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All you need is art

All you need is art

Das Schaffen der Beatles war revolutionär — ihre Strahlkraft wirkt bis heute nach.

Haben Sie auch genug von all den schlechten Nachrichten? Das Thema Corona scheint kein Ende zu nehmen, gleichzeitig herrschen Krieg in der Ukraine, der stets droht, sich auszuweiten, Energieknappheit, die Gefahr von Blackouts und kalten Wohnungen, Inflation, der Verlust von Arbeitsplätzen und vielleicht auch noch eine Lebensmittelknappheit. All diese Themen ermüden und viele wollen von all dem nichts mehr hören. Man könnte mit den Monty Pythons sagen: „Und nun zu etwas völlig Anderem.“

Damit nähern wir uns geografisch bereits dem Thema. Denn wie wäre es, sich mal wieder mit etwas Schönem zu beschäftigen; mit der Kunst vielleicht, und im Besonderen mit der Musik; wie wäre es mit den Beatles? Alter Hut? Das mag man glauben. Doch die Beatles haben die moderne Musik geprägt wie wohl kaum eine andere Gruppe und sind noch immer höchst aktuell. Auch ihre Lebensphilosophie und Einstellung kann nach wie vor inspirierend sein. In seinem Buch „Let it out and Let it in — die Kunst der Beatles“ würdigt der pensionierte Lehrer Ludger Storp ausgiebig die Kunst der Beatles.

Das Besondere: Mit über 100 QR-Codes, die zu Videos von Liedern, Interviews oder Film- und Fernsehausschnitten führen, veranschaulicht er die detaillierten Ausführungen zur Geschichte, Entwicklung und künstlerischer Finesse der Beatles, die er im Laufe des Buches beschreibt, analysiert und mit vielen Hintergrundinformationen und Anekdoten lebhaft anreichert. Der Schreibstil reißt einen gleich von der ersten Seite mit hinein in eine Entdeckungsreise, in deren Verlauf man lernt, die Musik der Beatles mit ganz anderen Augen zu sehen, mit anderen Ohren zu hören.

Dabei schreibt er nicht einfach eine weitere Biografie über den genauen zeitlichen Werdegang der Band, vom Anfang bis zum Ende. Solche gibt es schon zur Genüge und eine weitere wäre wohl keiner Erwähnung wert. Nein, vielmehr geht es Storp darum, herauszuarbeiten, was genau die Kunst an der Musik der Beatles war, das Neue, das Revolutionäre, das so viele Menschen begeistert und mitgerissen hat und sie auch heute noch zu einer viel beachteten Größe in der Musikwelt macht. Ein wichtiger Aspekt dabei ist:

Die Musik der Beatles war wirkliche Kunst. Kunst, so der Autor, erfordert stets ein Element des Neuen, etwas Revolutionäres, noch nie da Gewesenes. Denn nur so ermöglicht der Künstler es Mitmenschen, die Welt anders zu sehen.

So ist Monet der einzig echte Künstler des Impressionismus, während alle seine „Nachfolger“ zwar gute Maler, aber eben keine Künstler in diesem Sinne mehr sind. Ähnlich verhält es sich mit den Beatles. Denn sie begannen schon sehr bald, mit der Musik zu experimentieren, sie immer wieder neu zu gestalten, neue Elemente einzuführen. So waren sie wohl die Ersten, die eine Sitar in der Popmusik verwendeten. Die Rolling Stones hingegen waren und sind zwar gute Musiker, aber ihnen fehlt oft das Innovative. Sie kamen mit ihren Ideen immer wieder zu spät, um echte Künstler zu sein.

Zugute kam den Beatles wohl auch, dass sie nie Musikunterricht genommen hatten und diesen auch klar ablehnten. Denn sie wollten sich nicht in die vorgegebenen Muster pressen lassen, die durch die Vermittlung musikalischer Theorie automatisch entstehen. So haben sie sich die Freude am Experimentieren bewahrt. Viel zu verdanken ist auch dem „fünften Beatle“, dem Produzenten George Martin, der die vielen Ideen und Visionen der Gruppe ohne Widerrede umgesetzt und damit ihre Innovationen gefördert hat.

