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Welt ohne Mensch

Welt ohne Mensch

Mit der künstlichen Intelligenz sägt der Mensch an dem Ast, auf dem er sitzt.

Mit ChatGPT tritt die Künstliche Intelligenz einen Siegeszug an, der als unaufhaltsam angesehen und von vielen Wissenschaftlern bereits kritisch beäugt wird. Diese KI ist in der Lage, Texte fast beliebiger Länge und zu einem beliebigen Thema auf Anfrage zu produzieren. Es bleibt dabei nicht bei einem simplen Chat; die KI kann Gedichte, Romane, Erzählungen, Drehbücher und Sachtexte hervorbringen. Zugegeben, die Gedichte sind oft nur in andere Form gebrachte Prosatexte, die Reime fehlen selbst nach mehrfacher Aufforderung, die Verse wirken hölzern, und auch eine Metrik bringt ChatGPT noch nicht zustande. Die Romane und Sachtexte bleiben oberflächlich und belanglos und geraten nicht selten vollkommen nichtssagend.

Doch das Wesen der KI ist es, zu lernen und sich zu entwickeln, und so prophezeien nicht nur die Programmierer des Bots, dass sich seine Fähigkeiten verbessern werden. In Zukunft soll er sogar Lieder komponieren können. Eine andere KI, die der Dienst „Discord“ bereitstellt, verfügt zudem über die Fähigkeit, Bilder zu erschaffen. Sie benötigt nur eine kurze Beschreibung und erstellt Kunstwerke, die — je nach Wunsch — wie Gemälde, Comics oder fotorealistisch aussehen.

Damit dringt die KI in einen Bereich ein, der vom Menschen nicht nur erschaffen wurde, sondern der auch das Wesen des Menschlichen zum Ausdruck bringt: die Kunst. Schon seit der Industrialisierung wird im großen Stil vorhergesagt, dass die Maschine bald die meisten Berufszweige übernehmen wird. Nicht nur in den Fabriken soll sie Waren zusammenbauen, sondern auch als Staubsaugerroboter, Müllsammelroboter, als Polizeibot durch die Stadt ziehen, oder als Drohne und autonomes Fahrzeug in den Krieg. Auch anspruchsvolle und intellektuelle Berufe sollen von der KI übernommen werden — beispielsweise in der Chirurgie, im Verwaltungs- oder Rechtswesen.

Das ist eine Entwicklung, die es schon lange gibt. Der Kapitalismus ist eine einzige Zeit der Maschinisierung und Mechanisierung der gesamten menschlichen Umwelt. Statt per Menschenhand in Manufakturen oder Werkstätten, werden Geräte und Waren von Maschinen zusammengebaut.

Maschinen bauen wiederum schon längst andere Maschinen, wie etwa das Automobil, das die Fortbewegung des Menschen mechanisierte. Das hatte zunächst den Effekt, dass die eigentliche Arbeit des Zusammenbauens und Ineinanderfügens den Menschen abgenommen wurde, was aber insofern keinerlei Erleichterung verschaffte, weil die Menschen dann dazu gezwungen waren, die Maschinen zu bedienen.

Der Mensch schuf sich auf diese Weise eine künstliche Umwelt, an die er sich dann anzupassen hatte. Nun bestimmte der Takt der Maschine den Verlauf der Arbeit, und der Mensch war gezwungen, diesem Takt zu folgen. Das Menschliche, wie kurzes Innehalten, eine Unterhaltung mit den Mitarbeitern, eine Verlagerung der Aufmerksamkeit, wurden ausgelöscht. Unter dem unbarmherzigen Stampfen der Maschine konnte der Mensch sich das nicht mehr erlauben. Die Akkordarbeit wurde durch die Maschine nur noch unmenschlicher, als sie es ohnehin schon war.

