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Zeit für Resistance

Zeit für Resistance

Ein Dokumentarfilm macht deutlich, dass Widerstand gegen die Unmenschlichkeit des Krieges möglich und notwendig ist.

Held habe Colburn eigentlich nie sein wollen, meint Felder, der 2011 mehrere Tage mit ihm drehte und sein umfangreiches Material jetzt erstmals unter dem Titel „Resistance“ mit aktuellem Bezug und neuen Aufnahmen veröffentlichen will.

Ein Tag, der in die Geschichte eingeht: Am 16. März 1968 stellt sich der 18-jährige Bordschütze Lawrence (Larry) Colburn zusammen mit dem US-Army-Piloten Hugh Thompson Jr. und dem Crew Chief Glenn Andreotta den eigenen Kameraden in einem vietnamesischen Dorf entgegen, als sie sehen, dass US-Soldaten wahllos Zivilisten in einem Graben erschießen — Frauen, Kinder, alte Männer. An diesem Tag sind keine Feinde im Dorf, doch haben die Soldaten der Charlie-Kompanie den Befehl, auf alles zu schießen, was sich bewegt. Die Hubschraubercrew Thompson, Colburn und Andreotta versucht, die Soldaten davon abzuhalten, und richtet ihre Waffen gegen sie. Eine riskante Befreiungsaktion, die aber letztlich gelingt. Damit verhindern sie ein noch größeres Massaker, wie es in My Lai gerade in vollem Gange war.

Erst ein Jahr später wird das Kriegsverbrechen öffentlich — durch einen Bericht von Journalist Seymour Hersh und die schockierenden Fotos des Armeefotografen Ron Haeberle im LIFE Magazine. Den Fotografen hat Regisseur Felder 2011 für seinen prämierten Film „My Lai Inside“ in dessen Haus in Cleveland besucht. Felder: „Er hat angeblich ein Foto vernichtet, das einen US-Soldaten beim Töten zeigt, und meint, alle hätten sich schuldig gemacht, nicht nur ein Einzelner.“ Damit machte es sich Haeberle vielleicht zu einfach. Larry Colburn war nicht gut auf ihn zu sprechen: Er habe sich mit dem Verkauf der Farbfotos persönlich bereichert. Ron Haeberle hatte zwei Kameras, eine von der Armee für die Schwarz-Weiß-Aufnahmen und eine private Nikon.

Die Nachricht vom Massaker von My Lai mit über 500 Toten erschütterte die Welt wie kaum eine andere. Dieses Kriegsverbrechen hat das Bewusstsein für die Grausamkeiten des Krieges geschärft und zu einer kritischeren Haltung gegenüber militärischen Interventionen geführt.

Neue Einblicke verspricht Felder mit seinem Projekt und möchte dem „außergewöhnlichen Menschen Larry Colburn näherkommen“, der mit Courage und Empathie seinem Gewissen gefolgt sei.

August 2011: Larry Colburn kommt mit seiner Frau Lisa und Sohn Connor nach Köln. An diesem Sommertag soll er den mutmaßlichen Sohn einer Vietnamesin treffen, die er damals vor Augen hatte und deren Bild er nicht mehr loswird; jeden Tag denkt Colburn an sie. Die Frau, die er an diesem Tag aus dem Hubschrauber sieht, ist auf der Flucht. Pilot Thompson fliegt nahe an sie heran. Colburn gibt ihr zu verstehen, dass sie nur kurz tanken müssen und dann wiederkommen, sie mitnehmen und in Sicherheit bringen werden. Als sie kurz darauf zurückkehren, ist es jedoch zu spät: Die Frau liegt erschossen im Gras — mit einem Kopfschuss, dem sogenannten Krönleinschuss, aus nächster Nähe. Das Haeberle-Foto von ihr geht später um die Welt.

Der Mann, der vermutlich der Sohn dieser Frau ist und heute in Deutschland lebt, sitzt neben ihm. Larry Colburn kann die Tränen kaum unterdrücken. Auch nach über 40 Jahren wird er diesen Krieg nicht los. Felder: „Der Kino-Dokumentarfilm zeigt, dass es im Krieg kaum Wahrheiten gibt, aber ein gewissensbedingter Widerstand für mehr Frieden, für mehr Hoffnung sorgen kann.“

„Mit staatlicher Filmförderung ist nicht zu rechnen“, meint Felder. Es sei einfach nicht das passende Sujet für die „Meinungsmacher“ dieser Zeit. Ein Dilemma, seiner Ansicht nach: Gesellschaftskritische, nicht konforme Dokumentarfilme erhalten kaum noch entsprechenden Support vom Land oder Bund, geschweige denn vom Fernsehen. So wird sein Film durch Spenden, Streaming, Vorabkäufe und Beteiligungen (Crowdfunding) finanziert und soll 2025 in ausgewählten Kinos laufen.