Doch nicht nur in der Musik drückte sich das Talent der vier aus. Nein, mit „The Magical Mystery Tour“ produzierten sie auch einen innovativen Film, der die meisten Zuschauer eher befremdete und sprachlos zurückließ. Dabei zeigte er die Freude der Beatles am Neuen und am Experiment. Weitestgehend ohne Handlung werden Szenen aneinandergereiht, die für den Zuschauer wenig Zusammenhang ergeben, sich dafür fast schon ins Psychedelische steigern. In ihren Filmen und Videos spiegelt sich noch ein anderer Aspekt wider, der die Beatles ausgemacht hat: ihr Humor.

Sie verstanden es, mit den Erwartungen der Zuschauer und Zuhörer zuspielen und diese bewusst umzukehren oder zu enttäuschen. Auch das Spiel mit der Sprache, sowohl in ihren Liedern, wie am Beispiel des Liedes „Because“ erklärt wird, als auch im Umgang mit Reportern, ist ein Teil ihres Charmes und Humors. Dabei scheint immer wieder das typisch Britische durch, das aber oftmals gekonnt ironisch gebrochen und somit ein wenig ins Lächerliche gezogen wird, ohne je den Respekt davor zu verlieren.

Ihre Kunst erstreckte sich in alle ihre Lebensbereiche und wurde zunehmend beeinflusst von spirituellen Ideen und Überzeugungen. Diese können auch heute noch Inspiration bieten. Denn ihre Vorstellung von einer Philosophie der Liebe, welche die Menschen vereint, ist gerade in heutigen Zeiten, in denen Hass und Hetze von Regierungen, ihren Propagandisten und auch im Zwischenmenschlichen wieder an der Tagesordnung sind, wieder höchst aktuell. Eine solche Lebensphilosophie könnte dazu beitragen, die Menschen wieder miteinander zu versöhnen und die aufgerissenen Gräben zu schließen. Sie würde auch Kriege, Ausbeutung und Unterdrückung beenden. Obwohl sie für diese Überzeugung oft verlacht wurden und sich viele Künstler in späteren Jahren von dieser Philosophie distanzierten, hielten die Beatles selbst bis zum Ende daran fest, und brachten sie auch noch im letzten Lied ihres letzten Albums zum Ausdruck.

Sie sprachen sich auch ganz klar gegen jede Segregation aus. Denn als bei ihrer Tour durch die USA ein Veranstalter nur Weiße in das Publikum lassen wollte, sagten sie schlicht, dass sie das nicht machen würden. So kam es dazu, dass Schwarze und Weiße nebeneinander und miteinander die Musik der Beatles genießen durften, eine Erfahrung, die für viele der damals anwesenden Schwarzen in der Rückschau noch sehr bewegend ist. So würden sich die Beatles wohl auch heute gegen die Segregation aussprechen, die unter dem Coronaregime wieder eingeführt wurde.

Zudem haben sie schon erlebt, wie die Medien Bilder schaffen, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. So wurden die Beatles in den USA, vor allem im strenggläubigen „Bible Belt“, teilweise als Verkörperung des Bösen dargestellt, haben Kritik und Proteste geschürt, sodass gar der Ku Klux Klan mit Anschlägen auf die Konzerte drohte. All das aufgrund einer Bemerkung John Lennons, die Beatles seien berühmter als Jesus, eine Aussage, die im heimischen Großbritannien kaum Beachtung fand, in den strenggläubigen Regionen der USA jedoch für Aufruhr sorgte. Dort wurden Verbrennungen ihrer Platten und Fanartikel organisiert, mit denen die Menschen ihren Unmut bekundeten. Reporter versuchten daraufhin immer wieder, John Lennon zur Wiederholung seiner Aussage zu bringen, um den Skandal am Kochen zu halten.

