „hytte“ oder „hydda“ hoch im Norden.

Die Komposttoilette im Ökodorf

Aber erst die 1990er rückten Alternativen zur Norm Wasserklosett in den Blick. Die im Ursprung badische „Ökodorf-Initiative“ hatte nach der Wende in der Altmark eine Chance zur Verwirklichung der Idee gefunden und schließlich beim winzigen Nest Poppau den Hof „Sieben Linden“ erworben. Mit als Erstes errichtete man am Bauplatz eine Komposttoilette.

Eine sommerliche „Bauwoche“ lang half ich den neuen Dörflern gegen freie Kost und Logis im eigenen Zelt beim Umbau der Restgebäude zum Projektzentrum. Und bestieg zur Verrichtung des Geschäfts den als Plumpsklo vertrauten „Thron“: Holzkabinen über Schubkarren. Neu war die Trennung von flüssig und fest samt Beifügen von Holzspänen. Und doch wohlbekannt aus dem Kuhstall: Stroh, Mist und Jauche. Prompt entleerte man die Schubkarren zwecks Kompostierung auch auf einem Haufen. Mir ging ein Licht auf.

Das Ökodorf ging seinen Weg ohne mich, aber die Anwendung alter Weisheiten für grüne Ideale und zugleich Ersparnis des Kanalanschlusses hatte es mir angetan! Kurzerhand löste ich Anfang der 2000er ein ähnliches Problem auf die gleiche Weise. Bei einem abseits gelegenen Ferienhaus war das noch ältere Klohäuschen über gemauerter Grube unten herum morsch. Die entleerte eigentlich ein Silowagen, aber undichte Fugen leerten sie bis auf einen Rest längst ungewollt. Saniert lebt das Klohäuschen seither weiter als einfache Komposttoilette. Das Feste plumpst in einen großen Eimer, das Flüssige versickert im Waldboden, wie bei einer Notdurft.

Nachdrücklichste Erfahrung aber war der Grubenrest. Fäulnis ließ die nasse Pampe übelst riechen. Einige Meter weiter notdürftig aufgehäuft und zwecks Luftzufuhr Pi mal Daumen vermengt mit dem, was dalag im Wald an Laub, Zweigen und so weiter, hätte ich nie erwartet, dass die Natur so schnell und verlässlich ihr Werk verrichtet: Nur ein Jahr später, beim Nachsehen, wie weit das Experiment gediehen sei, wie viel noch übrig vom Ursprung, war ich baff: Nichts mehr, nur Humus!

Ein Kompost gehörte im Garten daheim auch zur Normalität. Küchen- und Gartenabfälle speisten ihn wie heute eine „braune“ Tonne. Nach einem Jahr wurde umgeschichtet, das Oberste nach unten und umgekehrt, am alten Platz ging’s von vorne los. Nach zwei Jahren machte schwarze Erde Platz für die Umschichtung und kam in die Beete. Jedes Jahr aufs Neue. Den Vorgang gedanklich mit dem „Geschäft“ zu verbinden, brauchte trotz Idealismus die Anregung von außen.

Stattdessen dominierte die Wasserspülung den Alltag, mehrmals täglich, mehr als 100.000 Mal, seit ich erstmals selber abzog.

Zeitgleich wurde „Wassersparen“ zum Trend am Bau. Zuerst bekam man Spülstopp-Gewichte. Die gibt es weiterhin, denn der Altbestand wird leicht Jahrzehnte überdauern. Neue Spülkästen hatten bald „Spartasten“ oder „Stopptasten“. Druckspüler sind etwas außen vor, aber sonst brummt beim „Geschäft“ das Wasserspargeschäft!

Der gewohnte technische Fortschritt beflügelte es. Oder das Geschäft den technischen Fortschritt, wie man will. Letzteren brachte schließlich der neuzeitliche Kapitalismus, wie wir ihn kennen, zu seinem heutigen Tempo. Der, glaube ich, ist in unserer Gegenwart stellenweise an eine physische Grenze gestoßen; aber noch deutlicher ist es der Kapitalismus selbst. Es ist der Globus! Jahrhunderte lange rein geografische Expansion und Ausbeutung fremder Menschen und Ressourcen neigt sich spürbar dem Ende zu, unvermeidlich stellt sich auch die Frage der Gerechtigkeit global.

Der Wasserverbrauch — ein globales Problem

Womit der kleine Kreis meines persönlichen Lebens auf eine ganz andere Ebene führt, nämlich die globale, und das Wasserklosett als Problem eines Umweltbewegten ganz schön einschrumpft. Hierzulande war das Wasserklosett der größte Batzen privaten Wasserverbrauchs. Sagte man. Und das ist eng verbunden mit umfassender Entwicklung öffentlicher Infrastruktur: Eisenbahn, Straße, Abwasser, Trinkwasser, Strom, Telefon und erst nach dem Zweiten Weltkrieg Gas wurden in nicht mal zweihundert Jahren zu den Netzen, die wir heute kennen.

Noch zu Beginn der Aufklärung im 18. Jahrhundert mussten selbst hohe Herrschaften für ihr persönliches „Geschäft“ aufs Plumpsklo! Das lehrte mich einst eine Führung durch das Barockschloss Benrath. Und die Geschichte lehrt, dass man in der Antike schon mal weiter war.

Die neuzeitliche Entwicklung ist zudem eng geknüpft an die Verstädterung! Mäßig besiedelt ist der Aufwand ein Vielfaches höher. Folgerichtig entwickelten sich auf dem Land Alternativ-Strukturen wie Flüssiggas. Das sah ich als Kind beim Besuch von Verwandten sogar in der Neubau-Siedlung einer größeren Stadt. Neben Idealen werden daher auch sehr rationale Gedanken die Siebenlindner beim Trockenklosett beflügeln, ganz ähnlich wie beim Ferienhaus. Das hat übrigens auch ein WC. Zumindest in frostfreier Zeit, mein Werk, wird mit Regenwasser gespült. Denn seit der Quell der Zisterne langsam versiegt, wird Wasser angeliefert und damit noch kostbarer.