Larry Colburn und Hugh Thompson — Glenn Andreotta stirbt Wochen nach dem Massaker im Krieg — sind viele Jahre Repressalien ausgesetzt, weil sie sich entschieden hatten, gegen die Horrortaten ihrer Kameraden vorzugehen. Das brachte sie in Konflikt mit Vorgesetzten und den anderen Soldaten, die an dem Massaker beteiligt waren. Sie werden gemobbt und schikaniert. Kaum jemand weiß bis heute — und Colburn beschreibt es genau im bisher unveröffentlichten Material —, dass sie sogar offiziell für tot erklärt wurden: Sie sollten nicht mehr über die Gräueltaten der amerikanischen Armee reden. Zu dieser Zeit haben Colburn und Thompson schon lange keinen Kontakt mehr. Nur durch Zufall erfährt Colburn von der Todesmeldung.

Thompson und Colburn müssen überdies Jahrzehnte damit leben, Zeugen in einem verlogenen Gerichtsprozess gegen die Schuldigen gewesen zu sein und als „Verräter“ denunziert und verfolgt zu werden. Nur William Calley, einer der schlimmsten Kriegsverbrecher von My Lai, wurde letztlich für ein paar Jahre in den Hausarrest geschickt und schließlich von US-Präsident Nixon begnadigt. Er führt bis heute in der Nähe von Atlanta ein anscheinend unbeschwertes Leben. Kein anderer der fast hundert beteiligten US-Soldaten wurde für die vielen Morde belangt, sie alle folgten angeblich den „Befehlen“. Den „Befehlsgebern“ konnte dank raffinierter Anwälte nichts nachgewiesen werden.

Larry Colburn arbeitet in der Umgebung von Atlanta als Verkäufer von medizinischen Geräten. Wenn er unterwegs ist, fährt er ab und an rechts ran an den Straßenrand, legt den Kopf aufs Lenkrad und schließt die Augen. Wie schön es jetzt wäre, mit dem Hund an den See zu gehen und zu angeln. Vielleicht einen Joint rauchen oder nur aufs Wasser starren.

Sein Vater kam traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Als er aus der Normandie heimkehrt, ist er ein anderer Mensch, mit weißen Haaren. Er hat den Wunsch, mit Larry ins Kino zu gehen, wo in einem Stummfilm ein Schloss am Strand der Normandie gezeigt wird. Da sei er auch gewesen.

Larry ist 14 Jahre, als sein Vater stirbt. Der Onkel sagt ihm: „Jetzt bist du dran.“ Mit 17 meldet sich Colburn zusammen mit ein paar Freunden zum Militär. Die Euphorie ist von kurzer Dauer, das Militär widert ihn zunehmend an. Diskreditierungen, Lügen, Fehlverhalten sind an der Tagesordnung, und es wird immer schlimmer.

„Schon krass, wie sich Traumata über Generationen entwickeln“, so Filmemacher Felder.

In einer Welt, wo die Freiheit des Einzelnen immer mehr unter die Räder gerate, wo es hauptsächlich um Konformität und Gleichschaltung gehe, sei es zunehmend schwieriger, den Kopf in den Wind zu halten. Widerstand gegen falsche Entscheidungen, gegen Kriegstreiberei und Ausgrenzung von Friedensaktivisten scheine ihm dringend geboten, um die nahende Tragödie aufzuhalten.

Es gehe um weitaus mehr als Protest — siehe Larry Colburn.

Erst 30 Jahre später kommt schließlich die bizarre Wende: Larry Colburn und Hugh Thompson sind für den Friedensnobelpreis nominiert und erhalten die Soldier’s Medal, die höchste militärische Auszeichnung der USA. Sie werden zu Helden — und Amerika kann sich wieder gut fühlen. Larry Colburn macht sich allerdings keine Illusionen: Er bekommt eine Medaille dafür, dass er den Feind gestoppt hat — und der Feind waren amerikanische Soldaten!

2016 stirbt Larry Colburn mit 67 Jahren an Krebs. Seine Frau Lisa sagt kurz nach seinem Tod: „Er war ein sehr friedlicher Mann, der den großen Wunsch hatte, dass es eine friedliche Welt gibt.“ Dies führt beliebte Ausreden von an Kriegsverbrechen beteiligten Soldaten ad absurdum, man habe ja auf Befehl gehandelt. „Mut zum Widerstand, darum geht es in diesen kriegslüsternen Zeiten“, so Felder.


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Quellen und Anmerkungen:

Videotrailer und Filmunterstützung befinden sich auf der Schweizer Crowdfunding-Plattform.

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