So entstand ein Bild der Beatles, losgelöst von den vier jungen Männern selbst. Auch haben sie die Fokussierung auf Nebensächlichkeiten wie ihre Frisuren erlebt, wobei der eigentliche Inhalt, nämlich die Kunst verloren ging. All das sind Methoden, die auch heutzutage angewendet werden, um ein Bild von Regierungskritikern zu erzeugen, das deren Ausgrenzung und Diskriminierung rechtfertigen soll. Einer solchen Diskriminierung hätten die Beatles jedoch widersprochen und so kann man resümieren: Die Beatles waren sowohl künstlerisch als auch politisch Querdenker, ohne, dass sie wirklich politisch aktiv waren.

Dabei standen sie für eine friedliche, subtile Revolution mittels Liebe und der Kunst. Jede Form des Fanatismus lehnten sie klar ab, und zwar egal, woher diese kam. Deutlich wird das in dem Zitat „And if you go carrying pictures of chairman Mao you ain’t gonna make it with anyone anyhow.“ Fanatismus und Ideologie führen letztlich nicht zum Erfolg. Auch jede Form von Führungsfigur und Heilsbringern, egal ob politisch oder religiös, lehnte insbesondere John Lennon klar ab. Dies brachte er auch in seinem Lied „Serve yourself“ zum Ausdruck, das er als Antwort auf Bob Dylans Hinwendung zur Religion schrieb, die in dessen Lied „You gotta serve someone“ Ausdruck fand.

Inspirationsquelle

Damit sind sie ein inspirierendes Beispiel der Selbstbestimmung, die sich jedem manipulativen Einfluss von außen entzieht und einzig aus dem Inneren, im Einklang mit den eigenen Überzeugungen entstehen kann. Nicht auf einen neuen Anführer warten, auf eine neue Regierung hoffen oder religiösen Gurus folgen, sondern den eigenen Weg finden und sich von fremden Einflüssen freimachen, das sind die wichtigen Lehren, die heute wieder ungeahnte Relevanz entfalten. Dabei ist es auch wichtig zu erkennen, welche Einflüsse von außen kommen, und welche Ideen aus dem eigenen Selbst entstanden sind. Das kann als Beispiel und Inspiration dienen.

Damit ist jedoch nicht gemeint, sich der Außenwelt zu verschließen. Nein, die Beatles nahmen die Einflüsse von außen bewusst auf, um sie dann in Kunst zu verwandeln. Das spiegelt sich in der Zeile „Let it out and let it in“ aus „Hey Jude“ wider. Das „Let it in“ ist dabei die bewusste Inspiration von außen, das Aufnehmen künstlerischer Inspiration. Das „Let it out“ hingegen die Verwandlung dieser Inspiration und das Freisetzen künstlerischer Energie, um Kunst zu schaffen.

Sie wussten auch genau, wie es war, sich nicht frei äußern, frei entfalten zu können. Denn auch die Beatles waren nicht immer frei. So verbat ihr Plattenlabel ihnen beispielsweise, sich zum Vietnamkrieg zu äußern, den sie klar ablehnten.

Der Autor stellt auch die zahlreichen Einflüsse der Beatles, wie die Goons und ihre „The Goons Show“, von welcher die Beatles ihren Sinn für Humor nahmen, oder Bob Dylan, sowie ihre Beziehungen zu diesen Einflüssen vor. Er analysiert dabei einzelne Lieder der Band im Hinblick auf diese Einflüsse, zeigt auf, wo die Inspirationen lagen und woran sie zu erkennen sind. Das zeugt von einem tiefen Wissen und Verständnis der Beatles, der damaligen Kultur und deren Einflüssen. So zeichnet er auch die Entwicklung der Band von einer relativ klassischen Boyband der damaligen Zeit hin zu den innovativen, neuartigen Künstlern nach, welche die Popmusik revolutionierten. Als Beispiel für diese Entwicklung von einer publikumskonformen Liveband hin zur tiefgründigen Kunst, die Liveauftritte unmöglich machte, steht das Lied „Eleanor Rigby“, das sich von allem unterschied, was in der damaligen Popmusik bekannt war. Auch die Integration fremdartiger Musikstile, wie fernöstlicher Instrumente und Melodien, war zur damaligen Zeit etwas vollkommen Neues.

