Medienanalysen — man kann gar nicht genug analysieren in dieser Zeit. Wie berichten die Medien? Worüber berichten sie und was lassen sie aus? Welche Sprache verwenden sie? Für die kritische Beobachtung der Medien gibt es einen guten Grund: Sie sind in unserer Gesellschaft mit eines der zentralen Mittel zur Konstruktion von Realität. Anders gesagt: Was Medien sagen, das betrachten immer noch ziemlich viele Bürger als real.
Wenn Russland sich nach den Aussagen Trumps äußert, wonach russische Kampfjets beim Eindringen in den Luftraum eines Nato-Landes abgeschossen werden sollten, ist sauberes, anständiges journalistisches Handwerk gefragt. Was genau hat Trump gesagt? Was sagen die Russen? Es braucht eine sachliche, nüchterne Wiedergabe der Aussagen. Wer als Journalist dazu seine persönliche Meinung sagen möchte, verfasst einen Kommentar.
Auf Focus Online ist aber Folgendes zu lesen.
„Russen ätzen nach Abschuss-Ansage gegen Trump: ‚In Scheinwelt gefallen‘“. So steht es im Nachrichtenticker. So stand es auch in großen Buchstaben in der ursprünglichen Überschrift; inzwischen ist es geändert und erscheint nur noch in der Zwischenüberschrift.
„Ätzen“? Dieser Begriff würde aller Voraussicht nach in keiner Schülerzeitung dieser Welt in einem nachrichtlichen Artikel durchgehen. „Ätzen“ — das ist ein Verb mit starker Wertung. Und zudem auch noch emotionalisierend. Bemerkenswert auch die Formulierung: „Russen“, also Mehrzahl. Prinzip: Pars pro toto — ein Teil steht für das Ganze. Wenn ein Russe (angeblich) ätzt, ätzen — irgendwie — wohl alle? Implikation: Man weiß ja, wie die so sind. In dem Nachrichten-Ticker-Beitrag führt Focus Online zwei Personen an: Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und den früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew.
Beide stehen natürlich für die russische Politik. Aber in dem nachrichtlichen Gesamtzusammenhang von „Russen“ zu sprechen, hat einen stimmungsschürenden Effekt. Und: Russland oder „die Russen“ als eine homogene, negativ konnotierte Masse zu erfassen, ist genau das, was die Propaganda rund um den Feindbildaufbau beabsichtigt.
Im weiteren Verlauf des Beitrags heißt es:
„Der Kreml hat die Aussage von US-Präsident Donald Trump über Russland als schwachen „Papiertiger“ zurückgewiesen. „Russland ist überhaupt kein Tiger. Bei Russland denkt man eher an einen Bären. Papierbären gibt es nicht. Russland ist ein echter Bär“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau dem Radiosender RBK. Natürlich gebe es Schwierigkeiten wegen der Sanktionen, aber insgesamt sei die Wirtschaft in Russland stabil.“
Halten wir fest: Für das Nachrichtenmagazin „ätzt“ nicht etwa Trump, der gegen Russland stichelt und von einem „Papiertiger“ spricht, sondern Peskow, der als Reaktion sagt, Russland sei „ein echter Bär“.
Focus Online schreibt weiter:
„Auch der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew nannte Trumps Kritik an Moskau vorübergehend. Trump sei nach Treffen „mit den Clowns aus Kiew und Paris“ in eine Scheinwelt gefallen, in der die Ukraine siege, schrieb Medwedew auf Telegram. „Aber Trump ist nicht so! Kein Zweifel, er kehrt zurück. Er kehrt immer zurück.“ Der jetzige Vizechef des Sicherheitsrates spielt in der Moskauer Kommunikation oft die Rolle eines Scharfmachers.“
Wir sehen: Zwei Seiten gehen sprachlich in die Offensive.
Gerade deshalb kommt einem seriösen Journalismus die Aufgabe zu, mit sachlicher Distanziertheit zu berichten. Ob eine Seite nun „ätzt“ oder nicht, das darf — wenn er möchte — der Mediennutzer anhand der gelieferten Informationen selbst entscheiden.
Doch die Verwendung des Begriffs „ätzen“ im Zusammenhang mit Russland ist kein Einzelfall in deutschen Medien.
- „Russen ätzen gegen Trumps Ukraine-Wende“, heißt es in der Bild Zeitung.
- „Donald Trump überrascht mit Ukraine-Wende – Russen-Medien ätzen gegen den US-Präsidenten“, ist auf dem Portal News.de zu lesen.
- „Putin kneift, Lawrow ätzt gegen alles und jeden“, schreibt n-tv.
- „Moskau ätzt gegen mögliche Merz-Regierung“, so der Stern.
Die Beispiele sollen an dieser Stelle genügen. Das grundlegende Problem eines Nachrichtenjournalismus wird sichtbar, der den Namen nicht mehr verdient.

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