Automatisierte Medizin

Mittlerweile geht der Trend jedoch in die Richtung, alles vollautomatisiert zu gestalten. Maschinen und digitale Dienste übernehmen mehr und mehr Arbeiten, und es bedarf schon heute in einigen Bereichen nur noch der Aufsicht weniger Menschen, welche hier und da korrigierend eingreifen. Ein großer Teil der Menschen wird somit für den Produktionsprozess überflüssig, was eine gute Nachricht sein könnte, lebten wir nicht noch immer in einer Lohnsklaverei, die zum Verdienen von Geld zwingt, um sich das Leben leisten zu können.

Arbeit wie die von Ärzten und Anwälten hingegen ist auf den menschlichen Aspekt angewiesen. Sie durch Maschinen zu ersetzen, wird zu einem unbarmherzigen, nüchtern auf reine Rationalität reduzierten System führen. Der automatisierte Richter wird jeden menschlichen Funken vermissen lassen. Kein Platz ist hier für Milde und Nachsicht, für das Vergeben. Er wird kalt das herrschende Recht anwenden und alle menschlichen Spielräume zum Verschwinden bringen.

Ein vollkommen automatisiertes Rechtssystem wäre damit zwar unbestechlich, es wäre vollkommen „gerecht“, aber dadurch auch absolut grausam.

Zudem ist es anfällig für Manipulation. Denn derjenige, der die Software schreibt, der die KI programmiert, bestimmt letztlich, wie sie im Einzelnen funktionieren wird, und so kann die KI zu einem Verstärker des Willens und der Macht der Digitalkonzerne werden.

Auch automatisierte Ärzte und Therapeuten, die jede Menschlichkeit vermissen lassen, werden zu einer unmenschlichen Medizin führen. Denn ein wichtiger Aspekt der Heilung ist stets auch die Aufmerksamkeit, die den Patienten zuteilwird. Das Zuhören und empathische Reagieren begünstigt die Heilung bereits, wenn sie diese nicht sogar in Gang setzt. Eine Maschine wird lediglich die Symptome abfragen, vielleicht den Körper durchleuchten, das Blut untersuchen, und schließlich eine Medizin verschreiben. Abgefertigt wie in der Fabrik, wird der Mensch am Fließband „behandelt“.

Dabei besteht auch hier die Gefahr der Manipulation, denn die Maschinen, wenn sie von Pharmafirmen programmiert sind, werden als Heilmittel nur die Mittel der Pharmaindustrie zulassen. Naturheilkunde, Traditionelle Chinesische Medizin, Traumaheilung und andere sogenannte „Alternative Medizin“ werden nicht zum Repertoire dieser Maschinen gehören. Die automatisierte Medizin stärkt damit den Zugriff der Pharmaindustrie auf den gesamten Sektor der Gesundheit.

Der überflüssige Mensch

Der Mensch hat offenbar eine Tendenz dazu, sich selbst überflüssig zu machen. Er erschafft Maschinen und Gerätschaften, die ihm die Arbeit abnehmen, nur um dann nicht zu wissen, wohin mit all der Zeit, die er dadurch gespart hat. Existenzkrisen sind bereits vorprogrammiert. Diese werden oftmals im Bereich der Kunst ausgelebt. Und wie schön wäre eine Welt, in der die Menschen sich voll und ganz der Kunst widmen könnten. Leider wird das im gegenwärtigen System nicht möglich sein, da die durch Automatisierung arbeitslos gewordenen Menschen keineswegs frei sind.

Stattdessen werden sie einem rigiden Sozialsystem unterworfen. Denn nach wie vor besteht die Notwendigkeit, Geld zum Leben zu verdienen. Nur woher das Geld nehmen, wenn so viele Arbeiten von Maschinen ausgeführt werden? Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen als „Nutzlose“ abhängig von Sozialleistungen in Elend leben, mit Drogen und billigem Essen ruhiggestellt und in virtuellen Welten sediert werden, ist also gar nicht mal so gering, und wird ja auch von den Vordenkern dieses Systems genau so propagiert. Doch selbst wenn die Menschen wirklich von der Arbeit befreit wären, für ihr Leben nichts weiter tun müssten und mit allem versorgt wären, so wäre auch die Kunst schon besetzt von der Maschine.