Sie verbanden avantgardistische Stile mit der Popmusik und transzendierten diese dadurch, hoben sie auf eine vollkommen neue Ebene. So spielten sie Aufnahmen von Instrumenten rückwärts ab, wie in „Strawberryfields forever“, schnitten in „Being For The Benefit Of Mr. Kite“ verschiedene Tonfetzen zusammen, um einen atmosphärischen Klang zu erzeugen, und benutzten vollkommen neue Aufnahmetechniken. Damit erhoben sie die Popmusik von der Stufe eines reinen Konsumgutes zur Kunst. Was für uns in der Musik heute ganz normal ist, haben die Beatles überhaupt erst in diese eingeführt.

Auch in ihren Texten spiegelt sich diese Kunst wider. Vor allem John Lennon spielte mit den Worten, erschuf zutiefst harmonische Sentenzen, die sich auch im Reimschema und Wortklang wunderbar ineinander fügten. Oft handelt es sich um Poesie, gekleidet in Musik. Nicht umsonst bezeichnete George Martin das Album „Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band“ als einen modernen Debussy. Transzendente Erfahrungen finden sich ebenso in ihren Texten wider wie geradezu nüchterne Alltagsbetrachtungen, die die Band jedoch durch ihre Worte und Musik zur Kunst erhoben.

Neben lyrischer Brillanz findet sich auch viel Weisheit in den Texten der Beatles. Tiefgründige Botschaften wie in „Hey Jude“ etwa — insbesondere dieser Song ermuntert seine Hörer, sich nicht in schmerzhafte Dinge zu verbeißen und nicht zu versuchen, die ganze Welt auf den Schultern zu tragen. „And anytime you feel the pain: Hey Jude, refrain! Don’t carry the world upon your shoulder.“ Die Beatles ermutigen damit zur Leichtigkeit des Lebens und dazu, auch dann nicht aufzugeben, wenn diese auf die Probe gestellt wird. Denn letztlich wird die Liebe siegen und mit ihr auch die Freiheit.

Die Beatles bieten damit auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Auflösung noch eine Inspiration, die Welt transzendent und in Liebe zu erfahren, Menschen wertzuschätzen und zu respektieren. Die meisten ihrer Botschaften kann man als einen Quell der Inspiration nutzen, um die Welt ein Stück weit zu transformieren, eine Revolution in Frieden und Liebe zu vollziehen.

Damit bietet die Musik der „Fab Four“ einen gemeinsamen Nenner, in diesen aufgeheizten, bewegten Zeiten zur Besinnung und Ruhe zu finden, wieder zusammenzukommen und sich in gegenseitiger Wertschätzung zu begegnen, Humor und Liebe nicht aus dem Blick zu verlieren. So kann sie zu einer Überwindung der oft sehr tiefen Gräben beitragen sowie dazu ermuntern, Brücken zu bauen und diese auch zu überqueren. Zu ihrer Zeit haben die Beatles die Menschen vereint, vielleicht kann die Kraft ihrer Musik dies heute erneut tun. Sie ermutigen uns, dass alles, was man sich vorstellen kann, möglich ist. Denn am Ende kann man resümieren: „all you need is love“.

So ist die Lektüre dieses Buches anregend und interessant, aber auch inspirierend. Es eignet sich vielleicht gerade für die kalte und dunkle Jahreszeit als Geschenk unter dem Weihnachtsbaum. Es hilft Menschen, welche erst Jahrzehnte nach dem Ende der Beatles geboren wurden, den Zauber dieser Band zu verstehen, und jenen, die schon einmal in der Musik der Beatles geschwelgt haben, diesen Zauber wiederzuentdecken. So bietet das Buch jeder Generation etwas, das begeistert, und öffnet auf jeden Fall den Blick für die Kunst in der Musik.


„Let it out and let it in — Die Kunst der Beatles“


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