Reine Vernunft sorgte sicher auch dafür, dass in Hütten und Häusern frostiger Gegenden Plumpsklos überdauerten. Ich frage mich, ob das uneingeschränkt gilt, wenn ein millionenschwerer Neubau mit einem Viertel Betten weniger die über 120 Jahre entwickelte Monte-Rosa-Hütte ablösen soll, oder ob auch Ideologie im Spiel ist. Jedenfalls ist man dort in der Natur nun „umzingelt von Wirklichkeit“ und, positiv gesehen, ein nettes Forschungsprojekt. Allerdings ein recht teures, fast luxuriöses.

Die Wirklichkeit auf der Welt ist immer eine sehr eigene. Denn sie ist vor allem Wahrnehmung, was selbst für die Geschichte gilt und guten Historikern immer bewusst ist. So dachte ich anfangs — wie als Volkswirt gewohnt — an einen Zugang über Zahlen, als Manova sich zum Thema Wasser an die Autoren wandte. Doch das erwies sich schnell als aussichtslos, denn so einfach wie bei Corona die Sterbefallzahlen waren Daten nicht zu finden.

Also folgte ich dem emotionalen Impuls, wie man lesen könnte. Je mehr ich versuchte, zugleich mit Vernunft meine Wahrnehmung zu hinterfragen — desto mehr Fragen taten sich auf! Beispiel: Wie viel Trinkwasser wäre eigentlich gespart, würde morgen kein WC im Land mehr damit gespült? Denn mit jedem konsumierten Euro verbrauchen wir auch Energie und Wasser, nur nicht daheim. Darum ist der „ökologische Fußabdruck“ kaum persönlich, sondern nur national sinnvoll bilanzierbar, noch besser global, und entlarvt „Klimakleber“ beim Urlaub auf Bali als Pharisäer.

Es war ernüchternd, aber es passt hervorragend in die persönliche Erfahrung der letzten vier Jahre, in der immer mehr alte Gewissheiten auf den Prüfstand gerieten — und dabei versagten. So gesehen alles stimmig. Das Wasserklosett, glaube ich nun, ist ganz sicher kein vordringliches Problem. Nicht für uns, aber selbst dort, wo es als Kulturtechnik etabliert, aber das Klima trockener ist.

Vordringlich ist vielmehr die Erkenntnis, dass sich unsere Kultur aufgeklärt hinterfragen und ihren maßlosen Anspruch auf Allgemeingültigkeit aufgeben muss. Andere werden ihren Umgang mit dem wichtigsten aller Güter, dem Wasser, viel besser selbst bestimmen.

Am Schluss sei gefragt: Wie frei kann die Selbstbestimmung sein, wenn die Wahrnehmung einer digitalen Kunstwelt von der der natürlichen, gottgegebenen Welt immer mehr entfremdet? In der Rückschau scheint mich das Leben in vordigitaler Zeit mit natürlicher Wirklichkeit reich beschenkt zu haben, statt wie den kaum jüngeren Robert Habeck umzingelt. Und es bewahrte mich vor Hygienewahn.

Ist Ursache der Überforderung der so beschleunigte Fortschritt der Digitaltechnik als menschliches Werkzeug? Oder ist es ideologische Verblendung? Oder eine Mischung aus beidem? Wer sich so etwas ebenfalls fragt, möge sich mit eigenem Verstand auf Antwortsuche begeben. Vielleicht konnte ich dazu einige Anregungen geben. Es würde mich freuen.


Ergänzung zu diesem Artikel: Das Video „Tatort Brisensee“

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Im Sommer 2008 kämpfte die kleine Gemeinde Brisensee gegen einen zwangsweisen Anschluss der Häuser an eine zentrale Kläranlage.

Briesensee (Brandenburg, 2016: 225 Bewohner) ähnelt Poppau (Sachsen-Anhalt, 2023: 288 Bewohner), der winzige Ort beim „Ökodorf Sieben Linden“; beide sehr ländlich, eher strukturschwach. Ebenfalls ländlich und 1980 eher ärmer, aber touristisch und nicht weit entfernt war der Ort des DDR-Ferienlagers Wendisch-Rietz (Brandenburg, 1981: 1031 Bewohner, heute sicher weniger), auf das sich der Autor im Text bezieht.

Bild: Sieben-Linden, Briesensee, Wendisch-Rietz

Bild: Waldklo 2023


Am 22. März ist Weltwassertag. Es ist wichtig, dass Medien es nicht dabei bewenden lassen, stets nur auf den neuesten Wahnsinn in der Welt zu reagieren, sondern selbst in das Agieren kommen. Deshalb setzen wir zusammen mit einer Reihe von weiteren Medienportalen selbst ein Thema auf die Agenda. Die beteiligten Medienpartner, bei denen in der Woche vom 18. bis 24. März im Rahmen des #Wasserspezial Beiträge zu finden sein werden, sind derzeit:

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Quellen und Anmerkungen:

Weiterführende Links:
- Hungerstreikende kämpfen weiter gegen Klärwerk-Anschluss Artikel beim Tagesspiegel, 15. August 2008
- Brandenburg „Freistaat Briesensee“: Streit um das Abwasser Artikel beim Tagesspiegel, 15. August 2008
- Trocken-Toiletten und Grauwasserreinigung in Sieben Linden Texte und Erfahrungen, 65 Seiten PDF, 2022

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