Das indes ist auch keine neue Entwicklung. Denn die Kunst wird schon seit Jahrzehnten immer weiter automatisiert und in die Sphäre der Maschine überführt. In der Musik wurde mit der Einführung des Synthesizers der Klang verschiedener Instrumente imitiert und für fast jeden Menschen leicht spielbar. Dem folgte dann im Laufe der Jahre die immer weiter fortschreitende Digitalisierung der Musik. Technologisch und elektronisch produzierte Musik breitete sich aus dem Untergrund in den Mainstream aus und beherrscht diesen mittlerweile vollumfänglich. Die Musik ist damit zu einer synthetischen Kunstform geworden, die von jedem Menschen leicht ausgeführt werden kann.

Damit einher ging aber auch eine extreme Minderung der künstlerischen Fähigkeiten. Denn wann immer man heutzutage das Radio einschaltet, die Musik klingt immer ähnlich. Sie hat sich im Laufe der Zeit immer weiter angeglichen, sodass es heute sogar schwierig ist, einzelne Künstler auseinanderzuhalten. Denn selbst die Stimmen, glatt gebügelt mit Autotune und ins Elektronisch-Künstliche verzerrt, klingen alle gleich. Die Musik wird hergestellt auf der Grundlage wummernder Bässe und ist damit getrimmt auf stumpfe Tanzbarkeit. Die Texte entbehren jeder lyrischen Tiefe, sondern unterstreichen den eigentlichen Zweck:

Nicht eine künstlerische Reflexion der Welt steht im Fokus, sondern die Untermalung der Sauf- und Feierorgien, zu denen diese Musik vornehmlich gespielt werden soll und auf die sie auch zugeschnitten ist.

Diesem Zweck untergeordnet wird das ganze Repertoire der Mainstream-Musik, und es wird zu einem stupiden Einheitsbrei verrührt, aus dem nichts Bemerkenswertes mehr heraussticht.

Der Schein von Kunst

Wenn nun die KI in die Sphäre der Kunst Einzug hält, dann wird diese dadurch nicht an Wert gewinnen. Im Gegenteil: Die Kunst wird kühl und nüchtern berechnet, nach bestimmten Parametern wie Tanzbarkeit oder Popularität ausgerichtet, um eine größtmögliche Schnittmenge des potenziellen Publikums zu erreichen, um möglichst oft verkauft zu werden, und das nicht nur in der Musik, sondern in jedem künstlerischen Bereich.

Menschliche Emotion, die sich in der Kunst widerspiegeln sollte, wird es dann nicht mehr geben. Die Kunst wird flach, maximal noch die Simulation von Emotion darstellen. Sie wird synthetisch, banal, und sie wird menschliche Künstler verdrängen, die schlicht nicht mit der Massentauglichkeit synthetischer Kunst mithalten können. In dem Bestreben, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, wird die Qualität nicht etwa an das höchstmögliche Maß angepasst, sondern es wird die unterste Messlatte herangezogen. Denn je künstlerischer und individueller die Kunst, desto kleiner das mögliche Publikum, desto geringer die Profite. Breitenwirkung führt daher zwangsweise zu einem Niedergang der Kunst.

Damit wird der Kunstgeschmack der Menschen nachhaltig beeinflusst. Denn er passt sich an das an, was die Menschen vorfinden, in Ermangelung einer Alternative. Es besteht die Möglichkeit, dass er so angepasst wird, dass jedes synthetische, KI-erzeugte Lied ein neuer „Hit“ wird, weil es den angepassten Geschmack bedient, der sich in der breiten Masse gleicht. Die Kunst wird, noch stärker als sie es heute ist, zum reinen Konsumgut, das, sobald konsumiert, schon wieder vergessen ist und lediglich nach mehr verlangen lässt.

Tendenzen in diese Richtung gibt es heute schon nicht nur im Bereich der Musik, sondern auch auf den Streaming-Plattformen, die eine belanglose Serie nach der anderen produzieren. Damit wird die Kunst zu einem reinen Industriezweig degradiert, der lediglich darauf ausgerichtet ist, Gewinne zu erzeugen. Das ist zwar heute auch schon der Fall, kann sich aber durch den Einsatz der KI noch zuspitzen. Denn während der Mensch durch Schöpfergeist und Schaffenskraft getrieben ist und seiner individuellen Sicht auf die Welt, seinen Gefühlen und Ansichten Ausdruck verleiht, verfügt die Maschine über all das nicht.

Die KI hat keine Sicht auf die Welt, sie verfügt nicht über Emotionen oder Meinungen. Genau das sagt auch ChatGPT, wenn man es nach seiner Meinung fragt. Damit richtet sich die KI nach den Anforderungen, die ihr mit dem Code eingepflanzt werden, und diese beziehen sich nicht auf künstlerischen Ausdruck, sondern auf Absatz.

Allein aufgrund des Mangels an Emotion und tiefen Empfindens stößt die Kunst der KI zwangsweise an eine sehr enge Grenze. Maschinen mögen logisch-rationale Prozesse akkurat durchführen können, sie mögen präziser arbeiten als ein Mensch es je zu tun vermag, mögen große Mengen an Daten verarbeiten können. Doch in der Kunst ist all das überhaupt nicht von Belang. Sie lebt von einem inneren Antrieb des Menschen, einem Zugang zu einer tieferliegenden Sphäre der Schöpferkraft, von der Emotion und Regung des Künstlers.

Auch die Spontaneität ist ein wichtiger Bestandteil der Kunst, die momentane Inspiration und Intention, die sich mit dem Verstreichen der Zeit und über den Prozess des Schaffens ändern können. Eine Maschine hat zu all dem keinen Zugang, sie ist nicht spontan, nicht inspiriert und hat auch keine Intention. Sie führt lediglich die Befehle des Codes aus, der sie ausmacht. Man kann ihr all das auch nicht einprogrammieren. Jeder Versuch wird höchstens zu einer Simulation dessen führen, und so kann eine daraus entstehende, etwaige Kunst auch höchstens eine Simulation von echter Kunst sein.

In unserer heutigen, kapitalistischen Welt genügt das allerdings oftmals. Denn die Welt, wie wir sie heute vorfinden, ist, wie Guy Debord, der französische Philosoph es ausdrückte, eine Welt des Spektakels, in der alles Echte und Reale in eine künstliche Sphäre verschoben wurde und nur noch als Abbild existiert. Man kann das in den Medien tagtäglich beobachten. Dort wird nicht mehr die Realität gezeigt, sondern lediglich ein Abbild einer Realität, die es so zwar nicht gibt, die aber als Realität dargestellt und dann von vielen Menschen als solche übernommen wird. Eine solche Gesellschaft des Spektakels wird mit der KI einen neuen Höhepunkt erreichen, indem selbst die Kunst in das Spektakel überführt wird.

Doch hier bleibt die Hoffnung, dass diese synthetische Kunst das tiefe Bedürfnis des Menschen nach Transzendenz, Bedeutung und Sinn nicht zu erfüllen vermag, weshalb sie sich selbst der Kunst widmen und auf die Reise machen, eben diese Transzendenz zu finden. Denn computergenerierte, berechnete, simulierte Kunst ist kalt und leblos, entbehrt jeglicher Lebendigkeit und Tiefe eines von Menschenhand erschaffenen Werkes. Nur Menschen sind in der Lage, wirkliche Kunst hervorzubringen, und so bleibt zu hoffen, dass sie sich mit der Simulation von Kunst nicht zufriedengeben werden.


https://www.youtube.com/watch?v=0ATuqedB3uo


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